Viele Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung sind politisch gewollt − aber nicht durch Beiträge gedeckt. Wer sie bekommt. Und wer sie bezahlt.
Beim Thema Rente wird die Diskussion schnell alarmistisch: „Zu teuer“, „bald nicht mehr bezahlbar“, lauten Warnrufe. Doch unser Blick auf die Rentenfinanzen zeigt: Es ist komplizierter.
Einerseits gilt, dass die gesetzliche Rentenversicherung nicht nur mit den Beiträgen von Versicherten und Arbeitgebern finanziert wird. Der Staat gibt etwas dazu. Andererseits zahlen Versicherte nicht nur Beiträge für ihre eigene Altersrente. Mit ihrem Geld werden auch Leistungen finanziert, die vom Bundestag sozialpolitisch gewollt sind, aber nicht unbedingt aus der Rentenkasse bezahlt werden müssten. Wir haben uns angeschaut, welche Leistungen das sind, wie stark sie die Rentenversicherung belasten − und wie Versicherte sie bekommen.
Für Mütter, Hinterbliebene und Ostdeutsche
Prominentestes Beispiel ist die Mütterrente: Hier hat die Bundesregierung Verbesserungen beschlossen. Bisher erhalten Mütter, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben, weniger Entgeltpunkte für die Erziehung ihrer Kinder als Mütter mit jüngeren Kindern. Die Rentenversicherung gewährt ihnen zurzeit nur zweieinhalb Entgeltpunkte pro Kind. Künftig sollen es aber auch bei ihnen drei sein; also einen halben mehr als bisher. Dies müssen sie nicht extra beantragen.
Neue Mütterrente: 20 Euro mehr im Monat
Ein Entgeltpunkt ist derzeit 40,79 Euro wert. Somit würde sich die Mütterrente einer Frau mit einem vor 1992 geborenen Kind um etwas mehr als 20 Euro erhöhen – von rund 98 Euro auf gut 118 Euro im Monat.
Diese Verbesserung wird mit rund fünf Milliarden Euro aus Steuern finanziert. Die Finanzierung der schon bisher angerechneten zweieinhalb Entgeltpunkte für Mütter mit vor 1992 geborenen Kindern in Höhe von jährlich mehr als 20 Milliarden Euro ist dagegen unklar. Dieser Teil der Mütterrente gilt als „versicherungsfremde Leistung“, auch „nicht beitragsgedeckte Leistung“ genannt. Ein Teil dafür kommt aus Steuern, ein Teil aus Beiträgen der Versicherten.
Davon profitieren aber auch Personen, die gar nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, sondern in berufsständische Versorgungswerke oder selbstständig tätig sind. Auch ihnen werden Kindererziehungszeiten gutgeschrieben.
Undurchsichtige Finanzierung
Wie hoch der jeweilige Anteil aus Steuern und Beiträgen bei der Mütterrente ist, weiß das für die Rente zuständige Bundesarbeitsministerium nicht. Eine solche Rechnung sei „weder möglich noch sinnvoll“, erklärt eine Ministeriumssprecherin. Der Bundesrechnungshof kritisiert diesen „Mangel an Transparenz“ und fügt hinzu: „Nicht die Beitragszahlenden, sondern alle Steuerzahlenden, also die gesamte Gesellschaft, (sollte) die versicherungsfremden Leistungen finanzieren.“
Transparent ist nur die Finanzierung der für die Rente gutgeschriebenen Erziehungszeiten für nach 1992 geborene Kinder. Dafür zahlt der Bund voll aus Steuereinnahmen. 2024 waren es 18,1 Milliarden Euro.
Unser Rat
Versicherungsverlauf anfordern. Sie bekommen von der Rentenversicherung einen Versicherungsverlauf zugeschickt, falls Sie mindestens mindestens 43 Jahre alt sind. Sie können ihn aber auch jederzeit anfordern (unter der Telefonnummer 0 800/10 00 48 00).
