Stecken sich Angestellte im Beruf mit dem Corona-Virus an, kann das als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall gelten. Doch je nach Tätigkeit sind die Hürden hoch.
Fast 40 Millionen Menschen infizierten sich in Deutschland im Laufe der Corona-Pandemie mit dem Corona-Virus. Zu Ansteckungen kam es überall, wo sich Menschen begegneten. Das passiert auch heute noch – und auch am Arbeitsplatz. Infiziert sich dort ein Arbeitnehmer mit dem Virus, kann das unter bestimmten Voraussetzungen auch heute noch als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall gelten.
Ist das der Fall, haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Sie übernimmt zum Beispiel Behandlungen und zahlt bei Langzeitfolgen eine Verletztenrente. Im Todesfall unterstützt sie die Hinterbliebenen finanziell. Die Leistungen gibt es nicht automatisch und der zuständige Unfallversicherungsträger muss die Infektion zunächst als Arbeitsunfall oder Berufskrankheit anerkennen. Wir sagen, welche Schwierigkeiten je nach Berufsgruppe zu überwinden sind.
Arbeitgeber sollte Covid-19 anzeigen
In einigen Fällen ist die erste Hürde gleich der eigene Arbeitgeber. Eigentlich muss dieser Berufskrankheiten und Arbeitsunfälle umgehend beim jeweiligen Unfallversicherungsträger anzeigen, der je nach Branche eine bestimmte Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse ist. Doch das klappt nicht immer. Weigert Ihr Arbeitgeber sich, Ihre Infektion bei der Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse zu melden, zeigen Sie die Infektion selbst an. Sind Sie nicht sicher, welche Stelle für Sie zuständig ist, fragen Sie telefonisch unter 0 800/60 50 40 4 beim Spitzenverband der gesetzlichen Unfallversicherung nach. Für die Meldung genügt ein formloses Schreiben.
Beratungsstellen für Betroffene
In Berlin, Bremen, Hamburg und dem Saarland gibt es für Beschäftigte eigene Beratungsstellen. Helfen können auch Gewerkschaften, der eigene Betriebsrat oder der Sozialverband VdK. Auf der Website der Berliner Beratungsstelle Berufskrankheiten finden Sie eine Vorlage für die Anzeige einer Covid-19-Infektion. Die Mitarbeiter unterstützen Arbeitnehmer auch beim Anerkennungsverfahren oder bei Streit um Leistungen.
Dokumentation ist wichtig
Infektion melden. Sie haben sich bei der Arbeit mit Corona angesteckt? Achten Sie darauf, dass Ihr Arbeitgeber dies bei der zuständigen Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse meldet. Bitten Sie um eine Durchschrift der Meldung.
Selbst handeln. Weigert sich der Arbeitgeber, Ihre Infektion zu melden, können Sie dies auch selbst tun. Die Meldung ist auch nachträglich möglich.
Leichte Symptome. Hat die Erkrankung bei Ihnen einen milden Verlauf? Bemühen Sie sich trotzdem um Anerkennung bei der gesetzlichen Unfallversicherung. So sind Sie abgesichert, falls Sie später unter Langzeitfolgen leiden. Dafür ist wichtig, dass Sie zu Beginn der Erkrankung mindestens drei Tage krankgeschrieben sind. Mehr zu den möglichen gesundheitlichen Folgen einer Covid-19-Infektion in unserem Special Corona – Gesundheit, Schutzmaßnahmen.
Infektion nachweisen
Gilt Ihre Infektion als Arbeitsunfall, müssen Sie einen engen Kontakt mit einer infizierten Person benennen. Dabei sollten Sie konkret sein und die entscheidenden Fragen beantworten: Mit wem und wann hatten Sie Kontakt? Wie lange hat er gedauert? Wurde ein Abstand von 1,5 Meter unterschritten? Haben die Beteiligten eine Maske getragen? Wurde der Raum, in dem der Kontakt stattfand, regelmäßig gelüftet? Suchen Sie sich zudem Zeugen, die das Beschriebene bestätigen. Lehnen Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse Ihre Anzeige ab, haben Sie einen Monat Zeit, um zu widersprechen. Lassen Sie sich von einem Anwalt für Sozialrecht unterstützen.
