Erwerbs­minderungs­rente Anspruch, Antrag, Rentenhöhe

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Erwerbs­minderungs­rente - Anspruch, Antrag, Rentenhöhe

Erwerbs­fähig­keit. Ob eine Erwerbs­minderungs­rente gezahlt wird, hängt davon ab, wie viele Stunden Betroffene täglich noch arbeiten können. © Stiftung Warentest / René Reichelt

Wer krank ist und länger­fristig nur noch wenig arbeiten kann, hat Anspruch auf volle oder halbe Erwerbs­minderungs­rente. Hier lesen Sie alles über die Erwerbs­minderungs­rente.

Erwerbs­minderungs­rente: Das Wichtigste in Kürze

Vom Anspruch bis zur Rente

Anspruch. Sind Sie dauer­haft krank und fürchten, nicht mehr ins Berufs­leben zurück­zukehren, haben Sie als gesetzlich Renten­versicherte Anspruch auf eine Erwerbs­minderungs­rente. Es gelten aber Bedingungen. Und: Anspruch auf eine volle Rente haben Sie nur, wenn Sie weniger als drei Stunden täglich irgend­einer Arbeit nachgehen könnten. Anderenfalls kommt eine Teil­erwerbs­minderungs­rente infrage.

Krankengeld. Schöpfen Sie als gesetzlich Kranken­versicherte Ihren Anspruch auf maximal 72 Wochen Krankengeld voll aus. Ziehen Sie erst dann eine Erwerbs­minderungs­rente in Erwägung. Ihre Krankenkasse kann Sie nicht zwingen, die Rente zu beantragen. Reha-Maßnahmen könnten helfen, wieder ins Erwerbs­leben zurück­zukehren. Details zum Krankengeld lesen Sie im Special Einfach erklärt: Krankentagegeld.

Antrag. Wenn Sie absehen können, dass Sie auf Dauer zu krank zum Arbeiten sind, beantragen Sie ­eine gesetzliche Erwerbs­minderungs­rente. Wie Sie vorgehen, zeigt unsere Check­liste am Ende dieses Textes.

Wider­spruch. Wird Ihr Renten­antrag nicht genehmigt, können Sie kostenlos in Monats­frist Wider­spruch einreichen. Unterstüt­zung bieten zum Beispiel Sozial­verbände (siehe Interview am Ende des Textes), bei denen Sie Mitglied werden können.

Alters­rente für Schwerbehinderte. Sind Sie schwerbehindert und haben Sie keinen Anspruch auf Erwerbs­minderungs­rente, können Sie zwei Jahre vor Ihrer Regel­alters­grenze in Alters­rente gehen, mit Abschlägen sogar noch früher. Alles Wichtige finden Sie in unserem Special Rente für Schwerbehinderte.

Wer Anspruch auf Erwerbs­minderungs­rente hat

Die gesetzliche Renten­versicherung ist nicht nur für Ruhe­ständler zuständig. Sie hilft auch Menschen, die lang­fristig zu krank sind, um sechs Stunden oder mehr am Tag zu arbeiten. 1,8 Millionen Personen beziehen eine Erwerbs­minderungs­rente in voller oder halber Höhe – je nachdem, ob und wie viele Stunden sie noch tätig sein können. Jüngere zählen ebenso dazu wie Beschäf­tigte kurz vor der Alters­rente. Unsere Beispiel­rechnungen in der Tabelle unten zeigen aber auch: Gerade bei Versicherten mit kürzeren Erwerbs­biografien oder nied­rigem Einkommen reicht sie nicht für den Lebens­unterhalt.

Schreiben Sie uns!

Bei Fragen zur gesetzlichen Rente kann es manchmal um die Existenz ­gehen. Wichtig ist deshalb, dass Versicherte verläss­lich, verständlich und zeit­nah die Auskünfte bekommen, die sie brauchen. Schreiben Sie uns, welche Erfahrungen Sie mit Ihrem Renten­versicherungs­träger gemacht haben – egal, ob diese gut oder schlecht waren. Schi­cken Sie Ihre E-Mail an gesetzliche-rente@stiftung-warentest.de. Vielen Dank!

