
Therapiesitzung. Eine Jugendliche stellt sich dem Leiden © Getty Images
Seit Ausbruch der Pandemie sind psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen deutlich gestiegen. Psychotherapie hilft ihnen ebenso gut wie Antidepressiva.
Mehr Jugendliche mit depressiven Symptomen
Die Zahl der 15- bis 17-Jährigen, die während der Pandemie neu an einer Depression erkranken, stieg laut DAK-Kinder- und Jugendreport im Jahr 2020 um acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch die bundesweite COPSY-Studie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zeigte einen Anstieg der psychischen Auffälligkeiten und depressiven Symptome im Winter 2020/2021 gegenüber der Zeit vor der Pandemie. Laut Bundespsychotherapeutenkammer liegt der Anteil an Kindern und Jugendlichen mit depressiven Symptomen mittlerweile bei 15 Prozent.
Generell leiden etwa 1 Prozent der Kinder und 5 Prozent der Jugendlichen an einer depressiven Störung. Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, steigt ab der Pubertät. Mädchen im Jugendalter sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Jungen.
Es geht auch ohne Antidepressiva
Was hilft den betroffenen Kindern und Jugendlichen? Das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Donau-Universität Krems im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) untersucht.
Sie wollten wissen, was eine Psychotherapie zur Behandlung von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen bringt. Dazu werteten die Forschenden 13 Übersichtsarbeiten mit Daten aus 150 Studien aus. Das Ergebnis: Zur Behandlung müssen es nicht Antidepressiva sein. Bestimmte Formen der Psychotherapie helfen den jungen Menschen ebenso gut.
Zwei Therapieformen lindern depressive Symptome
Die Forschenden verglichen verschiedene Formen der Psychotherapie: kognitive Verhaltenstherapie, psychodynamische und interpersonelle Psychotherapie.
Positive Effekte zeigten zwei Therapieformen: Die kognitive Verhaltenstherapie und die interpersonelle Psychotherapie. Beide können depressive Symptome bei Kindern und Jugendlichen lindern und schneiden nicht schlechter ab als eine Behandlung mit Antidepressiva. Die kognitive Verhaltenstherapie zielt darauf, belastende Denkmuster zu verändern. Interpersonelle Psychotherapie half Betroffenen, mit zwischenmenschlichen Konflikten umzugehen. Die Studienlage zur psychodynamischen Psychotherapie war laut dem Wissenschaftlerteam nicht ausreichend, um die Wirksamkeit abschließend zu beurteilen.
Hilfe und Unterstützung finden
- Für Jugendliche.
- Psychotherapieplätze sind zur Zeit rar. Für Jugendliche gibt es Online-Anlaufstellen wie nummergegenkummer.de und das Infoportal „ich bin alles“. Das Projekt wurde von der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des LMU Klinikums München in Partnerschaft mit der Beisheim Stiftung entwickelt. Auf der Webseite finden Jugendliche Hilfe – sowohl Telefonnummern für den akuten Krisenfall, aber auch Unterstützung bei der Therapeutensuche.
- Für Eltern.
- Das Infoportal „ich bin alles“ hat für Eltern einen gesonderten Bereich und informiert unter anderem darüber, woran sich eine Depression erkennen lässt. Die Bundespsychotherapeutenkammer informiert auf der Webseite www.elternratgeber-psychotherapie.de etwa darüber, wie eine Psychotherapie abläuft.
Grüne Umgebung kann Kinder stärken
Wissenschaftler forschen auch daran, welche Faktoren die Entstehung von psychischen Erkrankungen beeinflussen. So fanden Forscher der dänischen Uni Aarhus heraus: Kinder, die auf dem Land oder in der Nähe von Grünanlagen aufwachsen, haben ein bis zu 55 Prozent geringeres Risiko für psychische Erkrankungen als Kinder, die ohne grünes Umfeld groß werden. Die Forscher hatten Gesundheitsdaten von etwa 900 000 Dänen mit Landschaftsaufnahmen aus Dänemark von 1985 bis 2013 verglichen.
Häufiger Depressionen in dicht bebauten Stadtteilen
Es zeigte sich, dass jene, die bis zum Alter von zehn Jahren in dicht bebauten Stadtteilen aufgewachsen waren, als Erwachsene häufiger etwa an Depressionen und Stimmungstiefs litten als Altersgenossen mit einer Kindheit in grüneren Gegenden. „Ein grünes Umfeld kann Erholungsphasen, körperliche Aktivität und soziale Kontakte fördern“, so die Autoren. Ruhe stärke zudem die geistige Entwicklung, weniger Luftverschmutzung das Immunsystem. Die Forscher appellieren an Stadtplaner, sich für mehr Grün und Natur in Städten einzusetzen.
Hilfe bei Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen
- Medikamente.
- Fluoxetin ist als einziger Wirkstoff für die Behandlung einer Depression bei Kindern und Jugendlichen zugelassen. Er kann bei Kindern ab acht Jahre mit mittelschweren bis schweren Depressionen eingesetzt werden, wenn nach vier bis sechs Sitzungen einer psychotherapeutischen Behandlung keine Besserung eingetreten ist. Andere Antidepressiva verschreiben Ärztinnen und Ärzten außerhalb der Zulassung für Kinder. In unserer Datenbank Medikamente im Test finden Sie Bewertungen für viele Arzneimittel gegen Depressionen. Welche pflanzlichen Stimmungsaufheller einen Versuch wert sind, lesen Sie unserem Test von Mitteln mit Johanniskraut.
- Psychotherapie online.
- Es gibt mittlerweile auch Online-Psychotherapie für Kinder und Jugendliche. Wir haben acht Onlineprogramme gegen Depression für Erwachsene getestet: Vier sind empfehlenswert.
- Apps.
- Gegen manche psychische Erkrankungen helfen auch Apps auf dem Smartphone. Wir haben Apps gegen Angststörungen getestet.
- Bücher.
- Unser Ratgeber Depression. Das Richtige tun gibt Angehörigen und Freunden von Betroffenen Unterstützung an die Hand. Das Buch Depressionen überwinden richtet sich vor allem an Betroffene. Der Ratgeber Hilfe bei Magersucht & Bulimie gibt konkrete Tipps, um Freunde und Angehörige mit Essstörungen zu unterstützen.
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Interessante Studie, auch wenn hierbei sicherlich noch der Faktor zu bedenken ist, in welchem Maße psychische Erkrankungen erfasst wurden, vor 20 Jahren und heute. Oder welche Strukturen diese Korrelation eventuell noch erklären oder beeinflussen können.
Liebe Grüße
Timo Funken