Schon bei milden Symptomen melden
Viele Menschen, die mit Covid-19 infiziert waren, leiden auch Monate später an Symptomen wie schneller Erschöpfung und eingeschränkter Leistungsfähigkeit. Diese Langzeitfolgen treten auch bei Patienten auf, die zunächst einen milden Verlauf hatten. Die Infektion sollte daher auch bei leichten Symptomen gemeldet werden. Die Ansteckung ist damit dokumentiert. Leidet jemand später unter Langzeitfolgen, erhält er leichter Unterstützung.
Drei Voraussetzungen für die Corona-Meldung
Der Unfallversicherungsträger prüft nach der Meldung einer Infektion, ob drei Voraussetzungen erfüllt sind. Das ist der Fall, wenn
die Infektion mit einem positiven PCR-Test oder einem qualifizierten Schnelltest (durch medizinisches Personal) nachgewiesen ist,
die Erkrankung ausgebrochen ist, es also mindestens leichte Symptome gibt,
nachgewiesen ist, dass sich der Arbeitnehmer bei der Arbeit infiziert hat.
Wie konkret der letzte Nachweis sein muss, hängt davon ab, ob die Erkrankung als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall zählt. Auch Ungeimpfte haben Versicherungsschutz.
Wer erst jetzt erfährt, dass seine Infektion am Arbeitsplatz als Versicherungsfall gilt, kann dies nachträglich anzeigen. Allerdings muss auch er belegen können, dass er die genannten Voraussetzungen erfüllt.
Tipp: Sie erfüllen die Voraussetzungen für einen Versicherungsfall nicht, weil Sie keine Symptome haben? Notieren Sie sich trotzdem genau, wann und wo Sie sich im Job angesteckt haben. Bitten Sie außerdem Ihren Arbeitgeber, die Infektion im Verbandbuch festzuhalten. Leiden Sie später unter Langzeitfolgen, können Sie so belegen, dass Sie sich bei der Arbeit angesteckt haben und die Infektion nachträglich melden.
Covid-19 als Berufskrankheit
Ob Ärztin, Pfleger, Apotheker oder Familienhelferin – wer im Gesundheitsdienst, bei der Wohlfahrtspflege oder in einem Labor arbeitet und unter den Folgen der Infektion leidet, hat gute Chancen, eine Berufskrankheit anerkannt zu bekommen. 2023 gab es 64 733 neue Verdachtsfälle, 53 220 davon wurden anerkannt. Im Vergleich dazu wurde bei allen Berufskrankheiten nur knapp die Hälfte der Meldungen bestätigt.
Covid-19 gilt nur in bestimmten Fällen als Berufskrankheit. Nämlich nur dann, wenn medizinische Erkenntnisse belegen, dass in einem Beruf ein deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko im Vergleich zur übrigen Bevölkerung besteht. Für welche Krankheiten das gilt, ist auf der Liste der Berufskrankheiten festgehalten. Zum Gesundheitsdienst zählen etwa Krankenhäuser, Arztpraxen, Apotheken, Rettungsdienste oder Pflegedienstleister. Wohlfahrtspflege meint vor allem Einrichtungen der Kinder-, Jugend-, Familien- und Altenhilfe sowie zur Hilfe für behinderte oder psychisch erkrankte Menschen.
Erkrankte in diesen Jobs müssen nicht konkret nachweisen, bei wem sie sich angesteckt haben. Für sie genügt es, wenn sie allgemein belegen können, dass sie mit Menschen gearbeitet haben, die mit dem Corona-Virus infiziert waren.
Covid-19-Infektion in anderen Berufen
Auch in anderen Berufen kann Covid-19 als Berufskrankheit gelten. Nämlich dann, wenn Arbeitnehmer im Beruf „der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt waren“. Dazu zählen laut Spitzenverband der Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) Berufe mit unmittelbarem Körperkontakt wie Friseure oder Kosmetikerinnen.
Für alle anderen Berufsgruppen gibt es laut DGUV keine gesicherten wissenschaftlichen Hinweise, dass Beschäftigte einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sind.
Die Folge ist: Ob Lehrerin oder Erzieher, Kassierer oder Fahrkartenkontrolleurin – sie alle können ihre Infektion nicht als Berufskrankheit anerkennen lassen. Sie haben aber die Möglichkeit, sie als Arbeitsunfall zu melden.
