
Überraschungsboxen. Wir wollten wissen, was hinter dem Trend steckt. © Stills & Strokes
Warenrücksendungen kaufen, ohne den Inhalt zu kennen? Das machen erstaunlich viele Menschen. Wir haben uns den Markt der Secret Packs angesehen und Pakete geöffnet.
King Colis fragt auf seiner Webseite: „Möchten Sie eine echte Schatzsuche erleben?“ Das französische Unternehmen, dessen Name auf Deutsch etwa Paket-König bedeutet, handelt online und in Pop-up-Shops mit Retourenpaketen. Die Schatzsuche besteht darin, dass Kundinnen und Kunden ein oder mehrere Päckchen kaufen, ohne zu wissen, was drin ist.
Das Auspacken kann enttäuschend verlaufen, wenn Käufer eine Tüte Schrauben oder unpassende Kleidung aus dem Karton ziehen, wie man in zahlreichen Videos auf Youtube oder Tiktok beobachten kann –, aber auch höchst erfreulich, zumindest wenn man den Versprechungen von King Colis glaubt: „Sogar Goldbarren sind darunter!“ Ein weiteres Versprechen der Anbieter ist Nachhaltigkeit: Retouren, die sonst vernichtet würden, finden so neue Besitzer.
Unser Rat
Anbieter. Bevor Sie eine Mystery Box bei einem unbekannten Anbieter bestellen, sollten Sie sichergehen, dass kein Fakeshop dahintersteckt. Wichtige Hinweise dazu gibt die Webseite fakeshopfinder.de der Verbraucherzentralen.
Rückgabe. Bei Online-Käufen gilt für Sie das 14-tägige Widerrufsrecht. Bei Nichtgefallen können Sie ganze Kisten zurücksenden, müssen aber eventuell die Versandkosten zahlen. Boxen und Packs aus dem Laden oder Automaten können Sie nur zurückgeben, wenn der Inhalt beschädigt ist.
Secret Packs und Mystery Boxen: Der Hype um die Wundertüten 2.0
Das Angebot an sogenannten Mystery Boxen und Secret Packs wächst – im Laden, im Netz und in Automaten. Auf Tiktok und Youtube gibt es zahlreiche Videos von Influencern, die zum Teil ganze Stapel an Mystery Boxen öffnen und bewerten.
Um zu erfahren, was hinter dem Hype und in den Wundertüten 2.0 steckt, haben wir drei Pakete gekauft und geöffnet. Den Wert des Inhalts versuchten wir durch Online-Recherchen zu ermitteln, was nicht immer möglich war. Uns interessierte auch: Welche Rechte haben Kunden, wenn in den Boxen und Packs nichts Brauchbares steckt?
Gespannt machten wir uns ans „Unboxing“, wie das Auspacken in Influencer-Kreisen heißt. Um es vorwegzunehmen: Einen Goldbarren fanden wir in keinem Paket.
Paket 1: Retourenautomat, 10 Euro

Einzelstück. Im Secret Pack aus dem Automaten war nur ein Artikel: eine Tunika aus 100 Prozent Polyester. © Stills & Strokes
In Berlin wurden innerhalb eines halben Jahres mehrere Retourenautomaten von „Secret Packs“ aufgestellt. Wir besuchen das Gesundbrunnen-Center in Berlin-Mitte, in dessen Untergeschoss sich der neueste Automat befindet. Er zieht viel Aufmerksamkeit auf sich: Fotos werden geschossen, es wird ins Automateninnere gespäht, das wie ein Süßigkeitenautomat gestaltet ist. Die Päckchen liegen in Regalen und werden mithilfe von Spiralen in den Ausgabeschacht geschoben, nachdem Kundin oder Kunde 10 Euro gezahlt und die Nummer eines Schachts gewählt haben. Das tun wir auch. Unser Päckchen ist klein, orange, prall und enthält wohl ein Kleidungsstück, wie man leicht erfühlen kann. Es entpuppt sich als bunte Tunika aus 100 Prozent Polyester in Größe 3XL (siehe Foto oben). Ein Markenetikett hat sie nicht. Der Warenwert dürfte bei etwa 15 bis 20 Euro liegen. Der Kreis der Menschen, denen die Tunika gefällt und passt, dürfte eher klein sein.
Paket 2: Mavura, 39,99 Euro

Sechsmal Seltsames. In dem Päckchen von Mavura fanden wir sechs Artikel, unter anderem ein faltbares Fußbad und eine Fokusbrille. © Stills & Strokes
„Was könnte drin sein? Es wäre keine Geschenkbox, wenn wir dir das sagen, aber du sollst wissen, es sind mindestens sechs Artikel mit UVP weit über 19,90 Euro!“, preist Mavura die Boxen an. Um geheimnisvolle Retouren handelt es sich hier nicht, der Anbieter weiß über den Inhalt Bescheid. Die Frage: Ist jeder Artikel „weit über“ 19,90 Euro wert oder sind es nur alle sechs zusammen?
