
Wenn beide Beteiligten eine Mitschuld trifft, verschenken Fahrer mit Vollkaskoschutz bei der Regulierung oft viel Geld. © Getty Images / Andrey Popov
Vollkaskoversicherte verschenken nach Unfall oft bares Geld. Git es eine Mitschuld, holen sie mit dem Quotenvorrecht leicht über 1 000 Euro mehr raus. So funktioniert es.
Haftungsquoten bei Teilschuld
Wer hat Schuld? Wenn die Antwort „Jeder ein bisschen“ lautet, müssen beide Unfallbeteiligte einen Teil des Schadens tragen. Das heißt nicht, dass sie ihren Schaden selbst zahlen. Vielmehr springen zunächst die Kfz-Haftpflichtversicherer über Kreuz ein. Wie viel welcher Versicherer übernimmt, richtet sich nach der Höhe der Teilschuld. Meist einigen sich beide auf Haftungsquoten, zum Beispiel 20, 30 oder auch 50 Prozent. Dann bleiben beide Fahrer auf einem hohen Eigenanteil sitzen – auch wenn sie eine Vollkasko haben.
Unser Rat
Quotenvorrecht. Sie tragen eine Mitschuld am Autounfall? Und Sie haben eine Vollkaskoversicherung? Dann ist es günstiger, wenn Sie den Schaden vorrangig über Ihre Vollkasko regulieren. Die Schadenspositionen, die sie nicht trägt, machen Sie beim Kfz-Haftpflichtversicherer Ihres Unfallgegners geltend.
Mitschuld. Einige Versicherer versuchen alles, Ihnen eine Mitschuld zu unterstellen, gern wegen der grundsätzlichen „Betriebsgefahr“ eines Autos. Das ist oft überzogen. Dann hilft nur ein Anwalt – erst recht, wenn der Versicherer Sie mit Verweis auf die zusätzlichen Kosten davon abhalten will.
Honorar. Liegt eine Mitschuld vor, muss auch der Unfallgegner entsprechend der Teilschuld anteilig das Anwaltshonorar mitbezahlen.
Falscher Regulierungsweg kann Kunden wie Versicher viel Geld kosten
Bei der Regulierung wählen viele Versicherer, und oft auch Anwälte, den falschen Weg. Das kann die Kunden Hunderte Euro kosten. Der Fehler: Die Kfz-Haftpflicht trägt den Schaden des Gegners entsprechend der Mitschuld. Auf dem Rest bleiben die Beteiligten sitzen. Wir zeigen: Wer dies clever mit der eigenen Vollkasko kombiniert, spart viel.
Beispiel: Ein alter VW-Golf und ein Porsche krachen ineinander. Beide Fahrer haben zu 50 Prozent Teilschuld. Die Reparatur am Golf kostet 800 Euro, die am Porsche 18 000 Euro. Nach dem üblichen Verfahren zahlt die Kfz-Haftpflichtversicherung des Porsche 400 Euro an den Golffahrer. Dessen Kfz-Haftpflicht zahlt 9 000 Euro an den Porschebesitzer. Dann stufen beide Versicherer den Schadenfreiheitsrabatt ihrer Kunden zurück.
Schaden lieber vorrangig über die eigene Vollkasko regulieren
Beide Beteiligte bekommen nur 50 Prozent ersetzt. Den Rest müssen sie selbst zahlen. „Kein Problem“, glauben Autobesitzer mit Vollkaskopolice: „Die übrigen 50 Prozent hole ich mir von dort.“ Doch das klappt nur teilweise. Die Vollkasko bezahlt zwar die Reparatur. Sie greift aber nicht für weitere Kosten wie Abschleppen, Sachverständige, Nutzungsausfall oder Mietwagen. Sie gleicht auch die Wertminderung nicht aus, die das Auto nach einer Reparatur meist hat. Außerdem zieht sie den Selbstbehalt ab, in vielen Policen 300 oder 500 Euro. Was viele Autofahrer nicht wissen: Es ist deutlich günstiger, den Schaden vorrangig über die eigene Vollkasko zu regulieren und den Rest von der gegnerischen Haftpflicht zu holen. Das bringt oft über tausend Euro.
Quotenvorrecht: Selbst vielen Anwälten unbekannt
Das Schlüsselwort heißt Quotenvorrecht. Selbst viele Rechtsanwälte kennen diesen Weg der Schadenregulierung nicht, obwohl er für den Klienten günstiger ist. Wer eine Vollkasko hat und eine Teilschuld bekommt, sollte darüber Bescheid wissen.
