
Mehr Urlaub, reservierte Parkplätze, Steuervorteile: In unserem Special erklären wir, was der Schwerbehindertenausweis bringt und wie man ihn bekommt.
Das bringt der Schwerbehindertenausweis
Schwerbehindertenausweis – die Bezeichnung für das scheckkartengroße Dokument klingt für manche erst einmal abschreckend. Doch der Ausweis ist in vielen Lebensbereichen äußerst nützlich. Er bringt zum Beispiel steuerliche Erleichterungen, einen verbesserten Kündigungsschutz für Arbeitnehmer, in manchen Fällen das Recht auf kostenlose Fahrten mit Bus und Bahn oder ermäßigte Eintrittspreise für Schwimmbäder, Konzerte und Museen oder reduzierte Mitgliedsbeiträge für Sportvereine. Viele dieser sogenannten Nachteilsausgleiche sind gesetzlich im Sozialgesetzbuch IX geregelt.
Nicht alle beantragen den Schwerbehindertenausweis
Fast 8 Millionen Menschen haben einen Schwerbehindertenausweis, also etwa jeder Zehnte in Deutschland. Fachleute gehen davon aus, dass noch viel mehr Menschen schwerbehindert sind. „Aus den Beratungsstellen wissen wir, dass viele erst einmal versuchen, selbst mit den Auswirkungen der Behinderung fertig zu werden. Erst später erfahren sie, dass sie mit dem Ausweis Anspruch auf Nachteilsausgleiche haben“, sagt Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland.
Grad der Behinderung entscheidend

Ob jemand den Schwerbehindertenausweis bekommt und welche Vergünstigungen damit einhergehen, richtet sich nach dem Grad der Behinderung. Diesen stellt meist das zuständige Versorgungsamt auf Antrag der Betroffenen fest (Schritt für Schritt zum Ausweis). In Zehnerschritten von 20 bis 100 soll er ausdrücken, wie sehr sich gesundheitliche Schäden auf die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auswirken. Ab einem Grad von 50 gilt man als schwerbehindert und hat Anrecht auf den Ausweis. Dort wird der Grad unter dem Kürzel „GdB“ eingetragen.
In der Regel befristet
Es geht dabei nicht nur um die Diagnose – also ob jemand beispielsweise hörgeschädigt ist, eine Krebserkrankung hat oder querschnittsgelähmt ist – sondern vor allem darum, wie sich diese Einschränkungen auf das Leben des betroffenen Menschen auswirken.
Die Versorgungsämter vergeben den Schwerbehindertenausweis in der Regel befristet auf einige Jahre. Selbst ein gehörloser Mann hat keinen Anspruch darauf, dass ihm der Schwerbehindertenausweis unbefristet ausgestellt wird – obwohl eine Aussicht auf Besserung in seinem Fall nicht besteht. Das entschied Ende 2021 das Thüringische Landessozialgericht (Az. L 5 SB 1259/19). Die Gültigkeitsdauer beträgt in der Regel höchstens fünf Jahre, kann aber verlängert werden. Trotzdem lohnt sich der Antrag für viele.
Vorteile im Alltagsleben
Schwerbehinderte Menschen erhalten besondere Rechte, etwa im Berufsleben. Je nach Art der Behinderung können weitere Hilfen im Alltagsleben dazukommen. Sie werden als sogenannte Merkzeichen ebenfalls im Behindertenausweis eingetragen. Auch Patienten mit schweren Krankheiten wie etwa Krebs haben Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis, um sie zum Beispiel im Job vor Überlastung zu schützen.
Diese Rechte haben schwerbehinderte Berufstätige
- Ihnen stehen bei einer Fünf-Tage-Woche fünf zusätzliche Urlaubstage im Jahr zu.
- Sie müssen keine Überstunden machen, wenn sie das nicht wollen.
- Sie können ab dem Jahr 2021 bei der Einkommensteuer einen Pauschbetrag zwischen 384 und 2 840 Euro im Jahr je nach Behinderungsgrad geltend machen, mit den Merkzeichen H (hilflos), Bl (blind) oder Tbl (taubblind) sogar 7 400 Euro.
- Sie dürfen abschlagsfrei früher in Rente gehen, wenn ihr Schwerbehindertenausweis zum Zeitpunkt des Renteneintritts noch gültig ist oder höchsten drei Monate vorher abgelaufen ist.