Volle Erwerbs­minderungs­rente

Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbs­minderung (EM-Rente) haben Mitglieder der gesetzlichen Renten­versicherung. Voraus­setzung sind bestimmte Versicherungs­zeiten. Versicherte müssen im Regelfall vor Eintritt der Erwerbs­minderung

  • auf mindestens fünf Jahre Beitrags­zeit kommen – dazu zählen neben Pflicht­beitrags­zeiten aus einer sozial­versicherungs­pflich­tigen Beschäftigung auch Kinder­erziehungs- und Pflege­zeiten oder freiwil­lige Beiträge,
  • in den letzten fünf Jahren mindestens drei Jahre Pflicht­beiträge gezahlt haben.

Bei Arbeits­unfällen oder Berufs­krank­heiten sind die Mindest­versicherungs­zeiten kürzer. Auch für Wehr- und Zivil­dienstleistende liegen die Schwellen nied­riger.

Nur Versicherte, die diese versicherungs­recht­lichen Bedingungen erfüllen, haben eine Chance, dass ihr Antrag Erfolg hat. Verena Bentele, Präsidentin des Sozial­verbands VdK, erklärt im Interview unten, worauf Betroffene besonders achten müssen.

Strenge gesundheitliche Voraus­setzungen

Neben den versicherungs­recht­lichen Formalien müssen Versicherte auch gesundheitliche Voraus­setzungen erfüllen. Diese werden nicht an bestimmten Krankheiten wie Depressionen oder Herz-Kreis­lauf­probleme fest­gemacht. Die gesetzliche Renten­versicherung zahlt erst, wenn eine Krankheit dazu führt, dass Versicherte nur noch weniger als sechs Stunden täglich arbeiten können. Eine volle Erwerbs­minderungs­rente wird gewährt, wenn ein Antrag­steller dauer­haft so krank ist, dass er nur noch weniger als drei Stunden am Tag erwerbs­fähig ist. Dabei kommt es nicht auf den Beruf an, den Erkrankte zu Beginn der Erwerbs­minderung ausgeübt hat. Ein Zimmerer, der nicht mehr als Hand­werker aber noch in einem Call-Center arbeiten kann, bekäme keine Erwerbs­minderungs­rente.

Teil­erwerbs­minderungs­rente in halber Höhe

Kann jemand noch zwischen drei und sechs Stunden täglich irgend­einer Tätig­keit nachgehen, aber nicht länger, bekommt er zwar keine volle Erwerbs­minderungs­rente kann aber eine Teil­erwerbs­minderungs­rente betragen. Die Höhe der Teil­erwerbs­minderungs­rente entspricht der Hälfte eine vollen EM-Rente. Allerdings gibt es für ältere Arbeitnehmer noch einen Zusatz­schutz, der jüngeren nicht mehr zusteht.

Ältere Arbeitnehmer. Versicherten, die vor dem 2. Januar 1961 geboren sind, steht eine Teil­erwerbs­minderungs­rente auch dann zu, wenn sie nur noch einge­schränkt in einem ihrer Qualifikation entsprechenden Beruf arbeiten können. In diesen Fällen gibt es oft Streit darum, welche Tätig­keiten vergleich­bar und zumut­bar sind. Wird die Rentenzahlung abge­lehnt, sollten Betroffene sich beraten lassen und Wider­spruch einlegen.

Jüngere Arbeitnehmer. Für alle ab dem 2. Januar 1961 geborenen Arbeitnehmer gilt: Sie bekommen nur dann eine Erwerbs­minderungs­rente, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen in keinem Beruf mehr tätig sein können. Ihre berufliche Qualifikation und bisherige Tätig­keit spielt keine Rolle. Hier ist es ratsam, über den Abschluss einer Berufs­unfähigkeits­versicherung nach­zudenken. Die besten Tarife finden Sie in unserem Vergleich Berufsunfähigkeitsversicherung. Hier finden Sie auch alle wichtigen Informationen und Test­ergeb­nisse.

Tabelle: Volle oder halbe Erwerbs­minderungs­rente?

Wer aus gesundheitlichen Gründen weniger als sechs Stunden am Tag arbeits­fähig ist, hat Anspruch auf eine gesetzliche Erwerbs­minderungs­rente.

Erwerbs­fähig­keit (irgend­eine Arbeit)

Renten­anspruch

Versicherter kann weniger als 3 Stunden täglich arbeiten.

Volle Rente.

Versicherter kann 3 bis 6 Stunden täglich arbeiten.

Halbe Rente.

Versicherter kann 3 bis 6 Stunden täglich arbeiten, ist aber arbeitslos.

Volle Rente.

Versicherter kann:

  • 6 Stunden oder mehr täglich irgend­eine Arbeit verrichten und ist
  • nach dem 1. Januar 1961 geboren.

