Seit jeher gelten Notare als unparteiisch. Für den Abschluss fairer Verträge garantieren sie dennoch nicht.
Es ist über 10 Jahre her, aber Barbara Altmann aus Zolling erinnert sich genau, wie ihr die überteuerte Wohnung angedreht wurde. „Der Vermittler war zäh. Mit dem Argument, man könne Steuern sparen und der Wohnungswert sei bankgeprüft, überzeugte er uns.“ Dann sei alles flott gegangen, obwohl es Wochenende war: „Sofort nach dem Gespräch fuhr er uns zum Notar, der noch nach 20 Uhr öffnete.“
Im Münchner Notariat von Wolfgang P.* wurde eine Vollmacht beurkundet, mit der ein Treuhänder für Barbara Altmann einen Kredit bei der Deutschen Bank, das Immobiliengeschäft und einen Lebensversicherungsvertrag zu Sicherungszwecken in die Wege leitete.
Die Tragweite des Geschäfts ist Altmann erst viel später klar geworden. „Der Notar hat den Vertragstext ja nur schnell heruntergerasselt – und das war es dann.“ Jahre später zeigte sich: „Die Wohnung ist kaum ein Viertel dessen wert, was damals versprochen wurde.“
Kein Garant für faire Preise
Die bittere Lehre für Barbara Altmann: Notare geben auch der Vollmacht zum Abzocken den Segen. Das müssen sie oft sogar, denn über die Wirtschaftlichkeit eines Vertrags sollen Notare nicht urteilen, sondern nur über dessen rechtliche Tragweite belehren. „Idealerweise sagt ein Notar bei solchen Geschäften daher sofort, dass er zur Wirtschaftlichkeit schweigt“, meint Timm Starke von der Bundesnotarkammer.
In der Tat dürften Notare den fairen Wert einer Wohnung nur selten erkennen. Vor allem nicht, wenn es beim Notar zunächst nur – wie im Fall Altmann – um einen Treuhandvertrag geht, der einen Vertreter zum Wohnungskauf und weiteren Geschäften ermächtigt.
Im Fall Altmann wurde zumindest der „kalkulierte Gesamtaufwand“ für eine nicht näher beschriebene „Einheit Nr. 199“ mit 128 280 Mark beziffert. Ist im Einzelfall nicht die Beurkundung, sondern nur die Beglaubigung der Vollmacht vorgeschrieben, erfährt der Notar gar keine Details. Er bestätigt dann lediglich die Echtheit der Unterschrift.
Und selbst wenn Notare später den eigentlichen Kaufvertrag beurkunden, können sie kaum zwischen gutem Geschäft und Abzocke unterscheiden. „Der wahre Wohnungswert steht nicht im Grundbuch“, betont Hans-Ulrich Sorge von der Notarkammer Bayern.
Notarordnung mit fatalem Mangel
Hans-Ulrich Sorge fordert zusammen mit Kollegen Gesetzesänderungen: „Auch bei Beglaubigungen von Unterschriften sollten Notare in den Vertragsinhalt schauen müssen – über die reine Identitätsprüfung hinaus.“ Der Hintergrund: Notare müssen zwar bei Beurkundungen die rechtliche Tragweite erklären, vor Übereilung warnen und im Zweifel fragen, ob der Käufer eine Wohnung gesehen hat. Diese Pflicht hat aber in Vollmachtsfällen meist nur der Notar, der später den eigentlichen Wohnungskauf beurkundet. Dort sitzt in der Regel aber nur der Treuhänder, den allein die zügige Geschäftsabwicklung interessiert. Notarielle Warnungen gehen da an die falsche Adresse.
Fragwürdige Dienstleistung
Notar P. kann im Fall Altmann sicher nicht vorgeworfen werden, er hätte die Überteuerung der Wohnung erkennen müssen. Fragwürdig ist es aber, wenn ein Notar das hohe Tempo eines Vermittlers mitgeht und nach Feierabend das Siegel zückt.
