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Anleger kaufen bevorzugt Aktien aus ihrem Heimatmarkt und verlieren so die Streuung des Depots aus den Augen. Das kostet Geld und Kraft. Experten nennen die fatale Vorliebe für heimische Wertpapiere „Home Bias“.
Anlagefehler in Serie
Dieses Special ist Teil einer Serie zum Thema „Anlagefehler“:
- Juli 2014 Mangelnde Streuung
- Dezember 2014 Übermäßiges Trading
- Januar 2015 Verlierer aussitzen
- März 2015 Spekulative Wertpapiere
- April 2015 Jagd auf Trends
- Mai 2015 Schwerpunkt auf Deutschland
- Juni 2015 Fazit
Die fatale Vorliebe für heimische Wertpapiere
Juchhu! Seit Mitte Januar liegt der Dax dauerhaft über der 10 000-Punkte-Marke. Mitte Februar schaffte er erstmals 11 000 und schon am 16. März übertraf er 12 000 Punkte. 27 Prozent in drei Monaten: Anleger mit deutschen Aktien und Fonds freuten sich und staunten. Keine andere große Börse auf der Welt lief ähnlich gut. Doch auch wenn es noch so fantastisch läuft, zu viel Deutschland ist ein Fehler – genauso wie zu viel Schweiz oder zu viel USA. Fachleute nennen diesen weitverbreiteten Anlagefehler englisch „Home Bias“. Das heißt übersetzt so viel wie Vorliebe für heimische Wertpapiere. Zu viel von einem Markt ist nicht gut, weil Anleger sich damit unnötiges Risiko aufladen.
63 Prozent Gewicht statt 3 Prozent
Die Vorliebe für deutsche Aktien ist hierzulande weit verbreitet. Wissenschaftler der Universität Frankfurt am Main haben von 1999 bis 2011 rund 5 000 online geführte Privatanlegerdepots analysiert und festgestellt, dass durchschnittlich rund 63 Prozent der Aktienanlagen auf deutsche Titel entfallen. Gemessen am Weltmarkt dürften sie jedoch nur etwas mehr als 3 Prozent ausmachen. In fast allen untersuchten Depots lag der Deutschlandanteil darüber. Gegen einen Anteil von 10 bis 20 Prozent deutscher Aktien wäre aus unserer Sicht nichts einzuwenden, aber bei 20 Prozent der Anleger waren sogar 80 Prozent oder mehr deutsche Aktien im Depot. Fondskäufer erliegen dem Home Bias dagegen nicht. Hier stimmt der Deutschlandanteil: Von den Fondsanlagen entfielen nach Angaben der Frankfurter Wissenschaftler tatsächlich nur rund 3 Prozent auf Deutschlandfonds.
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Investieren wie Warren Buffett
Dass der Home Bias vor allem bei Aktionären und nicht bei Fondskäufern auftritt, lässt sich vielleicht damit erklären: „Kaufe nur, was du verstehst“, lautet eine altbekannte Regel. So wie der bekannte US-Investor Warren Buffett von allem, was er nicht versteht, die Finger lässt. Doch leider hilft die Regel einem privaten Anleger, der nach günstigen Einzeltiteln sucht, nicht unbedingt. Das veranschaulicht folgendes Beispiel:
„Würden Sie lieber in ein Bauunternehmen aus Indien oder ein Bauunternehmen aus Deutschland investieren?“ Die meisten Anleger würden wohl antworten, dass sie bei dem deutschen Unternehmen besser einschätzen können, wie sich die Geschäfte entwickeln werden. Sie seien mit dem hiesigen Markt vertrauter und würden zudem mehr und leichter zugängliche Informationen bekommen als für den indischen Markt. Die Argumente sind alle richtig. Trotzdem ist es ein Irrtum zu glauben, dass es für Privatanleger bei einer deutschen Aktie einfacher abzuschätzen sei als bei einer indischen, ob sie über- oder unterbewertet ist.
