Erwerbs­minderungs­rente Anspruch, Antrag, Rentenhöhe – was Sie beachten sollten

Erwerbs­minderungs­rente - Anspruch, Antrag, Rentenhöhe – was Sie beachten sollten

Sicher­heits­netz. Die gesetzliche Renten­versicherung springt ein, wenn Versicherte nach Unfall oder Krankheit länger­fristig nicht mehr arbeiten können. © Getty Images / Melissa Kopka

Auf Dauer zu krank zum Arbeiten: Wer Anspruch auf Erwerbs­minderungs­rente hat, wie hoch sie ausfällt und wie viel Versicherte hinzuver­dienen dürfen.

Die gesetzliche Renten­versicherung ist nicht nur für Ruhe­ständler zuständig. Sie hilft auch Menschen, die lang­fristig zu krank sind, um sechs Stunden oder mehr am Tag zu arbeiten. Knapp 1,8 Millionen Personen beziehen eine Erwerbs­minderungs­rente in voller oder halber Höhe – je nachdem, ob und wie viele Stunden sie noch tätig sein können. Jüngere zählen ebenso dazu wie Beschäf­tigte kurz vor der Alters­rente.

Knapp 1,8 Millionen Erwerbs­minderungs­rentner

Nur die wenigsten werden zwar mit den Zahlungen alleine ihren Lebens­stan­dard sichern können. Dennoch hilft die Rente, die Lebens­haltungs­kosten zu stemmen, sollten Versicherte durch Krankheit oder Unfall nur noch einge­schränkt oder gar nicht mehr arbeiten können. Volle Erwerbs­minderungs­renten mit Start­datum 2023 lagen nach Abzug von Kranken- und Pflege­versicherungs­beiträgen bei durch­schnitt­lich 1 059 Euro monatlich.

Da es sich um Durch­schnitts­werte handelt, fallen die Renten im Einzel­fall teils deutlich besser, aber teils auch viel schlechter aus. Es kann deshalb sinn­voll sein, sich nicht allein auf den gesetzlichen Schutz zu verlassen, sondern sich zusätzlich um einen privaten Berufs­unfähigkeits­schutz zu kümmern. Die Stiftung Warentest untersucht regel­mäßig die Konditionen. Unsere Expertinnen erklären, wie Interes­sierte eine gute Berufsunfähigkeitsversicherung finden und zeigen, was Kunden tun müssen, damit die Anbieter solcher Policen auch wirklich zahlen, wenn es drauf ankommt.

Erwerbs­minderungs­rente – das Wichtigste in Kürze

Anspruch. Sind Sie dauer­haft krank und können länger­fristig nicht mehr ins Berufs­leben zurück­zukehren, haben Sie als gesetzlich Renten­versicherte Anspruch auf eine Erwerbs­minderungs­rente. Es gelten aber Bedingungen. Und: Anspruch auf eine volle Rente haben Sie nur, wenn Sie weniger als drei Stunden täglich irgend­einer Arbeit nachgehen könnten. Anderenfalls kommt eine Teil­erwerbs­minderungs­rente infrage.

Krankengeld. Versuchen Sie als gesetzlich kranken­versicherter Arbeitnehmer, Ihren Anspruch auf maximal 72 Wochen Krankengeld voll auszunutzen. In der Regel ist das Krankengeld deutlich höher als die Erwerbs­minderungs­rente. Ihre Krankenkasse kann Sie nicht zwingen, die Rente zu beantragen. Sie kann Sie aber auffordern, inner­halb einer Frist von zehn Wochen einen Antrag auf Reha zu stellen. Kann die Reha Ihre Erwerbs­fähig­keit nicht wieder­herstellen, wird dieser als Renten­antrag gewertet. Schöpfen Sie zumindest die Zehn-Wochen-Frist für den Reha-Antrag voll aus. In unserem Artikel Was die Kasse bei langer Krankheit zahlt finden Sie alle wichtigen Details zum Thema Krankengeld.

Antrag. Wenn Sie absehen können, dass Sie auf Dauer zu krank zum Arbeiten sind, beantragen Sie eine gesetzliche Erwerbs­minderungs­rente. Wie Sie vorgehen, zeigt unsere Checkliste.

