
Seit gut fünf Jahren bekannt: VW hat allein in Deutschland 2,5 Millionen Autos mit illegaler Motorsteuerung ausgeliefert. Auf dem Prüfstand funktionierte die Abgasreinigung korrekt, im Alltagsbetrieb schaltete die Motorsteuerung sie ab. Jetzt hat erstmals der Europäische Gerichtshof geurteilt: Das ist klar illegal. Auch Millionen weiterer Autos dürften betroffen sein. Ebenfalls heute urteilte der Bundesgerichtshof: Schadenersatzforderungen gegen VW sind oft bereits Anfang 2019 verjährt.
Aktuell
Was hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden?
Die Richter am EuGH in Luxemburg haben geurteilt: Eine illegale Abschalteinrichtung liegt auch dann vor, wenn für Prüfstandbedingungen die Abgasreinigung gegenüber Fahrten im normalen Straßenverkehr verbessert wird. Das gilt auch, wenn die Abgasreinigung auch dann korrekt funktioniert, wenn bei normalen Fahrten im Einzelfall zufällig die Prüfstandbedingungen vorliegen. Zentrale Ansage der EuGH-Richter: „Die Verordnung Nr. 715/2007 verbietet ausdrücklich die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen unter normalen Nutzungsbedingungen verringern.“ Dabei ist egal, ob es um physische Bauteile oder Software geht, ob der Ausstoß von Schadstoffen durch Einfluss auf den Verbrennungsvorgang wie etwa bei der Rückführung von Abgasen oder nachträglich durch Einspritzung von Ad-Blue in die Abgase reguliert wird. So oder so handele es sich um ein Emissionskontrollsystem, das im normalen Fahrbetrieb genau so aktiv sein muss, wie bei den Prüfstandsfahrten. Auch erhöhter Verschleiß oder zusätzlicher Wartungsaufwand rechtfertigt es nicht, die Abgasreinigung zu verringern oder abzuschalten oder umgekehrt nur für Prüfstandbedingungen die Abgasreinigung zu verbessern.
Ein französischer Ermittlungsrichter hatte bei Ihnen nachgefragt, wie die Regelungen zur Typzulassung in den EU-Richtlinien zu verstehen sind. VW-Juristen hatten die Meinung vertreten: Es liege gar keine illegale Abschaltung der Abgasreinigung vor. Das französische Strafverfahren gegen VW-Verantwortliche kann jetzt weitergeführt werden. Weitere Einzelheiten dazu unten unter „EuGH will Autohersteller verurteilt sehen“.
Doch die Bedeutung des Urteils reicht wohl noch viel weiter: Nach den strengen Vorgaben dürfte so ziemlich jede Motorsteuerung für Dieselmotoren bis einschließlich Euro 6c illegal sein. Sogar die von VW nach Bekanntwerden des Skandals neu entwickelten Motorsteuerungen werden den Anforderungen des EuGH wohl nicht gerecht. Die Hersteller hatten die Abgasreinigung in zahlreichen Fällen reduziert. So funktionierte sie oft nur bei Lufttemperaturen zwischen beispielsweise 15 und 32 Grad wie unter Prüfstandsbedingungen oder wurde sie bei bei einem Absinken des Luftdrucks auf Werte verringert, wie er in einer Höhe von etwa 1 000 Metern über Normalnull herrscht.
Technischer Hintergrund: Der Schadstoffausstoß von Autos für die Typzulassung war zu messen, in dem auf dem Prüfstand eine Fahrt mit exakt festgelegten Bedingungen simuliert wurde. Dabei waren Geschwindigkeit und Beschleunigung viel geringer als im normalen Fahrbetrieb üblich. Unter diesen Bedingungen war es möglich, die damals vorgeschriebenen Grenzwerte durch Rückführung eines Teils der Abgase in den Ansaugtrakt einzuhalten. Dadurch verringert sich die Menge an zündfähigem Gemisch im Zylinder und sinken damit Druck und Temperatur im Motor und entsteht weniger Stickoxid. Allerdings sinkt auch die Leistung und erhöht sich der Verschleiß.
Später bei Euro6-Motoren eingesetzte SCR-Katalysatoren funktionierten im Prinzip auch bei höheren Drehzahlen und Temperaturen, verbrauchten dann aber viel Ad-Blue. Wartungsaufwand und Verschleiß nahmen ebenfalls zu. Die Autohersteller verringerten deshalb bei Bedingungen jenseits der Prüfstand auch gern die Einspritzung von Ad-blue und nahmen einen erhöhten Stickoxid-Ausstoß in Kauf.
Was hat der Bundesgerichtshof (BGH) aktuell zur Verjährung entschieden?
Die Ersatzansprüche von Skandalautobesitzern gegen VW wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung sind regelmäßig am 31.12.2018 verjährt, wenn sie bereits 2015 erfahren haben, dass sie eins der Skandalautos erworben haben, bei denen die Motorsteuerung den Schadstoffausstoß nur bei Fahrten unter Prüfstandbedingungen wie vorgeschrieben begrenzt, und sie die Verjährung nicht rechtzeitig gestoppt haben. Genauer als bereits 2015 bekannt, mussten betroffene Autobesitzer nicht Bescheid wissen, damit die Erhebung der Schadenersatzklage gegen VW zumutbar ist. Zu Fällen, in denen Autobesitzer erst später erfuhren, dass ihr Wagen in den VW-Skandal verwickelt ist, äußerten sich die Bundesrichter nicht. Die Verjährung beginnt nicht nur, wenn potenzielle Kläger alle wichtigen Umständen kennen, sondern auch dann, wenn er die Kenntnis „...ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste“, wie es in § 199 Abs. 1 Nr. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs heißt. Ob es grob fahrlässig ist, wenn Autobesitzer nicht bereits 2015 wie von VW online angeboten geprüft haben, ob ihr Wagen eine illegale Motorsteuerung hat, bleibt zunächst offen. Auch zum so genannten Restschadensersatzanspruch, der erst nach 10 Jahren verjährt, äußerten die Bundesrichter sich nicht.
Anmeldungen zur VW-Musterfeststellungsklage nach Jahresbeginn 2019 sind wahrscheinlich noch rechtzeitig gewesen. Die große Mehrheit aller Juristen meint: Die Anmeldung wirkt auf den Zeitpunkt der Klageerhebung am 1. November 2018 zurück. Weitere Einzelheiten dazu unten in der Antwort auf die Frage: „Ich habe bisher nichts unternommen. Kann ich die Verjährung von Schadenersatzforderungen gegen VW stoppen oder ist es zu spät?“.
Die bisherigen Urteile des Bundesgerichtshofs
Wie hat der Bundesgerichtshof (BGH) über den VW-Skandal geurteilt?
Das oberste deutsche Zivilgericht hat VW dazu verurteilt, den Käufer eines Autos mit Turbodieselmotor vom Typ EA189 zu entschädigen. Er erhält den Kaufpreis zurück, muss sich aber den Abzug einer Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer gefallen lassen. In einem weiteren Fall muss das Oberlandesgericht Braunschweig neu verhandeln, so wie geschehen, durften die Richter dort die Klage laut BGH nicht abweisen. In zwei weiteren Fällen scheiterte die Klagen vollständig. Ein Skandalauto hatte schon mehr Kilometer hinter sich, als von solchen Wagen insgesamt erwartet werden darf. Der Besitzer des anderen Wagen hatte ihn erst nach Bekanntwerden des Skandals am 22. September 2015 erworben. Außerdem stehe VW-Skandalopfern keine Verzinsung des für den Wagen gezahlten Geldes zu, urteilten die Richter am Bundesgerichtshof. Etliche Oberlandesgerichte hatten verbraucherfreundlicher geurteilt als jetzt der Bundesgerichtshof.
Wie begründen die Bundesrichter ihre Urteile?
VW habe Käufer der Skandalautos vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt, indem das Unternehmen vortäuschte, dass die leistungsstarken und effizienten Dieselmotoren vom Typ EA189 gleichzeitig auch so sauber und umweltfreundlich wie vorgeschrieben sind. Schon der Kauf eines solchen Wagens stelle einen Schaden dar, weil die Behörden wegen der illegalen Steuerung des Motors den Betrieb untersagen können.
Es sei davon auszugehen, dass die VW-Führung Bescheid wusste, argumentierten die Bundesrichter in Karlsruhe weiter. VW hatte stets erklärt: Es werde noch untersucht, wer genau die Machenschaften zu verantworten hat und was die VW-Führung davon wusste. Das reichte nicht, um eine Verurteilung zu verhindern. Nur wenn VW lückenlos hätte erklären können, dass untergeordnete Mitarbeiter verantwortlich sind und den nach dem Aktiengesetz verantwortlichen Topmanagern kein Vorwurf zu machen ist, hätte nicht das Unternehmen, sondern nur direkt verantwortliche Mitarbeiter Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zahlen müssen.
Käufer von Skandalautos erhalten aber nicht den vollen Kaufpreis zurück. Sie müssen eine Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer zahlen. Es gehe darum, Schäden auszugleichen und nicht, den Schädiger zu bestrafen und Opfer besser zu stellen, als sie bei korrektem Verhalten von VW gestanden hätten. Deshalb haben Skandalopfer kein Recht darauf, den vollständigen Kaufpreis zurückzubekommen, obwohl sie den Wagen jahrelang und zum Teil viele Hunderttausend Kilometer weit gefahren sind.
Gegen die Berechnung der Nutzungsentschädigung durch die Verteilung des Kaufpreises auf die Kilometer, die von dem jeweiligen Wagen insgesamt zu erwarten sind, ist nach Auffassung der Bundesrichter in Karlsruhe nichts einzuwenden. Welche Gesamtlaufleistung zu berücksichtigen ist, dürfen die Instanzgerichte schätzen.
Wie die Nutzungsentschädigung genau zu berechnen ist, erklären wir weiter unten in der Antwort auf die Frage „Wie wird die Nutzungsentschädigung berechnet, die VW vom zu erstattenden Kaufpreis abziehen darf?“
Ein Recht auf Verzinsung des Kaufpreises stehe VW-Skandalopfern nicht zu, weil sie ihre Autos genau wie vorgesehen nutzen konnten. Nur wenn die Behörden die Skandalautos tatsächlich aus dem Verkehr gezogen hätten, stünde den Besitzern ein Recht auf Verzinsung des Kaufpreises zu, argumentierten die Bundesrichter.
Kläger erhalten allerdings zumindest so genannte „Prozesszinsen“ und oft auch Verzugszinsen. Spätestens ab Zustellung der Klageschrift und oft auch ab Ablauf der VW für die Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsenschädigung gesetzten Frist muss VW Zinsen in Höhe von fünf Punkten über dem Basiszinssatz auf den jeweils geschuldeten Betrag zahlen. Die Berechnung ist kompliziert. Die Gerichte müssen die Zinsen für jeden Tag einzeln ermitteln, siehe dazu unten die Antwort auf die Frage „Unterstellt, ich habe ein Anrecht auf Schadenersatz: Was kann ich dann vom Hersteller verlangen?“.
