Jung und verschuldet Wie junge Menschen aus der Schuldenfalle raus­kommen

Datum:
  • Text: Lena Sington
  • Faktencheck: Dr. Claudia Behrens
Jung und verschuldet - Wie junge Menschen aus der Schuldenfalle raus­kommen

Über­sicht geht verloren. „Buy now, pay later“-Angebote machen es jungen Menschen schwer, den Über­blick über ihre Finanzen zu behalten. © Getty Images / Louis Christian

Die Verschuldung junger Menschen nimmt zu. Wie das kommt, wo junge Leute Hilfe bekommen und wie eine neue EU-Richt­linie helfen kann.

Junge Leute zwischen 18 und 30 Jahren waren 2024 eine der zwei Alters­gruppen, in denen die Über­schuldungs­quote zugenommen hat. Das geht aus den Daten des Schuldner­atlas von Credit­reform hervor. Als „über­schuldet“ gelten Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Verbindlich­keiten zu begleichen, weder aus dem eigenen Vermögen noch aus den zu erwartenden Einnahmen. 744 000 junge Menschen im Alter bis zu 30 Jahren kämpfen mit Über­schuldung.

Wer die Ursachen kennt, tappt im Ideal­fall gar nicht in die Falle. Die Stiftung Warentest erläutert, was das Smartphone und tückische Ratenzahlungs­angebote mit den Schulden zu tun haben. Wir stellen die wichtigsten Beratungs­stellen vor und sagen, wie junge Leute in Not trotz des beschränkten Angebots schnell an Hilfe kommen, bevor sie ihre Wohnung verlieren oder im Kalten sitzen. Unsexy, aber hilf­reich, kann ein Haus­halts­buch sein, zum Beispiel in der Form der von uns getesteten Haushaltsbuch-Apps.

„Buy now, pay later“-Angebote machen Schulden unüber­sicht­lich

Der Schulden­anstieg bei den jungen Leuten geht einher mit der zunehmenden Nach­frage nach Raten­krediten und den „Buy now, pay later“-Angeboten. Die Idee „Kauf es jetzt und bezahle später“ führt schnell zu einem Chaos auf dem Konto.

In der Gruppe der 21- bis 30-Jährigen geben 17 Prozent laut ibi-Consumer-Report an, aufgrund von Online-Einkäufen bereits Schulden oder Rück­stände bei Ratenzah­lungen gehabt zu haben. Von den über 60-Jährigen betrifft das lediglich 1 Prozent.

Sich zu verschulden, wird leicht gemacht. Eine Bonitäts­prüfung bei Beträgen unter 200 Euro findet aktuell nicht statt. So kann scheinbar ohne Grenzen konsumiert werden.

Smartphone als Schuldenfalle Nummer 1

Das Smartphone als Kostenfalle Nummer 1 spielt nach wie vor eine große Rolle unter Jugend­lichen und jungen Leuten: Kommunikation und Mobilität sind die wichtigsten Kosten­faktoren in ihrem Alltag und führen dazu, dass Schuldnerkarrieren früh beginnen. „Das Handy betrifft alle zwischen 16 und 25 Jahren und ist auch Status­symbol. Die Kostenfalle ,Buy now, pay later‘ betrifft hingegen nicht zwangs­läufig alle“, berichtet Heiner Gutbrod von der Jugend-Schulden-Beratung in Tübingen.

Monats­raten über­steigen den eigenen Horizont

Bei vielen Mobil­funkanbietern gibt es Lock­angebote: In den ersten sechs Monaten ist alles sehr günstig oder sogar für 0 Euro zu haben. Danach fallen monatliche Raten an, die den jungen Leuten über den Kopf wachsen.

Heiner Gutbrod kennt diese Fälle: „Junge Leute, die wenig Geld haben, denken dann ‚Ich nehme mal das, was mich am Anfang wenig kostet und das werde ich dann schon hinkriegen‘, und dieses ‚Das werde ich dann schon hinkriegen‘ ist eigentlich die Katastrophe.“

Zu viele Kredite neben­einander

Auch bei den „Buy now, pay later“-Angeboten fällt es schwer, den Über­blick zu behalten. Die Tücken zeigt unser Test von acht „Buy now, pay later“-Anbietern. Raten­kredite werden zu unterschiedlichen Zins­sätzen angeboten, und bei der Masse an Online-Käufen, die junge Leute so bezahlen, gehen sie leicht darin unter. Irgend­wann können sie die monatlichen Forderungen der verschiedenen Gläubiger nicht mehr bedienen, die Schulden wirken bedrohlich. Dann kommen die jungen Erwachsenen nicht mehr aus dieser Situation heraus.

