Mystery Boxen Das Geheimnis der Retourenpakete

Datum:
  • Text: Kirsten Schiekiera
  • Faktencheck: Dr. Claudia Behrens
Mystery Boxen - Das Geheimnis der Retourenpakete

Über­raschungs­boxen. Wir wollten wissen, was hinter dem Trend steckt. © Stills & Strokes

Warenrück­sendungen kaufen, ohne den Inhalt zu kennen? Das machen erstaunlich viele Menschen. Wir haben uns den Markt der Secret Packs angesehen und Pakete geöffnet.

King Colis fragt auf seiner Webseite: „Möchten Sie eine echte Schatz­suche erleben?“ Das französische Unternehmen, dessen Name auf Deutsch ­etwa Paket-König bedeutet, handelt online und in Pop-up-Shops mit Retourenpaketen. Die Schatz­suche besteht darin, dass Kundinnen und Kunden ein oder mehrere Päck­chen kaufen, ohne zu wissen, was drin ist.

Das Auspacken kann enttäuschend verlaufen, wenn Käufer eine Tüte Schrauben oder unpassende Kleidung aus dem Karton ziehen, wie man in zahlreichen Videos auf Youtube oder Tiktok beob­achten kann –, aber auch höchst erfreulich, zumindest wenn man den Versprechungen von King Colis glaubt: „Sogar Gold­barren sind darunter!“ Ein weiteres Versprechen der Anbieter ist Nach­haltig­keit: Retouren, die sonst vernichtet würden, finden so neue Besitzer.

Unser Rat

Anbieter. Bevor Sie eine ­Mystery Box bei einem unbe­kannten Anbieter bestellen, sollten Sie sicher­gehen, dass kein Fake­shop dahintersteckt. Wichtige Hinweise dazu gibt die Web­seite fakeshopfinder.de der ­Verbraucherzentralen.

Rück­gabe. Bei Online-Käufen gilt für Sie das 14-tägige Widerrufs­recht. Bei Nicht­gefallen können Sie ganze Kisten zurück­senden, müssen aber eventuell die Versand­kosten zahlen. Boxen und Packs aus dem ­Laden oder Auto­maten können Sie nur zurück­geben, wenn der Inhalt beschädigt ist.

Secret Packs und Mystery Boxen: Der Hype um die Wundertüten 2.0

Das Angebot an sogenannten Mystery Boxen und Secret Packs wächst – im Laden, im Netz und in Auto­maten. Auf Tiktok und Youtube gibt es zahlreiche Videos von Influ­encern, die zum Teil ganze Stapel an Mystery Boxen öffnen und bewerten.

Um zu erfahren, was hinter dem Hype und in den Wundertüten 2.0 steckt, haben wir drei Pakete gekauft und geöffnet. Den Wert des Inhalts versuchten wir durch Online-Recherchen zu ermitteln, was nicht immer möglich war. Uns interes­sierte auch: Welche Rechte haben Kunden, wenn in den Boxen und Packs nichts Brauch­bares steckt?

Gespannt machten wir uns ans „Unboxing“, wie das Auspacken in Influencer-Kreisen heißt. Um es vorwegzunehmen: Einen Gold­barren fanden wir in keinem Paket.

Paket 1: Retouren­automat, 10 Euro

Mystery Boxen - Das Geheimnis der Retourenpakete

Einzel­stück. Im Secret Pack aus dem Auto­maten war nur ein Artikel: eine Tunika aus 100 Prozent Polyester. © Stills & Strokes