Wider­spruch. Wird Ihr Renten­antrag nicht genehmigt, können Sie kostenlos in Monats­frist Wider­spruch einreichen. Mehr dazu im Abschnitt Wenn der Antrag abgelehnt wird.

Alters­rente für Schwerbehinderte. Sind Sie schwerbehindert und haben Sie keinen Anspruch auf Erwerbs­minderungs­rente, können Sie zwei Jahre vor Ihrer Regel­alters­grenze in Alters­rente gehen, mit Abschlägen sogar noch früher. Alles Wichtige haben wir in einem Artikel zur speziellen Altersrente für schwerbehinderte Menschen zusammen­gestellt.

Voraus­setzungen für die Erwerbs­minderungs­rente

Um die Erwerbs­minderungs­rente zu erhalten, müssen Versicherte einen Rentenantrag stellen. Die Deutsche Renten­versicherung untersucht dann mit eigenen medizi­nischen Gutachtern, ob und in welchem Umfang ein Antrag­steller noch arbeiten kann. Vor allem psychische Erkrankungen zwingen Menschen zu einem früh­zeitigen Ausstieg aus dem Erwerbs­leben – vor Rücken- und Krebs­erkrankungen.

Versicherte müssen für einen Anspruch auf Erwerbs­minderungs­rente gesundheitlich stark einge­schränkt sein. Die gesetzliche Renten­versicherung zahlt Versicherten eine volle Erwerbs­minderungs­rente, wenn Krankheit oder Unfall dazu führt, dass sie dauer­haft weniger als drei Stunden am Tag arbeiten können. Eine halbe Erwerbs­minderungs­rente gewährt sie, wenn sie noch zwischen drei und unter sechs Stunden täglich erwerbs­fähig sein können. Die Höhe der Teil­erwerbs­minderungs­rente entspricht der Hälfte einer vollen Erwerbs­minderungs­rente.

Der Groß­teil der Erwerbs­min­derungs­rentne­rinnen und -rentner erhält eine volle Rente. Manchmal zahlt die gesetzliche Renten­versicherung sogar eine volle Erwerbs­minderungs­rente, wenn Versicherte noch zwischen drei und sechs Stunden täglich arbeiten können, sie also eigentlich nur Anspruch auf eine Teil­erwerbs­minderungs­rente haben. Das ist immer dann der Fall, wenn sie aufgrund der Arbeits­markt­lage keinen entsprechenden Teil­zeitjob finden können.

Erwerbs­minderungs­rente - Anspruch, Antrag, Rentenhöhe – was Sie beachten sollten

Erwerbs­fähig­keit. Ob eine Erwerbs­minderungs­rente gezahlt wird, hängt davon ab, wie viele Stunden Betroffene täglich noch arbeiten können. © Stiftung Warentest / René Reichelt

Rente ist keine Berufs­unfähigkeits­versicherung

Kann ein Versicherter nur seinen Beruf nicht mehr ausüben, ist aber generell noch erwerbs­fähig, erfüllt er die Voraus­setzungen für die Rente nicht. So bekäme etwa ein Zimmerer, der nicht mehr als Hand­werker, aber noch in einem Call-Center arbeiten kann, keine Erwerbs­minderungs­rente. Wer sich für den Fall absichern möchte, dass er einen bestimmten Beruf nicht mehr ausüben kann, muss die oben erwähnte Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen.

Für ältere Arbeitnehmer existiert allerdings noch ein Zusatz­schutz, der jüngeren nicht mehr zusteht. Versicherten, die vor dem 2. Januar 1961 geboren sind, steht eine Teil­erwerbs­minderungs­rente auch dann zu, wenn sie nur noch einge­schränkt in einem ihrer Qualifikation entsprechenden Beruf arbeiten können. In diesen Fällen gibt es oft Streit darum, welche Tätig­keiten vergleich­bar und zumut­bar sind. Wird die Rentenzahlung abge­lehnt, sollten Betroffene sich beraten lassen und Widerspruch einlegen.