Durch die Scham wird alles noch schlimmer

Sind Schulden nicht mehr so schambehaftet wie in früheren Generationen? „Fehl­anzeige“, sagt Roman Schlag, Schuldnerberater und Sprecher der Verbände der Schuldnerberatungen in Deutsch­land, im Interview mit der Stiftung Warentest. „Anfangs wird vielleicht auf Social Media Kanälen mit den eigenen Schulden noch geprahlt, aber wenn es den Status erreicht, in dem es nicht mehr bewältig­bar wirkt, passiert das gleiche bei jungen Menschen wie bei älteren: Die Scham kommt und macht alles noch viel schlimmer.“

Große Zahl der Gläubiger macht es kompliziert

Schwierig wird es spätestens dann, wenn die Post nicht mehr geöffnet wird. In den Beratungen sitzen heute junge Menschen, deren Schuldensummen nicht unbe­dingt eklatant hoch sind, aber es sind viel mehr Gläubiger im Spiel als noch vor Jahren. Das macht es auch für erfahrene Schuldnerberater und -berate­rinnen schwer.

Hilfe holen bei Beratungs­stellen

Für Jugend­liche und junge Erwachsene ist es hilf­reich, wenn die Beratungs­angebote so nied­rigschwel­lig wie möglich sind. Nach wie vor gibt es wenige Angebote für Menschen unter 25 Jahren.

In Tübingen können sie sich per Messenger WhatsApp melden und bekommen Antworten und auch schnell einen Rück­ruf oder Termin. Ähnlich ansprechende Hilfe für Jugend­liche gibt es zum Beispiel auch in München und Esslingen.

Andere Schuldenberatungs­stellen haben Konzepte für unter 25-Jährige, ohne dass es speziell Jugend-Schuldenberatungs­stellen sind. In Freiburg ist die Jugend-Schuldenberatung bei der Jugendberatungsstelle angesiedelt und nicht bei einer Schuldenberatungs­stelle.

„Insgesamt würde es sich lohnen, deutsch­land­weit mehr für die Jugend­lichen zu tun“, sagt Heiner Gutbrod von der Jugend-Schulden-Beratung in Tübingen. „Wir verhindern Einstiegs­verschuldung und bieten vor allem Unterstüt­zung für die Jugend­lichen, die mit vererbter Verschuldung zu kämpfen haben.“ Vererbte Über­schuldung heißt, dass Jugend­liche, die in über­schuldeten Haushalten aufgewachsen sind, oft gar nicht wissen, wie ein gesunder Umgang mit Geld geht.

Beratung bei Schulden bieten neben vereinzelten Kommunen vor allem die Verbraucherzentralen in Deutsch­land und die Wohl­fahrts­verbände wie Arbeiter­wohl­fahrt (Awo), Caritas, Diakonie, Paritätischer Wohl­fahrts­verband und das Deutsche Rote Kreuz.

In der Krise an der Warte­schlange vorbei

Falls Beratungs­stellen angeben, dass es bis zu einem Termin zwischen sechs Wochen und mehreren Monaten dauern kann, ist es für die Betroffenen wichtig zu wissen: Alle Beratungs­stellen bieten in Krisensituationen schneller Hilfe. Krise heißt zum Beispiel: Energiekosten und Wohn­schulden können nicht mehr gezahlt werden. Die Menschen, die das betrifft, sollten zum Hörer greifen und ihre Krise klar beschreiben, damit ihnen besser und schneller geholfen werden kann, beispiels­weise vorab telefo­nisch.

Jugend­liche unter 18 können Beratungs­angebote ebenfalls in Anspruch nehmen. Bei Minderjäh­rigen werden im Beratungs­verlauf dann meist die Eltern oder Bezugs­personen einbezogen.

Geschäfts­fähig­keit von Jugend­lichen unter 18 Jahren

Unter 7 Jahren nicht geschäfts­fähig

Das Bürgerliche Gesetz­buch (BGB) unterscheidet zwischen Kindern unter 7 Jahren und Minderjäh­rigen zwischen 7 und 18 Jahren. Kinder unter 7 Jahren sind geschäfts­unfähig (Paragraf 104 Nr. 1 BGB). Ein Kind unter 7 Jahren kann also keinen Vertrag abschließen.