Keine Rente.

Versicherter kann:

  • 6 Stunden oder mehr täglich irgend­eine Arbeit verrichten,
  • aber weniger als 6 Stunden täglich im erlernten Beruf oder einer gleich­wertigen Tätig­keit arbeiten und ist
  • vor dem 2. Januar 1961 geboren.

Halbe Rente.

Quelle: Deutsche Renten­versicherung Bund

Tipp: Wenn Sie teil­weise erwerbs­gemindert sind, können Sie bis zu einer gewissen Grenze Geld hinzuver­dienen. Dies gilt unter Umständen auch bei voller Erwerbs­minderung. Fragen Sie bei Ihrem Rentenversicherungsträger nach.

Kein Teil­zeitjob: Behörde zahlt volle Rente

Der Groß­teil der Erwerbs­min­derungs­rentner erhält eine volle Rente. Eine volle Erwerbs­minderungs­rente wird manchmal auch dann gezahlt, wenn Versicherte zwar noch zwischen drei und sechs Stunden täglich erwerbs­tätig sein könnten, also nur Anspruch auf eine Teil­erwerbs­minderungs­rente hätte, wegen der Arbeits­markt­lage jedoch keinen Teil­zeitjob findet.

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Mehr zur Rente. Über­sicht­liche Informationen zur gesetzlichen Rente finden Sie in unseren vielen Specials zum Thema, etwa zur Rente für Schwerbehinderte, zur neuen Grundrente oder auch zur staatlichen Grundsicherung.

So hoch fällt die Erwerbs­minderungs­rente aus

Zwar hilft die Erwerbs­minderungs­rente. Für viele ist sie aber nicht hoch genug, um den Lebens­unterhalt voll zu decken. Besonders Bestands­rentne­rinnen und -rentner sind betroffen. Unsere Berechnungen unten zeigen, dass aber auch nach den Verbesserungen für Neurentner seit 2018 immer noch Jüngere oder Menschen mit nied­rigem Einkommen auf zusätzliche staatliche Unterstüt­zung wie Grundsicherung angewiesen sein könnten. Ein 29-Jähriger, der fünf Jahre lang durch­schnitt­lich verdient hat und dann – zum Beispiel aufgrund eines Unfalls – erwerbs­unfähig wird, bekäme derzeit im Westen 620 Euro Monats­rente. Einem Kollegen aus Ostdeutsch­land ständen bei gleicher Erwerbs­biografie immerhin 672 Euro zu – 52 Euro mehr. Aber auch das reicht kaum für Miete, Ernährung, Kleidung. Zur Orientierung: Der vorläufige monatliche Durch­schnitts­verdienst für 2021 liegt bei 3 462 Euro.

Spezielle Formel für den Osten

Der Unterschied zwischen West- und Ost­renten kann bei höherem Verdienst und ­längerer Beitrags­zeit sogar noch größer ausfallen. Das liegt am sogenannten Umrechnungs­faktor, der die ostdeutschen Verdienste künst­lich erhöht. Er war in der Vergangenheit höher und soll bis 2025 abge­schmolzen werden.

Verdienst­höhe während des Arbeits­lebens im Vergleich zum Durch­schnitt aller Versicherten

50

(Prozent)

80

(Prozent)

100

(Prozent)

150

(Prozent)

Das entspricht 2021 brutto (Euro/Monat)

1 731

2 769

3 462

5 193

Volle Erwerbs­minderungs­rente zum 1. Juli 2021 brutto (Euro)

West

Beispiel 1: 29 Jahre alt, 5 Jahre sozial­versicherungs­pflichtig beschäftigt

310

496

620

930

Beispiel 2: 35 Jahre alt, 10 Jahre sozial­versicherungs­pflichtig beschäftigt

414

662

827

1 241

Beispiel 3: 45 Jahre alt, 20 Jahre sozial­versicherungs­pflichtig beschäftigt

532

851

1 064

1 596

Beispiel 4: 55 Jahre alt, 30 Jahre sozial­versicherungs­pflichtig beschäftigt

588

941

1 176

1 764

Ost

Die Renten in Ostdeutsch­land sind schwierig zu berechnen. Hier gilt für jedes Jahr mit sozial­versicherungs­pflichtiger Beschäftigung ein anderer Umrechnungs­faktor, der die Verdienste künst­lich anhebt. Er bewirkt, dass die Renten bei gleichem Verdienst im Osten höher ausfallen als im Westen.

