Migräne Die Atta­cken stoppen

Es gibt Medikamente für Migräneatta­cken als Notbremse. Wichtiger: Regel­mäßig essen, ausreichend schlafen, kohlenhydratreich ernähren, öfter ausruhen.

Es klopft, es pocht, es hämmert, es pulsiert. Zunächst kaum wahr­nehm­bar, nimmt die Migräne allmählich zu und dehnt sich von einer Schläfen- oder Stirnseite zur Attacke aus. Sie kann den ganzen Kopf betreffen. Ein Migräne­anfall dauert vier Stunden bis drei Tage und wird häufig von Übel­keit und Brech­reiz, Licht- und Lärm­empfindlich­keit begleitet.

Bei jedem zehnten Patienten kündigt sich die Migräne vor der Schmerzattacke mit einer Aura an. Wer unter diesem neurologischen Phänomen leidet, sieht zunächst flimmernde sternförmige Figuren oder Zick­zack­linien, später einen schwarzen Fleck. Auch Schwindel, Sprach­störungen, Kribbeln in den Fingern, Lähmungs­erscheinungen sind möglich. Migräne­anfälle treten im Mittel zwei- bis dreimal im Monat auf, in schweren Fällen sogar häufiger.

Annette A. zum Beispiel (Name von der Redak­tion geändert) ist nicht anzu­sehen, dass heftige Migräneatta­cken sie manchmal an den Rand der Verzweiflung treiben. Sie ist freundlich, gut gelaunt, wirkt entspannt. Die 45-jährige Lübe­ckerin ist seit einer Woche in der Schmerz­klinik Kiel. Zu deren Behand­lungs­schwer­punkt gehören komplexe Migräne und Kopf­schmerz­krankheiten. Annette A. wird seit ihrem zwölften Lebens­jahr regel­mäßig von Atta­cken heimgesucht. Zuletzt litt sie bis zu 20 Tage im Monat unter Migräne. Ihr unregelmäßiger Arbeits­rhythmus als Ergo­therapeutin bringt sie immer wieder aus dem Gleichgewicht. „Schicht­dienst bedeutet zehn Tage arbeiten, ein Tag frei, fünf Tage arbeiten, Wechsel zum Spät­dienst.“ Auch positiver Stress hatte schmerzliche Auswirkungen: „Feste, Opern, Konzerte – alles, auf das ich mich gefreut habe, wurde oft von Migräne begleitet. Ich hatte immer Tabletten dabei.“

Allzu leicht kommt der Verdacht auf

Freunde, Familie, Kollegen von Migränikern, wie Migränekranke genannt werden, können die Krankheit nur schwer verstehen. Keine Wunde, kein Verband, kein Gips macht sie sicht­bar. Zudem sind die Betroffenen zwischen den Atta­cken völlig beschwerdefrei. Allzu leicht kommt da der Verdacht auf, dass die Migräne nur vorgetäuscht wird, um sich vor Arbeit oder Terminen zu drücken. Auch der Arzt sieht die Krankheit nicht und fühlt sie nicht. Kein Bluttest, kein Röntgen­bild, keine andere tech­nische Unter­suchung kann die Migräne medizi­nisch ding­fest machen.

Erblich bedingte Über­erreg­barkeit

„Doch die Migräne hat eine biologische Ursache“, erklärt Professor Hartmut Göbel, Leiter der Schmerz­klinik Kiel, „nämlich eine erblich bedingte Über­erreg­barkeit des Gehirns“ Das allein verursacht aber noch keine Schmerzen, so der Kieler Migränespezialist. Es müssen noch bestimmte Auslöser hinzukommen, die von Patient zu Patient unterschiedlich sein können.

Menschen mit einem „schnellen“ Gehirn, wie Hartmut Göbel es nennt, können plötzliche Veränderungen nicht wie andere abfangen. Hunger, Stress, Hektik, veränderte Schlafge­wohn­heiten, plötzliche Ruhe am Wochen­ende oder im Urlaub können eine Attacke auslösen.