Verlauf prüfen. Prüfen Sie, ob im Versicherungsverlauf alle Versicherungszeiten erfasst sind oder ob es Lücken gibt. Achten Sie dabei besonders auf Schulzeiten ab dem 17. Lebensjahr, Zeiten der Berufsausbildung, Kindererziehung, Arbeitslosigkeit und längerer Krankheit mit Bezug von Krankengeld. All dies zählt für die Rente.
Rentenkonto klären. Falls Sie Lücken in Ihrem Versicherungsverlauf erkennen oder unsicher sind, ob dort alle relevanten Zeiten erfasst sind, stellen Sie bei Ihrem Rentenversicherer einen Antrag auf Kontenklärung. Das Formular dafür können Sie dort anfordern (Telefon: 0 800/10 00 48 00).
Was die Rentenkasse noch schultert
Zu den versicherungsfremden Leistungen zählen auch:
die Höherwertung der Gehälter der Versicherten in Ostdeutschland,
die vorzeitige Altersrente ohne Abschlag,
ein Teil der Kosten der Hinterbliebenenrente,
die Anrechnungszeiten in bestimmten Lebenssituationen, in denen Versicherte keine Beiträge für die Rente zahlten konnten, etwa im Mutterschutz,
der Grundrentenzuschlag,
ein Teil der Erwerbsminderungsrente.
36 Milliarden Euro für Ost-Renten
Entgegen einer verbreiteten Meinung bekommen ostdeutsche Versicherte für ihre Beiträge nicht weniger Rente – im Gegenteil: Bezogen auf die Einzahlungen fällt sie sogar höher aus als im Westen. Bis 2024 wertete die Rentenkasse Ost-Gehälter fiktiv auf, legte also höhere Einkommen zugrunde als tatsächlich erzielt wurden. Dadurch stiegen die Rentenansprüche für gleiche Beiträge über das Westniveau und der geringere Rentenwert im Osten wurde mehr als ausgeglichen.
Der Rentenwert gibt an, wie hoch der monatliche Rentenanspruch für einen Versicherten mit Durchschnittsverdienst in einem bestimmten Kalenderjahr ist. Er ist nun in Ost und West gleich: aktuell 40,79 Euro. So viel Monatsrente erwirbt ein Durchschnittsverdiener in diesem Jahr.
Obwohl es die Höherwertung der Ost-Gehälter seit 2025 nicht mehr gibt, bestehen die auf diese Weise in der Vergangenheit entstandenen Rentenansprüche selbstverständlich fort. Die Rentenversicherung zahlte dafür allein 2023 mehr als 36 Milliarden Euro.
Früher in Rente ohne Abschlag
13,3 Milliarden Euro kostete das Fehlen von Abschlägen für vorgezogene Altersrenten. Dies gilt für die abschlagsfreie Rente für Menschen nach 45 Versicherungsjahren: Auf Antrag dürfen sie zwei Jahre vor der Regelaltersgrenze ohne Abschlag in den Ruhestand wechseln. So können 1960 geborene Menschen nach dieser Regelung bereits mit 64 Jahren und vier Monaten Rente beziehen, statt regulär mit 66 Jahren und vier Monaten. Sie erhalten ihre Rente also zwei Jahre länger. Die Rentenkasse zahlt mehr, ohne dass diese Mehrausgaben ausgeglichen werden.
Auch bei den Hinterbliebenenrenten gehört ein Teil zu den „nicht beitragsgedeckten Leistungen“. Dies gilt voll und ganz für Waisenrenten sowie teilweise für die Renten für Menschen, deren Ehepartnerin oder -partner gestorben ist. Beide Renten gibt es nur auf Antrag.
Bei der Hinterbliebenenrente können sich die Eheleute unter bestimmten Voraussetzungen für das Rentensplitting entscheiden. Dabei werden die Rentenanwartschaften, die beide während der Ehezeit erwerben, gleichmäßig zwischen ihnen aufgeteilt. Vorteilhaft ist das Splitting eher für wohlhabendere Rentnerehepaare. Und das auch nur unter bestimmten Voraussetzungen. Es muss also gut überlegt werden.
