Antide­pressiva absetzen In kleinen Schritten zum Entzug

Antide­pressiva absetzen - In kleinen Schritten zum Entzug

Das Absetzen von Medikamenten gegen Depressionen kann starke Neben­wirkungen mit sich bringen. Daher sollte es nicht auf eigene Faust unternommen werden. © Getty Images / Valentin Russanov

Licht am Ende des Tunnels in Sicht? Wer Antide­pressiva nicht länger einnehmen will, sollte typische Entzugs­symptome kennen und sich ärzt­lich begleiten lassen.

Sie nehmen regel­mäßig Antidepressiva ein und wollen runter davon? Dann gilt: Bloß nicht auf eigene Faust absetzen, es könnten schwere Probleme auftreten! Der Grund: Weil sich der Körper an die Zufuhr der Medikamente gewöhnt, sind bei ihrem Wegfall Entzugs­erscheinungen möglich.

Als Orientierung gilt: Wer Antide­pressiva über mehr als acht Wochen einge­nommen hat, sollte das Risiko berück­sichtigen.

Was kann beim Einnahme-Stopp passieren?

Folgende Beschwerden können unter anderem auftreten, wenn Sie ein Antide­pressivum absetzen:

  • Schwindel,Benommenheit
  • Übel­keit, Erbrechen
  • Schlafstörungen, Alpträume
  • Grippe­ähnliche Beschwerden
  • Kopfschmerzen
  • Reiz­barkeit
  • Ängst­lich­keit
  • Strom­schlag­ähnliche Miss­empfindungen.

Die Symptome treten meist nach etwa ein bis vier Tagen nach dem Absetzen auf und klingen oft inner­halb von zwei bis sechs Wochen wieder ab. Mitunter bleiben sie aber monate­lang bestehen.

Antide­pressiva: die verschiedenen Wirk­stoff­gruppen

Gegen Depressionen kommen diverse Wirk­stoffe zum Einsatz, viele davon haben wir in einem Special zu Antidepressiva bewertet. Manche von ihnen werden aufgrund ihrer Eigenschaften in größere Gruppen zusammengefasst:

  • SSRI: Selektive Serotonin-Wieder­aufnahme-Hemmer
    (engl.: selective serotonin reuptake inhibitor),
  • SNRI: Selektive Serotonin-Nor­adrenalin-Wieder­aufnahme-Hemmer
    (engl.: serotonin noradrenalin reuptake inhibitor),
  • MAO-Hemmer: Monoaminoxidase-Hemmer.

Andere werden dagegen aufgrund ihrer chemischen Struktur zu einer Wirk­stoff­gruppe zusammengefasst wie etwa:

  • Trizyklische Antide­pressiva, auch Trizyklika
  • Tetra­zyklische Antide­pressiva

Wie oft kommt es zu Entzugs­erscheinungen?

Etwa ein Drittel der Menschen, die eine Therapie mit Antide­pressiva beenden, haben Absetz­symptome, zeigt eine Meta-Analyse von Forschenden der Charité Berlin und der Uni Köln, die 2024 im Fachjournal Lancet Psychiatry erschienen ist. In die Auswertung flossen Daten aus 79 Studien mit rund 21 000 Teilnehmenden ein.

Was sind Ursachen für die Beschwerden?

Teil­weise hängen sie wohl mit der unterschiedlichen Wirk­dauer von Antide­pressiva im Körper zusammen. So wirkt Fluoxetin, ein SSRI, sehr lange. Bei diesem Stoff zeigen sich selten Absetz­probleme, wie die neue Auswertung bestätigt. Einige Antide­pressiva scheinen demnach häufiger oder schwerere Absetz­symptome zu verursachen als andere – namentlich manche trizyklischen Antide­pressiva wie Imipramin, SSRI wie Paroxetin oder SNRI wie Venlafaxin.

Laut der Meta-Analyse könnten zudem neben körperlichen auch psycho­logische Ursachen eine Rolle spielen. 4 470 Teilnehmende hatten anstatt eines Antide­pressivums ein Scheinmedikament (Placebo) bekommen – und auch bei 17 Prozent von ihnen traten Absetz­symptome auf. Diese könnten also teil­weise auf Ängste vorm Absetzen zurück­gehen. Dennoch sollten Patientinnen und Patienten das Problem und wichtige Vorbeugemaß­nahmen ernst­nehmen.

