
Übersicht geht verloren. „Buy now, pay later“-Angebote machen es jungen Menschen schwer, den Überblick über ihre Finanzen zu behalten. © Getty Images / Louis Christian
Die Verschuldung junger Menschen nimmt zu. Wie das kommt, wo junge Leute Hilfe bekommen und wie eine neue EU-Richtlinie helfen kann.
Junge Leute zwischen 18 und 30 Jahren waren 2024 eine der zwei Altersgruppen, in denen die Überschuldungsquote zugenommen hat. Das geht aus den Daten des Schuldneratlas von Creditreform hervor. Als „überschuldet“ gelten Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen, weder aus dem eigenen Vermögen noch aus den zu erwartenden Einnahmen. 744 000 junge Menschen im Alter bis zu 30 Jahren kämpfen mit Überschuldung.
Wer die Ursachen kennt, tappt im Idealfall gar nicht in die Falle. Die Stiftung Warentest erläutert, was das Smartphone und tückische Ratenzahlungsangebote mit den Schulden zu tun haben. Wir stellen die wichtigsten Beratungsstellen vor und sagen, wie junge Leute in Not trotz des beschränkten Angebots schnell an Hilfe kommen, bevor sie ihre Wohnung verlieren oder im Kalten sitzen. Unsexy, aber hilfreich, kann ein Haushaltsbuch sein, zum Beispiel in der Form der von uns getesteten Haushaltsbuch-Apps.
„Buy now, pay later“-Angebote machen Schulden unübersichtlich
Der Schuldenanstieg bei den jungen Leuten geht einher mit der zunehmenden Nachfrage nach Ratenkrediten und den „Buy now, pay later“-Angeboten. Die Idee „Kauf es jetzt und bezahle später“ führt schnell zu einem Chaos auf dem Konto.
In der Gruppe der 21- bis 30-Jährigen geben 17 Prozent laut ibi-Consumer-Report an, aufgrund von Online-Einkäufen bereits Schulden oder Rückstände bei Ratenzahlungen gehabt zu haben. Von den über 60-Jährigen betrifft das lediglich 1 Prozent.
Sich zu verschulden, wird leicht gemacht. Eine Bonitätsprüfung bei Beträgen unter 200 Euro findet aktuell nicht statt. So kann scheinbar ohne Grenzen konsumiert werden.
Smartphone als Schuldenfalle Nummer 1
Das Smartphone als Kostenfalle Nummer 1 spielt nach wie vor eine große Rolle unter Jugendlichen und jungen Leuten: Kommunikation und Mobilität sind die wichtigsten Kostenfaktoren in ihrem Alltag und führen dazu, dass Schuldnerkarrieren früh beginnen. „Das Handy betrifft alle zwischen 16 und 25 Jahren und ist auch Statussymbol. Die Kostenfalle ,Buy now, pay later‘ betrifft hingegen nicht zwangsläufig alle“, berichtet Heiner Gutbrod von der Jugend-Schulden-Beratung in Tübingen.
Monatsraten übersteigen den eigenen Horizont
Bei vielen Mobilfunkanbietern gibt es Lockangebote: In den ersten sechs Monaten ist alles sehr günstig oder sogar für 0 Euro zu haben. Danach fallen monatliche Raten an, die den jungen Leuten über den Kopf wachsen.
Heiner Gutbrod kennt diese Fälle: „Junge Leute, die wenig Geld haben, denken dann ‚Ich nehme mal das, was mich am Anfang wenig kostet und das werde ich dann schon hinkriegen‘, und dieses ‚Das werde ich dann schon hinkriegen‘ ist eigentlich die Katastrophe.“
Zu viele Kredite nebeneinander
Auch bei den „Buy now, pay later“-Angeboten fällt es schwer, den Überblick zu behalten. Die Tücken zeigt unser Test von acht „Buy now, pay later“-Anbietern. Ratenkredite werden zu unterschiedlichen Zinssätzen angeboten, und bei der Masse an Online-Käufen, die junge Leute so bezahlen, gehen sie leicht darin unter. Irgendwann können sie die monatlichen Forderungen der verschiedenen Gläubiger nicht mehr bedienen, die Schulden wirken bedrohlich. Dann kommen die jungen Erwachsenen nicht mehr aus dieser Situation heraus.