Beispiel: Markus Müller trägt an einem Auffahrunfall 50 Prozent Mitschuld. Sein Schaden beläuft sich auf 5 600 Euro:
- 4 000 Euro Reparatur,
- 350 Euro Abschleppen,
- 530 Euro für den Gutachter,
- 400 Euro Wertminderung,
- 300 Euro Nutzungsausfall,
- 20 Euro, die er als Pauschale für seine Auslagen – zum Beispiel Telefonate und Porto – geltend machen kann.
Kfz-Haftpflicht zahlt die Hälfte
Wenn Müller nun bei der Regulierung den Weg wählt, den viele Autofahrer gehen, wendet er sich an die gegnerische Haftpflichtversicherung. Sie ersetzt entsprechend seiner Mitschuld die Hälfte, also 2 800 Euro. Wegen der anderen Hälfte nimmt er seine Vollkasko in Anspruch. Für sie bleiben noch 50 Prozent des Schadens zu regulieren, da die gegnerische Versicherung ja bereits die anderen 50 Prozent bezahlt. Dennoch bekommt Müller deutlich weniger als diese 50 Prozent. Weil Vollkaskopolicen in der Regel nur für die reinen Reparaturkosten greifen, stehen Müller im vorliegenden Fall lediglich 2 000 Euro zu. Davon zieht die Versicherung die Selbstbeteiligung ab, bei Müller 500 Euro. So erhält er am Ende nur 1 500 Euro. Im Ergebnis bekommt er von beiden Versicherern insgesamt 4 300 Euro. Damit bleibt er auf 1 300 Euro Kosten sitzen.
1 140 Euro mehr bekommen
Viel besser sieht es für ihn aus, wenn er sein Quotenvorrecht nutzt. Er wendet sich zunächst an seine Vollkaskoversicherung. Dann muss sie nicht nur den halben Schaden übernehmen, sondern die vollen 4 000 Euro Reparaturkosten. Abzüglich 500 Euro Selbstbeteiligung bekommt Müller 3 500 Euro. Als nächstes geht er wegen der übrigen Schadenpositionen, die die Vollkasko nicht ersetzt, zur Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners. Sie hat noch nichts bezahlt, steht aber wegen der Mitschuld ihres Kunden in der Leistungspflicht – in diesem Fall maximal bis zur Höhe des Gesamtschadens.
Versicherer ersetzt höhere Quoten
Hier greift nun das Quotenvorrecht: Der Haftpflichtversicherer muss die übrigen Schadenpositionen übernehmen – und nicht nur anteilig, im Beispiel zu 50 Prozent, sondern in einigen Punkten sogar zu 100 Prozent. Das gilt für Selbstbeteiligung, Abschleppen, Wertminderung und Sachverständigenkosten. Den Nutzungsausfall hingegen muss der Kfz-Versicherer nur anteilig ersetzen, ebenso die Unkostenpauschale. Im Beispiel sieht die Erstattung so aus:
- 500 Euro Selbstbeteiligung (100 Prozent),
- 350 Euro Abschleppen (100 Prozent),
- 530 Euro Gutachter (100 Prozent),
- 400 Euro Wertminderung (100 Prozent),
- 150 Euro Nutzungsausfall (50 Prozent),
- 10 Euro Unkostenpauschale (50 Prozent).
Das sind insgesamt 1 940 Euro. Jetzt sieht die Rechnung für Müller viel besser aus: 3 500 Euro von der Vollkasko plus 1 940 Euro vom gegnerischen Versicherer – macht zusammen 5 440 Euro. Das sind deutlich mehr als die 4 300 Euro, die er beim herkömmlichen Weg der Schadenregulierung erhalten hätte. Mithilfe des Quotenvorrechts bleibt er nicht auf 1 300 Euro Kosten sitzen, sondern nur auf 160 Euro.
Selbst für die gegnerische Versicherung lohnt sich dieser Weg oft ...
Die Regulierung über das Quotenvorrecht ist wenig bekannt. Schließlich scheint es auf den ersten Blick befremdlich, dass die gegnerische Versicherung Schadenquoten zahlt, die über der Mitschuldquote ihres Kunden liegen. Der Berliner Rechtsanwalt Marcus W. Gülpen erklärt: „Letzten Endes kommt sie aber bei diesem Weg häufig besser weg, als wenn sie von vornherein ihren Anteil bezahlen müsste.“ Das ist auch im Beispielfall so: Hier muss sie 1 940 Euro leisten statt 2 800 Euro. Diese 2 800 Euro sind gleichzeitig die Maximalgrenze für die Zahlungspflicht des gegnerischen Kfz-Versicherers. Er darf beim Quotenvorrecht nicht schlechter gestellt werden als bei der herkömmlichen Abrechnung.