Corona als Arbeitsunfall
Berufsgruppen ohne erhöhtes Risiko können eine Covid-19-Infektion zumindest als Arbeitsunfall anzeigen. 2023 haben das 7 677 Arbeitnehmer getan, davon wurden 2 069 Fälle anerkannt. Als Nachweis akzeptiert werden PCR-Tests und qualifizierte Antigen-Schnelltests (POC-Schnelltests). Dieser muss durch medizinisches Fachpersonal durchgeführt worden sein. Ein Selbsttest reicht nicht aus. Eine Infektion ohne Krankheitssymptome wird nicht als Arbeitsunfall gewertet und muss nicht gemeldet werden.
Detaillierter Nachweis nötig
Damit die Anzeige als Arbeitsunfall Erfolg hat, müssen Betroffene genau darlegen, dass sie in ihrem Job engen Kontakt zu einer infizierten Person hatten. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Arbeitskollegin, einen Geschäftspartner oder einen Kunden handelt.
Bei der Definition eines „engen Kontaktes“ bezieht sich die gesetzliche Unfallversicherung auf das Robert-Koch-Institut. Demnach ist er in drei Situationen gegeben:
Der Betroffene hatte mit der infizierten Person länger als zehn Minuten bei einem Abstand unter 1,5 Meter und ohne Masken Kontakt.
Der Betroffene hat mit der infizierten Person bei einem Abstand unter 1,5 Meter und ohne Masken ein Gespräch geführt.
Der Betroffene war mit der infizierten Person länger als zehn Minuten in einem Raum, der schlecht oder gar nicht belüftet wurde, sodass sich Aerosole verteilen konnten. In dieser Situation spielt es auch keine Rolle, ob die Beteiligten eine Atemschutzmaske getragen haben.
Kontakte mit Infizierten melden
Der Kontakt muss nach Angaben des Robert-Koch-Institutes (RKI) zwischen zwei Tagen vor dem Auftreten der ersten Symptome und 10 Tagen nach Beginn der Symptome bei der infizierten Person erfolgt sein. Nur in Ausnahmefällen akzeptieren Unfallkasse oder Berufsgenossenschaft einen Arbeitsunfall, wenn der Beschäftigte keinen konkreten engen Kontakt mit einem infizierten Menschen belegen kann. Nämlich dann, wenn es im Arbeitsumfeld viele Infektionen gab und bewiesen ist, dass sich das Virus gut verbreiten konnte. Zum Beispiel, weil es keine oder nur eine schlechte Belüftung gab.
Private Infektion ausschließen
Bei seiner Entscheidung betrachtet der Unfallversicherungsträger auch, ob Betroffene im privaten Umfeld Kontakt zu Infizierten hatten. Ist dies der Fall, wird der Arbeitsunfall in der Regel nicht anerkannt. Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass die beschäftigte Person sich auch außerhalb der Arbeit (Familie, Freizeit, im Urlaub) angesteckt hat.
Bei Arbeitsunfällen gilt außerdem, dass Betroffene mindestens drei Tage krankgeschrieben sein müssen. Sie sollten sich also auch bei milden Symptomen vom Arzt die Arbeitsunfähigkeit bescheinigen lassen.
Wegeunfälle ja, Essenspausen nein
Versichert ist auch der Weg zur Arbeit. Hier gilt ebenfalls: Der Arbeitnehmer muss konkret nachweisen, dass es einen engen Kontakt zu einer infizierten Person gab. Bei Fahrten mit Bus und Bahn ist das eher schwierig. Wer aber eine Fahrgemeinschaft nutzt, kann einen engen Kontakt zu einem infizierten Mitfahrer leicht belegen. Stecken sich Beschäftigte aus dem Gesundheitsdienst, der Wohlfahrt oder Laboren auf dem Arbeitsweg an, gilt dies ebenfalls als Arbeitsunfall und nicht als Berufskrankheit. Essenspausen sind nicht versichert. Nur in Ausnahmefällen kann eine Infektion in der Betriebskantine als Arbeitsunfall anerkannt werden.
