
Völlig zertrümmert: Karl-Heinz H.s Rennrad. Ein Raser rammte ihn. Der Rennradfahrer überlebte. Seit Jahren fordert er Entschädigung. Bisher ohne Erfolg. © Privat
Ausgerechnet nach schweren Unfällen gibt es oft Streit mit der Versicherung. test.de dokumentiert Berichte von Lesern und gibt Hinweise zur Rechtslage.
Streit um hohe Entschädigung
Ausgerechnet bei schwer verletzten Opfern von Unfällen oder nach Behandlungsfehlern verweigern Haftpflichtversicherer zunächst oft die Entschädigung. Anwälte und Opfer haben den Verdacht: Das hat System. Fest steht: Die Rechtslage ist ungünstig für Opfer. Sie haben oft schlechte Chancen, ihre Rechte gegen den Versicherer durchzusetzen.
Branche unter Verdacht
Aus Sicht der Versicherer gibt es kein Problem. Über 99 Prozent der Fälle im Schaden-Unfall-Bereich regulierten die Versicherer reibungslos, erklärt Bernhard Gause, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GdV), auf Anfrage von test.de. Anwälte und Opfer schwerer Unfälle sehen das anders. Sie glauben, die Versicherer versuchen, hohe Schadenersatzzahlungen nach Kräften zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Zahlreiche Leser haben sich an test.de gewandt und ihre Fälle geschildert. Viele sind davon überzeugt: Der zuständige Versicherer hat die Regulierung ganz oder teilweise zu Unrecht verweigert. Oft habe sich der Streit um die Entschädigung über viele Jahre hingezogen. Ausnahmslos geht es um Unfälle, bei denen die Opfer schwere Verletzungen erlitten. Ein Teil der Betroffenen ist jetzt erwerbsunfähig und/oder schwer behindert und hat auch Jahre nach dem Unfall noch keine Entschädigung enthalten.
Opfer haben es schon von Rechts wegen schwer
Schon von Rechts wegen haben es Opfer im Streit mit dem zuständigen Haftpflichtversicherer schwer: Sie müssen alle Voraussetzungen für die Haftung des Versicherers darlegen und mögliche Beweise nennen. Wenn der Versicherer nicht von sich aus vollständig zahlt, bleibt ihnen nur, vor Gericht zu ziehen. Die Gerichtskosten müssen sie vorstrecken. Bei einer 50 000-Euro-Klage sind 1 638 Euro nötig, damit das Gericht die Klage überhaupt nur zustellt. Geht es um Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 200 000 Euro, steigen die Gerichtskosten für die erste Instanz auf 5 238 Euro. Später im Verfahren sind als Beweis in der Regel ärztliche Gutachten notwendig, die oft vierstellige und im Einzelfall sogar fünfstellige Beträge kosten können: zahlbar sofort – sonst fängt der Gutachter gar nicht erst an. Wer keine Rechtsschutzversicherung hat, kann es sich oft gar nicht leisten, den Versicherer in die Pflicht zu nehmen, und muss mit dem zufrieden sein, was das Unternehmen von sich aus zahlt. Menschen mit sehr geringem Einkommen hilft die Prozesskostenhilfe. Doch schon wer wenig mehr als das Existenzminimum verdient, muss sich mit Ratenzahlungen an den Verfahrenskosten beteiligen.
Wenig Entschädigung als Wettbewerbsvorteil
Sicher ist: Für Versicherer lohnt es sich, wenig Schadenersatz zu zahlen. Zwar können sie bei der Schadensregulierung auf die Beiträge ihrer Kunden zurückgreifen. Doch je mehr sie auszahlen, desto höher müssen die Beitragseinnahmen sein, und desto schwerer wird es für den Versicherer, Gewinne zu erwirtschaften und mit günstigen Angeboten neue Kunden zu gewinnen. Zumindest große Versicherer schließen nur für Schäden im weit siebenstelligen Bereich so genannte „Rückversicherungen“ ab. Solche Versicherungsverträge regeln, dass bei besonders hohen Schäden letztlich ein anderes Versicherungsunternehmen einspringt. Doch selbst wenn die Rückversicherung die Kosten übernimmt, muss meist auch der Haftpflichtversicherer zahlen. Der zukünftige Beitrag für den Rückversicherer hängt nämlich in der Regel davon ab, wie viele Schäden jenseits der Rückversicherungsgrenze angefallen sind.
Versicherer haben Pflicht zur genauen Prüfung
Andererseits dürfen die Versicherer auch nur dann zahlen, wenn Geschädigte belegen, dass ihre Forderungen berechtigt sind. So schreibt es das Versicherungsvertragsgesetz vor. Gegen unberechtigte Forderungen des Opfers müssen die Unternehmen ihre Versicherungsnehmer verteidigen. Wenn sich nicht klären lässt, ob und für welche Schäden ein Versicherer einzustehen hat, gibt’s kein Geld. Im Zweifel haben die Opfer also das Nachsehen.
Erschütternde Fälle
Nach einem Leseraufruf der Stiftung Warentest hat sich eine ganze Reihe Betroffener mit zum Teil erschütternden Schilderungen gemeldet. Die Fälle rechtlich zu beurteilen, ist kaum möglich. Dazu müsste jeweils die ganze Akte vorliegen und von Juristen und oft auch Medizinern akribisch geprüft werden. Dies übersteigt die Möglichkeiten der Stiftung Warentest. Stattdessen dokumentieren wir die Schilderungen Betroffener. Sie erlauben zwar meist kein abschließendes Urteil. Sie zeigen aber, wie schwer Opfer zu ihrem Recht zu kommen, und wie sehr sie darunter leiden, wenn sie trotz schwerer Verletzungen oder sogar Behinderungen über Jahre hinweg keine oder nur geringe Entschädigung erhalten.
Haben Sie Ähnliches erlebt? Schicken Sie Ihren Bericht bitte an: schadensregulierung@stiftung-warentest.de.
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