... auch wenn sie sich am Rückstufungsschaden beteiligen muss
Was Pechvogel Müller jedoch bei beiden Wegen der Schadenregulierung hinnehmen muss, ist die Rückstufung seines Schadenfreiheitsrabatts. Er rutscht nach der Regulierung in eine schlechtere Schadenfreiheitsklasse (SF) und zahlt daher in den nächsten Jahren mehr Beitrag. Doch daran kann er die gegnerische Versicherung beteiligen. Sie muss auch den Rückstufungsschaden entsprechend der Teilschuld ihres Kunden ersetzen, hier also 50 Prozent – das gilt allerdings nur für die Rückstufung in der Vollkasko, nicht für die in der Kfz-Haftpflicht.
Beispiel: Müller war bisher in SF 15 und zahlte 380 Euro jährlich für die Vollkasko. Nun fällt er zurück in SF 7 und muss im nächsten Jahr 502 Euro berappen. Auch in den Folgejahren zahlt er mehr als ohne Rückstufung.Die Hälfte dieses Mehrbetrags muss der gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherer übernehmen. Wie viel genau, ist oft strittig und in aller Regel auch nicht abschließend zu beziffern. Schließlich kann es in der nächsten Zeit weitere Schäden und weitere Rückstufungen geben.
Bescheinigung der Vollkasko genügt meist
Doch viele Autoversicherer regeln dies pragmatisch, berichtet Verkehrsrechtsexperte Gülpen: „Wenn der Unfallgeschädigte eine Bescheinigung seiner Vollkasko vorlegt, die den künftigen Rückstufungsschaden ausweist, wird in der Regel der anteilige Betrag überwiesen.“
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Dieser Artikel hat mich mehr als fasziniert: - ich darf a l s o ggf. wählen,
wie ich meine bzw. gegnerische Versicherung z. Regulierung
zu meinem Vorteil ansprechen darf !??
Das wäre ja endlich 'mal sone Idee der Augenhöhe,
zw. mir als Anspruchsteller u. eigener bzw. gegnerischer Kfz-Versicherung, oder ?
Ganz besonders gefällt mir Ihre, der Stiftung-Aussage,
die Versicher täten pragmatisch regeln,
den anteiligen Beitrag zu erstatten, f. zukünftigen Rückstufungsbetrag !!!
Hammer (!) - kann ich nur sagen zu Ihrem, der Stiftung-Beitrag,
wenn das alles so gehen sollte (!).
Denne ! -
- damit dürften viele liebe Leutz finanzieren können das Abo zu finanzTest, oder ??
m. viel freu
grüßt Sie der / Ihr
fri3dolin
@Merapi: Das Quotenvorrecht ergibt sich aus § 86 Abs. 1 Satz 2 VVG. Der Vollkaskoversicherte hat sich den Erhalt der Kaskoleistungen durch höhere Beiträge erkauft. Ihm steht dieser erkaufte Vorteil in erster Linie zu (und erst in zweiter Linie dem Versicherer). Das Quotenvorrecht reduziert also nicht automatisch den zu ersetzenden Schaden durch die Gegenseite. Die Gegenseite ist dazu verpflichtet, maximal die ersatzfähigen Positionen entsprechend der Haftungsquote ausgleichen, mit oder ohne Quotenvorrecht. (maa)
... warum der gegnerische HP-Versicherer bei einigen Positionen aufgrund des Quotenvorrechts 100 % zu zahlen verpflichtet sein soll, bei anderen Postionen jedoch weiterhin nur entsprechend der Quote.
Das kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.
Gibt es entsprechende Urteile, aus denen das abgeleitet wurde?
Wenn Sie eine Begründung nachliefern, wird es für Betroffene sicher einfacher, diese Positionen auch in voller Höhe beim gegnerischen HP-Versicherer durchzusetzen.
Vorab ein herzliches Dankeschön!
Ganz toller Tipp für den Fall des Falles. Selbst wenn der (Un-) Fall nicht eintritt, hat sich Finanz-Test allein für den Hinweis auf diese Möglichkeit schon gelohnt!