Für die Rentenfinanzen gilt: Die Differenz zwischen der meist höheren Witwen- oder Witwerrenten und der Splittingrente ist laut Deutscher Rentenversicherung (DRV) Bund nicht durch Beiträge gedeckt. 18,7 Milliarden Euro betragen die Kosten.
Witwenrente wichtig für Lebensunterhalt
Weil das Rentensplitting für die Rentenkasse billiger ist, hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung dafür plädiert, die Witwenrente abzuschaffen und das Splitting obligatorisch zu machen. Für viele Witwen würde dies gravierende Einbußen bei ihrer Altersversorgung zur Folge haben.
Ausgleich in bestimmten Lebenslagen
Im Mutterschutz fließen keine eigenen Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung. Dies gilt auch bei längerer Arbeitsunfähigkeit, langer Arbeitslosigkeit und in der Schulausbildung. Dafür gibt es aber Anrechnungszeiten. Sie schließen Lücken auf dem Rentenkonto und sorgen dafür, dass die Mindestversicherungszeit für bestimmte Rentenarten erfüllt wird. Und sie werden zum Teil bei der Rentenberechnung bewertet. Diese Versicherungszeiten mildern also negative Auswirkungen auf die Rente in bestimmten Lebenssituationen.
Zuschlag für Geringverdiener
Dies gilt auch für den Grundrentenzuschlag. Ihn erhält automatisch, wer lange gearbeitet, aber wenig verdient hat. Um die volle Grundrente zu bekommen, müssen Versicherte für mindestens 35 Jahre sogenannte Grundrentenzeiten vorweisen können. Dazu zählen beispielsweise sozialversicherungspflichtige Selbstständigkeit und Berufstätigkeit, Kindererziehung und Rehabilitation.
Für alle, die mindestens 33, aber nicht 35 Jahre mit Grundrentenzeiten vorweisen können, gibt es eine geringere Aufstockung. Durchschnittlich werden monatlich 92 Euro zusätzlich zur normalen Rente gezahlt. Die Rentenversicherung gab dafür 2023 insgesamt 1,4 Milliarden Euro aus.
Dauerhaft zu krank zum Arbeiten
Die gesetzliche Rentenversicherung ist auch für den Schutz bei Erwerbsminderung zuständig. Versicherte bekommen auf Antrag eine volle Erwerbsminderungsrente, wenn Krankheit oder Unfall dazu führt, dass sie dauerhaft weniger als drei Stunden am Tag arbeiten können. Eine halbe Erwerbsminderungsrente erhält, wer noch zwischen drei und unter sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.
Manchmal zahlt die gesetzliche Rentenversicherung sogar eine volle Erwerbsminderungsrente, wenn Versicherte noch zwischen drei und sechs Stunden täglich arbeiten können − sie also eigentlich nur Anspruch auf eine Teilerwerbsminderungsrente haben. Das ist immer dann der Fall, wenn sie aufgrund der Arbeitsmarktlage keinen entsprechenden Teilzeitjob finden können. Diese Sozialleistung kostet die Rentenversicherung eine Milliarde Euro.
Entlastung der Versicherten wäre möglich
Erstes Fazit der Rechnung: Die Gesamtkosten der nicht beitragsgedeckten Leistungen summierten sich 2023 laut DRV Bund auf 124,1 Milliarden Euro. Die Zuschüsse des Bundes dafür betrugen insgesamt 84,3 Milliarden Euro. Es bleibt also eine Lücke von 39,8 Milliarden Euro, die mit den Beiträgen der Versicherten geschlossen wurde.
Würde dieses Geld vom Bund bezahlt, käme das den Versicherten zugute: Der Beitragssatz könnte laut DRV von jetzt 18,6 Prozent auf 16,6 Prozent oder noch weniger sinken. Arbeitgeber und Versicherte, die sich den Beitrag teilen, wären spürbar entlastet.