Gesundheit im Griff mit der Stiftung Warentest

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Die versicherungs­recht­lichen Bedingungen erfüllen

Egal ob teil­weise oder voll erwerbs­gemindert: Für einen Anspruch auf die Rente müssen Versicherte neben medizi­nischen auch zwei wichtige versicherungs­recht­liche Bedingungen erfüllen. Erhalten kann die Rente in der Regel nur, wer

  • auf mindestens fünf Jahre Beitrags­zeit kommt – dazu zählen neben Pflicht­beitrags­zeiten aus einer sozial­versicherungs­pflichtigen Beschäftigung zum Beispiel auch Kinder­erziehungs- und Pflege­zeiten oder freiwil­lige Beiträge,
  • in den letzten fünf Jahren mindestens drei Jahre Pflicht­beiträge gezahlt hat.

In bestimmten Fällen, etwa bei Arbeits­unfällen oder Berufs­krankheiten, können die Mindest­versicherungs­zeiten auch kürzer sein.

Hinzuver­dienst­grenzen sind gestiegen

Lässt die Gesundheit es zu, können Erwerbs­geminderte neben der Rente in gewissem Umfang hinzuver­dienen, ohne dass die Renten­versicherung den Verdienst auf die Rente anrechnet. Diese Hinzuver­dienst­grenze werden jedes Jahr angepasst.

Versicherte können ihren Renten­anspruch verlieren, wenn eine Beschäftigung außer­halb des Rahmens ihres verminderten Leistungs­vermögens ausüben. Sprich, voll Erwerbs­geminderte, die täglich über drei Stunden arbeiten oder teil­weise Erwerbs­geminderte, die über sechs Stunden täglich arbeiten, riskieren unter Umständen ihre Rente. Das gleiche gilt, wenn sie die tägliche Stundenzahl einhalten, dafür aber an  sechs statt fünf Tagen die Woche arbeiten.

Hinzuver­dienst bei teil­weiser Erwerbs­minderung. Die jähr­liche Hinzuver­dienst­grenze wird individuell berechnet und bezieht sich jeweils auf ein Kalender­jahr. Sie orientiert sich grob am höchsten beitrags­pflichtigen Jahres­einkommen der letzten 15 Jahre. Mindestens liegt sie 2025 aber bei 39 322,50 Euro jähr­lich. Die Renten­versicherung vergleicht den jähr­lichen Hinzuver­dienst mit der individuellen Hinzuver­dienst­grenze. Liegt er darüber, teilt sie diesen Betrag durch zwölf und rechnet 40 Prozent davon auf die Rente an.

  • Beispiel: Eine teil­weise erwerbs­geminderte Frau bezieht eine Rente von 500 Euro monatlich. Die Renten­versicherung hat ausgerechnet, dass ihre individuelle Hinzuver­dienst­grenze bei 42 000 Euro jähr­lich liegt. Sie verdient neben ihrer Rente 43 200 Euro dazu. Sie über­schreitet ihre individuelle Hinzuver­dienst­grenze damit um 1 200 Euro. Das sind 100 Euro auf monatlicher Basis. 40 Prozent davon werden auf die Rente ange­rechnet, also 40 Euro. Sie erhält von der Renten­versicherung nur 460 Euro Erwerbs­minderungs­rente im Monat.

Hinzuver­dienst bei volle Erwerbs­minderung. Bei Renten wegen voller Erwerbs­minderung liegt die Grenze 2025 bei 19 661,25 Euro. Über­schreiten Versicherte mit ihrem Verdienst die jähr­liche Hinzuver­dienst­grenze, teilt die Renten­versicherung den über der Grenze liegende Betrag durch zwölf und rechnet davon 40 Prozent auf die Rente an.

  • Beispiel: Die Rente eines voll Erwerbs­geminderten liegt bei 1 000 Euro monatlich. Zusätzlich verdient er 20 261,25 Euro im Jahr. Der Verdienst über­schreitet die jähr­liche Hinzuver­dienst­grenze von 19 661,25 Euro um 600 Euro. Ein Zwölftel davon sind 50 Euro. Von diesen 50 Euro werden 40 Prozent, also 20 Euro, auf die Rente ange­rechnet. Der Versicherte erhält 980 Euro Erwerbs­minderungs­rente.

Tipp: Informieren Sie Ihren Renten­versicherungs­träger, wenn Sie eine Erwerbs­tätig­keit aufnehmen. Die Mitarbeitenden errechnen, wie viel Sie hinzuver­dienen dürfen und ob die Ausübung der Tätig­keit Ihrem Renten­anspruch entgegen­steht.