Durch die Scham wird alles noch schlimmer
Sind Schulden nicht mehr so schambehaftet wie in früheren Generationen? „Fehlanzeige“, sagt Roman Schlag, Schuldnerberater und Sprecher der Verbände der Schuldnerberatungen in Deutschland, im Interview mit der Stiftung Warentest. „Anfangs wird vielleicht auf Social Media Kanälen mit den eigenen Schulden noch geprahlt, aber wenn es den Status erreicht, in dem es nicht mehr bewältigbar wirkt, passiert das gleiche bei jungen Menschen wie bei älteren: Die Scham kommt und macht alles noch viel schlimmer.“
Große Zahl der Gläubiger macht es kompliziert
Schwierig wird es spätestens dann, wenn die Post nicht mehr geöffnet wird. In den Beratungen sitzen heute junge Menschen, deren Schuldensummen nicht unbedingt eklatant hoch sind, aber es sind viel mehr Gläubiger im Spiel als noch vor Jahren. Das macht es auch für erfahrene Schuldnerberater und -beraterinnen schwer.
Hilfe holen bei Beratungsstellen
Für Jugendliche und junge Erwachsene ist es hilfreich, wenn die Beratungsangebote so niedrigschwellig wie möglich sind. Nach wie vor gibt es wenige Angebote für Menschen unter 25 Jahren.
In Tübingen können sie sich per Messenger WhatsApp melden und bekommen Antworten und auch schnell einen Rückruf oder Termin. Ähnlich ansprechende Hilfe für Jugendliche gibt es zum Beispiel auch in München und Esslingen.
Andere Schuldenberatungsstellen haben Konzepte für unter 25-Jährige, ohne dass es speziell Jugend-Schuldenberatungsstellen sind. In Freiburg ist die Jugend-Schuldenberatung bei der Jugendberatungsstelle angesiedelt und nicht bei einer Schuldenberatungsstelle.
„Insgesamt würde es sich lohnen, deutschlandweit mehr für die Jugendlichen zu tun“, sagt Heiner Gutbrod von der Jugend-Schulden-Beratung in Tübingen. „Wir verhindern Einstiegsverschuldung und bieten vor allem Unterstützung für die Jugendlichen, die mit vererbter Verschuldung zu kämpfen haben.“ Vererbte Überschuldung heißt, dass Jugendliche, die in überschuldeten Haushalten aufgewachsen sind, oft gar nicht wissen, wie ein gesunder Umgang mit Geld geht.
Beratung bei Schulden bieten neben vereinzelten Kommunen vor allem die Verbraucherzentralen in Deutschland und die Wohlfahrtsverbände wie Arbeiterwohlfahrt (Awo), Caritas, Diakonie, Paritätischer Wohlfahrtsverband und das Deutsche Rote Kreuz.
In der Krise an der Warteschlange vorbei
Falls Beratungsstellen angeben, dass es bis zu einem Termin zwischen sechs Wochen und mehreren Monaten dauern kann, ist es für die Betroffenen wichtig zu wissen: Alle Beratungsstellen bieten in Krisensituationen schneller Hilfe. Krise heißt zum Beispiel: Energiekosten und Wohnschulden können nicht mehr gezahlt werden. Die Menschen, die das betrifft, sollten zum Hörer greifen und ihre Krise klar beschreiben, damit ihnen besser und schneller geholfen werden kann, beispielsweise vorab telefonisch.
Jugendliche unter 18 können Beratungsangebote ebenfalls in Anspruch nehmen. Bei Minderjährigen werden im Beratungsverlauf dann meist die Eltern oder Bezugspersonen einbezogen.
Geschäftsfähigkeit von Jugendlichen unter 18 Jahren
Unter 7 Jahren nicht geschäftsfähig
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) unterscheidet zwischen Kindern unter 7 Jahren und Minderjährigen zwischen 7 und 18 Jahren. Kinder unter 7 Jahren sind geschäftsunfähig (Paragraf 104 Nr. 1 BGB). Ein Kind unter 7 Jahren kann also keinen Vertrag abschließen.