Rentenbeitrag von der Arbeitsagentur
Auch aus anderen Quellen fließen Beiträge. Wer etwa arbeitslos wird, steht in der Zeit in puncto Renteneinzahlungen nicht blank da: Die Arbeitsagentur überweist für Menschen, die Arbeitslosengeld I bekommen, automatisch Beiträge an die Rentenversicherung auf Basis von 80 Prozent des früheren Bruttogehalts. Diese Zeit ist für die Rente also nur ein Fünftel weniger wert als die vorherige Beschäftigungszeit. Und die Pflegeversicherung zahlt auf Antrag Beiträge für Menschen, die Eltern, andere Verwandte oder Freunde pflegen. Auch das zählt für die Rente.
Reha vollständig mit Beiträgen finanziert
Die gesetzliche Rentenversicherung ist nicht nur für Alters- und Hinterbliebenenversorgung zuständig. Sie übernimmt auch die Kosten für Rehabilitation. Berufstätige, die schwer krank sind, sollen so wieder fit für die Arbeit gemacht werden, im Job bleiben – und weiter in die Rentenkasse einzahlen. Vollständig aus den Beiträgen finanziert werden Rehabilitationsmaßnahmen aber nicht nur für Beschäftigte. Auch deren Kinder haben einen Anspruch. Bei schweren Erkrankungen können sie eine Kinder- und Jugendreha machen.
Überblick: Diese Leistungen zahlen Versicherte mit
Die gesetzliche Rentenversicherung muss für viele sozialpolitisch gewollte Leistungen aufkommen. Dafür erhält sie Bundeszuschüsse. Die reichen aber nicht. Deshalb müssen die Versicherten zuschießen – und zwar rund 40 Milliarden Euro jährlich,
Leistungen
Ausgaben (Milliarden Euro)
Höherwertung der Gehälter in Ostdeutschland / West-Ost-Transfer
36,4
Kindererziehungszeiten für Geburten vor 1992
20,3
Rentensplitting übersteigender Anteil der Witwen- bzw. Witwerrente
18,7
Altersrenten vor Regelaltersgrenze ohne (vollen) Abschlag
13,3
Anrechnungszeiten (Mutterschaft, Ausbildung u. a.)
8,9
Zeiten nach dem FremdrentengesetzFußnote: 1
5,6
Anteilige Zahlungen an die Krankenversicherung der Rentner
4,9
Renten nach Mindesteinkommen / MindestentgeltpunktenFußnote: 2
3,4
Ausgleichszahlungen an die knappschaftliche Rentenversicherung
3,2
Höherwertung der BerufsausbildungFußnote: 3
2,3
Grundrentenzuschlag
1,4
Leistungen im Zuge der deutschen Einheit / Verwaltungs- und Verfahrenskosten
1,1
Erwerbsminderungsrenten wegen Arbeitsmarktlage (volle statt halbe Rente)
1,0
Waisenrenten
0,8
GhettorentenFußnote: 4
0,6
Weitere Leistungen
2,2
Ausgaben für nicht beitragsgedeckte Leistungen insgesamt
124,1
Bundeszuschüsse
84,3
Differenz, die von den Beitragszahlern finanziert werden muss
39,8
Legende
Stand: 2023 (neuere Zahlen nicht verfügbar)
Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund
Fußnote: 1
Unter bestimmten Voraussetzungen werden ausländische („fremde“) Versicherungszeiten in der deutschen Rentenversicherung berücksichtigt.
Fußnote: 2
Geringe Pflichtbeiträge (insbesondere von Frauen, deren Verdienst unterdurchschnittlich war) aus der Zeit bis 1991 werden unter bestimmten Voraussetzungen auf 75 Prozent des Beitrags eines Durchschnittsverdieners angehoben.
Fußnote: 3
Betriebliche Ausbildungszeiten werden in der Regel höhergewertet (bis zu 75 Prozent des Beitrags eines Durchschnittsverdieners).
Fußnote: 4
Rente für Verfolgte des Nationalsozialismus, die in einem Ghetto gearbeitet haben.
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