Probearbeit bis zu sechs Monaten möglich

Seit Anfang 2024 können Menschen mit Erwerbs­minderungs­rente versuchs­weise ein halbes Jahr uneinge­schränkt arbeiten, ohne ihren Renten­anspruch zu verlieren. Die tägliche stunden­weise Beschränkung von bis zu drei beziehungs­weise sechs Stunden ist in dieser Zeit aufgehoben.

Versicherte können Rente und Job kombinieren und danach entscheiden, ob ein Teil- oder Voll­zeitjob infrage kommt. Ist das nicht der Fall, müssen sie den aufwendigen Genehmigungs­prozess nicht noch einmal durch­laufen. Zurück­zahlen müssen sie die Rente nicht, sollten sie sich nach Ende der Probezeit für eine Weiterbeschäftigung entscheiden. Auch für die Probearbeit gelten die Hinzuver­dienst­grenzen.

Tipp: Wenn Sie zur Probe arbeiten möchten, müssen Sie dies ihrem Renten­versicherungs­träger mitteilen.

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Kommentarliste

Nutzer­kommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 16.09.2024 um 11:14 Uhr
    Teil-Erwerbsminderungsrente / Altersrente

    @alle: Bei Fragen zum Einfluss der Zeiten des Erhaltens einer (Teil-) Erwerbsminderungsrente macht es Sinn, sich individuell beraten zu lassen.

    Welche Auswirkung hat eine unbefristete, aber teilweise Erwerbsminderungsrente, auf die spätere Altersrente?

    Erfolgt mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze ein Wechsel von einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in die Regelaltersrente, wird die Zeit des Rentenbezugs als Anrechnungszeit berücksichtigt bewertet.
    Bei einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung besteht in der Regel zusätzlich der Hinzuverdienst. Daraus ergibt sich ein Zusammentreffen von Beitrags- und Anrechnungszeit. Es entstehen somit sogenannte beitragsgeminderte Zeiten. Das bedeutet, dass die Zeit zunächst so bewertet wird, als sei sie lediglich eine Beitragszeit. Zudem wird die Zeit noch so bewertet, als sei sie eine Anrechnungszeit. Ergeben sich aus der Bewertung als Anrechnungszeit höhere Entgeltpunkte, wird der Differenzbetrag an Entgeltpunkten zusätzlich berücksichtigt.

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 09.09.2024 um 13:33 Uhr
    Teil-Erwerbsminderungsrente/Arbeitszeitverkürzung

    @HoMa04: Bitte vereinbaren Sie bei der Rentenversicherungsträgerin ein individuellen Beratungstermin, um die unterschiedlichen Alternativen und deren Auswirkungen auf die Altersrente zu berechnen.

  • HoMa04 am 05.09.2024 um 17:59 Uhr
    Auswirkung Hinzuverdienst bei Teil EM-Rente ?

    Ich beziehe eine Teil EM- Rente. Wirkt sich mein Hinzuverdienst auf die Höhe der Altersrente aus? Ich überlege meine Arbeitszeit weiter zu reduzieren und würde gerne die Auswirkungen auf die Altersrente kennen. Und wie sieht es aus, wenn ich in die Rente mit 63 gehe. Oder ist das alles egal und meine spätere Altersrente ist immer das doppelte meiner Teil EM Rente?
    Ich finde hierzu leider nirgends Informationen.

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 02.09.2024 um 17:21 Uhr
    Zurechnungszeiten

    @Question777: Wir haben zu den Voraussetzungen der sog. Zurechnungszeit bisher nicht berichtet. Bitte lesen Sie die Informationen der Deutschen Rentenversicherung Bund dazu und lassen Sie sich von Ihrer Rentenversicherungsträgerin dazu individuell beraten, welche Auswirkungen die Zurechnungszeiten auf Ihren Rentenverlauf haben:
    www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Glossareintraege/DE/Z/zurechnungszeit.html

  • Question777 am 01.09.2024 um 01:49 Uhr
    Auswirkung einer befristeten vollen EMR

    Mich würde mal interessieren, wie sich bei einer befristeten vollen EMR die Jahre des Rentenbezugs auf die Rentenpunkte auswirken, bei dem hypothetischen Fall, dass die Rente nicht verlängert wird. Also nach der Befristung wieder gearbeitet wird. Wie werden dann die Jahre des Rentenbezugs in den Rentenpunkten berücksichtigt?