Beispiel 1: 29 Jahre alt, 5 Jahre sozial­versicherungs­pflichtig beschäftigt

336

538

672

1 008

Quellen: Deutsche Renten­versicherung Bund, eigene Berechnungen

Alle Beträge gerundet.

Die Höhe der Erwerbs­minderungs­rente hängt davon ab, wie viel Versicherte seit ihrem 17. Lebens­jahr verdient haben. Wir zeigen an vier Beispielen, wie die Renten je nach Verdienst und Länge der Beschäftigung ausfallen.

Zurechnungs­zeit lässt die Rentenzahlung steigen

Um die Erwerbs­minderungs­rente zu erhalten, müssen Versicherte einen Rentenantrag stellen. Die Deutsche Renten­versicherung untersucht dann mit eigenen medizi­nischen Gutachtern, ob und in welchem Umfang ein Antrag­steller noch arbeiten kann. Neben den gesundheitlichen Einschränkungen prüft die Renten­versicherung, ob der Antrag­steller mindestens fünf Jahre lang in die Rentenkasse einge­zahlt hat. Vor allem psychische Erkrankungen zwingen Menschen zu einem früh­zeitigen Ausstieg aus dem Erwerbs­leben – vor Rücken- und Krebs­erkrankungen.

Tipp: Stellen Sie bei der Renten­versicherung möglichst schon in frühen Jahren einen Antrag auf Kontenklärung. Das erspart Ihnen Bürokratie, wenn Sie krank­heits­bedingt irgend­wann eine Erwerbs­minderungs­rente beantragen müssen. Sorgen Sie dafür, dass Ihr Versicherungs­verlauf voll­ständig ist. Alles, was Sie über die gesetzliche Renten­versicherung wissen sollten, lesen Sie im Special Einfach erklärt: Rentenversicherung.

Zurechnungs­zeit erhöht Rentenzahlung

Erwerbs­geminderten fehlen oft viele Jahre bis zum Beginn ihrer regulären Alters­rente – und somit auch viele Beitrags­jahre in der gesetzlichen Renten­versicherung. Für diese Zeit erhalten sie einen Ausgleich in Form einer sogenannten Zurechnungs­zeit. Es wird dann rechnerisch so getan, als ob die Person weiterge­arbeitet und Rentenbeiträge gezahlt hätte. Vor 2018 wurde eine Zurechnungs­zeit bis zum 62. Geburts­tag zugrunde gelegt. Für alle, die später eine Erwerbs­minderungs­rente beantragten, erhöhte sich die Zurechnungs­zeit. Unsere Tabelle (s.u.) zeigt, um wie viele Jahre. Die güns­tigere Regelung gilt nur für Neurentner, nicht für diejenigen, die schon eine Rente erhalten.

Zurechnungs­zeit sprunghaft gestiegen

Menschen, die zum Beispiel 2021 eine Erwerbs­minderungs­rente beantragen, sind deutlich besser gestellt. Die Zurechnungs­zeit liegt für sie bei 65 Jahre und zehn Monaten. Bis 2031 erhöht sie sich weiter schritt­weise auf dann 67 Jahre.

Renten­beginn (Jahr)

Alter

Jahre

Monate

2021

65

10

2022

65

11

2023

66

 0

2024

66

 1

2025

66

 2

2026

66

 3

2027

66

 4

2028

66

 6

2029

66

 8

2030

66

10

2031

67

 0

Quelle: DRV Bund

Renten­abschläge bis 10,8 Prozent

Für Erwerbs­minderungs­renten gelten genauso wie für alle Alters­renten sogenannte Renten­abschläge, sofern sie vorzeitig bezogen werden. Daran hat sich auch durch die neuen Reformen nichts geändert. Für jeden Monat, den die Erwerbs­minderungs­rente vor diesem Zeit­punkt beginnt, werden 0,3 Prozent abge­zogen. Maximal sind es 10,8 Prozent. Die Alters­grenze, ab der es eine ungekürzte Erwerbs­minderungs­rente gibt, liegt 2021 bei 64 Jahren und sechs Monaten. Diese Alters­grenze für eine ungekürzte Erwerbs­minderungs­rente steigt für die jeweiligen Neurentner stufen­weise bis zum Jahr 2024 auf 65 Jahre, wie unsere Tabelle „Rente ohne Abschlag“zeigt. Das Durch­schnitts­alter der Antrag­steller liegt zurzeit bei knapp 53 Jahren. Das bedeutet: Vielen Menschen, die eine Erwerbs­minderungs­rente erhalten, wird durch Abschläge 10,8 Prozent weniger ausgezahlt.