Die trügerische Sicherheit
Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass die einstigen Witwen- und Waisenpapiere Eon oder RWE einmal so tief fallen würden? Beide Aktien haben seit der Finanzkrise rund 60 Prozent ihres Wertes verloren. Solide deutsche Stromversorger mit einem vermeintlich krisensicheren Geschäft – und schwupps, fährt die Energiewende den einstigen Großverdienern in die Parade.
Gute Gründe für Einzeltitel
Manche Anleger kaufen trotzdem gerne Einzelaktien. Sei es, weil sie von ihrer Firma welche bekommen, sei es, weil sie ihre Mitbestimmungsrechte auf den Hauptversammlungen ausüben wollen, oder einfach, weil ihnen die direkte Beteiligung an einem Unternehmen mehr behagt als die indirekte über einen Fonds. Manche haben am Aktienkauf einfach Spaß. Damit das Auf und Ab der Märkte ihnen diesen Spaß nicht verdirbt, ist eine gute Streuung nötig. Wer einzig deutsche Aktien kauft, ist nicht nur regional eingeschränkt. Es fehlen ihm auch wichtige Branchen. In Deutschland gibt es zum Beispiel keine Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé, der Ölsektor ist überhaupt nicht vertreten und auch die Rohstoffbranche kaum. Ausnahme ist das Bergbauunternehmen K+S. Autofirmen dagegen gibt es viele. Für eine breite Streuung genügt eine Anlage in Dax-Aktien auch wegen der geringen Anzahl der Titel nicht: Im Dax sind nur 30 Werte enthalten, im MSCI World rund 1 600.
Globalisierung reicht nicht
Der Anlagefehler "Mangelnde Streuung" ist einer der kostspieligsten Anlagefehler. Wie teuer die Vorliebe für heimische Aktien Anleger zu stehen kommt, ist umstritten, schließlich agieren die großen nationalen Konzerne zunehmend global. Doch auch wenn es durch die stärkere Internationalisierung der Unternehmen nicht mehr so teuer wie früher ist, nur auf den eigenen Markt zu setzen – weltweite Streuung lohnt sich nach wie vor. Anleger mit zu wenig gestreuten Depots müssen mit heftigeren Ausschlägen leben (siehe Grafik). Größere Schwankungen haben in guten Zeiten wie diesen etwas für sich. Doch es gibt am Aktienmarkt leider auch schlechte Zeiten mit Einbrüchen am deutschen Markt um mehr als 70 Prozent, wie nach dem Zusammenbruch des Neuen Marktes von 2000 bis 2003. Ein Weltdepot hat es im selben Zeitraum nur mit knapp mehr als 50 Prozent erwischt. Das spart nicht nur Geld, das spart auch Kraft.

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@Reginald1789 Die aktuellsten Informationen zum Rückerhalt von ausländischen Quellensteuern finden Sie in Finanztest 7/2014 https://www.test.de/Auslandsaktien-Die-Quellensteuer-nicht-verschenken-4717112-0/
(dda)
Ich würde gerne ausländische Einzelaktien kaufen. Doch wer einmal erlebt hat, mit welchem Aufwand es verbunden sein kann, am Sitz des Unternehmens einbehaltene Quellensteuer auf Dividenenausschüttungen über das Finanzamt des jeweiligen Staates zurückerstattet zu bekommen, der wird in dieser Hinsicht zu Recht vorsichtig.
Hilfreich fände ich einen Finanztest-Artikel mit einer tabellarischen Übersicht, welche Länder in dieser Hinsicht für deutsche Anleger völlig unproblematisch sind, bei welchen Ländern man es gerade noch selbst lösen kann und wo man um einen - für den Normalanleger zu teuren - Dienstleister nicht herum kommt, der einem dann zum Beispiel die Korrespondenz mit dem Finanzamt in Peking erledigt.