In Berlin wurden inner­halb eines halben Jahres mehrere Retouren­automaten von „Secret Packs“ aufgestellt. Wir besuchen das Gesund­brunnen-Center in Berlin-Mitte, in dessen Unterge­schoss sich der neueste Auto­mat befindet. Er zieht viel Aufmerk­samkeit auf sich: Fotos werden geschossen, es wird ins Auto­maten­innere gespäht, das wie ein Süßig­keiten­automat gestaltet ist. Die Päck­chen liegen in Regalen und werden mithilfe von Spiralen in den Ausgabeschacht geschoben, nachdem Kundin oder Kunde 10 Euro gezahlt und die Nummer eines Schachts gewählt haben. Das tun wir auch. Unser Päck­chen ist klein, orange, prall und enthält wohl ein Kleidungs­stück, wie man leicht erfühlen kann. Es entpuppt sich als bunte Tunika aus 100 Prozent Polyester in Größe 3XL (siehe Foto oben). Ein Markenetikett hat sie nicht. Der Waren­wert dürfte bei etwa 15 bis 20 Euro liegen. Der Kreis der Menschen, denen die Tunika gefällt und passt, dürfte eher klein sein.

Paket 2: Mavura, 39,99 Euro

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Sechs­mal Selt­sames. In dem Päck­chen von Mavura fanden wir sechs Artikel, unter anderem ein falt­bares Fußbad und eine Fokusbrille. © Stills & Strokes

„Was könnte drin sein? Es wäre keine Geschenkbox, wenn wir dir das sagen, aber du sollst wissen, es sind mindestens sechs Artikel mit UVP weit über 19,90 Euro!“, preist Mavura die Boxen an. Um geheim­nisvolle Retouren handelt es sich hier nicht, der Anbieter weiß über den Inhalt Bescheid. Die Frage: Ist jeder Artikel „weit über“ 19,90 Euro wert oder sind es nur alle sechs zusammen?

Mavura-Boxen werden über Otto­versand vertrieben, kosten inklusive Versand 39,99 Euro. Die sechs Artikel werden in einer weißen Plastiktüte geliefert. Das Befühlen des Pakets verheißt nichts Wert­volles: Der größte Gegen­stand scheint aus Plastik zu sein und hat eine ovale Form mit zwei Ausbuch­tungen an einer Seite, was spontan an eine Klobrille denken lässt. Es ist aber keine, sondern ein ovales weiß­blaues Plastik­objekt. Was mag das sein? Eine Frage, die wir uns öfter stellen werden. Eine Google-Bilder­suche enttarnt das Objekt als falt­bares Fußbad (siehe Foto oben), das bei Amazon rund 20 Euro kostet. Die restlichen Artikel – ein aufsteck­barer Wasser­filter, ein Päck­chen Pflaster, eine Bauchtasche, eine Fokusbrille und ein Lade­kabel – liegen preislich vermutlich darunter. Da keine Marken­namen angegeben sind, lässt sich ihr Wert kaum bestimmen.

Paket 3: King Colis, 79,99 Euro

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Bunte Mischung. Insgesamt 23 Retouren waren in dem Paket von King Colis. © Stills & Strokes

Der Anbieter King Colis vers­endet online Mystery Boxen und betreibt wochen­weise Pop-up-Shops in Einkaufs­zentren mehrerer europäischer Länder. Im „Boulevard Berlin“ bildeten sich lange Schlangen von Menschen, die in großen Kisten nach Retourentüten und Päck­chen wühlen wollten. Die Verpackungen verraten nichts. Absender und Empfänger sind geschwärzt. Pakete werden geschüttelt, Tüten intensiv geknautscht und befühlt. Verkauft wird vor Ort nach Gewicht: 100 Gramm Stan­dard-Paket kosten 1,99 Euro, 100 Gramm Amazon-Retouren 2,79 Euro. Wir bestellten online ein Fünf-Kilo Paket für 79,99 Euro. Anders als versprochen, handelt es sich dabei keineswegs um eine „hübsche Über­raschungs­box“, sondern um einen unansehnlichen, in zerfetztes schwarzes Plastik gehüllten Würfel. Er wiegt mehr als sechs Kilo, was irra­tionale Schnäpp­chenfreude auslöst. Enthalten sind 23 Retourentüten – Absender- und Empfän­geretiketten sind aus Daten­schutz­gründen geschwärzt.