Renten­beginn

Frühest­mögliche Erwerbs­minderungs­rente ohne Abschläge (Alter)

Jahre

Monate

2021

64

 6

2022

64

 8

2023

64

10

2024

65

 0

Quelle: DRV Bund

Prüfung: Letzten vier Jahre vor Erwerbs­minderung

Seit dem 1. Juli 2014 können Erwerbs­unfähigkeits­rentner von einer sogenannten Güns­tiger­prüfung profitieren. Die Renten­versicherung klärt, ob sich die letzten vier Jahre vor der Erwerbs­minderung negativ auf die Rentenhöhe auswirken. Mindern diese Jahre die Renten­ansprüche, fallen sie beim Berechnen der tatsäch­lichen Rente heraus. Hintergrund: Viele Menschen sind in der Zeit vor dem Renten­beginn gesundheitlich schon so stark einge­schränkt, dass sie zum Beispiel keine Über­stunden mehr leisten können, eventuell nur noch Teil­zeit arbeiten können, länger krank­geschrieben sind oder Krankengeld beziehen. Die Berechnung der Rentenhöhe beruht normaler­weise auf dem durch­schnitt­lichen Verdienst eines Versicherten seit dem 17. Lebens­jahr. Krank­heits­bedingte Einkommens­einbußen in den letzten Jahren können den Durch­schnitt deutlich nach unten ziehen.

Wer schon vor dem 1. Juli 2014 eine Erwerbs­minderungs­rente bezog, kann die Güns­tiger­prüfung nicht nach­träglich in Anspruch nehmen.

Tipp: Dokumentieren Sie Ihre Kranken­geschichte lückenlos. Führen Sie den Krank­heits­verlauf und wichtige Behand­lungen wie Operationen oder Rehamaß­nahmen tabellarisch auf. Geben Sie zum Nach­weis möglichst keine Originale aus der Hand, sondern nur Kopien. Haupt­grund für Frührente ist die Psyche

Haupt­grund für Frührente ist die Psyche

Psychische Störungen waren im Jahr 2019 mit Abstand die häufigste Ursache für die Bewil­ligung einer gesetzlichen Erwerbs­minderungs­rente. 67 321 Frauen und Männer mussten aufgrund einer psychischen Störung wie Burn-out, Depressionen oder Sucht­erkrankung vorzeitig aus dem Beruf ausscheiden.

Wenn der Antrag abge­lehnt wird – richtig reagieren

Viele Anträge auf Erwerbs­minderungs­rente werden abge­lehnt

Bei vielen Antrag­stel­lern klappt es mit der Erwerbs­minderungs­rente nicht oder nicht im ersten Anlauf. Rund 42 Prozent der Anträge auf eine gesetzliche Erwerbs­minderungs­rente wurden 2020 abge­lehnt.* Dabei lehnt die Renten­versicherungs­träger einen Antrag entweder komplett ab oder sie spricht einem Antrag­steller statt der vollen nur die halbe Rente zu. Wie Versicherte ihren Renten­bescheid prüfen, erklärt unser Special Rentenbescheid.

Wider­spruch und Klage

Scheitert der Antrag, können Versicherte Wider­spruch einlegen. Lehnt der Renten­versicherer den Antrag auf eine Erwerbs­minderungs­rente auch danach ab, bleibt ihnen eine Klage vor dem Sozialge­richt. Bei Renten­anträgen und Wider­sprüchen ziehen die Renten­versicherungs­träger immer ihre eigenen Gutachter zurate. Erst das Gericht bestellt in der Regel einen neutralen Gutachter. Entscheidet der Gutachter zugunsten des Versicherten, bewil­ligt der Renten­versicherer häufig die Rente, noch bevor es zu einem Urteil kommt. Die Richter folgen in den meisten Fällen einem solchen Gutachten.

Tipp: Während des Verfahrens haben Sie in aller Regel Anspruch auf Lohn oder Krankengeld (Details im Special Einfach erklärt: Krankentagegeld). Endet Ihr Krankengeld­anspruch, melden Sie sich – auch bei fort­bestehendem Arbeits­verhältnis – bei der Arbeits­agentur. Unter Umständen haben Sie bis zur Entscheidung über den Antrag einen Anspruch auf Arbeits­losengeld.

