Long Covid

Wie Pacing, Neuro­psychologie und Psycho­therapie helfen

Long Covid - Von Corona ausgebremst – Wo Sie Hilfe finden

Folgen von Long Covid. Zu körperlichen Leiden können psychische dazu­kommen. Es ist wichtig, sie richtig zu behandeln. © plainpicture / Lina Gruen

Viele Menschen leiden nach einer Covid-Infektion auch psychisch. Helfen können Therapien, die die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen.

Das Gedächt­niszen­trum des Uniklinikums Jena hat seit 2020 viele Long-Covid-Patienten betreut. Das Virus greift den Körper an, aber die Jenaer Neuro­psychologin Prof. Kathrin Finke beob­achtet bei Betroffenen auch kognitive Defizite: Die Menschen können sich schlecht konzentrieren, nichts parallel machen, brauchen mehr Zeit, um Informationen zu verarbeiten, erinnern sich schlechter. Finke sagt: „Viele haben deshalb nach einer Infektion mit Sars-Cov-2 große Probleme, im Alltag zurecht­zukommen, vor allem aber im Beruf.“ Eines ist für sie klar: Die psychischen Beschwerden sind keine Einbildung. Helfen können das Pacing, eine neuro­psychologische Therapie oder eine Psycho­therapie.

Gefühl von Gehirn im Nebel

Patienten mit Gedächt­nis- und Konzentrations­problemen berichten von dem Gefühl, ihr Gehirn stecke im Nebel. Long-Covid-Patienten klagen oft über anhaltende Schwäche (Fatigue). Die Betroffenen sind schnell erschöpft und brauchen viele Ruhe­pausen. Schon der Gang zum Einkaufen kann sie in eine komplette Erschöpfung stürzen (Belastungs­intoleranz). Die Erschöpfungs­zustände, in denen plötzlich gar nichts mehr geht, sind für die Erkrankten besonders belastend.

Balance zwischen Erschöpfung und Erholung finden

„Die Betroffenen müssen lernen, die tägliche Belastung und die nötige Erholung auszu­balancieren“, sagt Neuro­psychologin Finke. Das sei oft nur in sehr kleinen Schritten möglich und sehr heraus­fordernd. Eine Methode ist das von Medizinern und Fatigue-Patienten entwickelte Pacing. Ziel ist es, sich nicht zu über­lasten und eigene Grenzen zu wahren. Dazu gehört heraus­zufinden, was Kraft spendet und welche Tätig­keiten Energie fressen. Danach richten die Erkrankten dann ihre Tages­planung aus.

So funk­tioniert die Pacing-Methode

Kräfte einteilen. Der eng­lische Begriff Pacing bedeutet „das Tempo vorgeben“. Betroffene können damit lernen, Ihre Kräfte mit Rück­sicht auf Ihre Erschöpfungs­zustände einzuteilen. Das Ziel: einen Wochenplan erstellen, der mach­bar ist.

Nicht vergleichen. Zuerst braucht es eine Bestands­aufnahme: Was können Sie derzeit in welchem Umfang tun, ­ohne einen Kollaps zu erleben? Vergleiche mit früher oder anderen Menschen sind dabei nicht hilf­reich.

Prioritäten setzen. Was ist Ihnen wichtig? Die Antwort bestimmt, welchen ­Aktivitäten Sie über­haupt nachgehen. Wer wenig Energie hat, sollte sie für Dinge nutzen, die ihm wirk­lich wichtig sind (ein Geburts­tags­geschenk besorgen) oder die erledigt werden müssen (Essen zubereiten).

Hilfe annehmen. Gibt es Aufgaben, die andere für Sie über­nehmen können, zum Beispiel den Wochen­einkauf? Oder gibt es Aktivitäten, bei denen jemand helfen kann und damit die Aufgabe leichter macht? Dann nutzen Sie diese Unterstüt­zung.

In Häpp­chen zerlegen. Lieber schritt­weise vorgehen. Können manche Aufgaben in mehrere Teile zerlegt und erledigt werden? Muss die Wohnung heute komplett geputzt werden oder reichen erst einmal Küche und Bad?

Energiepegel ausloten. Wann am Tag haben Sie die meiste Energie? Gibt es einen Zeit­punkt, zu dem Sie sich am ehesten ausgelaugt fühlen? Dann sollten Sie darauf in der Tages­planung Rück­sicht nehmen.

Anforderungen abwechseln. Aufgaben, die aufeinander­folgen, sollten unterschiedlich heraus­fordern: Wenn Sie sich zuerst körperlich anstrengen, dann sollte die Tätig­keit danach Sie eher nur geistig bean­spruchen.

Wochenplan erstellen. Berück­sichtigen Sie alle vorherigen Über­legungen. Verteilen Sie dann Ihre Aufgaben auf mehrere Tage, statt nur auf einen oder zwei. Planen Sie im gleichen Maße Aktivitäten und Entspannungs­zeiten ein. Am besten sehen Sie anfangs nach jeder Aktivität eine Pause vor. Stellen Sie sich für einzelne Aufgaben einen Wecker, damit Sie wirk­lich nur eine bestimmte Zeit damit beschäftigt sind.