Und: Besitzer, die ein betroffenes Auto erst nach Bekanntwerden des VW-Skandals im September 2015 erworben haben, gehen leer aus. Autokäufer mussten nach Ansicht der Bundesrichter Verdacht schöpfen und waren nicht mehr arglos, als sie trotz der Informationen über den Skandal eines der betroffenen Autos erwarben.
Gelten die bisherigen Bundesgerichtshofs-Urteile auch für andere Skandalauto-Besitzer?
Nein, jedes Urteil gilt direkt nur für den einen Fall, den die Richter beurteilt haben. Richter, die über andere VW-Skandalfälle zu entscheiden haben, sind daran nicht gebunden. Allerdings: Wenn Gerichte die entscheidenden Rechtsfragen anders als der Bundesgerichtshof beurteilen wollen, müssen sie zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung Rechtsmittel zulassen. Der Fall würde der Fall dann letztlich wieder beim VI. Senat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe landen. Der BGH würde bei gleicher Sachlage solche Urteile aufheben. Die Land- und Oberlandesgerichte beachten deshalb in aller Regel die Vorgaben der Bundesrichter in Karlsruhe.
Was sollten VW-Skandalopfer unternehmen, wenn Sie nach dem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs gute Chancen auf Schadenersatz haben?
Sie sollten zunächst selbst von VW Schadenersatz fordern. Dabei helfen die Mustertexte samt ausführlicher Hinweise, die test.de für die wichtigsten Konstellationen entwickelt hat. Es ist gut möglich, dass VW anders als bisher künftig schon auf solche außergerichtlichen Forderungsschreiben hin zahlt, um Rechtsanwaltshonorare und Gerichtskosten zu sparen. Wenn das nicht klappt, bleibt nur, rechtliche Schritte gegen VW einzuleiten, sofern etwaige Rechte nicht bereits verjährt sind.
Wie will sich VW jetzt verhalten?
Der Autokonzern will zumindest Skandalopfern Entschädigungen anbieten, die bereits Klage erhoben haben. Sie sollen eine pauschale Entschädigung erhalten, ohne den Wagen zurückzugeben. Entschädigungsangebote von VW sollten Skandalautobesitzer mit Hilfe unseres Entschädigungsrechners (s. u.) und der Informationen hier sorgfältig prüfen. Wer noch keinen Anwalt eingeschaltet hat, darf zunächst ruhig etwas mehr fordern. Immerhin spart VW etliche Tausend Euro Anwaltshonorar, wenn sich der Fall so regeln lässt. Bleibt das VW-Angebot unbefriedigend oder für Sie undurchsichtig, können Sie immer noch einen Rechtsanwalt einschalten.
Kundenrechte gegenüber dem Hersteller
Kann ich als Besitzer eines Autos mit illegaler Motorsteuerung Schadenersatz vom Hersteller verlangen?
Nach dem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs gilt: Besitzer von Skandalautos aus dem VW-Konzern haben Anspruch auf Schadenersatz wegen vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung, siehe oben die Fragen und Antworten zu den bisherigen Urteilen des Bundesgerichtshofs zum VW-Skandal.
Damit steht aber noch nicht fest, ob überhaupt und wenn ja, in welchen Fällen andere Autohersteller haften und VW womöglich auch wegen später hergestellter Autos Schadenersatz zahlen muss. Nicht jeder Besitzer eines Autos mit illegaler Motorsteuerung hat ein Recht auf Schadenersatz. Der jeweilige Hersteller muss vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt haben. Für sicher halten die Juristen von test.de: Soweit die Hersteller ihre Motorsteuerung dem Kraftfahrtbundesamt oder einer anderen Typzulassungsbehörde gegenüber offengelegt haben, liegt keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vor, auch wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die von der zuständigen Behörde zugelassene Motorsteuerung gemessen an den strengen Ansagen des EuGH zur Auslegung der EU-Richtlinien (s. o. in der Antwort auf die Frage „Was hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden?“) doch illegal war.
Schwierig wird es für Mechanismen in der Motorsteuerung, die zwar nicht ausdrücklich genehmigt waren, bei denen es aber nach Auffassung von seriösen Rechtswissenschaftlern bis zur Verkündung des EuGH-Urteils zum Thema vertretbar war, sie zum Schutz vor Unfällen und Motorschäden für gerechtfertigt zu halten. Das ist zwar nach dem EuGH-Urteil in der Regel falsch, kann aber den Vorsatz und die Sittenwidrigkeit und damit Schadenersatzansprüche ausschließen.
Details zu verbraucherfreundlichen Entscheidungen der Land- und Oberlandesgerichte finden Sie in unserer Chronik und in der Urteilsliste zum Abgasskandal.
Unterstellt, ich habe als Besitzer eines Skandalautos ein Anrecht auf Schadenersatz: Was kann ich dann vom Hersteller verlangen?
Dann könnten Sie nach Ihrer Wahl einen kleinen oder einen großen Schadenersatzanspruch geltend machen. Der „kleine Schadenersatz“ umfasst den Minderwert des gelieferten Autos im Vergleich zu einem Wagen, wie er hätte sein sollen. Vorteil: Sie können Ihren Wagen behalten, wenn Sie das wollen. Nachteil: Wie viel Euro der Minderwert konkret ausmacht, ist schwierig zu klären. Manche Richter schätzen einfach, andere verlangen holen ein teures Sachverständigengutachten, dass das Prozesskostenrisiko in die Höhe treibt und schwer kalkulierbar macht.
Der „große Schadenersatz“ erfasst den ganzen Abschluss des Vertrags und gibt Ihnen ein Recht darauf, den Kaufvertrag rückabzuwickeln. Das heißt: Sie erhalten den Kaufpreis zurück. Dafür müssen sie das Auto zurückgeben und eine Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer zahlen. Vorteil des großen Schadenersatzes: Die Ermittlung seiner Höhe macht keine Schwierigkeiten. Nachteil, wenn Sie es gerne anders haben möchten: Sie können Ihr Auto nicht behalten.
Hinzu kommen jeweils Verzugs- oder zumindest Prozesszinsen. Details dazu und zur Berechnung unten in der Antwort auf die Frage: „Wie viel Zinsen muss mir der Hersteller eines Autos mit illegaler Motorsteuerung zahlen, wenn er dazu verurteilt wird, mich zu entschädigen?“.
Wie wird die Nutzungsentschädigung berechnet, die VW vom zu erstattenden Kaufpreis abziehen darf?
Die Nutzungsentschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer errechnen die Gerichte so: Zunächst schätzen die Richter, wie viele Kilometer der Wagen typischerweise schafft, bis er ausgemustert wird. Bei Autos mit Dieselmotor gehen die Richter meist von einer Gesamtlaufleistung von 250 000 Kilometern aus, bei großen Autos setzen sie zuweilen auch 300 000 oder sogar noch mehr Kilometer an.
Zur Berechnung der Nutzungsentschädigung bei Neuwagen multiplizieren Sie den Kaufpreis mit den bis jetzt gefahrenen Kilometern und dividieren das Ergebnis durch die Gesamtkilometer.
Rechenbeispiel: Sie haben spätestens am 22. September 2015 für 30 000 Euro einen VW Passat 2.0 TDI neu gekauft. Jetzt zeigt der Tacho 100 000 Kilometer an. Die Gesamtlaufleistung schätzt der zuständige Richter auf 300 000 Kilometer. Die Nutzungsentschädigung beträgt:
30 000 Euro * 100 000 km / 300 000 km = 10 000 Euro
Bei als Gebrauchtwagen gekauften Skandalautos rechnen Sie entsprechend: Kaufpreis mal (Kilometer jetzt minus Kilometer bei Kauf) geteilt durch (Gesamtkilometer minus Kilometer bei Kauf) = Nutzungsentschädigung.
Rechenbeispiel: Sie haben spätestens am 22. September 2015 für 15 000 Euro einen VW Golf 1.6 TDI mit 50 000 Kilometern auf dem Tacho gekauft. Jetzt zeigt der Tacho 150 000 Kilometer an. Die Gesamtlaufleistung schätzt der zuständige Richter auf 250 000 Kilometer. Die Nutzungsentschädigung beträgt:
15 000 Euro * (150 000 km - 50 000 km) / (250 000 km - 50 000 km) = 7 500 Euro
Nutzen Sie unseren VW-Entschädigungsrechner, wenn Sie für Ihren Fall die ungefähre Höhe der Entschädigung ermitteln wollen.
Wie viel Zinsen muss mit der Hersteller eines Autos mit illegaler Motorsteuerung zahlen, wenn er dazu verurteilt wird, mich zu entschädigen?
Der jeweilige Hersteller muss Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über auf den jeweiligen Basiszinssatz auf den jeweils geschuldeten Betrag zahlen. Die Verzinsung beginnt bei korrekter Forderung ab Ablauf der dem Herstellers für die Zahlung der Entschädigung gesetzten Frist, spätestens aber am Tag der Zustellung der Klageschrift beim Konzern. Für den großen Schadenersatz, also die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsenschädigung bei Rückgabe des Wagens ist die Verzinsung kompliziert zu berechnen. Der Betrag, den der Hersteller schuldet, hängt vom Kilometerstand des Autos ab und ist für jeden Tag separat zu ermitteln. Dabei dürfen die Gerichte ihn ausgehend vom Anfangsstand des Tachos bei Kauf bis zu dem am Tag der letzten mündlichen Verhandlung des Fall schätzen, wenn der jeweilige Kläger keine genaueren Angaben machen kann. Sie werden dazu die durchschnittliche tägliche Fahrleistung ermitteln und daraus den jeweils geschuldeten Betrag errechnen. Es geht um erhebliche Beträge.
Beispiel: Ein Mittelklassewagen, neu erworben am 1.1.2015 für 30 000 Euro, die Frist für die Erstattung des Kaufpreises abzüglich der mit einer Gesamtfahrleistung von 250 000 Kilometer errechneten Nutzungsentschädigung gegen die Rückgabe des Wagens endete am 1.1.2017, letzte mündliche Verhandlung des Rechtsstreits durch alle Instanzen war am 1.8.2020 bei einem Kilometerstand des Wagens von 125 000 Kilometern: Die Verzugszinsen belaufen sich bei gleichmäßiger Benutzung und bei Zahlung der Entschädigung am 1.1.2021 auf insgesamt fast 3 200 Euro.
Können Hersteller für den unzulässig hohen Schadstoffausstoß Ihrer Autos haftbar gemacht werden?
Anders als in den USA wird das hierzulande wohl nicht möglich sein. Allerdings sind hohe Bußgelder fällig. Als erste Behörde in der EU verhängten die Beamten in der niederländischen Autoriteit Consument & Markt eine Buße von 450 000 Euro wegen unlauteren Wettbewerbs, weil der Autokonzern saubere Abgase vorgetäuscht und sich zu Unrecht als umweltbewusstes und „grünes“ Unternehmen dargestellt habe.
Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig VW mit einer Milliarde Euro zur Kasse gebeten. Daimler hat 870 Millionen, Audi 800 Millionen, Porsche 535 Millionen und Bosch 90 Millionen Euro Bußgeld gezahlt. Außerdem ermitteln die Strafverfolger gegen 17 VW-Mitarbeiter, darunter den früheren Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn. Ex-Audi-Chef Rupert Stadler saß sogar für dreieinhalb Monate in Untersuchungshaft und kam nur gegen Kaution wieder auf freien Fuß. Auch Mitarbeiter des Zulieferers Bosch stehen unter dem Verdacht, sich strafbar gemacht zu haben.
Rechtsschutz und Sammelklagen
Ich habe bisher nichts unternommen. Kann ich die Verjährung von möglichen Schadenersatzforderungen gegen VW noch stoppen oder ist es zu spät?
Schadenersatzforderungen gegen VW sind seit 1. Januar 2019 verjährt, wenn Sie bereits 2015 erfahren haben, dass Ihr Wagen betroffen ist und sie nichts unternommen haben, um die Verjährung zu stoppen. So hat es der Bundesgerichtshof entschieden. Unabhängig davon gilt: Die absolute Verjährung, bei der es nicht darauf ankommt, ob und was ich von meinen Rechten weiß, tritt zehn Jahre nach Abschluss des Kaufvertrags ein. Beispiel: Ich habe die Bestellung für meinen Wagen am 15.12.2010 beim örtlichen Vertragshändler unterschrieben. Mein Recht auf Schadenersatz ist dann seit dem 16.12.2020, 0 Uhr, verjährt.
Unklar ist, ob die Verjährung auch bereits abgelaufen ist, wenn Autobesitzer 2015 noch nicht genau wussten, ob sie betroffen sind. Laut Gesetz müssen sie sich der Kenntnis grob fahrlässig verschlossen haben. test.de meint: Es war zwar nicht schwierig zu prüfen, ob Autos zum Abgasskandal gehören oder nicht. Es ist aber nicht grob fahrlässig, ohne eigene Nachforschungen abzuwarten. In solchen Fällen sind Schadenersatzforderungen damit erst ein Jahr später, also am 31.12.2019 verjährt.
Kann ich die Verjährung noch stoppen, wenn ich meine Rechte damals zur Musterfeststellungsklage des vzbv gegen VW angemeldet habe?
Fest steht: Die Teilnahme an der Musterfeststellungsklage stoppt die Verjährung. Nach unserer Auffassung können Sie als Teilnehmer an der Musterfeststellungsklage in der Regel bis einschließlich Montag, 4. Januar 2021 Klage erheben, und zwar unabhängig davon, wann die Anmeldung der Rechte genau beim Bundesjustizamt einging. Die ganz große Mehrheit aller Rechtswissenschaftler ist nämlich der Meinung: Die Anmeldung der Rechte zur Musterfeststellungsklage stoppt die Verjährung rückwirkend zu dem Zeitpunkt, an dem die Musterfeststellungsklage erhoben worden ist. Das war der 1. November 2018. An diesem Tag waren von der dreijährigen Verjährungsfrist, die nach den Ansagen des Bundesgerichtshof in der Regel am 1.1.2016 begann, noch genau 61 Tage übrig. Die Verjährung begann sechs Monate nach Ende des Musterfeststellungsverfahrens wieder zu laufen. Das war am 4. November 2020. Die verbleibenden 61 Tage der Verjährungsfrist laufen am 4. Januar 2021 ab.
Ausnahme: Mit Stand 17.12.2020 sind die Rechte für bis 14.12.2008 bestellte Autos wegen des Ablaufs der zehnjährigen Frist für die absolute Verjährung verjährt.
Noch zu beachten: Nur die wirksame Anmeldung der Rechte zur Musterfeststellungsklage stoppt die Verjährung. Wenn Sie Ihre Forderung nicht so bezeichnet haben, dass VW als Beklagte erkennen konnte, welches Auto mit illegaler Motorsteuerung sie wann gekauft haben, dann stoppt die Anmeldung die Verjährung nicht. Die Eingangsbestätigung des Bundesamts für Justiz hilft Ihnen dann auch nicht.
Welches Risiko gehe ich ein, wenn ich ohne Rechtsschutzversicherung gegen VW klage?
Auf eigene Kosten einen Anwalt einzuschalten, ist nach dem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zum VW-Skandal vertretbar. Es muss nur ausreichend sicher sein, dass Ihre Rechte gegen VW nicht verjährt sind. Sie brauchen außerdem auf jeden Fall genug Geld für die üblichen Vorschüsse für die Rechtsanwaltshonorare und die Gerichtskosten. Mit den Ansagen des Bundesgerichtshofs im Rücken brauchen Sie sich in parallel gelagerten Fällen – also Erwerb vor 22. September 2015 und eine Fahrleistung bis zum mutmaßlichen Ende des Prozesses von deutlich weniger als 250 000 oder bei größeren Wagen 300 000 Kilometern – nicht mehr zu sorgen. Maßgeblich für Gerichts- und Anwaltskostenvorschuss ist der Streitwert. Der liegt mindestens beim Kaufpreis des Autos abzüglich der Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer (siehe Antwort auf die Frage Unterstellt, ich habe als Besitzer eines Skandalautos ein Anrecht auf Schadenersatz: Was kann ich dann vom VW-Konzern verlangen?). Unsere Tabelle liefert einen Überblick über das Prozesskostenrisiko und den üblichen Vorschuss auf Anwaltshonorare und Gerichtskosten.
Was kann ich tun, wenn ich mir den Vorschuss für Anwaltshonorar und Gerichtskosten nicht leisten kann?
Sie können einen Prozesskostenfinanzierer einschalten. Aktuell kostet das allerdings soweit wir wissen eine Provision in Höhe von mindestens 17 Prozent der Zahlung, die VW am Ende leistet. Von 20 000 Euro bleiben also nur 16 600 Euro für Sie übrig. Je nachdem, was Sie für Ihren Wagen beim Verkauf noch erhalten würden, kann es sein, dass die Prozesskostenfinanzierung keinen Sinn hat. Sie können mit unserem Rechner: Prozesskostenfinanzierung prüfen, was in Ihrem Fall zu erwarten ist.
Kann ich als Eigentümer eines Skandal-Autos mit Unterstützung der Behörden rechnen?
Da können wir Ihnen nur wenig Hoffnung machen. Das Kraftfahrtbundesamt ist dafür zuständig, dass Autos sicher sind und den Umweltschutz-Vorschriften entsprechen. Direkt im Interesse von Autobesitzern wird es nicht tätig. Im Gegenteil: Es scheint so, als betreibe die Behörde eher Wirtschaftsförderung als Verbraucher- und Umweltschutz. Sie hat über Jahre hinweg alle Hinweise zur Überschreitung der Grenzwerte für den Stickoxid-Ausstoß übergangen und wurde erst tätig, nachdem die Behörden in den USA den Abgasskandal bereits aufgedeckt hatten.
Offenbar im Einverständnis mit der Bundesregierung geht sie auch nach Bekanntwerden des Skandals ausgesprochen nachsichtig mit VW und den übrigen Autoherstellern um. So hält sie die Zulassung der wegen der Abschaltung der Abgasreinigung offensichtlich von den Typgenehmigung abweichenden Skandalautos für wirksam, obwohl entsprechende nachträgliche Änderungen nach der Straßenverkehrszulassungsordnung zum sofortigen Erlöschen der Zulassung führen. Warum das nach Ansicht der Behörde nicht gelten soll, wenn wie im Abgasskandal Autos von Anfang an nicht der Typzulassung entsprechen, ist nicht nachvollziehbar.
Die für die Gewerbeaufsicht und die Strafverfolgung zuständigen Behörden prüfen, ob sich Verantwortliche beim VW-Konzern strafbar gemacht oder ordnungswidrig verhalten haben und erheben Anklage oder verhängen Bußgelder. Das nützt Besitzern von Skandal-Autos allenfalls indirekt. Immerhin: Der hochrangige Ex-Manager und Motoren-Entwickler Wolfgang Hatz sowie Audi-Chef Rupert Stadler saßen wegen dringenden Betrugsverdachts in Untersuchungshaft und sind jetzt nur gegen Kaution auf freiem Fuß.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hat untersucht, ob die VW-Verantwortlichen die Vorschriften für Aktiengesellschaften eingehalten haben. Sie ist laut Spiegel zu dem Ergebnis gekommen: VW hat die Märkte verspätet über den Skandal unterrichtet. Sie hat deshalb Strafanzeige gegen alle Vorstandsmitglieder der Volkswagen AG gestellt. Auch das hilft Aktionären nur indirekt, kann ihnen aber immerhin Munition für Klagen auf Schadenersatz wegen Verletzung von Anlegerschutzgesetzen liefern.
Unterdessen hatten die EU-Behörden nach einem Bericht des Spiegel bereits vom Jahr 2010 an handfeste und detaillierte Hinweise darauf, dass die für die Zulassung vorgeschriebene Abgasreinigung im Fahrbetrieb zumindest oft nicht funktioniert. Sie gingen diesen Hinweisen offensichtlich nicht nach. Erst auf Druck von US-Behörden kam der Skandal ans Tageslicht. Auch bei Aufarbeitung des Abgasskandals marschiert die US-Justiz voran. In einem Strafverfahren gegen die verantwortlichen VW-Mitarbeiter hat bereits ein heute 64-jähriger Ingenieur gestanden. Er gab zu, zunächst in Wolfsburg und später in den USA über fast zehn Jahre hinweg daran beteiligt gewesen zu sein, Software zur Manipulation von Emissionstests zu entwickeln, mit der in den USA Behörden und Kunden getäuscht worden seien. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft und bis zu 250 000 Dollar Geldstrafe.
EuGH will Autohersteller verurteilt sehen
Wie beurteilt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg den VW-Skandal?
Der EuGH hält es für illegal, wenn, wie bei den VW-Motoren vom Typ EA189 die Abgasrückführung nur unter Prüfstandsbedingungen vollständig funktioniert und sie im normalen Fahrbetrieb fast vollständig abgeschaltet wird. Die Wirkung des Emissionskontrollsystems dürfe im Fahrbetrieb nicht geringer ausfallen als bei den Prüfstandversuchen zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes, erklärten die EuGH-Richter in Luxemburg. Außerdem rechtfertigen es weder erhöhter Verschleiß noch steigender Wartungsaufwand, die Abgasreinigung zu reduzieren. Nur bei unmittelbar drohenden Motorschäden dürfe die Abgasreinigung ausnahmsweise abgeschaltet werden, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts zum Urteil.
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 17.12.2020
Aktenzeichen: C-693/18
Worum ging es in dem Verfahren beim Europäischen Gerichtshof genau?
Die Justiz in Frankreich ermittelt gegen VW und drei weitere Autohersteller wegen Betrugs. Die Anwälte der Unternehmen argumentierten: Die Abgasrückführung sei weder ein Emissionskontrollsystem im Sinne der EU-Regeln noch werde sie abgeschaltet. Der zuständige Richter in Paris fragte deshalb beim EuGH in Luxemburg nach, wie die EU-Regeln genau zu verstehen sind. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist der Weg für die Fortsetzung des Strafverfahrens gegen die vier verdächtigen Autohersteller in Frankreich frei.
