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„Erst muss ich warten, bis ich meinen Einstandspreis wieder erreicht habe.“ Diesen Satz von Kunden, die sich von einem schlechten Fonds trennen wollen, hören die Experten von Finanztest oft. Es handelt sich dabei um einen typischen Anlagefehler: Bevor Sparer einen Verliererfonds aus ihrem Depot schmeißen, verkaufen sie lieber einen Gewinnerfonds. Dabei wäre es meistens besser, wenn sie andersrum handeln würden.
Anlagefehler in Serie
Dieses Special ist Teil einer Serie zum Thema „Anlagefehler“:
- Juli 2014 Mangelnde Streuung
- Dezember 2014 Übermäßiges Trading
- Januar 2015 Verlierer aussitzen
- März 2015 Spekulative Wertpapiere
- April 2015 Jagd auf Trends
- Mai 2015 Schwerpunkt auf Deutschland
- Juni 2015 Fazit
Der fatale Hang zu den Verlierern
Angenommen, ein Anleger braucht Geld und muss einen Teil seiner Ersparnisse auflösen. In seinem Depot befinden sich zwei Wertpapiere. Papier A liegt mit 10 Prozent im Plus, Papier B mit 10 Prozent im Minus. Wie geht er vor? Viele würden Papier A verkaufen, damit haben sie schließlich Gewinn gemacht. Bei Papier B warten sie lieber erst einmal ab, ob es sich nicht wieder besser entwickelt. Den Hang, Gewinner zu verkaufen und Verlierer zu behalten, nennen Finanzexperten Dispositionseffekt. Mehr als die Hälfte der Anleger sitzt diesem Fehler auf, besagt eine Studie der Universität Frankfurt am Main. Die Wissenschaftler haben von Januar 1999 bis November 2010 rund 3 400 Depots von Privatanlegern ausgewertet.
Mehr Informationen rund ums Depot finden Sie auf der Themenseite Wertpapiere kaufen und Depot. Nutzen Sie auch die Themenseite Anlagestrategie.
Die Trennung fällt so schwer
Anfällig für den Dispositionseffekt sind vor allem Anleger, die Aktien kaufen. Von knapp 2 700 Aktionären verkauften zwei Drittel lieber ihre Gewinnerpapiere und behielten die Verlierer. Von rund 1 100 Fondsbesitzern waren es nur knapp die Hälfte, doch wenn sie dazu neigten, dann war der Fehler bei einer Vielzahl der Betroffenen besonders stark ausgeprägt. Das zeigt folgende Statistik:
Bei Einzelaktien flogen im Mittel die Gewinner nur 15 Mal häufiger aus dem Depot als die Verlustbringer. Bei der Hälfte der betroffenen Fondsbesitzer war die Neigung, Gewinner- vor Verliererfonds zu verkaufen, sage und schreibe 57 Mal größer. 57 Mal. Klingt krass, aber deckt sich mit unseren Erfahrungen. Viele Leser, die bei Finanztest anrufen und wissen möchten, ob ihr Fonds noch in Ordnung ist, reagieren auf schlechte Nachrichten wie folgt: „Dann verkaufe ich, aber erst muss ich noch warten, bis der Fonds sich so weit erholt hat, dass ich meinen Einstandspreis zurückbekomme.“ Falsch! Sofort weg damit!
Abwarten lohnt sich meist nicht
Wenn Anleger umschichten, idealerweise in einen Fonds mit besserer Qualität, sind sie viel schneller wieder im Plus, als wenn sie das Verlustpapier behalten. Genauso wenig ist es schlau, an einer Verlustaktie festzuhalten, nur um zu warten, dass sie einen einmal erreichten Stand wieder erreicht. Kurse der Vergangenheit als Kursziele für die Zukunft zu sehen, hat wenig Sinn. Ein Verlustpapier, das man teuer eingekauft hat, müsste sich dann ja besser entwickeln als ein günstig gekauftes. Behalten sollte man ein Verlustpapier nur, wenn man berechtigte Anhaltspunkte dafür hat, dass es sich in Zukunft wieder besser entwickelt – bei einem Fonds vielleicht, wenn die Anlagestrategie wechselt.
Ein Grund abzuwarten kann auch sein, dass die eigene Anlage im Minus steht, weil die Aktienmärkte gerade schlecht laufen. Die Erfahrung zeigt, dass sie nach einiger Zeit meist höher stehen als zuvor. In diesem Fall ist Halten meist die bessere Lösung – zumal private Anleger erfahrungsgemäß oft zu den schlechtesten Zeitpunkten handeln. Das hat die Finanzkrise gezeigt, in der viele Anleger nervös wurden und ausgerechnet zu Tiefstkursen verkauften.