Belohnung und Fort­schritt. Für Ziele, die Sie erreicht haben, können Sie sich belohnen, zum Beispiel mit einem wohl­tuenden Bad, einer besonderen Tafel Schokolade oder mit Ihrer Lieblings­musik. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Energiespeicher größer wird, weiten Sie Ihre Aktivitäten in ganz kleinen Schritten aus. Zum Beispiel machen Sie dann jeden zweiten Tag eine kleine Sache mehr oder sind 30 Minuten länger aktiv als an den Tagen zuvor.

Situation für sich annehmen, ist Voraus­setzung

Größte Aufgabe ist es, die neue Situation zu akzeptieren. Die Menschen müssen ihr Leben neu sortieren, manche können nicht in ihren Job zurück oder nur eingeschränkt arbeiten. Das Familien­leben muss anders als bisher ablaufen. „Davon auszu­gehen, dass es morgen wieder wie früher sein muss, führt zu Stress. Long Covid geht nicht von heute auf morgen weg. Stress verhindere, dass es besser werden kann.

Individueller Stress wirkt sich aus

So sieht es auch der nieder­gelassene Neuro­psychologe und Psycho­therapeut Thomas Guthke aus Sachsen: „Auch bei Long Covid spielen Faktoren wie das Verhalten eines Menschen hinein, oder wie viel Stress jemand im Alltag hat. All das hat Einfluss darauf, ob eine Erkrankung entsteht und wie sie verläuft.“ Mehr noch: Die Folgen der Erkrankung – seien es Schmerzen, Denk­störungen oder finanzielle Nöte – können zusätzliche psychische Beschwerden anschieben. Manche Menschen entwickeln Existenz­ängste, weil sie nicht mehr arbeiten können. Bei anderen war die Erkrankung lebens­bedrohlich, sie mussten auf Intensiv­stationen behandelt werden. „Das kann traumatisiert haben.“ Depressionen oder Angst­störungen können hinzukommen.

Das hilft bei Denk- und Gedächt­nisproblemen

Auf Long Covid spezialisierte Kliniken und Ambulanzen arbeiten daher in ihren Teams auch immer mit Psycho­therapeuten und Neuro­psychologen. Letztere haben eine Zusatz­ausbildung und bis zur Corona-Pandemie vor allem Menschen nach Schlag­anfällen oder mit Demenz im Anfangs­stadium behandelt. Neuro­psychologen können bei den Denk- und Gedächt­nisproblemen helfen. Sie unterstützen auch dabei, den Alltag neu zu strukturieren, bei der stufenweisen Wiedereingliederung in den Beruf und dem Leben mit den Folgen von Long Covid. Zu Neuro­psychologe Guthke kommen mitt­lerweile viele Long-Covid-Patienten auch nach einer Reha, um weiter an ihren Beschwerden zu arbeiten. Heilung gibt es nicht. „Ich kann den Betroffenen helfen, die Symptome zu lindern oder einen besseren Umgang damit zu lernen“, sagt er, „durch Alltags­übungen, Trainings mit dem Computer und Gespräche.“

Kassen bezahlen Neuro­psychologie-Therapie

Wer behandelt? Psycho­therapeuten mit Zusatz­qualifikation dürfen eine neuro­psychologische Therapie anbieten. Sie behandeln Menschen mit erworbenen Schädigungen am Gehirn, wie nach einem Unfall, nach einem Schlag­anfall, bei Demenz – oder mit Long Covid. Adressen gibt es bei der Gesell­schaft für Neuro­psychologie unter gnp.de/behandlerliste. Fach­ärzte für Neurologie dürfen die Behand­lung auch durch­führen. Die Stiftung Gesundheit listet sie unter stiftung-gesundheit.de/arzt-auskunft.

Was enthält die Therapie? Je nach Beschwerden werden das Gedächt­nis, die Konzentration, das Sprechen oder andere psycho­logische Fähig­keiten trainiert, die durch eine Erkrankung wie Long Covid gestört sind. Das geschieht entweder am PC, im Gespräch oder mit Aufgaben für den Alltag. Besprochen wird in den Sitzungen auch, wie man mit den Einschränkungen besser zurecht­kommt.

Was zahlt die Kasse? Eine neuro­psychologische Therapie muss nicht beantragt werden. Die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen Diagnostik­termine und 60 Therapie­stunden zu je 50 Minuten, wenn nötig auch mehr. Gruppen­sitzungen sind ebenfalls möglich.

Praxis oder Klinik? Zahlreiche Kliniken bieten ambulante Tages­programme bei Long Covid an. Die Programme enthalten meistens psycho­therapeu­tische und neuro­psychologische ­Elemente. Einrichtungen sind unter longcoviddeutschland.org/­rehabilitation gelistet.

Psycho­therapie lindert Fatigue-Symptome

Dass die Stärkung persönlicher Ressourcen und eine wert­schätzende Begleitung für Fatigue-Patienten hilf­reich ist, zeigte eine nieder­ländische Studie. Eine Psycho­therapie linderte noch Monate nach dem Ende der Behand­lung die Erschöpfungs­symptome.