Was bedeutet die Entscheidung in dem Verfahren für deutsche Autofahrer?
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat keine direkten Auswirkungen auf die Rechte von Autobesitzern in Deutschland. Darüber hat der Bundesgerichtshof entschieden (siehe oben). Er ist ebenfalls der Meinung: Die Motorsteuerungen mit Prüfstandserkennung und Abschaltung oder Verringerung der Abgasreinigung im normalen Fahrbetrieb sind illegal.
Indirekt könnte das EUGH-Urteil aber doch noch Folgen haben. Auf Grundlage des Urteils ist wohl davon auszugehen, dass die Typgenehmigung sich nur auf Autos im Prüfstandmodus bezieht und die tatsächlich ausgelieferten Wagen mit verschwiegenem besonderem Modus für den normalen Straßenverkehr gar nicht erfasst. Setzt sich diese Ansicht durch, dann steht fest: Sämtliche Skandalautos hätten sofort nach Bekanntwerden der illegalen Mechanismen in der Motorsteuerung stillgelegt werden müssen. Deutsche Verwaltungsgerichte hatten bisher stets geurteilt, dass die Typzulassung trotz der illegalen Motorsteuerung wirksam blieb. Sie bezog sich ihrer Meinung nach auf die tatsächlich gelieferten Autos, auch wenn die Behörden nichts von den verschiedenen Modi der Motorsteuerung für Prüfstand und normale Fahrten wussten.
In jedem Fall müsste das Urteil des EuGH jetzt dazu führen, dass noch viele Millionen weiterer Autos eine neue Motorsteuerung ohne unzulässige Reduktion der Abgasreinigung zum Schutz des Motors brauchen. Es bleibt abzuwarten, ob die für die Typzulassung zuständigen Behörden die Autohersteller in die Pflicht nehmen und entsprechende Rückrufaktionen anordnen.
Fragen zum Abgasskandal allgemein
Wer ist vom Abgas-Skandal betroffen?
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (siehe oben in der Antwort auf die Frage „Wie beurteilt der Europäische Gerichtshof in Luxemburg den VW-Skandal?“) möglicherweise noch viel mehr Besitzer von Autos mit Dieselmotoren, als bisher angenommen. Nach seiner Auffassung ist eine Abschaltung der Abgasreinigung zum Schutz vor Unfällen oder Motorschäden nur ausnahmsweise zulässig, wenn ein Unfall oder Motorschaden unmittelbar droht. Es sei nicht legal, die Abgasreinigung abzuschalten, um den Wartungsaufwand und den Verschleiß zu verringern.
So macht es aber offenbar die Motorsteuerung so ziemlich aller nach den Abgasnormen Euro 4, 5 und 6 zugelassenen Autos mit Dieselmotor. Die für die Typzulassung zuständigen Behörden und vor allem das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg waren viel großzügiger, als es der Europäische Gerichtshof jetzt für zulässig hält. So gehen die Experten der Deutschen Umwelthilfe davon aus, dass auch die von VW für Skandalautos neu entwickelte und vom Kraftfahrtbundesamt in Flensburg genehmigte Motorsteuerung nach den Kriterien des EuGH illegal ist und damit der Rückruf des Rückrufs bevorsteht.
Inzwischen steht der Verdacht im Raum, auch Autos mit direkteinspritzenden Benzin-Motoren aus dem VW-Konzern („TSFI“) könnten mit einer illegalen Motorsteuerung ausgestattet sein. ARD-Reporter berichten über das Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen zu einem Audi Q5 mit einem solchen Motor von 2015. Der Ausstoß von Stickoxid und Kohlenmonoxid nimmt danach zu, wenn das Lenkrad des Wagens bewegt wird. Nach Ansicht von Experten ist das eine starker Hinweis auf eine sogenannte Prüfstandserkennung. Bei den seinerzeit vorgeschriebenen Versuchen für die Ermittlung des Schadstoffausstoßes für die Typzulassung im Prüfstand wird das Lenkrad nicht bewegt. Der Verdacht: Für diesen Fall haben die Audi-Ingenieure den Motor auf Sauberkeit getrimmt. Dreht der Fahrer am Lenkrad, schaltet die Motorsteuerung auf Effizienz und Leistung um und der Schadstoffausstoß steigt bis weit über die Grenzwerte hinaus. Genau so waren die Turbodieselmotoren vom Typ EA189 programmiert, die im Mittelpunkt des Abgasskandals standen.
Nachfolgend finden Sie Infos zu den verschiedenen Autoherstellern:
Opel: Das Kraftfahrtbundesamt hat angeordnet, dass Opel für knapp 100 000 Autos der Modellreihen Cascada, Insignia und Zafira mit Euro 6-Dieselmotoren eine neue Motorsteuerung zu entwickeln und zu installieren hat. Einen Eilantrag, der den Zwangsrückruf stoppen soll, hat das Verwaltungsgericht in Schleswig zurückgewiesen. Opel hatte den Besitzern der Autos freiwillig angeboten, eine neue Motorsteuerung zu installieren. Etliche Tausend Autos sind aber noch unverändert unterwegs.
VW-Konzern: In Deutschland sind auf jeden Fall Käufer von fast 2,8 Millionen Autos der Marken Audi, Porsche, Seat, Skoda und VW mit 1,2-, 1,6-, 2,0-, 2,5-, 3,0 und 4,2-Liter-Turbodiesel-Motoren betroffen. Bei diesen Autos erkennt die Motorsteuerung, ob der Wagen im Straßenverkehr unterwegs ist oder ob er auf dem Prüfstand steht. Die Abgasreinigung funktioniert nur im Prüfstand. Ansonsten trimmt die Elektronik den Motor auf Effizienz und Leistung. Insbesondere der Ausstoß gefährlicher Stickoxide steigt dramatisch an. Die zwischen September 2013 und August 2017 hergestellten Audi A8 stießen bis zu 2 000 Milligramm Stickoxid je Kilometer aus. Erlaubt waren seinerzeit 80 Milligramm.
Inzwischen ist bekannt: Auch bei nach Euro 6 schadstoffarmen Audi A6 und A7 mit 200 Kilowatt/271 PS-TDI-Motoren sowie Porsche Macan und Cayenne mit 3,0- und 4,2-Liter TDI-Motoren reduzierte ein illegaler Mechanismus in der Motorsteuerung die Abgasreinigung.
Auch die Porsche-Modelle Cayenne und Macan sind betroffen.
Auch direkteinspritzende Benzin-Motoren („TFSI“) stehen inzwischen aufgrund eines Gerichtsgutachtens und interner Unterlagen aus dem VW-Konzern unter Verdacht.
Daimler AG: Das Kraftfahrtbundesamt hält die Motorsteuerung von europaweit insgesamt 820 000 Mercedes-Modellen der A-, B-, C-, E- und S-Klasse mit angeblich nach Abgasnorm Euro 5 schadstoffarmen CDI-Motoren für illegal und hat den Rückruf angeordnet.
Die Aufsichtsbehörde in Flensburg hat angeordnet, dass der Automobilhersteller die betroffenen Autos in die Werkstätten zurückruft und sie dort mit einer neuen Motorsteuerung nachrüstet. Die Daimler AG hält das für rechtswidrig und will vor Gericht ziehen. Gleichwohl rüstet das Unternehmen die Autos mit einer neuen Motorsteuerung entsprechend der Vorgaben der Beamten in Flensburg nach.
Bei Mercedes-Benz-Modellen noch zu beachten: Zumindest in Einzelfällen hat Mercedes offenbar Reifenwechseltermine genutzt, um von sich aus eine geänderte Motorsteuerung zu installieren – ohne das jedoch mit dem Besitzer abzusprechen.
BMW: Offiziell zurückgerufen sind bisher nur 11 700 Diesel aus der 5er und 7er-Reihe. Laut BMW haben die Autos irrtümlich eine für Geländewagen-Modelle des Herstellers mit dem jeweils gleichen Motor vorgesehene Motorsteuerung erhalten. Bei der wird die Abgasreinigung offenbar unter bestimmten Bedingungen unzulässig abgeschaltet. Warum die gleiche Abschaltung der Abgasreinigung in den SUV-Modellen zulässig sein soll, bleibt unklar.
Fest steht außerdem: Auch Dieselmotoren von 2016 gebauten BMW-Autos stoßen zum Teil erheblich mehr Stickoxid aus als die in Prüfstandversuchen seinerzeit höchstens erlaubten 80 Milligramm je Kilometer. Das haben Fahrversuche der Deutschen Umwelthilfe (DUH) ergeben. BMW bestreitet das auch gar nicht. Die Prüfstandversuche für die seinerzeit gültige Euro-6-Norm sahen nur Fahrten mit recht geringer Geschwindigkeit und wenig Leistungseinsatz vor. Nach umfangreichen Messungen an einem BMW 320d (Baujahr 2016) sowohl im Straßenverkehr als auch auf dem Prüfstand sieht die DUH jedoch Anhaltspunkte dafür, dass die Abgasreinigung im Fahrbetrieb nicht korrekt funktioniert. So sei die Abgasreinigung bei über 3 500 Umdrehungen der Kurbelwelle pro Minute und bei Anforderung eines Drehmoments von 200 und mehr Newtonmetern komplett abgeschaltet.
3 500 Umdrehungen sind für einen Dieselmotor ziemlich viel; die Höchstleistung erreicht der 2.0 Liter-BMW-Turbodieselmotor im 3er BMW von 2016 bereits bei 4 000 Umdrehungen pro Minute. 200 Newtonmeter Drehmoment entspricht allerdings im Bereich von 1 750 bis 2 500 Umdrehungen pro Minute nur der halben Höchstleistung des Motors. Bei 2 500 Umdrehungen führen 200 Newtonmeter Drehmoment zu einer Leistung von gut 52 Kilowatt (gut 71 PS). Zumindest beim Beschleunigen werden BMW-Fahrer vermutlich oft noch mehr Gas geben. BMW weist die Vorwürfe der Deutschen Umwelthilfe strikt zurück. Die Motorsteuerung für BMW sei legal. Einzelheiten zu den Messungen der DUH im Beitrag des ZDF-Magazins Wiso, Einzelheiten zur Reaktion von BMW bei Spiegel Online.
Inzwischen hat sich das Kraftfahrtbundesamt zu den Vorwürfen geäußert. Es hält die Abgasreinigung bei BMW für korrekt. Einzelheiten dazu bei Spiegel online.
Was ist mit anderen Herstellern?
Das ist noch unklar. test.de hält für sicher: Es gibt noch viel mehr Autos sowohl deutscher als auch ausländischer Hersteller, in denen die Motorsteuerung die Abgasreinigung illegal ganz oder teilweise abschaltet. Ob und wann die Behörden solche ebenfalls vom Abgasskandal betroffenen Autos identifizieren, lässt sich nicht absehen. Zuständig ist nicht unbedingt immer das deutsche Kraftfahrtbundesamt in Flensburg. Es kommt darauf an, bei welcher der Behörden in den verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU der jeweilige Hersteller die Typzulassung beantragt hat.