- Sie genießen einen besonderen Kündigungsschutz.
Besser geschützt im Berufsleben
Wollen Unternehmen Personal abbauen, bringt der Schwerbehindertenausweis Vorteile: Arbeitgeber müssen in diesem Fall für ihre schwerbehinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst einmal prüfen, wie sie diese weiter beschäftigen könnten. Erst wenn alles versucht wurde und das zuständige Integrationsamt einer Kündigung zugestimmt hat, ist sie rechtens. Den besonderen Schutz am Arbeitsplatz genießen auch Menschen mit einem Grad der Behinderung von 30 oder 40. Sie müssen dazu üblicherweise bei der Agentur für Arbeit einen Antrag auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen stellen.
Mobil bleiben trotz Behinderung
Der Schwerbehindertenausweis hilft auch, mobil zu bleiben. Autobesitzer mit dem Merkzeichen aG (außergewöhnlich gehbehindert) zahlen beispielsweise weniger oder gar keine Kfz-Steuer und dürfen auf Behindertenparkplätzen parken, unter bestimmten Voraussetzungen sogar im Halteverbot oder in Fußgängerzonen, wenn etwa keine anderen Parkplätze frei sind. Dazu benötigen sie einen blauen Parkausweis, den sie bei der Straßenverkehrsbehörde am Wohnort beantragen können. Er gilt für alle europäischen Länder.
Befreiung von der Kfz-Steuer
Der Schwerbehindertenausweis verhilft je nach bewilligtem Merkzeichen zu einer verringerten Kfz-Steuer oder der kompletten Befreiung von dieser Steuer. Wer kein Auto hat, kann stattdessen kostenlos oder ermäßigt öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Die Freifahrt in Bus und Bahn muss extra beantragt werden. Dazu stellt das Versorgungsamt ein „Beiblatt“ im Bankkartenformat aus. Damit diese Karte als Fahrschein gilt, müssen die Berechtigten jedes Jahr eine neue Wertmarke aufkleben. Die ist je nach Merkzeichen kostenlos, oder sie kostet 91 Euro für ein Jahr.
Europa lässt auf sich warten
Der deutsche Schwerbehindertenausweis gilt im Ausland nicht, und auch umgekehrt erkennt die Bundesrepublik Ausweise aus anderen europäischen Ländern nicht als gleichwertig an. Momentan ist der blaue EU-Parkausweis die einzige grenzüberschreitende Regelung in Europa. Ansonsten bestimmt jedes Land für sich, wer als schwerbehindert anerkannt wird und welche Rechte sich daran anknüpfen.
Das Europaparlament hat im Oktober 2021 vorgeschlagen, die Europäische Union (EU) sollte einen Europäischen Behindertenausweis einführen, um den Behindertenstatus in der EU gegenseitig anzuerkennen.
Kostenloser Zugang zu barrierefreien sanitären Anlagen
Eine private Initiative ist da schon weiter: Seit 1986 existiert der „Euroschlüssel“, ein europaweites Schließsystem, das körperlich beeinträchtigten Menschen mit bestimmten Beeinträchtigungen oder Merkzeichen im Ausweis kostenlos Zugang zu barrierefreien sanitären Anlagen verschafft. Der Einheitsschlüssel öffnet Autobahn- und Bahnhofstoiletten, passt aber auch für öffentliche WCs in Fußgängerzonen, Museen und Behörden. Schwerbehinderte können ihn für 23 Euro plus Versandkosten beim Club Behinderter und ihrer Freunde in Darmstadt bestellen.

Kampfgeist und langer Atem
Wer einen Behindertenausweis beantragt, braucht Geduld: Das Verfahren kann sich über Monate hinziehen. Häufig stellt das Versorgungsamt zunächst nicht den für den Ausweis nötigen GdB von 50 fest und vergibt auch keine Merkzeichen. Sozialverbände wie der VdK helfen ihren Mitgliedern dann, Widerspruch einzulegen und vertreten sie falls nötig auch vor Gericht.
