Karl-Heinz H. (64) aus G., 08.01.2016:
Ich möchte meine Erfahrungen mit der Schadenregulierung von Versicherungen nach einem schweren, lebensbedrohlichen Verkehrsunfall schildern. Obwohl mein Unfall sich bereits am 04.09.2004 ereignet hat, ist die Schadenregulierung bis heute noch nicht abgeschlossen. Ich war mit dem Rennrad unterwegs und wurde auf meiner Fahrbahnseite von einem entgegenkommenden Cabrio frontal erfasst. Laut Polizeibericht wurde ich 26 Meter durch die Luft geschleudert und bin dann auf den Fahrbahnrand aufgeprallt. Das entgegenkommende Auto war in einer kurvenreichen abschüssigen Landstraße im Taunus, auf der ich bergauf fuhr, mit überhöhter Geschwindigkeit (vermutlich 120 Stundenkilometer oder mehr) unterwegs. Angeblich wegen der tiefstehenden Sonne geriet das Auto auf die Gegenfahrbahn. Das Bild eines auf mich zurasenden Autos ist für ewig in meinem Gehirn eingebrannt.
Die Polizei ermittelte 31 Meter Bremsweg. Trotzdem stieß der Wagen noch mit 70 bis 75 Stundenkilometern Geschwindigkeit mit mir zusammen. Mein Rennrad lag über 36 Meter von der Unfallstelle entfernt. Das Vorderrad war aus der Verankerung herausgerissen und wurde 52 Meter von der Unfallstelle entfernt gefunden.
Es gleicht einem Wunder, dass ich diesen Unfall überhaupt überlebt habe. Mehrere Rettungssanitäter waren schon nach wenige Minuten am Unfallort. Wenig später kam ein Notarzt. Ich wurde in einem Spezialbett per Hubschrauber in die Uniklinik Frankfurt befördert und dort gut behandelt. ?Ich bin für den Rest meines Lebens zu 50 Prozent schwerbehindert. Bis jetzt bin ich insgesamt sechs Mal operiert worden. Zwei weitere Operationen stehen noch aus.
Bei der Strafgerichtsverhandlung vor dem Amtsgericht ein knappes Jahr nach meinem Unfall drehte sich alles um die Schuldfrage und nicht um weitere wichtige Informationen, die für die Beweisführung des Opfers wichtig sind, zum Beispiel welch ungeheure Kraft bei dem Unfall auf den Körper eingewirkt hat. Die Versicherungen und ihre Gutachter versuchen jede Verletzung zu bagatellisieren. So wird ein noch gesundes Gelenk als hypermobil, das geschädigte Gelenk hingegen als in seiner Funktionalität leicht beeinträchtigt bezeichnet.
Der weitere Ablauf in Stichpunkten:
- Diverse außergerichtliche Gutachten auf Wunsch der Versicherung – 03/2005 bis 12/2008
- Diverse Versuche sich außergerichtlich zu einigen. Alle Angebote der Versicherung waren völlig inakzeptabel
- Entwurf der Klageschrift durch den Rechtsanwalt – 03/2009
- Überprüfung und Abklärung des Klageentwurfes – 04/2009
- Parallel juristische Auseinandersetzungen mit meinem Arbeitgeber, unterstützt durch den Schwerbehindertenvertreter, das Integrationsamt, den Hessischen Staatsminister für Arbeit und Soziales, sowie einen Anwalt für Arbeitsrecht zur Durchsetzung eines Altersteilzeitvertrages, um unkündbar zu werden – 04/2009 bis 09/2009
- Klageerhebung Anfang Juni 2009
- Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens vom Gericht – 07/2009
- Klageerwiderung der Gegenseite. Sie beantragt, die Klage abzuweisen. Zu den meisten Punkten heißt es: „mit Nichtwissen bestreiten wir ...“. Im Grunde erkannte die Versicherung nur an, dass überhaupt ein Unfall stattgefunden hat. – 09/2009
- Entwurf einer Stellungnahme zur Klageerwiderung – 10/2009
- Anforderung meiner gesamten Krankenakte von der Uniklinik (ca. 140 Seiten) und Durcharbeiten dieser Akten – 10/2009
- Abstimmung des Entwurfs mit meinem Rechtsanwalt und Einreichen bei Gericht – 10/2009 – Natürlich zurückweisende Stellungnahme der Gegenseite zu meinen Stellungnahmen – 11 /2009 mit abenteuerlichen Begründungen. So sei eine schwere Knieverletzung nicht unfallbedingt, sondern auf eine Innenmeniskus-Operation aus dem Jahre 1972 zurückzuführen, obwohl ich über all die Jahre (32) vollständig belegt (!) aktiv Sport getrieben habe (u.a. so genannte Hochrisikosportarten wie Badminton und Bergsteigen). Während all dieser Jahre war ich auch nicht wegen Kniebeschwerden in ärztlicher Behandlung. Dies zeigt doch in sehr anschaulicher Weise, mit welchen falschen und unsinnigen Behauptungen die Versicherungen die Entschädigungen beliebig lange hinauszögern können.