Was geschieht mit den Skandalautos?
Das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg hat für alle Autos mit illegaler Motorsteuerung angeordnet, dass eine neue Motorsteuerung zu entwickeln und in allen Autos zu installieren ist. Üblicher Ablauf einer solchen Rückrufaktion: Der jeweils betroffene Hersteller erhält von der Behörde die Adressen der aktuellen Besitzer. Sobald die geänderte und nunmehr laut Kraftfahrtbundesamt legale Motorsteuerung fertig ist, schreibt das Unternehmen die Autobesitzer an und bittet sie, zur Installation der neuen Software im Motorsteuergerät in die Werkstätten zu kommen. Das ist selbstverständlich kostenlos.
Die Autohersteller können Autobesitzer nicht zwingen, die legale Motorsteuerung installieren zu lassen. Sie melden allerdings jede Nachrüstung an die Behörde. 18 Monate nach Beginn des jeweiligen Rückrufs schreibt diese alle Fahrzeughalter an, die nicht an der Rückrufaktion teilgenommen haben. Wer auch dann immer noch keine Werkstatt aufsucht, den meldet die Bundesbehörde an die lokalen Zulassungsstellen. Diese entscheiden dann, ob sie den Wagen zwangsweise stillegen. Hinzu kommt noch: Eine neue Tüv-Plakette bekommen vom Abgasskandal betroffenen Autos ab 18 Monate nach dem Rückruf nur noch, wenn inzwischen die neue Motorsteuerung installiert wurde.
Was tut die Politik im Abgasskandal?
Rund fünf Millionen Diesel-Pkw der Schadstoffklassen Euro 5 oder Euro 6 in Deutschland haben ein Software-Update bekommen. So hatten es die Autohersteller beim „Dieselgipfel“ im August 2017 angeboten. Betroffen sind überwiegend Fahrzeuge aus dem Volkswagen-Konzern mit seinen Marken VW, Audi und Porsche sowie Dieselmodelle von BMW, Daimler und Opel. In der Zahl sind aber bereits die rund 2,5 Millionen Autos enthalten, die Volkswagen schon auf das Geheiß der Behörden nachgerüstet hat. Ausländische Hersteller beteiligen sich nicht an der Aktion.
Alle Autos mit einem Ausstoß von bis zu 270 Milligramm Stickoxid je Kilometer Fahrt sollen von Fahrverboten verschont werden, auch wenn sie zu den veralteten Schadstoffklassen Euro 4 und Euro 5 gehören. Wo Fahrverbote gelten oder geplant sind, steht in unseren FAQ Fahrverbote in Innenstädten.
Bewohner von Städten mit Fahrverbot sowie Pendler, die dort arbeiten, sollen für ihre Euro 4- und Euro 5-Diesel Tauschprämien erhalten, die den mit dem Abgasskandal verbundenen Wertverlust ihrer Autos ausgleicht. Besitzer von Euro 5-Dieseln sollen die Nachrüstung ihrer Wagen verlangen können. Die Hersteller sollen auf ihre Kosten und mit voller Haftung für Mängel Katalysatoren einbauen, die den Stickoxidausstoß unter 270 Milligramm je Kilometer drücken. Kommunen und Gewerbetreibende sollen einen Zuschuss in Höhe von 80 Prozent der Kosten der Nachrüstung erhalten.
Wie finde ich raus, welche Schadstoffklasse mein Wagen hat?
Die Schadstoffklasse, zum Beispiel „Euro 4“, ist in der Zulassungsbescheinigung vermerkt (Feld 14).
Die Autohersteller bieten „Umweltprämien“ an, wenn man seinen alten Diesel zurückgibt. Lohnt sich das?
Mehrere Konzerne haben schon bisher den Verkauf neuer Elektro-, Hybrid- oder Gasfahrzeuge mit Dieselprämien gefördert. Weitere Boni sollen Wagen mit alternativen Antrieben für Altdieselbesitzer attraktiv machen. Einzelne Hersteller wie Volkswagen zahlen auch für den Kauf junger Gebrauchtwagen eine Prämie.
Fragen Sie nach, wie viel Rabatt Ihnen der Händler beim Neukauf Ihres Wunschautos bietet. Vergleichen Sie diesen Rabatt anschließend mit den Angeboten, die Sie im Rahmen der Dieselprämien-Aktion erhalten. Es ist denkbar, dass Händler Rabatte einkürzen, wenn die Dieselprämie mit ins Spiel kommt. Muss es unbedingt ein Diesel sein, sollten Sie darauf achten, dass der Wagen nach der neuesten Abgasnorm Euro 6d zugelassen ist. Diese Autos stoßen zuverlässig weniger Stickoxid aus als nach den neuesten verschärften Regeln zulässig.
Inzwischen ist bekannt: Zumindest Audi hat im Austausch für alte Diesel mit illegaler Motorsteuerung erneut Autos mit Reduktion der Abgasreinigung geliefert. Erst im Mai 2018 stoppte das Unternehmen die Auslieferung eines A6-Modells, bei dem die Motorsteuerung die Einspritzung von Adblue verringerte, wenn der Vorrat der Reinigungsflüssigkeit vor einem Inspektionstermin zur Neige ging.
Nachrüstung der Skandalautos – die Details
Was genau tut Volkswagen bei der Nachrüstung?
Der Volkswagen-Konzern als Hersteller der meisten Skandal-Autos hat einen Großteil der betroffenen Wagen mit einer neuen vom Kraftfahrtbundesamt genehmigten Motorsteuerung nachgerüstet. Am aufwendigsten war das bei 1,6-Liter-TDI-Motoren. Sie haben zusätzlich zu einem Update der Motorsteuerungs-Software einen sogenannten „Strömungsgleichrichter“ erhalten. Das ist ein Plastikrohr im Ansaugtrakt, das den Luftstrom für die Verbrennung in den Zylindern optimieren soll. VW hat versprochen, die Nachrüstung werde weder zu Mehrverbrauch noch zu Leistungseinbußen führen und auch nicht die Haltbarkeit der Motoren beeinträchtigen. Eine rechtlich verbindliche Garantie wollte das Unternehmen allerdings nicht übernehmen.
Laut Motor-talk.de wird bei VW-Motoren mit neuer Steuerung der Diesel mit höherem Druck in die Zylinder eingespritzt – und nicht mehr in einem Zug, sondern gestaffelt. Außerdem wird das Ventil für die Abgasrückführung anders gesteuert als bisher. Durch die Rückführung von unbrennbarem Abgas in den sonst nur mit einem Luft-Diesel-Gemisch gefüllten Zylinder sinken Temperatur und Druck im Brennraum. Es entsteht dadurch bei der Verbrennung weniger Stickoxid.
Bei den Autos mit Ad-Blue erhöhte VW außerdem die Einspritzmenge des Additivs. Nachteil vor allem der geänderten Kraftstoffeinspritzung: Es entsteht mehr Ruß als bisher. Der lagert sich im Partikelfilter ab und muss daher öfter als bisher gezielt mit etwas Extra-Kraftstoff freigebrannt werden. Außerdem schließen und öffnen die Ventile für die Kraftstoffeinspritzung häufiger als bisher und müssen dem erhöhten Kraftstoffdruck standhalten.
Allerdings: Auch die neue Motorsteuerung enthält ein so genanntes „Thermofenster“. Bei einem Tiguan 2.0 arbeitet die Abgasreinigung einem Urteil des Landgerichts Düsseldorf zu Folge nur zwischen 10 und 32 Grad Lufttemperatur, darüber und darunter werde sie abgeschaltet. Auch bei einer Höhe von über 1 000 Metern über Normalnull werde sie deaktiviert. Der Europäische Gerichtshof hat inzwischen geurteilt: Solche Mechanismen sind illegal (s. o. im Absatz „EuGH will Autohersteller verurteilt sehen“).
Wieso Nachrüstung? Reicht es nicht, wenn die Wagen stets im sauberen Prüfstand-Modus fahren?
Offenbar nicht, denn dann steigt der Verbrauch und die Leistung sinkt. Unseren amerikanischen Kollegen von Consumer Reports ist es – wohl mit Unterstützung von VW-Insidern – gelungen, einen VW Jetta Sports Wagon (Pendant hierzulande: Golf Variant) von 2011 mit EA 189 TDI-Motor dauerhaft in den Prüfstand-Modus zu schalten und damit zu fahren Video von Consumers Report. Ergebnis der Fahrversuche: Der Wagen verbrauchte 5,1 statt bisher 4,7 Liter Diesel auf 100 Kilometer. Die Beschleunigung von 0 auf 60 Meilen (rund 97 Kilometer) pro Stunde dauerte 10,5 statt 9,9 Sekunden.
Wie verändern sich Schadstoffausstoß und Verbrauch, wenn die Autos nachgerüstet sind?
Die Behörden haben die Nachrüstung aller ursprünglich bekannten Abgasskandal-Autos zugelassen. Sie glauben also, dass die Autos mit der geänderten Motorsteuerung alle Normen einhalten, ohne dass dabei der Kraftstoffverbrauch und damit der Kohlendioxid-Ausstoß steigt. Der ADAC hat einen Golf 2.0 TDI, einen Polo 1.2 TDI und einen Golf Variant 1.6 TDI jeweils vor und nach der Nachrüstung untersucht.
Das Ergebnis: Der Stickoxid-Ausstoß sank um bis zu 56 Prozent. Er lag aber bei fast allen Fahrversuchen oberhalb von 270 Milligramm je Kilometer. Das ist nach den aktuellen Plänen der Bundesregierung die Obergrenze für freie Fahrt in Fahrverbotszonen. Der Kraftstoffverbrauch stieg je nach Fahrzyklus um bis zu rund 4,5 Prozent bei einer Messgenauigkeit von plus/minus zwei Prozentpunkten. Detaillierte Messergebnisse liefert der ADAC unter www.adac.de/ecotest. Am besten funktioniert die Nachrüstung offenbar bei dem 1,6-Liter-Motor, der außer der neuen Motorsteuerung auch ein zusätzliches Bauteil im Ansaugtrakt erhalten hat.
Auch unsere italienische Partnerorganisation Altroconsumo hat die Wirkung der VW-Nachrüstung überprüft. Ihre Messergebnisse lassen an der Nachrüstung zweifeln. Der Stickoxid-Ausstoß eines Audi Q5 2.0 TDI lag nach der Nachrüstung sogar höher als vorher. Hatten die Stickoxid-Werte im Abgas vor der Nachrüstung noch durchschnittlich gut 10 Prozent über dem Grenzwert gelegen, waren es danach gut 25 Prozent. Der Verbrauch änderte sich indes kaum: Er sank von 7,5 auf 7,4 Liter Diesel je 100 Kilometer.