Keine Gnade, sondern Rechtsansprüche
VdK-Präsidentin Bentele, selbst von Geburt an blind, macht Mut: „Die Menschen sollen keine Angst und keine Scham haben. Es geht nicht darum, sich ungerechtfertigte Vorteile zu verschaffen. Der Ausweis und die damit verbundenen Nachteilsausgleiche sind keine von der Gesellschaft gnädig zugestandene Erleichterung. Es geht um Rechtsansprüche, für die wir lange kämpfen mussten.“
Tipp: In unserem Special Rente für schwerbehinderte Menschen lesen Sie, was Berufstätige beachten sollten, wenn sie früher in den Ruhestand gehen wollen.
Schritt für Schritt zum Ausweis – eine Anleitung
1. Zuständigkeit klären
In den meisten Bundesländern können Sie den Schwerbehindertenausweis beim Versorgungsamt beantragen. Die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales betriebene Seite „Einfach-teilhaben.de“ zeigt für jedes Bundesland, wo Sie die Formulare herunterladen oder online ausfüllen können. Wollen Sie zum ersten Mal einen Schwerbehindertenausweis beantragen, wählen Sie das Formular „Erstantrag“. Den „Neufeststellungsantrag“ benötigen Sie zum Beispiel, wenn die Einschränkungen durch eine Behinderung oder eine chronische Erkrankung wesentlich größer geworden sind und Sie einen höheren GdB oder bestimmte Merkzeichen im Ausweis benötigen.
2. Beraten lassen
Holen Sie sich fürs Ausfüllen des Antrags Hilfe, etwa von den Sozialdiensten der Rehakliniken, Gewerkschaften, dem Sozialverband VdK Deutschland oder dem Sozialverband Deutschland.
3. Mit Ärzten reden
Sagen Sie Ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten, dass Sie den Ausweis beantragen wollen. Sie müssen die Ärzte im Antrag nennen und von der Schweigepflicht entbinden, damit sie dem Amt Auskunft erteilen dürfen. Bitten Sie Ihre Ärzte um Befundberichte, Laborwerte und sonstige Unterlagen und um eine aussagefähige Stellungnahme. Darin sollen sie nicht nur Diagnosen nennen, sondern detailliert auf die daraus resultierenden Beeinträchtigungen alltäglichen Leben eingehen. Kündigen Sie an, dass eventuell Rückfragen vom Amt kommen werden.
4. Antrag ausfüllen
Nennen Sie nicht nur die „Hauptbehinderung“, sondern alle Krankheiten und anderen Aspekte, die Sie im Alltag einschränken. So kann eine gehbehinderte Person zum Beispiel zugleich auch Diabetes haben oder schlecht sehen. Je aussagekräftiger Ihr Antrag, desto besser kann das Amt prüfen. Wichtig: Auch die Merkzeichen wie Bl für blind müssen Sie extra beantragen. Legen Sie ein Passfoto für den Ausweis bei, wenn Sie mit einem Grad der Behinderung von 50 oder mehr rechnen. Nicht vergessen: Antrag unterschreiben.
5. Sortieren und nummerieren
Sammeln und sortieren Sie alle Unterlagen. Neben Befundberichten, Röntgenbildern und anderen medizinischen Dokumenten gehören zum Beispiel auch Anerkennungsbescheide einer Berufskrankheit oder eines Arbeitsunfalls dazu. Auch wenn Sie bereits anderswo Anträge gestellt haben, etwa beim Rentenversicherungsträger, fügen Sie dies Ihren Unterlagen bei.
Haben Sie mehrere gesundheitliche Beeinträchtigungen, achten Sie darauf, dass die Dateinamen eine klare Zuordnung der Dokumente ermöglichen. Wenn Sie Ihre Unterlagen in Papierform einreichen, legen Sie am besten einen Ordner mit mehreren Rubriken an. Ob Online oder Papier: Nummerieren Sie Ihre Dokumente durch. Das erleichtert die Verständigung, falls Rückfragen kommen.
6. Kopieren und absenden
Falls Sie Papier einreichen: Senden Sie medizinische Unterlagen nie im Original. Kopieren Sie den ausgefüllten Antrag mit allen Unterlagen einmal komplett, bevor Sie ihn abschicken. Auch wenn Sie Dateien hochladen, ist es für eventuelle Rückfragen oder für eine Beratung nützlich, das gesamte Paket einmal in Papierform parat zu haben.
7. Geduld haben
Oft dauert es Monate, bis Sie den Feststellungsbescheid erhalten. Wenn Sie mit diesem nicht einverstanden sind, legen Sie innerhalb eines Monats Widerspruch ein. Lassen Sie sich dafür beraten (siehe Punkt 2).