P. war offensichtlich öfter bereit, Wohnungsvermittlern „flexibel“ die Tür zu öffnen. Beim Karlsfelder „Verein für Existenzsicherung“ haben sich 26 Wohnungskäufer über ihn beschwert und dabei unisono beklagt, dass er Vertragstexte so schnell verlesen habe, dass er nicht zu verstehen war. Ein Klient berichtet von einem Termin um Mitternacht und viele schildern ihren Eindruck, P. sei mit den Vermittlern befreundet gewesen. Auf Nachfragen von Finanztest hat P. nicht reagiert.
Konsequenzen dürften die Beschwerden für Notar P. nur haben, wenn fest- stünde, dass er parteiisch war – etwa weil er erkannte, dass die Vermittler unredliche Ziele verfolgten. Was Wolfgang P. erkannte, weiß aber nur Wolfgang P.
„Nur schwarze Schafe“
Der Fall P. ist kein Einzelfall. Bereits 1994 ahnte etwa die bayerische Notarkammer, dass Notare angesichts lockender Honorare durch massenhafte Abschlüsse „gedrückter“ Immobilien in Versuchung geraten könnten. Sie warnte ihre Mitglieder davor, Beurkundungstermine an Vermittler „ins Blaue hinein“ zu geben, da es Drückern so ermöglicht würde, gleich nach den „so genannten Beratungsgesprächen“ die Verträge wasserdicht zu machen.
Wie viele „Steuersparimmobilien“ so seitdem an die Käufer gebracht worden sind, ist nicht bekannt. Und wie viele Notare sich als Handlanger der Vermittler dabei die Finger schmutzig machten, auch nicht. Nach Ansicht von Hans-Ulrich Sorge von der Notarkammer Bayern dürften sich die meisten Notare aber gesetzestreu und unparteiisch verhalten haben: „Jedenfalls konnten wir noch keinem nachweisen, dass er mit Vermittlern gemeinsame Sache machte.“
Ein ähnliches Bild zeichnet Lutz Tauchert von der Frankfurter Notarkammer. „Bei 1 350 Notaren im Bezirk gibt es jährlich etwa 200 Beschwerden. Zu Amtsenthebungen kam es aber nur aus anderen Gründen – etwa weil Notare anvertrautes Geld zu früh auszahlten.“
Die Notarkammern sind bemüht, das Gesamtbild des Berufsstandes zu wahren. Von „schwarzen Schafen“ wird gesprochen – über mögliche Sanktionen gegen diese parteiischen Notare aber nicht. Gleichwohl scheint man in den Standesorganisationen noch keine Entwarnung zu geben. „Wir nehmen das Problem weiter ernst“, meint Timm Starke von der Bundesnotarkammer.
Es wird weiter gewarnt
Das tun Verbraucherschützer wie Volker Pietsch von der Verbraucherzentrale Berlin auch: „Geprellte Käufer berichten aktuell, dass Notare die Verbindlichkeit von Verträgen herunterspielen und zögernde Kunden mit dem irreführenden Hinweis beruhigen, es handele sich nur um Angebote.“
Für den Nürnberger Anwalt Klaus Kratzer steht zumindest fest, dass mehr als nur ein paar Notare in der Vergangenheit den Vermittlern den Kundenfang erleichterten. „Es dürfte Tausende Beschwerden über willfährige Notare gegeben haben.“
Kaum Chancen auf Schadenersatz
Auch wenn „Mitternachtsnotare“ sogar mit Amtsenthebung rechnen müssen: Geprellte Immobilienkäufer haben davon wenig. Um Schadenersatz müssen sie sich erst anderswo bemühen. Notare haften für Schäden wegen Fahrlässigkeiten nur, wenn der Geschädigte keine andere Ersatzmöglichkeit hat – etwa beim Vermittler, Verkäufer oder der finanzierenden Bank. Anders ist das lediglich, wenn der Nachweis gelingt, dass der Notar vorsätzlich seine Amtspflichten verletzt hat, etwa weil er parteiisch war. Bei den „Mitternachtsbeurkundungen“ dürfte das schwer sein. Ein Termin zur Unzeit kann eben auch eine besonders flexible Dienstleistung sein.
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