Beschränkt geschäftsfähig zwischen 7 und 18 Jahren
Minderjährige zwischen 7 und 18 Jahren sind beschränkt geschäftsfähig (Paragraf 106 BGB). Sie dürfen Geschäfte machen, die „lediglich rechtlich vorteilhaft“ für sie sind. Ein rechtlicher Nachteil liegt zum Beispiel vor, wenn es einen Kaufpreis zu zahlen gibt. Da bei einem Kaufvertrag immer die Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises besteht, kann ein solcher Vertrag für einen Minderjährigen nie nur rechtlich vorteilhaft sein und ist damit immer unwirksam.
Der Taschengeld-Paragraf
Paragraf 110 BGB regelt, dass Minderjährige trotz ihrer nur beschränkten Geschäftsfähigkeit ohne Zustimmung ihrer Eltern gewisse Dinge kaufen dürfen, wenn die vom Preis her „im Rahmen“ sind und der Minderjährige sie von seinem Taschengeld zahlen kann.
Der Taschengeldparagraf gilt nur für Barkäufe. Ratenkäufe sind für Minderjährige ohne Zustimmung der Eltern immer unwirksam. Ein Handyvertrag mit monatlicher Grundgebühr ist also selbst dann unwirksam, wenn die monatliche Grundgebühr mit dem Taschengeld bezahlbar wäre.
Praktische Folge eines unwirksamen Geschäfts
Haben Minderjährige ein Geschäft abgeschlossen, das nach den Regeln des BGB unwirksam ist, müssen weder sie noch ihre Eltern zahlen. Eltern sollten den Betrag nicht überweisen, weil das dann als „Zustimmung“ zum Vertrag ausgelegt werden kann. In solchen Fällen ist es besser, dem Unternehmen die Sachlage zu erklären und darauf hinzuweisen, dass es keinen Rechtsanspruch gibt und deshalb von Rechnungen und Mahnungen Abstand genommen werden soll. Das gilt übrigens selbst dann, wenn ein Kind ein falsches Alter, beispielsweise die Volljährigkeit angegeben hat. Es kommt auf das tatsächliche Alter des Kindes an.
Berater und Beraterinnen leisten erste Hilfe
Der Einnahmen-Ausgaben-Check ist in der Beratung immer das Wesentliche: Was kommt rein, was geht raus. Das ist das A und O. Hilfreich kann neben dem Haushaltsplan ein Schuldenordner sein. Eine Anleitung zum Anlegen eines Schuldenordners stellen verschiedene Schuldnerberatungsstellen zur Verfügung. Auch Gläubigerlisten können hilfreich sein, um sich einen Überblick zu verschaffen, wer wie viel Geld zu bekommen hat.
Kostenfreier Beratungsanspruch in der Zukunft?
Die meisten Angebote sind kostenlos. Es gibt aber auch Anlaufstellen, die Gebühren für eine Schuldnerberatung nehmen. Schuldnerberater Roman Schlag sieht das kritisch: „Wir brauchen einen kostenfreien Rechtsanspruch für alle Personen.“
Aktuell haben nur Menschen im Sozialleistungsbezug einen kostenfreien Anspruch auf Schuldnerberatung, nicht aber Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner und Studierende. Die meisten Beratungsstellen versuchen trotzdem, für alle ein kostenloses Angebot zu machen, aber das führt ab und an zu Wartezeiten.
Hoffnung auf die neue EU-Richtlinie
Die EU-Länder haben der neuen Verbraucherkreditrichtlinie im Oktober 2023 zugestimmt. Darin steht, dass es einen Rechtsanspruch auf eine Schuldnerberatung geben soll, für „begrenzte Gebühren“. Außerdem soll bei Kleinkrediten unter 200 Euro eine Prüfung der Bonität stattfinden. Künftig gelten die Schutzregelungen auch für Überziehungskredite, unentgeltliche Kredite und kurzfristige Kredite mit geringen Kosten, damit es gerade für junge Menschen nicht mehr so leicht wird, sich zu ver- und überschulden.
Die EU-Richtlinie sagt, dass Deutschland im November 2025 einen Gesetzentwurf zur nationalen Umsetzung der Richtlinie vorlegen muss, der im Jahr 2026 umgesetzt werden soll.
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