*Korrigiert am 8. Juli 2021

Check­liste: So bekommen Sie die Erwerbs­minderungs­rente

Kurz und knapp zum Abhaken

Kontenklärung. Stellen Sie bei der Renten­versicherung einen Antrag auf Kontenklärung und machen Sie Ihr Versicherungs­verlauf voll­ständig. Eine Beratungs­stelle nennt Ihnen die Deutsche Rentenversicherung.

Rentenhöhe. Die Höhe Ihrer monatlichen Erwerbs­minderungs­rente finden Sie in der Renten­information. Sie wird Versicherten ab 27 Jahren jähr­lich zuge­schickt. Eine tabellarische Über­sicht, wie hoch die Rente abhängig von Verdienst und Versicherungs­zeit ausfällt, finden Sie in diesem Special.

Kranken­geschichte. Dokumentieren Sie Ihre Kranken­geschichte lückenlos mit einer Tabelle (Krank­heits­verlauf, wichtige Behand­lungen, Operationen, Rehamaß­nahmen). Geben Sie nur Kopien aus der Hand.

Antrag. Die Versichertenberater der Renten­versicherung helfen. Bringen Sie ärzt­liche Attests und Nach­weise über Ausbildungs­zeiten und die Geburts­urkunde mit.

Sozial­verband. Sie können Mitglied in einem Sozial­verband wie VdK oder SoVD werden. Das kostet monatlich für eine Einzel­person zwischen sechs und acht Euro. Dafür erhalten Sie Beratung in allen Feldern des Sozial­rechts, Rechts­beistand und auch praktische Hilfe etwa beim Ausfüllen des Rentenantrags. Auch Gewerkschaften unterstützen und beraten ihren Mitgliedern bei Erwerbs­minderung.

Über­gangs­zeit. Während des Verfahrens haben Sie in der Regel Anspruch auf Lohn oder Krankengeld. Endet Ihr Krankengeld­anspruch, melden Sie sich – auch bei fort­bestehendem Arbeits­verhältnis – bei der Arbeits­agentur. Eventuell können Sie bis zur Ent­schei­dung einen Arbeits­losengeld­anspruch haben.

Bescheid. Prüfen Sie den Bescheid sofort. Wird Ihr Antrag abge­lehnt oder nur die halbe Rente bewil­ligt, können Sie in Monats­frist wider­sprechen.

Wider­spruch. Wider­sprechen Sie recht­zeitig. Eine Begründung und weitere Dokumente können Sie nach­reichen. Sollten Sie eine Rechts­schutz­versicherung mit Sozial­rechts­schutz haben, holen Sie eine Kosten­deckungs­zusage ein. Haben Sie keine Versicherung, nutzen Sie die Beratung der Sozial­verbände VdK oder SoVD.

Akten­einsicht. Beantragen Sie Einsicht in entscheidungs­erhebliche Unterlagen. Das können etwa medizi­nische Gutachten der Renten­versicherung sein.

Klage. Sie können beim Sozialge­richt klagen, wenn der Wider­spruch abge­lehnt wird.

Grund­sicherung. Eine Erwerbs­minderungs­rente reicht nicht zum Leben. Haben Sie kein zusätzliches Einkommen, können Sie beim Sozial­hilfeträger Grundsicherung beantragen. Zuständig sind zumeist die Kommunalbehörden (Städte, Kreise, Land­schafts­verbände, Bezirke oder Landes­sozial­ämter). Den Antrag können Sie auch bei der Deutschen Renten­versicherung stellen.

Hinzuver­dienst. Sie sind teil­weise erwerbs­gemindert? Dann können Sie in bestimmten Grenzen Geld hinzuver­dienen, unter Umständen auch bei voller Erwerbs­minderung. Mehr Infos bei der Deutschen Rentenversicherung.

Interview mit Verena Bentele vom VdK

Erwerbs­minderungs­rente - Anspruch, Antrag, Rentenhöhe

Mehr­fache Paralympics-Siegerin. Die ehemalige Biathletin Verena Bentele steht seit 2018 dem Sozial­verband VdK vor. Sie ist von Geburt an blind. © Susie Knoll

Der Antrag auf Erwerbs­minderungs­rente ist oft schwierig. Woran das liegt, erklärt VdK-Präsidentin Verena Bentele. Der Sozial­verband berät mehr als 2 Millionen Mitglieder zum Sozialrecht.

Rund 42 Prozent der Anträge auf Erwerbs­minderungs­rente hat die gesetzliche Renten­versicherung 2020 abge­lehnt. Woran liegt das?