Wir finden unter anderem In-Ear-Kopf­hörer, zehn Paar Sneakersöck­chen, zwei Paar Badelatschen, ein personalisiertes Portemonnaie, fünf quietschbunte Hemden in unterschiedlichen Größen, einen Panda-Fotohalter und einen Vibrator. Der teuerste Artikel ist ein Akeson-Lade­kabel fürs E-Auto. Amazon vertreibt ein ähnliches Exemplar für rund 100 Euro (siehe Foto).

Viele Artikel wirken billig

Die Bewertungen der Über­raschungs­tüten und -kartons in Online-Foren sind oft miserabel („Hände weg!“). Vieles aus den Paketen wirkt billig produziert. Immerhin: Bei King Colis scheint der Gesamt­wert deutlich über dem Preis für die Mystery Box zu liegen. Den Juristen und E-Commerce-Experten Phil Salewski über­raschen unsere Recherche­ergeb­nisse nicht: „In den Boxen kann alles und nichts drin­stecken. Das Geschäfts­modell besteht genau darin, dass man die Katze im Sack kauft.“

Online-Händler sind zwar verpflichtet, ihre Produkte korrekt zu deklarieren und potenzielle Kunden unter anderem über Produkt­eigenschaften und Zusammenset­zung ihres Angebots zu informieren. „Bei den Über­raschungs­boxen greifen solche Vorgaben jedoch nicht, da sie das gesamte Mystery-Phänomen ad absurdum führen würden“, sagt Phil Salewski.

Das Angebot ist groß und wird größer. Auch Lebens­mittel­händler bieten Kartons, in denen über Gewürz­mischungen bis zur Keks­packung alles Mögliche drin sein kann – vieles am Rand des Mindest­halt­barkeits­datums. Bei Saturn und Mediamarkt gibt es ebenfalls in einigen Filialen Mystery Boxen. Kunden von Supermärkten und Elektronikhänd­lern wird meist garan­tiert, dass der Wert des Inhalts deutlich über dem Kauf­preis liegt. Wenn man so will, kauft man hier also auch die Katze im Sack, kann aber vorab ein wenig in den Sack reinschauen.

Rück­gabe bei Nicht­gefallen möglich

Gut für Verbrauche­rinnen und Verbraucher: Wer ein Mystery Paket im Internet bestellt und mit dem Inhalt unzufrieden ist, kann es im Rahmen des gesetzlichen Widerrufs­rechts inner­halb von 14 Tagen zurück­schi­cken. Die Online-Händler müssen die Versand­kosten jedoch nicht erstatten.

Sich darauf verlassen, dass man eine x-beliebige Box bei Nicht­gefallen schnell wieder loswird und den Kauf­preis zurück­erhält, sollte man aber besser nicht. Unter den Online-Händ­lern gibt es schwarze Schafe, womög­lich werden deren Waren über­haupt nicht oder nicht in der versprochenen Qualität geliefert. Sinn­voll ist es deshalb, zunächst Online-Bewertungen zu lesen und Webadressen unbe­kannter Händler im Fakeshopfinder der Verbraucherzentralen zu prüfen. Dort erfahren Interes­sierte, ob sich hinter einer Webadresse eventuell Betrüger verbergen.

Wenn Retouren retour gehen: Das Widerrufs­recht gilt für viele Boxen

Nach Beob­achtung von Phil Salewski versuchen Anbieter von Mystery Boxen, das Widerrufs­recht zu umgehen, indem sie sich auf zwei Paragrafen berufen, die für andere Kauf­vorgänge gelten. „Der Widerruf kann üblicher­weise wegen individueller Konzeption ausgeschlossen werden. Der Paragraf greift, wenn Produkte maßangefertigt werden oder genau auf die persönlichen Bedürf­nisse eines Verbrauchers oder einer Verbraucherin zuge­schnitten sind“, sagt der Jurist. „Da die Boxen aber von den Anbietern zusammen­gestellt werden, kann das Widerrufs­recht hier nicht ausgeschlossen werden.“ Auch nicht, wenn etwa eine Box mit einer bestimmten Kleidergröße gewählt wurde.

