Wenn das Finanzamt Kosten zusammenstreicht, ist guter Rat teuer – im wahrsten Sinne. Allein der Vorschuss für die Gerichtsgebühren beträgt mindestens 328 Euro. Dreht sich der Streit um hohe Beträge, sind die Gerichtskosten am Ende oft vierstellig. Hinzu kommen in der Regel Ausgaben für Anwälte oder Steuerberater.
Geht es um grundlegende steuerliche Fragen, muss nur eine einzige Person diese Bürde auf sich nehmen – und sich durch die Instanzen klagen. Landet der jeweilige Fall schließlich beim Bundesfinanzhof (BFH), Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof, können sich andere Steuerpflichtige an solche Musterprozesse vor den obersten Gerichten anhängen.
Dazu müssen Steuerzahler lediglich innerhalb eines Monats Einspruch gegen ihren Steuerbescheid einlegen und auf das laufende Verfahren verweisen, um im Erfolgsfall davon zu profitieren. Das kann jeder selbst in wenigen Minuten erledigen. Sie schildern den Streitpunkt, verweisen auf das laufende Verfahren und beantragen, dass der Einspruch bis zum Urteil ruhen soll. Der Steuerfall bleibt in dem Punkt dann so lange offen, bis das Gericht entschieden hat.
Tipp: Nutzen Sie gerne unsere Formulierungsvorschläge bei Ihrem Einspruch. Damit können Sie das Ruhen des Verfahren beantragen und vergessen keine wichtigen Angaben.
In 44 Prozent der 2024 beim Bundesfinanzhof geführten Revisionen entschied das Gericht zugunsten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Im Schnitt dauert es rund zwei Jahre, bis der Bundesfinanzhof bei Revisionsverfahren zu einem Urteil gelangt. Geduld ist also erforderlich, Risikofreude hingegen nicht: Selbst wenn der Fall verloren geht, darf das Finanzamt den Steuerbescheid nicht in anderen Punkten zum Nachteil der Steuerpflichtigen ändern. Hängen Sie sich an einen Musterprozess an, kann sich Ihre Lage nur verbessern oder gleich bleiben, jedoch nicht verschlechtern.
Tipp: Prüfen Sie, welche Musterprozesse gerade laufen und an welche Sie sich anhängen können. Eine Auswahl listen wir weiter unten auf. Weitere Verfahren beim Bundesfinanzhof finden Sie auf dessen Webseite.
Die Chancen stehen gut
Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Prozess mitzugewinnen, ist gar nicht so niedrig: Im Jahr 2024 hat der Bundesfinanzhof immerhin in 44 Prozent der Revisionsverfahren zugunsten der Steuerzahlenden entschieden. Zwar binden Gerichtsurteile in Deutschland nur die direkt am Streit Beteiligten. Weil die Urteile der obersten Gerichte aber von grundlegender Bedeutung sind, orientiert sich die Finanzverwaltung in aller Regel daran und wendet die Rechtsauffassung der Gerichte in ähnlich gelagerten Fällen an.
In seltenen Fällen kann es vorkommen, dass der Bundesfinanzminister ein Urteil der unabhängigen Richterinnen und Richter des Bundesfinanzhofs wieder einkassiert. Mittels eines sogenannten Nichtanwendungserlasses teilt das Bundesministerium der Finanzen (BMF) den Finanzämtern mit, dass sie das höchstrichterliche Urteil nicht auf ähnliche Fälle anwenden sollen. Dann müssen alle Betroffenen einzeln klagen, um zu ihrem Recht zu kommen.
Es geht auch automatisch
Einige Streitfragen betreffen Millionen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Bei Verfahren mit so weitreichender Bedeutung erlässt das Finanzamt von sich aus den Steuerbescheid in diesen Punkten vorläufig. Ob das der Fall ist, lässt sich leicht erkennen: Gleich auf der ersten Seite des Bescheids steht unter dem Wort „Festsetzung“ die Formulierung „Der Bescheid ist ... teilweise vorläufig“.
Um welchen Punkt oder welche Punkte es geht, ist auf den weiteren Seiten des Steuerbescheids erläutert. Steuerpflichtige müssen in diesen Fällen nichts unternehmen – ein Einspruch ist nicht notwendig. Gibt es später ein positives Urteil, kommt es allen Betroffenen automatisch zugute.
Update: Im Juni 2025 haben wir diesen Artikel aktualisiert und den Ausgang bei den Verfahren ergänzt, die bis zum Stichtag 2. Juni entschieden waren.
Kommentarliste
Nutzerkommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.
Liebes Test-Team,
das Urteil zu dem Verfahren VI R 39/19 wurde kürzlich erfreulicherweise veröffentlicht.
Viele Grüße
Thorsten
Der Bundesfinanzhof ist der Auffassung, dass die Beschränkung nach der Aktienverluste nicht mit sonstigen Einkünften (z.B. Gewinne aus Fonds, Festgeld, etc.) steuerlich verechnet werden dürfen, eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung ist. Wer also Aktienverluste hat und gleichzeitig Gewinne aus sonstigen Einkünften aus Kapitalvermögen, die nicht aus Aktienveräußerungsgewinnen bestehen, kann sich mit einem Einspruch gegen den Steuerbescheid wehren und ein Ruhen des Einspruchverfahrens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes beantragen. Für den Einspruch gibt es Musterbriefe von Einkommensteuerprogrammen oder man wendet sich an Steuerberater.
https://www.bundesfinanzhof.de/de/presse/pressemeldungen/detail/vorlage-an-das-bundesverfassungsgericht-der-bfh-haelt-die-verlustverrechnungsbeschraenkung-fuer-aktienveraeusserungsverluste-fuer-verfassungswidrig/
@PWAUST: Wenn sich Ihr Einspruch auf die Krankheitskosten beziehen würde, müssen sie das nicht tun. Der Bescheid bleibt durch den Vorläufigkeitsvermerk ohnehin offen, bis das Gericht entschieden hat. Nach der Entscheidung wird das Finanzamt auch von sich aus tätig und rechnet Ihren Steuerbescheid ab. (PH)
Im Steuerbescheid steht von Amts wegen ein Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich des Abzugs einer zumutbaren Belastung bei der Berücksichtigung von Krankheitskosten. Empfehlen Sie zusätzlich Einspruch mit Hinweis auf den im Artikel zitierten Musterprozess einzulegen?
Kommentar vom Autor gelöscht.