Mavura-Boxen werden über Ottoversand vertrieben, kosten inklusive Versand 39,99 Euro. Die sechs Artikel werden in einer weißen Plastiktüte geliefert. Das Befühlen des Pakets verheißt nichts Wertvolles: Der größte Gegenstand scheint aus Plastik zu sein und hat eine ovale Form mit zwei Ausbuchtungen an einer Seite, was spontan an eine Klobrille denken lässt. Es ist aber keine, sondern ein ovales weißblaues Plastikobjekt. Was mag das sein? Eine Frage, die wir uns öfter stellen werden. Eine Google-Bildersuche enttarnt das Objekt als faltbares Fußbad (siehe Foto oben), das bei Amazon rund 20 Euro kostet. Die restlichen Artikel – ein aufsteckbarer Wasserfilter, ein Päckchen Pflaster, eine Bauchtasche, eine Fokusbrille und ein Ladekabel – liegen preislich vermutlich darunter. Da keine Markennamen angegeben sind, lässt sich ihr Wert kaum bestimmen.
Paket 3: King Colis, 79,99 Euro

Bunte Mischung. Insgesamt 23 Retouren waren in dem Paket von King Colis. © Stills & Strokes
Der Anbieter King Colis versendet online Mystery Boxen und betreibt wochenweise Pop-up-Shops in Einkaufszentren mehrerer europäischer Länder. Im „Boulevard Berlin“ bildeten sich lange Schlangen von Menschen, die in großen Kisten nach Retourentüten und Päckchen wühlen wollten. Die Verpackungen verraten nichts. Absender und Empfänger sind geschwärzt. Pakete werden geschüttelt, Tüten intensiv geknautscht und befühlt. Verkauft wird vor Ort nach Gewicht: 100 Gramm Standard-Paket kosten 1,99 Euro, 100 Gramm Amazon-Retouren 2,79 Euro. Wir bestellten online ein Fünf-Kilo Paket für 79,99 Euro. Anders als versprochen, handelt es sich dabei keineswegs um eine „hübsche Überraschungsbox“, sondern um einen unansehnlichen, in zerfetztes schwarzes Plastik gehüllten Würfel. Er wiegt mehr als sechs Kilo, was irrationale Schnäppchenfreude auslöst. Enthalten sind 23 Retourentüten – Absender- und Empfängeretiketten sind aus Datenschutzgründen geschwärzt.
Wir finden unter anderem In-Ear-Kopfhörer, zehn Paar Sneakersöckchen, zwei Paar Badelatschen, ein personalisiertes Portemonnaie, fünf quietschbunte Hemden in unterschiedlichen Größen, einen Panda-Fotohalter und einen Vibrator. Der teuerste Artikel ist ein Akeson-Ladekabel fürs E-Auto. Amazon vertreibt ein ähnliches Exemplar für rund 100 Euro (siehe Foto).
Viele Artikel wirken billig
Die Bewertungen der Überraschungstüten und -kartons in Online-Foren sind oft miserabel („Hände weg!“). Vieles aus den Paketen wirkt billig produziert. Immerhin: Bei King Colis scheint der Gesamtwert deutlich über dem Preis für die Mystery Box zu liegen. Den Juristen und E-Commerce-Experten Phil Salewski überraschen unsere Rechercheergebnisse nicht: „In den Boxen kann alles und nichts drinstecken. Das Geschäftsmodell besteht genau darin, dass man die Katze im Sack kauft.“
Online-Händler sind zwar verpflichtet, ihre Produkte korrekt zu deklarieren und potenzielle Kunden unter anderem über Produkteigenschaften und Zusammensetzung ihres Angebots zu informieren. „Bei den Überraschungsboxen greifen solche Vorgaben jedoch nicht, da sie das gesamte Mystery-Phänomen ad absurdum führen würden“, sagt Phil Salewski.
Das Angebot ist groß und wird größer. Auch Lebensmittelhändler bieten Kartons, in denen über Gewürzmischungen bis zur Kekspackung alles Mögliche drin sein kann – vieles am Rand des Mindesthaltbarkeitsdatums. Bei Saturn und Mediamarkt gibt es ebenfalls in einigen Filialen Mystery Boxen. Kunden von Supermärkten und Elektronikhändlern wird meist garantiert, dass der Wert des Inhalts deutlich über dem Kaufpreis liegt. Wenn man so will, kauft man hier also auch die Katze im Sack, kann aber vorab ein wenig in den Sack reinschauen.
Rückgabe bei Nichtgefallen möglich
Gut für Verbraucherinnen und Verbraucher: Wer ein Mystery Paket im Internet bestellt und mit dem Inhalt unzufrieden ist, kann es im Rahmen des gesetzlichen Widerrufsrechts innerhalb von 14 Tagen zurückschicken. Die Online-Händler müssen die Versandkosten jedoch nicht erstatten.