In den Allgemeinen Geschäfts­bedin­gungen (AGB) der Anbieter finden sich teils Passagen, nach denen das Widerrufs­recht für Über­raschungs­boxen nach dem Öffnen wegen „Entsiegelung“ ausgeschlossen ist. „Auch solche Passagen sind unzu­lässig, sie gelten nur bei Waren, die aus Hygiene- oder Gesund­heits­gründen nicht rück­gabege­eignet sind, genau wie bei Software oder Video- und Tonaufnahmen.“ Bei den Mystery Boxen mit ihren einzeln verpackten, bunt zusam­men­gewürfelten Artikeln könne beim Öffnen nicht von einer Entsiegelung gespro­chen werden.

Teilrück­gabe ist nicht möglich

„Das ist ja prima, dann behalte ich das teure Lade­kabel und schicke den Kleinkram aus der King-Colis-Box zurück“, könnte man denken. Ein Irrtum. „Das Gesetz gesteht Verbrauchern kein Recht auf Teil­widerruf zu“, sagt Phil Salewski. „Wer unzufrieden mit dem Inhalt ist, kann bei Online-Bestellung nur den Kauf­vertrag als Ganzes widerrufen.“ Sich die Mystery-Rosinen rauspi­cken, geht also nicht.

Anders sieht die Sache aus, wenn sich kaputte oder nicht funk­tions­fähige Gegen­stände in der Box befinden. Diese können reklamiert werden. Tipp: Was die Sachmängelhaftung juristisch bedeutet und wie Sie richtig reklamieren, steht in unserem Special.

Andere Regeln für Auto­maten­packs

Bei Über­raschungs­tüten und -boxen, die im Geschäft gekauft oder am Auto­maten gezogen werden, ist die Lage weniger verbraucherfreundlich. Einige Läden zeigen sich zwar kulant, doch ein Recht auf Rück­gabe oder Umtausch gibt es nicht. Gegen die über­große Polyester-Tunika könnten wir nicht vorgehen. Defekte und mangelhafte Ware lässt sich aber reklamieren, im Laden oder beim Auto­maten­betreiber. Dessen Kontakt­daten müssen am Auto­maten stehen.

Experten kritisieren: Jugend­schutz­regelungen fehlen

Für Mystery-Auto­maten gilt in der Regel keine Alters­beschränkung, auch bei der Online-Bestellung der Boxen wurde nicht nach dem Alter gefragt. Unser King-Colis-Paket enthielt einen Vibrator, theoretisch können die Boxen auch Waffen wie Schlagringe enthalten.

Sucht­experten finden zudem den freien Zugang für Kinder und Jugend­liche problematisch, weil die Jagd nach den Boxen, in denen sich womöglich doch ein Gold­barren oder das neueste iPhone befindet, glücks­spiel­artige Züge annehmen kann.

Fazit: Viel Zeug, das niemand braucht

Der Statistik nach gibt es jähr­lich mehr als 500 Millionen Retouren von Online-Bestel­lungen in Deutsch­land. Nur ein Teil davon wird weiterverkauft und -versandt, der Rest vernichtet. Vor allem bei Waren aus dem Ausland lohnt der Rück­versand nicht.

Es wäre eine gute Sache, wenn durch Mystery Boxen Retouren eine sinn­volle Bestimmung fänden. Nach unserer Einschät­zung lohnt die Bestellung allenfalls, wenn die Waren etwa auf dem Flohmarkt weiterverkauft werden können. In unserem Team wird keiner der insgesamt 30 Artikel gebraucht oder als so ansprechend empfunden, dass ­jemand ihn gern haben möchte.

Widerruf und Umtausch

Mehr zu Ihren Rechten als Kundin oder Kunde – online und im Laden – erfahren Sie in unserem Special zum Kaufrecht.

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