Die Renten­versicherung entscheidet oft erst einmal nach Aktenlage. Das wird vielen Menschen nicht gerecht. Ihre Krank­heits­bilder werden nicht richtig erkannt. Vor allem Kombinationen aus mehreren Krank­heits­bildern – chro­nische Schmerzen und psychische Erkrankung zum Beispiel – sind problematisch.

Eine so grund­legende Entscheidung, ob jemand lang­fristig zu krank zum Arbeiten ist, wird per Aktenlage entschieden?

Ja. Wir haben zudem den Eindruck, bei Unklarheiten wird abge­lehnt statt nachgefragt. Wer sich nicht wehrt und Wider­spruch einlegt, hat das Nach­sehen. Gerade kranken Menschen fällt das schwer. Auf dem Weg zur Erwerbs­minderungs­rente sind häufig mehrere Behörden und Sozial­versicherungs­zweige invol­viert. Das macht die Angelegenheit noch komplizierter.

Welche sind das?

Zunächst werden die Personen häufig zwischen der Renten­versicherung, der Arbeits­agentur und der Kranken­versicherung hin- und hergeschickt. Dann sind die Renten selbst oft nied­rig, sodass Menschen zusätzlich auf Sozial­hilfe angewiesen sind. Das kann über­fordern. Wir merken das an ständig steigenden Mitglieder­zahlen. Die Erwerbs­minderungs­rente gehört zu den Themen mit dem größten Beratungs­bedarf.

Wie können Antrag­steller ihre Chancen verbessern?

Wichtig ist, dass ihr Gesund­heits­zustand gut dokumentiert ist. Sie müssen darauf achten, was in Entlassungs­berichten von Kliniken oder den Befundbe­richten ihrer Ärzte steht. Am besten Ärzte immer darauf hinweisen, wie wichtig diese Berichte sind. Sind sie schlampig ausgefüllt, erschwert das den Weg zur Erwerbs­minderungs­rente sehr.

Gibt es Fehler aufseiten der Versicherten, die Ihre Berater beob­achten?

Versicherte stellen häufig einen Antrag, ohne die versicherungs­recht­lichen Voraus­setzungen zu erfüllen.

Aber so hoch sind die doch gar nicht, oder?

Das täuscht. Zeiten des Bezugs von Arbeits­losengeld II sind keine Pflicht­beitrags­zeiten mehr; Lang­zeit­arbeits­lose erhalten so häufig keine Erwerbs­minderungs­rente. Versicherte können sich viel Zeit und Schreibkram ersparen, wenn sie sich vorher über die notwendige Warte­zeit informieren. Wichtig ist auch, dass sie Termine, die die Renten­versicherung für sie ansetzt, wahr­nehmen – bei einem ärzt­lichen Gutachter zum Beispiel. Denn mangelnde Mitwirkung führt auch zur Ablehnung.

Die Renten wurden 2019 erhöht. Hat das Erwerbs­geminderten, die Sozial­hilfe beziehen, geholfen?

Der Gesetz­geber hat die Renten nur für Neurentner verbessert. Für die 1,8 Millionen Rentne­rinnen und Rentner, die vor diesem Stichtag eine Rente bezogen haben, gilt das nicht. Wir fordern, dass Bestands­rentner gleich­gestellt werden. Der VdK unterstützt einen Betroffenen auf dem Weg zu einer Klage vor dem Bundes­verfassungs­gericht. Wir sind jetzt beim Bundes­sozialge­richt ange­kommen.

Sind Stich­tags­regelungen nicht üblich? Bei der Riester-Kinder­zulage gibt es sie zum Beispiel auch.

Die Einführung eines Stich­tages muss sachlich vertret­bar sein; er muss immer gerecht­fertigt sein.

Gab es schon mal Erfolge?

Politisch, ja. Die Mütterrente. Ältere Mütter waren bei den Erziehungs­zeiten stark benach­teiligt. Durch die Einführung der Mütterrente sind sie viel bessergestellt.

Dieses Special haben wir im Januar 2020 veröffent­licht und zuletzt im Juli 2021 aktualisiert. Nutzer­kommentare können sich auf eine frühere Fassung beziehen.

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21 Kommentare Diskutieren Sie mit

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Nutzer­kommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.