Entzündungs­stoffe im Gehirn

Während des Migräne­anfalls ist der Energie­umsatz im Gehirn erhöht. Dadurch werden über­mäßig viel Entzündungs­stoffe freigesetzt. Am Ende des Prozesses ist um die Blutgefäße im Gehirn eine Entzündungs­reaktion entstanden, die den typischen Kopf­schmerz bedingt.

Auch Marion M. (Name von der Redak­tion geändert), 50-jährige Verwaltungs­angestellte aus Berlin, kennt Migräne­anfälle seit ihrer Kindheit. Trotz jahre­langer Behand­lungs­versuche wurden die Schmerzen immer stärker. Sechs bis acht Migräne­anfälle im Monat waren es zuletzt. Wenn zu viel auf sie einstürmte, war die nächste Attacke schon programmiert. Pulsierendes Klopfen im Schädel, Angst den Kopf zu bewegen, einge­schränkte Konzentrations­fähig­keit am Arbeits­platz, dennoch der Anspruch, alles perfekt zu erledigen, bestimmten ihr Leben. Auch sie fand den Weg in die Schmerz­klinik.

Patienten müssen selbst aktiv werden

„Für viele Migränepatienten reicht die Selbst­medikation gelegentlicher Atta­cken völlig aus“, erklärt Professor Göbel, „doch wenn der Schmerz alles über­schattet und das Leben aus den Fugen gerät, ist eine spezialisierte Behand­lung sinn­voll.“

In der Klinik lernen die Patienten aber auch, dass sie selber aktiv werden müssen. „Wer sagt ,mach mich gesund’ oder, ich lass mich behandeln’, hat das noch nicht verstanden“, weiß Professor Hartmut Göbel aus Erfahrung. „Das gilt umso mehr, wenn die Patienten nach dem Klinik­aufenthalt in den Alltag zurück­kehren.“

Zum Therapie­konzept gehören eine Medikamenten­entwöhnung und die sinn­volle Anwendung von Medikamenten, aber im Zentrum steht die Verhaltens­analyse.

Dabei hilft ein Schmerz­tagebuch oder ein Schmerzkalender, in den die Patienten eintragen, was die Migräne auslöst und sie verstärkt, wie oft sie welche Medikamente einnehmen. Den Kalender füllen sie schon mehrere Wochen vor dem Klinik­aufenthalt aus und entwickeln dort gemein­sam mit den Therapeuten Strategien, um die Situation zu verändern. Eine solche Über­sicht ist nützlich für alle Migräne­betroffenen.

Techniken für den Alltag einüben

In der Klinik üben die Patienten Techniken ein, die sie später im Alltag nutzen können: Entspannungs- und Bewegungs­übungen, Stress- und Schmerzbewältigung, Ernährungs­beratung, Biofeedback-Verfahren. Beim Biofeedback wird unter anderem die Aktivität von Muskel­gruppen gemessen, zum Beispiel in Schultern, Nacken, Kiefer, Stirn. Auf einem Bild­schirm erkennen die Patienten, wie angespannt sie sind, und können lernen, bewusst zu entspannen.

Kohlenhydratreich ernähren

„Biofeedback war für mich ein Aha-Erlebnis“, erzählt Marion M. Sie hat sich vorgenommen, täglich Entspannungs­übungen zu machen, die Mittags­pause nicht mehr ausfallen zu lassen und regel­mäßig zu essen. „Hier habe ich meine schlechten Ange­wohn­heiten unterbrochen, und ich fühle mich körperlich schon besser“, sagt sie, „das ist jetzt ein Neuanfang – wie ein ‚Reset’.“

Annette A. setzt künftig auf eine bessere Ernährung. Für Migränekranke bedeutet das, sich kohlenhydratreich ernähren, zum Beispiel mit Müsli, Bananen, Pasta, Röstkar­toffeln. Und sie will Diäten weglassen. Sie hat auch gelernt, sich nicht immer nur den Schmerzen ausgeliefert zu fühlen, sondern selbst eine Menge tun zu können. Einfach ist das nicht. Vor vier Jahren verbrachte sie schon einmal zwei Wochen in der Schmerz­klinik. „Es ist schwierig anzu­erkennen, dass Migräne eine chro­nische Erkrankung ist“, sagt sie, „man muss lernen, damit umzu­gehen.“ Sie sucht jetzt eine neue Arbeits­stelle, um den Schicht­dienst zu vermeiden.