Sich darauf verlassen, dass man eine x-beliebige Box bei Nichtgefallen schnell wieder loswird und den Kaufpreis zurückerhält, sollte man aber besser nicht. Unter den Online-Händlern gibt es schwarze Schafe, womöglich werden deren Waren überhaupt nicht oder nicht in der versprochenen Qualität geliefert. Sinnvoll ist es deshalb, zunächst Online-Bewertungen zu lesen und Webadressen unbekannter Händler im Fakeshopfinder der Verbraucherzentralen zu prüfen. Dort erfahren Interessierte, ob sich hinter einer Webadresse eventuell Betrüger verbergen.
Wenn Retouren retour gehen: Das Widerrufsrecht gilt für viele Boxen
Nach Beobachtung von Phil Salewski versuchen Anbieter von Mystery Boxen, das Widerrufsrecht zu umgehen, indem sie sich auf zwei Paragrafen berufen, die für andere Kaufvorgänge gelten. „Der Widerruf kann üblicherweise wegen individueller Konzeption ausgeschlossen werden. Der Paragraf greift, wenn Produkte maßangefertigt werden oder genau auf die persönlichen Bedürfnisse eines Verbrauchers oder einer Verbraucherin zugeschnitten sind“, sagt der Jurist. „Da die Boxen aber von den Anbietern zusammengestellt werden, kann das Widerrufsrecht hier nicht ausgeschlossen werden.“ Auch nicht, wenn etwa eine Box mit einer bestimmten Kleidergröße gewählt wurde.
In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Anbieter finden sich teils Passagen, nach denen das Widerrufsrecht für Überraschungsboxen nach dem Öffnen wegen „Entsiegelung“ ausgeschlossen ist. „Auch solche Passagen sind unzulässig, sie gelten nur bei Waren, die aus Hygiene- oder Gesundheitsgründen nicht rückgabegeeignet sind, genau wie bei Software oder Video- und Tonaufnahmen.“ Bei den Mystery Boxen mit ihren einzeln verpackten, bunt zusammengewürfelten Artikeln könne beim Öffnen nicht von einer Entsiegelung gesprochen werden.
Teilrückgabe ist nicht möglich
„Das ist ja prima, dann behalte ich das teure Ladekabel und schicke den Kleinkram aus der King-Colis-Box zurück“, könnte man denken. Ein Irrtum. „Das Gesetz gesteht Verbrauchern kein Recht auf Teilwiderruf zu“, sagt Phil Salewski. „Wer unzufrieden mit dem Inhalt ist, kann bei Online-Bestellung nur den Kaufvertrag als Ganzes widerrufen.“ Sich die Mystery-Rosinen rauspicken, geht also nicht.
Anders sieht die Sache aus, wenn sich kaputte oder nicht funktionsfähige Gegenstände in der Box befinden. Diese können reklamiert werden. Tipp: Was die Sachmängelhaftung juristisch bedeutet und wie Sie richtig reklamieren, steht in unserem Special.
Andere Regeln für Automatenpacks
Bei Überraschungstüten und -boxen, die im Geschäft gekauft oder am Automaten gezogen werden, ist die Lage weniger verbraucherfreundlich. Einige Läden zeigen sich zwar kulant, doch ein Recht auf Rückgabe oder Umtausch gibt es nicht. Gegen die übergroße Polyester-Tunika könnten wir nicht vorgehen. Defekte und mangelhafte Ware lässt sich aber reklamieren, im Laden oder beim Automatenbetreiber. Dessen Kontaktdaten müssen am Automaten stehen.
Experten kritisieren: Jugendschutzregelungen fehlen
Für Mystery-Automaten gilt in der Regel keine Altersbeschränkung, auch bei der Online-Bestellung der Boxen wurde nicht nach dem Alter gefragt. Unser King-Colis-Paket enthielt einen Vibrator, theoretisch können die Boxen auch Waffen wie Schlagringe enthalten.
Suchtexperten finden zudem den freien Zugang für Kinder und Jugendliche problematisch, weil die Jagd nach den Boxen, in denen sich womöglich doch ein Goldbarren oder das neueste iPhone befindet, glücksspielartige Züge annehmen kann.
Fazit: Viel Zeug, das niemand braucht
Der Statistik nach gibt es jährlich mehr als 500 Millionen Retouren von Online-Bestellungen in Deutschland. Nur ein Teil davon wird weiterverkauft und -versandt, der Rest vernichtet. Vor allem bei Waren aus dem Ausland lohnt der Rückversand nicht.
Es wäre eine gute Sache, wenn durch Mystery Boxen Retouren eine sinnvolle Bestimmung fänden. Nach unserer Einschätzung lohnt die Bestellung allenfalls, wenn die Waren etwa auf dem Flohmarkt weiterverkauft werden können. In unserem Team wird keiner der insgesamt 30 Artikel gebraucht oder als so ansprechend empfunden, dass jemand ihn gern haben möchte.
Widerruf und Umtausch
Mehr zu Ihren Rechten als Kundin oder Kunde – online und im Laden – erfahren Sie in unserem Special zum Kaufrecht.
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