Profilbild Stiftung_Warentest am 15.09.2021 um 12:28 Uhr
Erwerbsminderung / vorzeitige Wartezeiterfüllung

@Selbständigeimnetz: Dies ist nicht der Ort für eine individuelle Rentenberatung. Diese bekommen Sie beim Rentenversicherungsträger.
Im Artikel haben wir dargestellt, dass man mindestens auf 5 Jahre Beitragszeit kommen muss sowie dass bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten die Mindestversicherungszeiten kürzer sind.
Paragraf 53 Abs. 1 SGB VI bestimmt für die vorzeitige Wartezeiterfüllung, dass ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit vorliegt oder dass die Beschädigung beim Wehr- oder Zivildienst entstanden ist.
Die Erleichterten Voraussetzungen ergeben sich nicht allein aus der Erfüllung des Wehr- oder Zivildienstes. Auch ein Studium führt nicht zur Verkürzung der Mindestversicherungszeit. Eine Ausbildung führt in der Regel zu Pflichtbeitragszeiten.

Selbstständigimnetz am 13.09.2021 um 17:15 Uhr
Freiwillige Beiträge

Hallo liebes test.de Team,
ich habe mit der Rentenversicherung telefoniert, die mir sagt, dass ich fünf Jahre am Stück Pflichtbeiträge gezahlt haben muss. Die Zeiten der Anrechnung aus Ausbildung, Wehrdienst und Studium zählen nicht, da es zu lange her ist. Ich zahle seit 01.01.2019 bis 01.07.2020 freiwillige Beiträge, seit dem Pflichtbeiträge. Nun sagt die Rentenversicherung, ich müsse noch vier Jahre Pflichtbeiträge am Stück zahlen, um einen Anspruch zu haben. In Ihrem Artikel steht jedoch, dass drei der letzten fünf Jahre Pflichtbeiträge gezahlt werden müssen und auch die anderen Zeiten aus Ausbildung, Wehrdienst und Studium zählen.
Liebe Grüße

svenson32 am 06.08.2021 um 17:47 Uhr
Mitgliedschaft beim Vdk

Der VdK erteilt eine Mitgliedschaft erst,nach der jährlichen Bezahlung.Ein Verfahren wird eingeleitet,wenn der Mandant nachweisen kann,dass er/sie eine Rechtsschutzversicherung hat,die Sozialrecht abdeckt.
Die Erwerbsminderung wurde bei mir 3x abgelehnt.Nachdem3.Mal hat es mir gereicht,ich ging in Widerspruch.Und danach suchte ich professionelle Hilfe.
So richtig läuft es nicht beim VdK und man macht die umfassende Zuarbeit für die Anwälte.Ich habe das Problem erkannt und meine Mitgliedschaft gekündigt.Meine Gewerkschaft gab mir den Rat,mir besser einen Anwalt für Sozialrecht zu nehmen.
Es ging vor das SG.Recht bekam ich immer noch nicht,weil der Gutachter des Gerichts,einen Fehler machte.Also,wieder Widerspruch.Jetzt geht es in die nächst höhere Instanz.
Mittlerweile sind 3 1/2 Jahre vergangen und das Ende ist noch nicht in Sicht.Die Ärzte haben mich nach meinem schweren AU 2015,arbeitsunfähig geschrieben.3/4Jahr Krankenhaus,2 J. Reha,arbeitslos.
Für die DRV bin ich arbeitsfähig!

JJT2604 am 02.08.2021 um 16:04 Uhr
Musterklage gegen Stichtagsregelung 2019

Derzeit wird eine Musterklage beim Bundessozialgericht zur Aufhebung einer Stichtagsregelung bei Erwerbsminderungsrenten geführt.
Ziel der Musterklage ist, dass eine seit 2019 geltende Neuregelung auch für Bestandsrentner Anwendung finden soll, die vor 2019 bereits die Rente bewilligt bekommen haben.
Damit würden diese Renten zum Teil deutlich höher ausfallen. Eine Nachzahlung für maximal vier Kalenderjahre wäre rückwirkend ab Antragstellung möglich.
Das Urteil des Bundessozialgerichts wird im kommenden Jahr erwartet.
Um etwaige Ansprüche zu sichern und eine ein Jahr längere Nachzahlung zu bekommen, ist es empfehlenswert umgehend einen Überprüfungsantrag zu stellen.
Die Versicherungsämter helfen dabei u. a. weiter.

Profilbild Stiftung_Warentest am 08.07.2021 um 12:01 Uhr
Prozentangabe

@Thomas.Hahn: Vielen Dank. Wir haben die Angaben korrigiert. Richtig ist: "Rund 42 Prozent der Anträge auf eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente wurden abgelehnt." (TK)