8. Arbeitgeber informieren
Haben Sie Ihren Schwerbehindertenausweis erhalten, informieren Sie umgehend Ihren Arbeitgeber, falls Sie in einem Anstellungsverhältnis arbeiten.
9. Erleichterungen organisieren
Haben Sie das Recht auf bestimmte Nachteilsausgleiche, dann besorgen Sie sich nun zum Beispiel den blauen Parkausweis. Sie bekommen ihn meist bei der Straßenverkehrsbehörde oder beim Ordnungsamt. Wer einen grün-orangefarbigen Schwerbehindertenausweis hat, erhält für den öffentlichen Nahverkehr eine Wertmarke beim Versorgungsamt.
Merkzeichen für Vergünstigungen
Merkzeichen |
Wer es bekommt |
Was es bringt (Beispiele) |
G = erheblich gehbehindert |
Menschen, die zu Fuß sehr eingeschränkt sind und Strecken von zwei Kilometern nicht ohne große Schwierigkeit schaffen. |
|
aG = außergewöhnlich gehbehindert |
Wer sich nur mit fremder Hilfe oder unter äußerster Anstrengung fortbewegen kann und auf die Mobilität bezogen einen Behinderungsgrad von 80 hat. |
|
H = hilflos |
Menschen, die im Alltag Hilfe brauchen, etwa beim Anziehen oder Essen. Generell bei schwerer Beeinträchtigung wie Blindheit oder Querschnittslähmung. |
|
Bl = blind |
Wenn das Augenlicht vollständig fehlt oder die Sehschärfe auf beiden Augen und bei beidseitiger Sehprüfung nicht mehr als ein Fünfzigstel beträgt. |
|
Gl = gehörlos |
Menschen, die auf beiden Ohren taub sind. Als gehörlos gelten auch stark Schwerhörige mit schweren Sprachstörungen. |
|
Tbl = taubblind |
Ab einem Grad der Behinderung von 70 wegen Hörstörung und 100 wegen Sehstörung. |
|
B = Begleitung erforderlich |
Wer in Bus und Bahn regelmäßig Hilfe beim Ein- und Aussteigen, bei der Orientierung oder während der Fahrt braucht. |
|
RF = Befreiung vom Rundfunkbeitrag |
Wer aufgrund der Behinderung ständig von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen ist. |
|
- 1
- Fällig wird eine Jahresgebühr von 91 Euro für eine Wertmarke.
- 2
- Notwendig ist eine kostenlose Wertmarke für den Ausweis.
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9 Kommentare Diskutieren Sie mit
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@tuedenhalter: Das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen H kann auch von Menschen im Rentenalter mit einer Demenzerkrankung erfüllt werden. Aber nicht jede diagnostizierte Demenz führt zu einer Anerkennung des Merkzeichens. Nur wer länger als sechs Monate Hilfe bei Alltagsverrichtungen wie Anziehen oder Essen benötigt, kann das Merkzeichen „H“ eingetragen bekommen. Lassen Sie sich auch in diesem Fall von einem der o.g. Beratungseinrichtungen bei der Antragstellung unterstützen.
Direkte Frage: ist es aussichtsreich, für Rentner mit dementiellem Syndrom, die Orientierungsprobleme haben, einen Schwerbehindertenausweis mit den Merkmalen "Hilflos" und "Begleitung erforderlich" zu bekommen? Oder gelten die Kriterien nur für Menschen im arbeitsfähigen Alter?
Die Jahresgebühr für eine Wertmarke für den ÖPNV beträgt sehrwohl 80 Euro, für ein halbes Jahr 40 Euro. Wer Hartz4 bezieht oder Rente bekommt nach dem 9 SGB, bekommt die Marke auch kostenlos.
@Gutmensch: Wir haben zur Frage, ob ein EU-Parkausweis ohne Befristung erhältlich ist (und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen) noch nicht berichtet. Bitte wenden Sie sich an Ihre Straßenverkehrsbehörde. Diese ist für die Ausstellunge der EU-Parkausweise zuständig. (maa)
Mir fehlen weitere Erläuterungen zum blauen EU-Parkausweis für Schwerbehinderte.
Kann dieser Parkausweis auch unbefristet erteilt werden?