Beschränkt geschäfts­fähig zwischen 7 und 18 Jahren

Minderjäh­rige zwischen 7 und 18 Jahren sind beschränkt geschäfts­fähig (Paragraf 106 BGB). Sie dürfen Geschäfte machen, die „lediglich recht­lich vorteilhaft“ für sie sind. Ein recht­licher Nachteil liegt zum Beispiel vor, wenn es einen Kauf­preis zu zahlen gibt. Da bei einem Kauf­vertrag immer die Verpflichtung zur Zahlung des Kauf­preises besteht, kann ein solcher Vertrag für einen Minderjäh­rigen nie nur recht­lich vorteilhaft sein und ist damit immer unwirk­sam.

Der Taschengeld-Paragraf

Paragraf 110 BGB regelt, dass Minderjäh­rige trotz ihrer nur beschränkten Geschäfts­fähig­keit ohne Zustimmung ihrer Eltern gewisse Dinge kaufen dürfen, wenn die vom Preis her „im Rahmen“ sind und der Minderjäh­rige sie von seinem Taschengeld zahlen kann.

Der Taschengeldparagraf gilt nur für Barkäufe. Ratenkäufe sind für Minderjäh­rige ohne Zustimmung der Eltern immer unwirk­sam. Ein Handy­vertrag mit monatlicher Grund­gebühr ist also selbst dann unwirk­sam, wenn die monatliche Grund­gebühr mit dem Taschengeld bezahl­bar wäre.

Praktische Folge eines unwirk­samen Geschäfts

Haben Minderjäh­rige ein Geschäft abge­schlossen, das nach den Regeln des BGB unwirk­sam ist, müssen weder sie noch ihre Eltern zahlen. Eltern sollten den Betrag nicht über­weisen, weil das dann als „Zustimmung“ zum Vertrag ausgelegt werden kann. In solchen Fällen ist es besser, dem Unternehmen die Sachlage zu erklären und darauf hinzuweisen, dass es keinen Rechts­anspruch gibt und deshalb von Rechnungen und Mahnungen Abstand genommen werden soll. Das gilt übrigens selbst dann, wenn ein Kind ein falsches Alter, beispiels­weise die Voll­jährigkeit angegeben hat. Es kommt auf das tatsäch­liche Alter des Kindes an.

Berater und Berate­rinnen leisten erste Hilfe

Der Einnahmen-Ausgaben-Check ist in der Beratung immer das Wesentliche: Was kommt rein, was geht raus. Das ist das A und O. Hilf­reich kann neben dem Haus­halts­plan ein Schulden­ordner sein. Eine Anleitung zum Anlegen eines Schuldenordners stellen verschiedene Schuldnerberatungs­stellen zur Verfügung. Auch Gläubiger­listen können hilf­reich sein, um sich einen Über­blick zu verschaffen, wer wie viel Geld zu bekommen hat.

Kostenfreier Beratungs­anspruch in der Zukunft?

Die meisten Angebote sind kostenlos. Es gibt aber auch Anlauf­stellen, die Gebühren für eine Schuldnerberatung nehmen. Schuldnerberater Roman Schlag sieht das kritisch: „Wir brauchen einen kostenfreien Rechts­anspruch für alle Personen.“

Aktuell haben nur Menschen im Sozial­leistungs­bezug einen kostenfreien Anspruch auf Schuldnerberatung, nicht aber Arbeitnehme­rinnen und Arbeitnehmer, Rentne­rinnen und Rentner und Studierende. Die meisten Beratungs­stellen versuchen trotzdem, für alle ein kostenloses Angebot zu machen, aber das führt ab und an zu Warte­zeiten.

Hoff­nung auf die neue EU-Richt­linie

Die EU-Länder haben der neuen Verbraucherkreditrichtlinie im Oktober 2023 zuge­stimmt. Darin steht, dass es einen Rechts­anspruch auf eine Schuldnerberatung geben soll, für „begrenzte Gebühren“. Außerdem soll bei Klein­krediten unter 200 Euro eine Prüfung der Bonität statt­finden. Künftig gelten die Schutz­regelungen auch für Über­ziehungs­kredite, unentgeltliche Kredite und kurz­fristige Kredite mit geringen Kosten, damit es gerade für junge Menschen nicht mehr so leicht wird, sich zu ver- und über­schulden.

Die EU-Richt­linie sagt, dass Deutsch­land im November 2025 einen Gesetz­entwurf zur nationalen Umsetzung der Richt­linie vorlegen muss, der im Jahr 2026 umge­setzt werden soll.

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