Vernünftig verkaufen
Es gibt viele vernünftige Gründe, Wertpapiere zu verkaufen – auch Gewinnerpapiere. Wer etwa nach Finanztest-Vorschlägen ein Pantoffelportfolio aufgebaut hat, das aus 50 Prozent Aktienfonds und aus 50 Prozent Anleihenfonds besteht, sollte es anpassen, wenn es aus dem Gleichgewicht geraten ist. Um die hälftige Aufteilung wiederherzustellen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als Anteile an dem Fonds, der besser gelaufen ist, zu verkaufen. Richtig handeln auch Aktienbesitzer, wenn sie aufgrund neuer, schlechter Nachrichten eine Aktie verkaufen, die bisher hohe Kursgewinne erzielt hat. Schlecht ist nur, wenn Anleger immer wieder die Gewinner aus dem Depot schmeißen und Verlierer behalten – ohne dass wirtschaftliche Motive dafür den Ausschlag geben.
Fehlkäufe lieber eingestehen
Ein Grund für das Festhalten an Verliererpapieren liegt darin, dass Anleger sich nicht eingestehen möchten, mit ihrem Wertpapier danebengegriffen zu haben. Solange sie die Aktie oder den Fonds nicht verkauft und den Verlust nicht realisiert haben, können sie weiter hoffen, dass ihr Investment noch ein gutes Ende nimmt. Nobelpreisträger Daniel Kahneman und sein Kollege Amos Tversky haben bereits in den 1970er Jahren darüber geforscht, wie Anleger zu ihren Entscheidungen kommen. Sie beschreiben ihr Verkaufsverhalten in ihrer „Neuen Erwartungstheorie“, englisch Prospect Theory, veröffentlicht 1979. Sie haben festgestellt, dass Anleger drohende Verluste ungefähr doppelt so stark bewerten wie gleich hohe Gewinne.
Verluste werden überbewertet
Angenommen, jemand hat zwei Wertpapiere für 1 000 Euro gekauft, eines liegt jetzt bei 1 050 Euro, das andere bei 950. Verkauft er nun beide Papiere, überwiegt sein Schmerz, weil die 50 Euro Verlust mehr weh tun, als die 50 Euro Gewinn ihn freuen. Steigen die Preise beider Wertpapiere um 100 Euro, freut sich der Anleger mehr über den Kursanstieg des Verlustpapiers, weil es in die Gewinnzone klettert. Erneute Gewinne des Gewinnerpapiers machen ihm dagegen immer weniger Freude. Würden die Preise der beiden Papiere jedoch um jeweils 100 Euro sinken, ärgert sich der Anleger vor allem, dass er die Gewinne nicht mitgenommen hat. Die weiteren Verluste des Verlustpapiers schmerzen ihn hingegen weniger.
Vorsicht vor mehr Risiko
Den Dispositionseffekt zum ersten Mal beschrieben haben Hersh Shafrin und Meir Statman 1985. Richard Thaler hat erkannt, dass Anleger jedes Wertpapier für sich betrachten und nicht überlegen, wie sich ihr Depot als Ganzes verändert, wenn sie einzelne Papiere veräußern. Das kann fatale Folgen haben: Wer immer nur Gewinnerpapiere verkauft, hat plötzlich nur noch Verlustbringer im Depot. Zudem stimmt nach einseitigen Verkäufen oft die Aufteilung von sicheren und riskanten Anlagen nicht mehr. Daher der Tipp für alle, die sich der Falle entziehen wollen: Wer Geld braucht, sollte seine Wertpapiere so verkaufen, dass sich die Risikostreuung im Depot möglichst nicht ändert. Das gilt auch für Zuzahlungen und Neukäufe. Was viele immer wieder vergessen: Die Aufteilung des Depots ist für das Anlageergebnis weit wichtiger als der Erfolg des Einzelpapiers.
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Ich glaube, dass die meisten Anleger zu sehr auf die einzelnen Aktien oder sonstigen Wertpapieren in ihrem Depot schauen.
Insgesamt sollte man lieber das Gesamtdepot im Auge haben und nicht die einzelnen Titel. Deren Kursverlauf kann man eh nicht voraussagen. Also lieber sein Gesamtportfolio inkl. Immobilienbesitz und Gehalt optiemieren.
Der Artikel ist größtenteils freudsche Esoterik. Dabei gibt es einen leicht einsichtigen, rationalen Grund dafür, die Verlierer statt die Gewinner zu verkaufen: Die steuerliche Bemessungsgrundlage ist geringer. Ist man jedoch noch im Freibetrag, gilt das umgekehrte: Dann sollte man selbstverständlich die Gewinner verkaufen, um ihn auszunutzen. Bei allen riskanten Anlagen gilt jedoch: "Verluste aussitzen" geht nicht. Diese Überlegung basiert auf einer falschen Vorstellung von den Finanzmärkten. An den Finanzmärkten wird eine Anlage über einen langfristigen Zeitraum nicht weniger riskant. Sie wird, ganz im Gegenteil, mit immer längerem Anlagezeitraum immer riskanter. Es steckt nur ein kleiner Kern Wahrheit drin: Ein Jahr 100% in Aktien zu gehen ist riskanter als 10 Jahre 10% in Aktien zu gehen. Aber zehn Jahre 100% in Aktrien zu gehen ist viel riskanter als ein Jahr 100% in Aktien zu gehen.