Hilfen für anerkannte Fälle
Hat die gesetzliche Unfallversicherung die Infektion als Versicherungsfall akzeptiert, erhalten Kranke umfangreiche Unterstützung. Sie zahlt anstelle der Krankenkasse für ärztliche Behandlungen, Aufenthalte in Krankenhäusern, Medikamente, Reha und Physiotherapien. Oft übernimmt sie dabei Behandlungen, für die die Krankenkasse nicht aufkommen würde. Die Kliniken der Berufsgenossenschaften etwa haben ein eigenes Long Covid-Programm entwickelt.
Guter Einkommensausgleich
Auch beim Ausgleich von Einkommensausfällen ist die Unterstützung der gesetzlichen Unfallversicherung besser als das Krankengeld der Krankenkasse. Ist ein Beschäftigter länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, endet die Lohnfortzahlung des Arbeitgebers. Die Unfallversicherung zahlt dann ein Verletztengeld. Dies beträgt 80 Prozent des regelmäßigen Bruttoarbeitseinkommens. Damit ist es 10 Prozent höher als das Krankengeld.
Sind Personen aufgrund der Corona-Erkrankung auf umfangreiche fremde Hilfe angewiesen, zahlt die Unfallversicherung auch ein Pflegegeld. Die genaue Höhe richtet sich nach dem individuellen Bedarf.
Rente bei langfristigen Folgen
Wer aufgrund der Infektion langfristig einen gesundheitlichen Schaden erleidet, bekommt eine Verletztenrente. Der Anspruch besteht, wenn die Erwerbsfähigkeit länger als 26 Wochen um mindestens 20 Prozent gemindert ist. In welchem Maße die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt ist, entscheidet die Unfallversicherung auf Basis eines ärztlichen Gutachtens.
Bei vollständigem Verlust der Erwerbsfähigkeit erhält der Versicherte eine jährliche Rente in Höhe von zwei Dritteln seines Bruttojahresverdienstes. Bei einer um 20 Prozent geminderten Erwerbsfähigkeit sind es entsprechend 20 Prozent dieser Rente.
- Nach einem Arbeits- oder Wegeunfall trägt die gesetzliche Unfallversicherung die Kosten für Behandlung, Reha oder Rente. Auch im Homeoffice gibt es Schutz.
- Wen die Arbeit nachweislich krank macht, der hat Anspruch auf medizinische und finanzielle Leistungen. Doch der Weg zur Anerkennung einer Berufskrankheit ist steinig.
- Kombi-Selbsttests sollen Infektionen mit Corona-, Influenza- und RS-Viren erkennen. Über ihre Verlässlichkeit ist wenig bekannt. Können sie dennoch nützlich sein?
2 Kommentare
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Stiftung_Warentest am 18.08.2021 um 17:58 Uhr
Nachweis der Infektion
@Testbastl: Ob sich die Ansteckung am Arbeitsplatz nachweisen lässt, hängt von der konkreten Situation ab. Die Vorlage negativer Testergebnisse kann unter Umständen behilflich sein, Einwände der Unfallversicherung dazu, dass die Infektion im Privatleben erfolgt sei, abzuwehren. Weiterhin bedarf es im konkreten Fall eines intensiven Kontaktes mit der infizierten Person (mindestens 15 Minuten andauernd, räumlicher Abstand von weniger als 1,5 bis 2 Metern).
IM TEXT: …ist es wichtig, dass die Infektion nachweislich während der versicherten Tätigkeit erfolgte. Wie weist man denn nach, dass die Infektion während der Arbeit stattgefunden hat? Muss man zu Arbeitsbeginn und Arbeitsende jeweils einen Schnelltest durchführen?
Kommentarliste
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@Testbastl: Ob sich die Ansteckung am Arbeitsplatz nachweisen lässt, hängt von der konkreten Situation ab. Die Vorlage negativer Testergebnisse kann unter Umständen behilflich sein, Einwände der Unfallversicherung dazu, dass die Infektion im Privatleben erfolgt sei, abzuwehren.
Weiterhin bedarf es im konkreten Fall eines intensiven Kontaktes mit der infizierten Person (mindestens 15 Minuten andauernd, räumlicher Abstand von weniger als 1,5 bis 2 Metern).
IM TEXT: …ist es wichtig, dass die Infektion nachweislich während der versicherten Tätigkeit erfolgte.
Wie weist man denn nach, dass die Infektion während der Arbeit stattgefunden hat? Muss man zu Arbeitsbeginn und Arbeitsende jeweils einen Schnelltest durchführen?