Von geeignet bis wenig geeignet: Medikamente im Test

  • Blut­hoch­druck, Prostata­vergrößerung, Reizdarm – die Stiftung Warentest bewertet regel­mäßig Nutzen und Risiken verschiedener Medikamente, und zwar anhand von Begut­achtungen durch Arznei­mittel­fachleute unter Einbeziehung aktueller Studien­ergeb­nisse. Alle Tests stehen gebündelt auf unserer Themenseite Medikamente.
  • Informationen über die verschiedenen Formen und Ursachen von Depressionen sowie Therapie­möglich­keiten gibt unser Buch Hilfe bei Depressionen.
  • Einen Über­blick zum Nutzen der Psycho­therapie bei seelischen Leiden und zu den kassen­finanzierten Psycho­therapie­verfahren finden Sie in einem eigenen Beitrag zum Thema Psychotherapie. Dort geben wir auch Tipps für die Suche nach einem Therapie­platz.

Wie kann ich Entzugs­erscheinungen vorbeugen?

Damit das Ende der Depressions­therapie nicht von Entzugs­problemen über­schattet wird, empfehlen Fachleute, die Präparate „auszuschleichen“, sie also über einen längeren Zeitraum immer geringer zu dosieren. Das nützt noch aus einem weiteren Grund: Werden Antide­pressiva nach längerer Einnahme abrupt abge­setzt, könnte die Depression wieder aufflammen. Ein lang­sames Ausschleichen wirkt dem entgegen.

Gemäß der 2022 aktualisierten Nationalen Versorgungsleitlinie Depression sollten Antide­pressiva am Ende einer lang­fristigen Therapie über mindestens acht bis zwölf Wochen ausgeschlichen werden. Dabei kann es beispiels­weise helfen, Tabletten immer nied­riger zu dosieren oder Patientinnen und Patienten zunächst auf ein Antide­pressivum in flüssiger Form umzu­stellen und dieses dann tropfen­weise zu verringern. War das Antide­pressivum weniger als acht Wochen im Einsatz oder muss es etwa aufgrund von Neben­wirkungen dringend gewechselt werden, ist laut Leit­linie ein rasches Absetzen möglich.

Wichtig: Lassen Sie Antide­pressiva nie auf eigene Faust weg und reduzieren Sie auch nicht eigenmächtig die Dosis, sondern besprechen Sie das Vorgehen mit Ihrer Ärztin. Wenn Sie Absetz­symptome bemerken, wenden Sie sich an die Praxis. Dann muss die Dosis vermutlich wieder erhöht und anschließend in noch kleineren Schritten verringert werden.

Ältere vertragen nicht alle Antide­pressiva

Verschiedene Antide­pressiva sowie diverse weitere Medikamente stehen auf der sogenannten Priscus-Liste – das bedeutet, sie können älteren Menschen möglicher­weise schaden. Mehr zu diesen Wirk­stoffen und wie sie sich ersetzen lassen, finden Sie in einem gesonderten Beitrag zur Priscus-Liste.

Rück­fall oder Entzugs­symptom?

Wird eine Behand­lung mit einem Antidepressivum beendet und treten in der Folge­zeit Beschwerden auf, ist es nicht immer eindeutig, ob die Probleme durch das Absetzen des Medikamentes auftreten oder ob die Depression zurück­gekehrt ist. Mit einer Esels­brücke (FINISH, eng­lisch: beenden) wird versucht, typische Entzugs­symptome zusammen­zufassen:

F

flu-like symptoms, grippe­ähnliche Symptome

I

insomnia, Schlafstörungen

N

nausea, Erbrechen, Übel­keit

I

imba­lance, Schwindel und Gleichgewichts­störungen

S

sensory disturbances, strom­schlag­artige Miss­empfindungen

H

hyper­arousal, Ängst­lich­keit, Reiz­barkeit.

Die typischen Anzeichen einer Depression sind davon nicht immer leicht abzu­grenzen. Schwermut, Antriebs- und Kraft­losig­keit können bei einer Depression ebenso auftreten wie Appetit- und Schlaflosig­keit oder körperliche Beschwerden.

Anhalts­punkt zur Unterscheidung: Absetz­beschwerden zeigen sich häufig sehr schnell – etwa ein bis vier Tage nach Behand­lungs­ende oder einer Verringerung der Dosis. Die Beschwerden klingen zudem meist inner­halb von zwei bis sechs Wochen ab, selten halten sie mehrere Monate an. Einen Rück­fall beob­achten Betroffene meist erst deutlich später. Auch dann ist es wichtig, sich an seinen Arzt oder seine Ärztin zu wenden, um die passende Hilfe einzuleiten.

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