- Anforderung von Bestätigungen meiner Krankenkassen der letzten zehn Jahre, dass ich nicht wegen der beim Unfall erlittenen Verletzungen in Behandlung war – 01/2010
- Mündliche Verhandlung vor LG Frankfurt – 03/2010 Das Gericht will offenbar lediglich ausloten, ob eine gütliche Einigung möglich ist. Ich hatte den Eindruck, dass der Richter sich nicht eingehend mit meinem Fall beschäftigt hat, zumal er zwei Monate später in den Ruhestand ging
- Nach Übergang meiner Akten auf einen anderen Richter Anforderung eines Zusammenhanggutachtens bei der Landesärztekammer Hessen – 06/2010
- Festlegung meinerseits auf drei Gutachter der Klinik Frankfurt/Main- Höchst – 07/2010
- mehrfache Nachfrage beim führenden Gutachter wegen Terminen – 08/2010 bis 11/2010
- Begutachtung beim Orthopäden – 02/2011
- Begutachtung beim Neurologen – 04/2011 nach permanenter Nachfrage – das Gericht wurde mehrfach aufgefordert, der Erledigung der Gutachtenaufträge entsprechend Nachdruck zu verleihen – 05/2011 bis 01/2012
- zwischendurch war die Akte nicht mehr auffindbar
- psychiatrische Begutachtung – 04/2012 – Diese Begutachtung beginnt mit einem Eklat: Der Gutachter verweigert die Anwesenheit der Ehefrau.
- Diverse Schreiben zwischen Gericht und meinem Rechtsanwalt wegen dieses Gutachtens 05/2012 bis 06/2012
- Insgesamt sechs psychiatrische Begutachtungen – 08/2012 bis 01/2013
- Besprechung der Gutachten, die teilweise unvollständig oder falsch waren, mit meinem Rechtsanwalt – 03/2013
- Stellungnahme zu Gutachten mit Hinweis darauf, dass die Klageschrift von 2009 wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Lebensveränderungen (wie z.B. Altersteilzeit) erweitert wird – 04/2013
- Stellungnahme der Gegenseite zu Gutachten – 06/2013
- Nachbegutachtung durch Orthopäden – 12/2013, weil schwere Handgelenksverletzung durch Richter beim ersten Gutachten nicht beauftragt worden war
- Entwurf der Begründung für die Klageerweiterung – 02/2014
- Überprüfung des orthopädischen Nachgutachtens 02/2014
- Stellungnahme zur fachpsychiatrischen Befragung des psychiatrischen Gutachters 04/2014
- Einholen der Genehmigung bei der Rechtsschutzversicherung für die Kostendeckung der Klageerweiterung
- Diverse Auseinandersetzungen mit der Firma wg. Behandlung von Überstunden und Langzeitkonto bei Beendigung der Altersteilzeit 05–08/2014
- Beginn der Frühverrentung als Schwerbehinderter 09/2014
- Stellungnahme zu neurologischem Nachgutachten 09/2014
- Stellungnahme der Gegenseite 11/2014
- Stellungnahme zur Stellungnahme der Gegenseite 12/2014
- Erstellung der Klageerweiterungschrift – 12/2014
- Einsatz eines künstlichen Kniegelenks mit anschließender Reha 01 – 02/2015
- Aufforderung an den neurologischen Sachverständigen, seine Ausführungen vom Nachgutachten 09/2014 zusätzlich zu erläutern
- Weitere Stellungnahme zu einem Schriftsatz der Gegenseite 03/2015
- Übergabe Entlassungsbrief des Krankenhauses und des operierenden Belegarztes ans Gericht 03/2015. Hieraus geht klar hervor, dass Kniegelenksersatz Folge des fremdverschuldeten Unfalles von 2004 ist.