Audi hatte erstaunt auf diese Messergebnisse reagiert und die Bereitschaft erklärt, sich den untersuchten Audi Q5 gemeinsam mit den italienischen Testern anzusehen und Nachmessungen vorzunehmen. Zu hören war im Anschluss aber leider nichts mehr von Audi. Details zur Nachrüstung der Autos, bei denen das Kraftfahrtbundesamt erst später wegen illegaler Abschaltmechanismen in der Motorsteuerung einen Rückruf veranlasst hat, sind nicht bekannt.
Verschlechtert sich die Haltbarkeit der Motoren durch die Nachrüstung?
Das ist unklar. „Experten warnen vor Motorschäden“, titelt Spiegel Online unter Berufung auf nicht genannte Mitarbeiter der EU-Kommission. Die wiederum berufen sich auf die Techniker im norditalienischen „Vela“-Abgaslabor, das auf seinem Gebiet zu den führenden Einrichtungen weltweit zählt. Die Vela-Techniker befürchten, dass das Abgasrückführventil, der Speicherkatalysator, das Harnstoff-Injektionssystem, der sogenannte SCR-Katalysator („selective catalytic reduction“) oder auch der Partikelfilter vorzeitig versagen könnten.
Im VW-Forum des Online-Netzwerks Motor-Talk berichten vor allem Besitzer von nachgerüsteten Skandalautos, die häufig nur kurze Strecken fahren, über Probleme mit der geänderten Motorsteuerung.
Manipulierte Wagen: Tüv, Zulassung, Kfz-Steuer, Halterhaftung
Darf ich Autos mit Manipulationssoftware an Bord noch fahren?
Nach Ansicht des Kraftfahrtbundesamtes dürfen vom Skandal betroffene Autos weiterhin fahren, so lange sie ordnungsgemäß zugelassen sind und eine gültige Prüfplakette auf dem Nummernschild klebt. Die Zulassung bleibt nach Auffassung der Behörden zunächst wirksam. Die Rechtsexperten der Stiftung Warentest halten diese Rechtsauffassung für falsch. Eine nachträgliche Änderung der Motorsteuerung mit Abschaltung der Abgasreinigung führt laut Straßenverkehrszulassungsordnung zum sofortigen Erlöschen der Betriebserlaubnis. Dann kann eigentlich auch die Betriebserlaubnis für ein Auto, das von Anfang an die Abgasreinigung im Fahrbetrieb abschaltet und das deshalb nicht der Typgenehmigung entspricht, nicht wirksam sein.
Ganz ähnlich sieht das offenbar der Europäische Gerichtshof. Legal könne ein die Abgasreinigung reduzierender Mechanismus nur sein, wenn der Hersteller eine Genehmigung für ihn beantragt. Fehlt es schon an einem Antrag, dann ist eine Motorsteuerung mit einem solchen Mechanismus von Anfang an illegal und folglich die in Unkenntnis des Mechanismus erteilte Genehmigung nicht wirksam sein.
Vor diesem Hintergrund forderte die Deutsche Umwelthilfe von verschiedenen Städten mit hoher Luftverschmutzung, Skandal-Autos sofort aus dem Verkehr zu ziehen. Mit einer ersten Klage gegen die Stadt Düsseldorf scheiterten die Umweltschützer. Die Verwaltungsrichter in Düsseldorf hielten die Klage für unzulässig. Die Umweltschützer hätten kein Recht dazu, die Behörden zu zwingen, gegen einzelne Autobesitzer vorzugehen. Allerdings ließ das Gericht die Berufung zu. Jetzt wird sich wohl das Oberverwaltungsgericht in Münster mit dem Fall befassen müssen.
Noch unklar ist, ob und wie sich ein Urteil des Gerichts der Europäischen Union auswirkt. Danach ist die Verordnung der EU-Kommission über den Grenzwert für im Fahrbetrieb ausgestoßenes Stickoxid nichtig. Trotzdem soll die Regelung noch mindestens 14 Monate weiter angewendet werden. Einzelheiten zum Urteil in der Presseerklärung des Gerichts. Nach Ablauf der Frist müssten eigentlich alle nach der nichtigen Verordnung zugelassenen Autos aus dem Verkehr gezogen werden.
Können die Behörden meinem Auto die Zulassung entziehen?
Ja. So sehen es inzwischen alle Verwaltungsgerichte bis hin zum Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen. Auch der Bundesgerichtshof sieht das offenbar so (Beschluss vom 8. Januar 2019, Aktenzeichen: VIII ZR 225/17). Rechtsgrundlage dafür ist die Fahrzeug-Zulassungs-Verordnung. Zuständig ist allerdings nicht das Kraftfahrbundesamt (KBA) in Flensburg, sondern die jeweilige lokale Zulassungsstelle. Die informiert das KBA allerdings, wenn Skandalautos nicht innerhalb von 18 Monaten ab Rückruf die neue Motorsteuerung erhalten haben.
Kann ich mich gegen den Entzug der Zulassung und die Stilllegung wehren?
Das kommt darauf an. Für Autos, für die das Kraftfahrtbundesamt über die Typzulassung entschieden und sie später wegen der illegalen Motorsteuerung geändert hat, ist es so gut wie aussichtslos, sich gegen die Verfügungen der Zulassungsstelle zu wehren. Die Verwaltungsgerichte lehnen Anträge darauf, den Vollzug solcher Behördenentscheidungen zu stoppen, geschlossen ab.
Allerdings: Nach Ansicht der Verwaltungsgerichte deckte die ursprüngliche Typgenehmigung den Betrieb der Skandalautos zunächst. Die Autos hätten die illegalen Mechanismen in der Motorsteuerung von Anfang an gehabt. Gleichwohl habe die Behörde die fraglichen Autotypen genehmigt. Durch die Anordnung der Pflicht, eine neue Motorsteuerung zu entwickeln, habe die Behörde die Typzulassung geändert. Erst diese Änderung der Typzulassung führe dazu, dass Skandalautos illegal werden.
Wichtige Konsequenz: Besitzer von Autos, deren Typzulassung nicht das Kraftfahrtbundesamt erteilt und später geändert hat, können sich gegen die Stilllegung wehren. Im VW-Konzern betrifft das vor allem Autos von Skoda. So sah es auch das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht in einer Kostenentscheidung (Beschluss vom 13.05.2019, Aktenzeichen: 3 B 39/19), nachdem die Behörde die dort verfügte Stilllegung bereits von sich aus zurückgenommen hatte.
Die Rechtsexperten der Stiftung Warentest sehen die Sache anders: Die Typzulassung erfolgte aufgrund der von den Herstellern an die Behörden gelieferten Informationen. Die illegalen Mechanismen zur Abschaltung oder Reduktion der Abgasreinigung haben die Hersteller den Behörden verschwiegen. Genehmigt waren die Autos der Sache nach nur mit der Variante der Motorsteuerung, die bei den Prüfstandversuchen zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes aktiv war. Die Skandalautos entsprachen daher nicht der Typzulassung.
Harte Konsequenz dieser Auffassung: Alle Skandalautos hätten sofort aus dem Verkehr gezogen werden müssen und hätten – unterstellt, das Kraftfahrtbundesamt hat die geänderte Motorsteuerung zu Recht genehmigt – erst nach dem Software-Update wieder fahren dürfen. So sieht offenbar auch das Landgericht Augsburg, (Urteil vom 07.05.2018, Aktenzeichen: 082 O 4497/16). Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig und unter den inzwischen Tausenden von Urteilen zum Abgasskandal einzigartig.
Informationen zum Entzug der Zulassung und zum Widerstand dagegen je nach Region bieten Gansel Rechtsanwälte.
Bekomme ich für ein Skandalauto ohne Nachrüstung neuen Tüv?
Die Prüfplakette für die Hauptuntersuchung bei Tüv, Dekra und ähnlichen Anbietern gibt es nur noch bis höchstens 18 Monate nach Erhalt der Aufforderung zur Nachrüstung des Wagens mit einer neuen Motorsteuerung. Wer nach Ablauf dieser Frist zur Hauptuntersuchung muss, bekommt danach ohne neue Motorsteuerung keine Plakette mehr. Das fehlende Update wird zwar als erheblicher Mangel gewertet, führt aber nicht zur sofortigen Stilllegung. Betroffene Autobesitzer können das Update also nachholen und bekommen dann eine neue Prüfplakette. Weitere Details und Hintergründe liefert ein ausführlicher Bericht des Focus zum Thema. Wer die Nachrüstung verweigern will und sein Skandalauto trotzdem jedenfalls vorläufig weiter fahren will, sollte sich rechtzeitig von einem im Zulassungsrecht erfahrenen Rechtsanwalt für Verkehrsrecht beraten lassen.
Muss ich mit Fahrverboten rechnen?
Ja, erste Fahrverbote sind in Kraft und weitere werden folgen. Sie gelten aber für alle Dieselautos der Schadstoffklassen Euro 4, 5 und zuweilen auch 6, unabhängig davon, ob die Motorsteuerung legal oder illegal ist. Mehr zum Thema in unseren FAQ Fahrverbote in Innenstädten.
Muss ich Kfz-Steuer nachzahlen, wenn VW für meinen Wagen den Kohlendioxid-Ausstoß zu gering angegeben hat?
Das ist noch unklar. Die Juristen und Steuerexperten der Stiftung Warentest halten das jedoch für wahrscheinlich. Die Höhe der Kfz-Steuer hängt vom Kohlendioxid-Ausstoß ab. Finanzämter sind berechtigt, Steuerbescheide zu korrigieren, wenn sie auf falscher Grundlage ergangen sind. Steuernachzahlungen können auf jeden Fall erst ermittelt werden, wenn der tatsächliche Kohlendioxid-Ausstoß der betroffenen Autos feststeht. VW hat zugesichert: Wenn Steuernachforderungen fällig werden, bezahlt sie der Konzern.
Hafte ich für unzulässig hohen Schadstoffausstoß meines Autos?
Theoretisch ja, praktisch wohl kaum. Zwar gilt: Auch Sie als Verbraucher müssen die Emissionsschutzregeln einhalten und handeln rechtswidrig, wenn Sie ein Auto fahren, von dem Sie wissen, dass es die vorgeschriebenen Grenzwerte nicht einhält. Opfer von Luftverschmutzung müssten aber zumindest nachweisen, dass Ihr Auto das Risiko einer Schädigung durch Stickoxid oder Feinstaub relevant erhöht hat. Das dürfte insofern ausgeschlossen sein, als es noch Millionen von Motoren ohne jegliche Abgasreinigung gibt – dazu kommen Kaminöfen, Ölheizungen und andere Formen von legaler Umweltverschmutzung, die das Risiko weit stärker steigern als die manipulierten Dieselautos aus dem VW-Konzern.
Kundenrechte gegenüber dem Verkäufer
Habe ich überhaupt Rechte gegenüber dem Verkäufer eines Skandalautos?