Hilfe in Anspruch nehmen

Seele im Blick. Als gesetzlich Versicherte können Sie zur Sprech­stunde in eine Psycho­therapie-Praxis gehen. Dort wird geprüft, was helfen kann. Sind Sie privat krankenversichert, klären Sie mit Ihrem Versicherer, was Ihr Vertrag abdeckt.

Psycho­therapeuten-Suche. Gesetzliche Krankenkassen schi­cken Adress­listen von Behand­lern in der eigenen Region zu. Passende Praxen finden Sie auch in der Online­suche der Deutschen Psycho­therapeuten Vereinigung unter dptv.de/psychotherapie/psychotherapeutensuche.

Erst­gespräche. Mehr Informationen über Psycho­therapie und wie man an einen Therapie­platz kommt, finden Sie in unserem Special zur Psychotherapie. Die Terminservicestellen vermitteln Erst­gespräche telefo­nisch unter 116 117 oder in der App.

Vieles kann man verbessern

Bei manchen Patienten von Guthke gingen die Beschwerden durch die Therapie zurück, oft blieben sie bestehen. Die Betroffenen seien dennoch nach der Behand­lung meist zufriedener als vorher. „Ich versuche, mit meinen Patienten immer opti­mistisch zu bleiben. Wenn wir in neurologischen Tests fest­stellen, dass – anders als empfunden – vieles im Gehirn noch ganz gut funk­tioniert und man das trainieren und verbessern kann, schauen sie zuver­sicht­licher nach vorn“, sagt er. Wichtig sei es, für die Betroffenen Verständnis aufzubringen und ihre Probleme zu würdigen.

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Kommentarliste

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  • Bezzi am 21.08.2024 um 07:52 Uhr
    Long-Covid-Syndrom

    Hallo in die Runde,
    Ich habe hier gelesen, dass "Long-Covid" auf die Impfung geschoben wird. Dazu wollte ich nur anmerken: Long-Covid gab es schon, bevor es die Impfungen gab. Und dass Laien sich erlauben, Menschen zu unterstellen, sie würden Long-Covid ausnutzen um in Rente gehen zu können, ist unverschämt.

  • Bezzi am 21.08.2024 um 07:31 Uhr
    Post-Covid-Syndrom: AG, Ärzte und BGW

    Hallo in die Runde,
    Meine Tochter ist seit einer Covid-19-Infektion arbeitsunfähig seit 03.2022.
    Da AG den Verdacht nicht gemeldet hat, wie ich letztes Jahr erst herausgefunden habe und schriftlich gelogen hat nichts davon zu wissen, lief über die BGW auch keine Behandlung. Auch keine finanzielle Unterstützung. Ich hatte selbst melden müssen, da sogar der damalige Hausarzt keine Meldung gemacht hat. Wie ich jetzt weiß, hätte er das aber tun müssen. Das schlimmste ist aber: Nach mehreren Arztwechseln, wurde sie zu versch. Fachärzten überwiesen. Was fast ein Jahr durch Wartezeiten gedauert hat. Die Diagnosen: Enzephalitis, noch nicht ganz abgeklärt. Herzinsuffiziens, chron. C-Gastritis, Lunge: Dispnoe noch in Abklärung, Immumdysregulation: wird noch abgeklärt. Haarausfall andauernd, Verdacht auf POTS und PEM und Fatique, Brainfog bestätigt. Sie ist mittlerweile 36 Jahre.
    Finanziell geht es bergab und keine Rechtsschutzversicherung. Anwälte zweifeln an Krankheit. Was tun?

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 12.08.2024 um 12:02 Uhr
    Long Covid

    @Thorsten.Maverick: Diese Veröffentlichung beschäftigt sich mit dem Thema: Was Betroffenen helfen kann.

  • Thorsten.Maverick am 03.08.2024 um 12:05 Uhr
    Schaden durch die modRNA Therapie?

    Warum wird nicht erwähnt, daß die Long Covid Patienten fast ausschließlich mehrfach die modRNA-Spritzen vor der Infektion bekommen haben? Es gibt WWW-Seiten, auf denen man nachsehen kann, ob die eigene Charge auch bei anderen Leuten Probleme verursacht hat.

  • marotoma am 11.07.2024 um 11:51 Uhr
    Pseudo Long-Covid

    Dass man vermeintliche Long-Covid-Leiden auch zum eigenen Vorteil nutzen kann, erlebe ich gerade bei einem Mannschaftskollegen meines Tennisvereins. Dieser Mann, ein verbeamteter Lehrer in den 40ern, hatte Covid und setzte eine zeitlang mit dem Sport aus, war nach Abklingen der Beschwerden aber wieder voll aktiv, spielte in Mannschaftsbewerben, bei Turnieren und war auf jeder Feier dabei. Zugleich war er aber krankgeschrieben wegen seiner angeblichen Covid-Symptome (Schlafstörungen, Schwindelanfälle usw). Nach über einem Jahr fortgesetzter Krankschreibung wurde er jetzt auf Antrag frühpensioniert und kann sich nun ganz seiner sporlichen Karriere widmen.