- 4-wöchige Reha wegen des neuen Kniegelenks und letztlich 1-jähriges tägliches Arbeiten mit dem Kniegelenk in Eigenregie gemäß Reha- Anleitungen und 1 mal pro Woche Physiotherapie
- Anfrage ans Gericht durch RA wann mit einem Fortgang zu rechnen ist, nachdem alle Gutachten vorliegen – 06/2015
- Antwort des Gerichts: Der Berichterstatter hat Urlaub, aber die Sache wird weiter bearbeitet – 06–2015
- Mitteilung durch das Gericht, daß Haupttermin vor dem Einzelrichter am 30.09.2015 stattfindet – 07/2015
- Mündliche Verhandlung. Der Rechtsanwalt der Versicherung verweigert ein Angebot und fordert das Gericht auf, ein Vergleichsangebot zu erstellen. Auf meine Nachfrage hin verspricht der Richter, dass das Vergleichsangebot spätestens in 4 Wochen (also Ende Oktober) vorliegt – 09/2015
- Zugang des Protokolls der Gerichtsverhandlung – 09/2015
- Anfrage meines Rechtsanwalts, wann das Vergleichsangebot nun vorliegt – 11/2015
- Erneute Anfrage des Rechtsanwalts, wann das Vergleichsangebot vorliegt, da erste Anfrage unbeantwortet blieb – 12/2015
- Das Gericht erklärt: Wegen Überlastung der Kammer ist erst im Januar mit einem Vergleichsvorschlag zu rechnen – 12/2015
- Der Vergleichsvorschlag des Gerichts ist endlich eingetroffen; Richter hat aber nur die Geschehnisse bis 31.08.2014 (mein Eintritt in die Frühverrentung) berücksichtigt. Die Zeit danach bleibt einer weiteren Feststellungsklage vorbehalten. Bis Ende Januar ist Zeit zur Stellungnahme. – 01/2015
- weiterer Ablauf offen
Seit dem Unfall sind nunmehr zwölf Jahre vergangen. Was ich in dieser Zeit als Unfallopfer alles erlebt und erlitten habe und, wie zu befürchten ist, auch noch weitere Jahre durchmachen muss, spottet jeder Beschreibung. Bis heute kann ich es immer noch nicht fassen, was man als fremdverschuldetes Unfallopfer alles ertragen muss. Dies ist eine Schande für dieses Land und den angeblichen Rechtsstaat Deutschland.
-
- Bei der Berufsunfähigkeitsrente geht es meist um sehr viel Geld. Nicht überraschend, dass Versicherer hier genau prüfen. Finanztest sagt, was beim Antrag zu beachten ist.
-
- Der Europäische Gerichtshof macht deutschen Gerichten Dampf: Käufer von Autos mit illegaler Motorsteuerung müssen viel häufiger Entschädigung bekommen, urteilte er.
-
- Zahlt der Versicherer nicht oder kürzt die Leistung, können Kunden die Schlichtungsstelle einschalten. Rund 50 Prozent der Beschwerden sind erfolgreich.
Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.