Fest steht: Autos mit illegaler Motorsteuerung sind mangelhaft. Der Händler haftet. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden (Beschluss vom 8. Januar 2019, Aktenzeichen: VIII ZR 225/17). Damit haben Käufer der Autos auf jeden Fall das Recht, vom Händler Nachbesserung zu verlangen. Nachbesserung ist entweder Reparatur oder Neulieferung. Ein Recht auf vollständige Neulieferung ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn nach einem Modellwechsel nur das neue Modell noch verfügbar ist, auch wenn dieses etwas schneller, stärker und größer ist als das alte.
Das Recht auf Neulieferung kann aber ausgeschlossen sein, wenn es für den Händler mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist. Noch offen ist aber, welche Kosten dabei zu berücksichtigen sind. Händler selbst dürften eigentlich wenig bis keine Kosten haben. In der Regel übernimmt der Hersteller die Kosten für die Beseitigung von Sachmängeln jedenfalls zu einem großen Teil.
Kann ich auch zurücktreten, wenn ich ein Auto mit illegaler Motorsteuerung bekommen habe?
Ja, das können Sie. Von Gesetzes wegen gilt: Verweigert der Händler die Nachbesserung oder ist diese unzumutbar, dann dürfen Käufer vom Vertrag zurücktreten oder einen Teil des Kaufpreises zurückverlangen. Zahlreiche Land- und Oberlandesgerichte haben die Rechtslage bereits verbraucherfreundlich beurteilt.
test.de sammelt in der Urteilsliste wichtige verbraucherfreundliche Gerichtsentscheidungen zum Abgasskandal. Nach Darstellung von VW haben zahlreiche Gerichte auch zugunsten des Konzerns und seiner Händler geurteilt. Die Rechtsexperten der Stiftung Warentest können das nicht überprüfen; uns liegen fast ausschließlich verbraucherfreundliche Gerichtsurteile vor.
Muss ich meinem Händler bei einer Reklamation die Chance geben, das Problem zu beheben?
Es ist umstritten, ob die Autohäuser zunächst einen Versuch unternehmen dürfen, die Autos nachzubessern. Umstritten ist auch, wie viel Zeit sie dafür haben. Das Landgericht Bochum etwa hatte einem Kläger eine Absage erteilt, der seinen VW Tiguan 2.0 TDI zurückgeben wollte, ohne VW die Chance zur Nachrüstung zu geben. Wenn es dem VW-Konzern gelingt, das Auto nachträglich mit einer Motorsteuerung zu versehen und/oder Bauteile nachzurüsten, mit denen die Abgasgrenzwerte eingehalten werden, ist der Verkäufer raus aus der Sachmangelhaftung, meint das Landgericht Bochum (Urteil vom 16.03.2016, Aktenzeichen: I-2 O 425/15).
Das Landgericht Krefeld urteilte dagegen im Sinne des Käufers eines Skandal-Autos. Er durfte sofort vom Vertrag zurücktreten. Die Nacherfüllung sei nicht hinreichend sicher erfolgreich. Außerdem sei das Vertrauensverhältnis zu VW nachhaltig gestört (Urteile vom, 14.09.2016, Aktenzeichen: 2 O 72/16 und 2 O 83/16). Und auch das Landgericht Braunschweig urteilte verbraucherfreundlich. Hunderte weiterer verbraucherfreundlicher Urteile finden Sie in der Liste mit verbraucherfreundlichen Urteilen.
Ich will vom Kauf zurücktreten und den Kaufpreis zurückverlangen. Anrechnen lassen soll ich mir einen Betrag für meine gefahrenen Kilometer. Wie wird der berechnet?
Geht so ein Fall vor Gericht, schätzen die Richter zunächst, wie viele Kilometer der Wagen typischerweise schafft, bis er ausgemustert wird. Bei Autos mit Dieselmotor gehen sie üblicherweise von 250 000 Kilometern aus, bei großen Autos setzen sie zuweilen auch 300 000 oder sogar noch mehr Kilometer an.
Zur Berechnung der Entschädigung bei Neuwagen teilen Sie dann den Kaufpreis durch die Gesamtkilometer und multiplizieren den Betrag mit den bereits gefahrenen Kilometern.
Beispiel: Der Wagen hat 25 000 Euro gekostet, ist 20 000 Kilometer gefahren und wird wahrscheinlich insgesamt 250 000 Kilometer schaffen, bis er verschrottet wird. Nutzungsentschädigung = Kaufpreis / Gesamtlaufleistung * gefahrene Kilometer = 25 000 Euro / 250 000 Kilometer * 20 000 Kilometer = 2 000 Euro. Hier müssten Sie sich 2 000 Euro anrechnen lassen.
Geht es um einen Gebrauchtwagen, wird so gerechnet:
1. Zu erwartende Gesamtkilometer – bis Kauf gefahrene Kilometer = Restlaufleistung.
2. Kaufpreis x (Kilometerstand bei Rückgabe – Kilometerstand bei Kauf)/ Restlaufleistung.
Beispiel: Der Wagen kostete 15 000 Euro mit einem Kilometerstand von 50 000. Jetzt hat er 75 000 Kilometer auf dem Tacho. Erwartete Gesamtlaufleistung: 250 000 Kilometer. Nutzungsentschädigung = 15 000 x (75 000 – 50 000)/(250 000 – 50 000) = 1 875 Euro.
Nutzen Sie unseren VW-Entschädigungsrechner, wenn Sie für Ihren Fall die ungefähre Höhe der Entschädigung ermitteln wollen.
Mein Auto wurde nachgerüstet. Ein Makel, wie ich finde. Kann ich Ersatz einer Wertminderung verlangen?
Ja, meinen Verbraucherschützer und Rechtsanwälte. Eine Vielzahl geschädigter VW-, Audi-, Seat- und Skoda-Kunden berichtet, dass sich ihre nachgerüsteten Autos aktuell nur schlecht verkaufen lassen. Auch der Verband der markenunabhängigen Fuhrparkmanagementunternehmen e.V. (VMF) geht davon aus, dass Käufer für ein manipuliertes Fahrzeug kaum den gleichen Preis wie für ein vergleichbares, nicht manipuliertes Fahrzeug bezahlen werden.
Abgesehen davon ist die neue Motorsteuerung womöglich ebenfalls illegal. Dieser Auffassung ist jedenfalls für einen VW Tiguan 2.0 TDI das Landgericht Düsseldorf (s. o., die Antwort auf die Frage: Was genau tut VW bei der Nachrüstung?).
Kann ich noch Rechte gegen den Händler geltend machen, der mir ein VW-Skandal-Auto verkauft hat?
Nein. Entweder sind Ihre Rechte gegen den Händler bereits verjährt oder Sie wussten beim Kauf des Wagens bereits hinreichend genau, dass die Motorsteuerung die Abgasreinigung illegal abschaltet.
Wann verjähren meine Rechte gegen den Händler, der mir ein Auto verkauft hat, von dem erst später bekannt wurde, dass die Motorsteuerung illegal arbeitet?
Das ist umstritten. Sachmangelrechte verjähren normalerweise genau zwei Jahre ab Lieferung des Autos. Bis dahin müssen Käufer eigentlich gerichtliche Schritte eingeleitet oder den Rücktritt vom Vertrag erklärt haben.
Das Landgericht Augsburg sieht die Rechtslage in einem aktuellen Urteil sehr viel verbraucherfreundlicher. Danach können Käufer von Skandalautos auch heute noch Erstattung des Kaufpreises verlangen, wenn der Kaufpreis für den neuen oder gebrauchten Wagen nach 31. Dezember 2017 gezahlt wurde. Der Kaufvertrag sei nämlich wegen des Verstoßes gegen die EU-Zulassungsregeln nichtig. Nur Autos mit legaler Motorsteuerung dürfen in den Verkehr gebracht werden. Händler müssen danach den Kaufpreis als ungerechtfertigte Bereicherung herausgeben. Diese Forderung verjährt erst drei Jahre nach Ende des Jahres der Zahlung.
Wie kann ich die Verjährung stoppen?
Betroffenen bleibt nur, rechtzeitig vor Ablauf der Verjährung gerichtliche Schritte einzuleiten. Dazu brauchen Sie beim Streit um ein Auto einen Rechtsanwalt. Billiger und einfacher ist es, eine staatlich anerkannte Gütestelle einzuschalten. Das stoppt die Verjährung vom Antragszeitpunkt an für mindestens sechs Monate. Haben Sie einen Gebrauchtwagen gekauft, können Sie in der Regel auch die für Ihren Wohnort zuständige Kfz-Schiedsstelle anrufen.
Habe ich als Käufer eines Gebrauchtwagens mit illegaler Motorsteuerung die gleichen Rechte wie der Erstbesitzer?
Die Experten der Stiftung Warentest gehen davon aus, dass die Autohersteller da in der Praxis keine Unterschiede machen werden. Von Rechts wegen stehen die von uns beschriebenen Mängelrechte allerdings zu einem erheblichen Teil nur dem Erstbesitzer zu. Sie können sich dessen Rechte gegen den Verkäufer und den Hersteller aber problemlos abtreten lassen und sollten das möglichst auch tun. So könnte eine Abtretungserklärung aussehen:
Hiermit trete ich als Verkäufer des gebrauchten Wagens (Typ, Fahrgestellnummer) alle meine Rechte gegen
a) den Verkäufer (Autohaus XY) und
b) den Hersteller
an den Käufer (Name, Anschrift) ab. Der Käufer des Wagens nimmt diese Abtretung an.
Unterschriften Käufer und Verkäufer
Auch Dritt- oder Viertbesitzer des Wagens können so Inhaber der Rechte gegen Neuwagenverkäufer und Hersteller werden. Sie müssen dann jedoch eine lückenlose Kette von Abtretungserklärungen vorlegen können.
Was kann ich tun, wenn ich einen der Wagen habe, deren Rückruf erst in den letzten Monaten bekannt geworden ist?
Wegen möglicher Schadenersatzansprüche können Sie zunächst abwarten. Ob Ihnen Schadenersatzansprüche zustehen, lässt sich aktuell noch nicht zuverlässig abschätzen. Es kommt vor allem darauf an, ob sich die unzulässige Abschaltung oder Reduktion der Abgasreinigung in der Motorsteuerung Ihres Wagens als bewusste Manipulation ohne Rücksicht auf die Umwelt und auf Ihre Interessen erweist.
Inzwischen haben zahlreiche Oberlandesgerichte geurteilt: Sowohl die Abschaltung der Abgasreinigung als auch ihre Reduktion sind eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, die Käufer des Autos zum Schadenersatz berechtigen. Das gilt auch für die sogenannten „Temperaturfenster“, bei denen die Abgasreinigung unterhalb und oberhalb bestimmter Temperaturen reduziert oder abgeschaltet wird, soweit Temperaturen außerhalb des Bereichs regelmäßig auftreten.
Nur für extreme Temperaturen, die nur sehr selten auftreten, ist es zum Schutz des Motors nach den EU-Regeln zulässig, die Abgasreinigung zu reduzieren oder abzuschalten. Bei hier häufigen Temperaturen muss die Abgasreinigung vollständig in Betrieb sein.