Bundes­weites Behand­lungs­netz

Spezialisten für die Behand­lung schwerer Migräne finden Betroffene im bundes­weiten Kopf­schmerzbe­hand­lungs­netz. Ihm gehören etwa 450 Arzt­praxen an – Neurologen, Ortho­päden, Inter­nisten, Allgemeinmediziner. Wer sich mit Leidens­genossen austauschen will – oder sich allgemein für die Behand­lung von Kopf­schmerzen und Migräne interes­siert –, findet im Netz­werk Head­book Gelegenheit dazu. Zu den beliebtesten Themen­gruppen gehören „Medizi­nische Vorbeugung“ und „Attack­entherapie“, so die Moderatorin Bettina Frank. Es gibt 56 Gruppen, auch über Lebens­freude.

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Kommentarliste

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  • Christoph77 am 16.04.2024 um 01:19 Uhr
    Restaxil Tropfen

    Das Mittel soll nervenbedingte Nervenschmerzen in Beinen und Füßen lindern.
    Erhältich rezeptfrei in Apotheken.

  • Snake2010 am 16.11.2011 um 15:45 Uhr
    Migräne ohne Schmerz / in der Pubertät

    Es gibt noch zwei Erscheinungsformen, die hier gar nicht erwähnt wurden:
    Pupertäre Migräne, die mit Beginn der Pubertät monatlich auftritt und im Allgemeinen wieder verschwindet, wenn die Regel sich stabilisiert hat, und Migräne ohne Kopfschmerz, die zwar nicht wehtut, aber alle anderen Begleiterscheinungen wie Schwindel, Sehstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Übelkeit bis hin zum Kontrollverlust über die Extremitäten, mit sich bringen kann.
    Beides ist bei meinen Töchtern aufgetreten, und (speziell im Fall der Migräne ohne Schmerz) haben wir lange gesucht, bis uns jemand helfen konnte, genauer: bis jemand die richtige Diagnose stellte. Letztendlich konnte in beiden Fällen mit einer Mini-Pille geholfen werden, die über ca. 2-3 Jahre verabreicht wurde, bis die Monatsregel sich stabilisiert hatte.

  • McGregor am 24.10.2011 um 12:01 Uhr
    @marmeladensache

    Guten Morgen, auch schon aufgewacht? ;-) Was ist denn daran bitte neu. Das hier bisher übersehen? http://www.test.de/themen/gesundheit-kosmetik/medikamente/
    Und die entsprechenden Ratgeber der Stiftung gibts auch schon seit mindestens 10 Jahren.

  • kathal am 22.10.2011 um 22:53 Uhr
    Ursache Lebensmittel

    Ich vermisse hier wieder mal etwas. Nach dem ich von Arzt zu Arzt gerannt bin, habe ich irgendwann selber die Ursache herausgefunden. Schlechte Industrieprodukte verursachen bei mir sofort absolut heftige Kopfschmerzen wie Migräne. Seit dem ich auf dem Markt einkaufen gehen und nur noch frische Saisonprodukte kaufe, habe ich keine Probleme mehr. Ich kann mittlerweile X Produkte aufzählen, die Kopfschmerzen verursachen. Liebe Ärzte da konntet ihr nicht feststellen! Die Lösung war so einfach. Wir werden von der Industrie verarscht und essen schlechte Sachen, die uns krank machen.

  • marmeladensache am 21.10.2011 um 20:10 Uhr
    test und migräne???

    Ich finde es vollkommen übertrieben dass test jetzt auch in reinen medizinischen Sachen mitmischt. Sonst noch was?