
Jane Buchholz arbeitet als Fachanwältin für Familienrecht in Berlin. Im Gespräch mit test.de erklärt sie, was passiert, wenn sich Eltern uneins übers Impfen sind. © privat
Die Ständige Impfkommission empfiehlt Covid-19-Impfungen für Kinder ab 12 Jahren. Rechtsanwältin Jane Buchholz erklärt, welche Mitspracherechte Jugendliche haben.
Keine starre Altersgrenze
Entscheiden Eltern allein, ob ihr minderjähriges Kind geimpft werden soll?
Ja, grundsätzlich entscheiden Eltern im Rahmen der sogenannten elterlichen Sorge allein. Allerdings haben Minderjährige ab einem bestimmten Alter ein Mitspracherecht. Auch in familienrechtlichen Verfahren spielt das eine Rolle. Kinder und Jugendliche werden angehört, wenn es in den Verfahren um ihre Belange geht. Eine juristische Altersgrenze im Hinblick darauf, über eine Impfung mitzuentscheiden, gibt es nicht. Oft sieht man sie bei etwa 14 bis 16 Jahren – abhängig vom Entwicklungsstand. Entscheidend ist, ob das Kind oder der Jugendliche einwilligungsfähig ist.
Was bedeutet das?
Um die Einwilligungsfähigkeit zu beurteilen, wird die Frage gestellt, ob der oder die Minderjährige die Bedeutung der Impfung sowie deren Folgen versteht – intellektuell sowie emotional.
Wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt
Kann sich ein einwilligungsfähiger Minderjähriger gegen den Willen der Eltern impfen lassen?
Einem Arzt würde ich davon abraten. Über die Einwilligung in den körperlichen Eingriff hinaus bedarf es eines Behandlungsvertrags mit den Sorgeberechtigten.
Welche Möglichkeiten hat der Minderjährige, seine Eltern zur Einwilligung zu bewegen? Kann er sich selbst ans Familiengericht wenden und auf Einwilligung klagen?
Das ist rechtlich problematisch. Kinder können ausnahmsweise verfahrensfähig sein, wenn sie das 14. Lebensjahr vollendet haben und ein Recht geltend machen, das ihnen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zusteht.
Die Impfung ist eine medizinische Behandlung durch einen Arzt. Das Kind hat darauf aber keinen direkten Anspruch, den es mithilfe des BGB gerichtlich gegen die eigenen Eltern durchsetzen könnte. Daher kann es sich die Impfung auch nicht per Klage erstreiten.
Nur wenn eine unterbleibende Impfung eine Gefährdung des Kindeswohls darstellen würde, kann das Kind sie gerichtlich durchsetzen – und zwar über das Jugendamt, das für den Staat sein Wächteramt ausübt und die verfassungsrechtliche Position des betroffenen Kindes auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern schützen soll. Der Antrag beim Familiengericht muss dann vom Jugendamt gegen die Eltern gestellt werden.
Und andersherum: Was passiert, wenn die Eltern für die Impfung sind, der Minderjährige aber dagegen?
Aus rechtlicher Sicht dürfte wohl auch gegen den Willen eines minderjährigen Kindes geimpft werden, wenn beide sorgeberechtigten Elternteile dies so wollen. Wenn das Kind einsichtsfähig ist, wäre dies allerdings aus ethischer Sicht nach meiner Auffassung fragwürdig.
Zu diskutieren ist, ob dem Kind in diesem Fall ein eigener Anspruch aus Paragraf 1631 Absatz 2 BGB gegen die Eltern zusteht, den das Kind ab dem 14. Lebensjahr selbst beim Familiengericht einklagen kann. In Paragraf 1631 Absatz 2 heißt es, dass Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben und körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen unzulässig sind.
Was passiert, wenn ein Elternteil fürs Impfen ist, der andere aber dagegen?
Bei gemeinsamer elterlicher Sorge müssen beide Elternteile entscheiden und sich einig sein. Ein Arzt muss diesen Umstand nicht überprüfen, wenn ein Elternteil mit dem Kind in die Praxis kommt. Das Einverständnis des anderen kann zunächst unterstellt werden. Geht es um besonders schwerwiegende Eingriffe, müssen sich Ärzte aber davon überzeugen, dass beide Elternteile einverstanden sind. Sind sie sich uneins und kommt es zum Streit, entscheidet letztlich das Familiengericht. In intakten Familien kommt das eher nicht vor.
Manchmal entscheiden Gerichte
Wie sieht es bei getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern aus?
Hier kommt es tatsächlich häufiger zum Streit ums Impfen. Haben die Eltern das gemeinsame Sorgerecht, müssen beide einer Impfung zustimmen. Tun sie das nicht und wenden sich an einen Rechtsanwalt, wird bei vermittelnder Beratung zunächst versucht, Einigkeit zu erzielen. Helfen kann dabei eine Erziehungs- und Familienberatungsstelle. Führt das nicht weiter, landet der Streit vor Gericht. Im Verfahren beantragt ein Elternteil dann, zum Wohle des Kindes allein entscheiden zu dürfen.
Und wie entscheiden Familiengerichte?
Gerichte beziehen sich in solchen Fällen oft auf Sachverständigengutachten. Die Empfehlung der Ständigen Impfkommission wirkt wie ein antizipiertes Sachverständigengutachten. Das heißt im Hinblick auf die Covid-Impfung: Die Entscheidungsbefugnis würde auf den Elternteil übertragen, der für die Impfung ist.
Tipps und Infos zum Thema Impfen
Egal, ob Corona, Pneumokokken oder Gürtelrose, ob Impfungen für Erwachsene oder Kinder – die Stiftung Warentest liefert zu allen wichtigen Impfthemen Einschätzungen und Bewertungen. Einen Überblick bietet unsere Themenseite Impfen.
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