Gegen Händler können Sie nach der derzeit bei den Landgerichten vorherrschenden Rechtsauffassung Rechte nur durchsetzen, wenn Sie den Wagen vor weniger als zwei Jahren erhalten haben. Dann tritt Verjährung ein. Das Landgericht Augsburg kam jüngst allerdings mit überzeugender Begründung zum Ergebnis: Kaufverträge über Skandal-Autos sind wegen des Verstoßes gegen die EU-Zulassungsverordnung nichtig. Käufer eines solchen Wagens haben dann Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises. Der verjährt erst drei Jahre ab Ende des Jahres, in dem der Kaufpreis gezahlt wurde.
Stets gilt: Sofern die Verjährung schon nahe ist, müssen Sie sich beeilen; gerichtliche Schritte einzuleiten dauert etwas. Rechtsanwälte mit Abgasskandalerfahrung sind gefragt. Die erforderlichen Schritte innerhalb weniger Tage einzuleiten, ist oft nicht zu schaffen. Sie sollten sich möglichst mindestens zwei Monate vor Ende der Verjährung an einen Rechtsanwalt wenden.
Achtung: Konfrontieren Sie Händler oder Hersteller mit Forderungen, obwohl sie dazu nicht berechtigt sind, können diese rechtlich gegen Sie vorgehen. Sie müssten dann die Kosten dafür tragen. test.de hält das Risiko solcher sogenannter „negativer Feststellungsklagen“ allerdings für gering. Auf der sicheren Seite sind Sie, wenn Sie eine Verkehrsrechtsschutzversicherung haben. Die übernimmt die Kosten von Streitigkeiten um den Kauf von Autos. Eine einfache Vertragsrechtsschutzversicherung zahlt solche Kosten allerdings nicht.
Ich habe eins der Autos, bei denen VW oder ein anderer Hersteller den Kohlendioxidausstoß und damit den Spritverbrauch zu niedrig angegeben hat. Wie sieht es mit meinen Rechten aus?
Auch Besitzer von Autos, bei denen der Normverbrauch höher ist als vom Hersteller angegeben, können Anspruch auf Schadenersatz haben. Die Tücke steckt allerdings im Detail. Es ist ein offenes Geheimnis, dass bei den Fahrten für die Ermittlung des Normverbrauchs fleißig getrickst wird. Zahlreiche Tricks vom Einsatz hart aufgepumpter Leichtlaufreifen bis hin zum Abkleben der Karosseriefugen zur Verringerung des Luftwiderstands sind offenbar sogar legal.
test.de vermutet: Es kommt darauf an, ob die Messungen der Behörden dazu führen, dass die Hersteller ihre Angaben zum Normverbrauch korrigieren müssen. Selbst dann ist es noch schwierig, die tatsächlichen Zusatzkosten zu ermitteln. Der tatsächliche Verbrauch liegt nämlich je nach Fahrgewohnheiten und Strecken mehr oder weniger stark über dem Normverbrauch. Es ist nicht sicher, dass der tatsächliche Kraftstoffverbrauch um genau so viel höher liegt, wie der Normverbrauch zu gering angegeben war. Allerdings dürfen Gerichte die Höhe des Schadens auch schätzen – gut möglich, dass sie diese Möglichkeit in dieser Konstellation nutzen.
Kundenrechte von Leasingnehmern
Was muss ich beachten, wenn ich ein Skandalauto geleast habe?
Als Leasingnehmer müssen Sie im Abgasskandal besonders vorsichtig sein. Der Leasinggeber tritt Ihnen die Sachmangelrechte gegen den Verkäufer ab. In der Regel sind sie verpflichtet, Sachmangelrechte konsequent geltend zu machen. Versäumen Sie das, können Sie dem Leasinggeber gegenüber für den skandalbedingten Wertverlust des Wagens verantwortlich sein, erklärt Rechtsanwalt Marco Rogert.
Wenn noch nicht geschehen, sollten Sie zumindest sofort beim Leasinggeber nachfragen, wie Sie sich verhalten sollen und im Zweifel auf einer verbindlichen Antwort bestehen. Auf der sicheren Seite sind Sie nur, wenn Sie mögliche Sachmangelrechte wegen des Abgasskandals unverzüglich geltend machen. Möglicher Ausweg: Leasingverträge mit unzureichender Belehrung über das Widerrufsrecht oder nicht korrekten Verbraucherinformationen können auch Jahre nach Abschluss noch widerruflich sein. Mehr dazu in unserer Meldung Kreditwiderruf bringt Chance auf Rückgabe.
Was gilt, wenn ich einen der Wagen geleast habe, die erst in den letzten Monaten zurückgerufen worden sind?
Sie sollten sich sofort an Ihr Leasing-Unternehmen wenden und nachfragen, wie Sie sich verhalten sollen – sicherheitshalber auch dann, wenn noch gar nicht klar ist, ob Ihr Wagen überhaupt vom Rückruf betroffen ist. Wenn das erst später bekannt wird, könnten Sachmangelrechte gegen das Unternehmen, das den Wagen an den Leasing-Geber verkauft hat, bereits verjährt sein.
Sofern Ihr Leasing-Geber Ihnen Vorgaben macht, sollten Sie die unbedingt befolgen. Sie laufen sonst Gefahr, ganz oder teilweise für den mit dem Abgasskandal verbundenen Wertverlust des Wagens zu haften. Unabhängig davon können Sie prüfen lassen, ob Ihr Leasingvertrag wegen fehlerhafter Informationen oder Belehrung zum Widerrufsrecht noch widerruflich ist. Mehr dazu in unserer Meldung Autofinanzierung: Kreditwiderruf bringt Chance auf Rückgabe.
Kundenrechte von Autokreditnehmern
Was ändert sich, wenn ich mein Skandalauto mit einem vom Händler vermittelten Autokredit bezahlt habe?
Die Verbraucherinformationen zu fast allen ab 14. Juni 2010 geschlossenen Autokreditverträgen sind fehlerhaft. Solche Verträge können Kreditnehmer auch Jahre nach Vertragsschluss widerrufen. Hat den Kreditvertrag der Autohändler vermittelt, führt der Widerruf des Kreditvertrags dazu, dass auch der Autokauf rückabzuwickeln ist. Das dürfte oft leichter durchzusetzen sein als Sachmangelrechte oder Schadenersatzansprüche.
Für ab 13. Juni 2014 abgeschlossene Kreditverträge gilt jedenfalls nach Ansicht von Verbraucheranwälten sogar: Nach Widerruf dürfen Sie den Wagen zurückgeben ohne eine Entschädigung für die gefahrenen Kilometer zu zahlen. Detaillierte Tipps und einen Mustertext für den Widerruf finden Sie in unserer Meldung Autofinanzierung: Kreditwiderruf bringt Chance auf Rückgabe.
Die Rechte von VW-Aktionären
Habe ich als VW-Aktionär Anspruch auf Schadenersatz wegen Kursverlusten?
Für sicher halten es die Rechtsexperten der Stiftung Warentest, dass Aktionäre Schadenersatz für die nach Bekanntwerden des Skandals entstandenen Kursverluste verlangen können, wenn sie ihre Anteile ab Frühjahr 2015 erworben haben. Spätestens seit diesem Zeitpunkt weiß VW, dass die US-Behörden den Hersteller im Verdacht haben, bei der Abgasreinigung von Autos mit bestimmten Dieselmotoren illegal zu tricksen.
Aktiengesellschaften sind verpflichtet, ihre Anteilseigner unverzüglich über kursrelevante Ereignisse zu informieren. VW hatte die Vorgänge jedoch erst Monate später publik gemacht. Auch die Entscheidung, überhaupt Software einzusetzen, die die Abgasreinigung im Fahrbetrieb verringert oder gar abschaltet, dürfte dazu führen, dass Aktionären Schadenersatz zusteht. Möglicherweise haften einzelne VW-Verantwortliche zusätzlich persönlich.
Beachten Sie: Für Aktionärsklagen müssen Rechtsschutzversicherer nicht immer zahlen. Insbesondere bei erst in den letzten Jahren abgeschlossenen Verträgen sind solche Rechtsstreitigkeiten oft ausgeschlossen. test.de führt und aktualisiert eine Liste mit verbraucherfreundlichen Urteilen rund um den Abgasskandal.
Gibt es ein Musterverfahren, in das ich mich als Anleger einklinken kann?
Ja, aber die Frist ist inzwischen abgelaufen. Beim Landgericht Braunschweig sind rund 1 540 Schadensersatzklagen gegen VW mit einem Streitwert von rund 8,8 Milliarden Euro eingegangen, die meisten davon von Privatanlegern. Doch auch der Bayerischen Pensionsfonds (Streitwert: 700 000 Euro), das Sondervermögen „Versorgungsrücklage des Landes Hessen“, der Versorgungsfonds des Landes Baden-Württemberg (Streitwert: 1,1 Millionen Euro) und die Vereinigten Staaten von Amerika (wegen der Verluste von Pensionsfonds mit VW-Aktien liegt der Streitwert im dreistelligen Millionenbereich) haben VW verklagt.
Die meisten Klageverfahren von kleinen und mittleren Anlegern hat das Landgericht Braunschweig ausgesetzt. Das Oberlandesgericht Braunschweig hat die Deka Investment GmbH aus Frankfurt am Main als Musterkläger bestimmt. In deren Verfahren sollen alle wesentlichen Rechtsfragen geklärt werden. Die übrigen Kläger brauchen einstweilen nichts zu unternehmen. Ihre Verfahren gehen weiter, wenn das Musterverfahren geklärt ist.
Was muss ich als VW-Aktionär beachten, wenn ich Schadenersatz fordern will?
Wenn Sie noch nichts unternommen haben, sind Ihre Rechte inzwischen verjährt.
Skandalautos anderer Hersteller
Ich habe ein Skandalauto – aber nicht vom VW-Konzern. Wie sieht es mit meinen Rechten aus?
Inzwischen ist sicher: Bei offiziell vom Kraftfahrtbundesamt oder einer anderen Zulassungsbehörde wegen illegaler Motorsteuerung zurückgerufener Autos haben Besitzer der Autos gegen den Verkäufer ein Recht auf Nachbesserung und sie können vom Vertrag zurücktreten.
Ob die Hersteller so wie von zahlreichen Gerichten für VW angenommen Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zahlen müssen, ist allerdings nicht sicher. Sofern der betreffende Hersteller annehmen durfte, er dürfe sich für die Abschaltung der Abgasreinigung auf in den EU-Richtlinien über die Typzulassung ausdrücklich zugelassene Ausnahmen berufen, könnte ein sogenannter „Verbotsirrtum“ vorliegen. Dann sind die Verantwortlichen zwar nicht notwendigerweise vor Bestrafung geschützt – wenn nämlich der Irrtum vermeidbar war.
Der Autohersteller haftet Käufern seiner Wagen aber wahrscheinlich nicht wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung auf Schadenersatz, wenn er sich im Verbotsirrtum befunden hat.
Diese FAQ werden seit September 2015 regelmäßig aktualisiert, jüngstes Update: 17. Dezember 2020.