Kurz­sichtig­keit bei Kindern behandeln Teure Therapien genau abwägen

Kurz­sichtig­keit bei Kindern behandeln - Teure Therapien genau abwägen

Junger Brillen­träger. Bei 6- bis 14-Jährigen kann gegen­gesteuert werden – einfache Empfehlungen aber gibt es nicht. © Laif / Drentwett Niedring

Kurz­sichtig­keit beginnt oft in jungen Jahren. Kann sie gemindert werden? Neben Bewegung im Freien raten manche Experten zu Tropfen, Brillen oder Linsen. Was ist dran?

Kurz­sichtig­keit, im Fachjargon Myopie genannt, entwickelt sich häufig im Grundschulalter. Dann besteht noch die Möglich­keit, gegen­zusteuern. Gelingt es, das Fort­schreiten in jungen Jahren zu verzögern, sinkt das Risiko für spätere Krankheiten wie Grauer Star.

Laut augen­ärzt­lichen Fachgesell­schaften gibt es Behand­lungs­möglich­keiten für 6- bis 14-Jährige, wenn deren Kurz­sichtig­keit um 0,5 Dioptrien oder mehr pro Jahr ansteigt. Dazu gehören die medikamentöse Therapie mit Atropin sowie optische Methoden durch spezielle Brillengläser und Kontaktlinsen. Aber: Die Behand­lungs­möglich­keiten sind teils umstritten oder nicht ausreichend erforscht. Und sie können teuer werden, die gesetzlichen Krankenkassen über­nehmen die Kosten nicht. Wir geben einen Über­blick.

Knapp jeder zweite 25-Jährige ist kurz­sichtig

Bis zum Ende der Grund­schul­zeit werden hier­zulande rund 15 Prozent der Kinder kurz­sichtig. Laut augenärztlichen Fachgesellschaften ist die Zahl der Betroffenen in den vergangen zwei Jahr­zehnten nicht nennens­wert gestiegen. Bis zum Alter von 25 Jahren wächst der Anteil auf 45 Prozent. Welt­weit nimmt die Zahl der Kurz­sichtigen hingegen zu, vor allem im asiatischen Raum.

Ursache für Kurz­sichtig­keit ist meist ein zu lang gewachsener Augapfel. Folge: Weiter entfernte Dinge werden unscharf gesehen. Sehgewohn­heiten im Alltag begüns­tigen Entwick­lung und Fort­schreiten der Myopie.

Drei Risiko­faktoren für Kurz­sichtig­keit

Kurz­sichtig­keit liegt oft in der Familie. Wichtiger als erblich bedingte Veranlagung sind aber äußere Einflüsse wie Sehgewohn­heiten.

  • Mama und Papa. Bei einem kurz­sichtigen Eltern­teil liegt das Risiko für das Kind, kurz­sichtig zu werden, bei 30 Prozent. Sind beide Eltern kurz­sichtig erhöht es sich auf 60 Prozent. Auch Kinder normalsichtiger Eltern können kurz­sichtig werden.
  • Drinnen statt draußen. Fehlendes Tages­licht erhöht das Risiko für Kinder, kurz­sichtig zu werden. Viel Zeit im Freien kann Myopie vorbeugen. Außerdem schaut das Auge draußen meist in die Ferne.
  • Lesen und Ausbildung. Heran­wachsende, die jahre­lang viel lesen, haben ein erhöhtes Risiko für Kurz­sichtig­keit. Das Problem ist vor allem ununterbrochenes und nahes Lesen, wenn der Abstand von Auge und Text weniger als 30 Zenti­meter ausmacht. Auch die Ausbildungs­zeit hat Einfluss – jedes Jahr Ausbildung verschlechtert eine bestehende Myopie um circa 0,25 Dioptrien.

Tropfen mit Atropin: Wirkung umstritten

Tropfen mit nied­rig dosiertem Atropin sollen die Zunahme der Kurz­sichtig­keit bei Kindern je nach Studie um bis zu 50 Prozent mindern. Ein Tropfen wird dabei jeden Abend vor dem Schlafen in jedes Auge gegeben, für mindestens zwei Jahre. Für die augen­ärzt­lichen Fachgesell­schaften ist die Studien­lage solide, das Forschungs­netz­werk Cochrane schätzt die Wirkung in einer aktuellen Metaanalyse dagegen als unsicher ein. Einige Studien hätten zudem von verschwommenen Sehen in der Nähe berichtet – vor allem, wenn höher dosiert werde.

„Die Daten­lage hierzu ist solide und das Verhältnis von Nutzen und Neben­wirkungen günstig“, schreiben die augenärztlichen Fachgesellschaften in ihrer Stellung­nahme. Klaus Rüther, Ressortleiter Kinder­augen­heil­kunde beim Berufs­verband der Augen­ärzte, hat damit in der Praxis Erfolge erzielt. Zur optimalen Dosis werde geforscht. Die zurzeit in Deutsch­land laufende klinische AIM-Studie prüft den Nutzen nied­rig dosierter Atropin-Tropfen (0,01 und 0,02 Prozent) bei Kindern zwischen 8 bis 12 Jahren.

Apotheken bereiten die Tropfen zu. Kosten: circa 100 bis 200 Euro im Jahr. „Die Brille muss weiter konsequent getragen werden“, sagt Rüther.

Multisegment-Brillen: Noch zu wenig erforscht

Auch spezielle Brillen, sogenannte Multisegment- oder Defokus-Brillen, sollen das Wachs­tum des Augapfels und damit das Fort­schreiten der Kurz­sichtig­keit reduzieren. Das Prinzip: Die zentrale Zone korrigiert die Kurz­sichtig­keit, viele kleine Linsen mit positiver Dioptrienzahl wirken auf das äußere Sicht­feld. Laut dem Berufsverband der Augenärzte gebe es wenige herstel­ler­unabhängige Unter­suchungen. Für eine allgemeine Empfehlung seien weitere Studien wünschens­wert. Dem Cochrane-Forschungs­netz­werk fehlen ebenfalls Belege, etwa zu Neben­wirkungen.

Was Eltern mit bedenken sollten: Multisegment­gläser sind teuer. Ihre Kosten liegen bei mehreren hundert Euro. Da sie fort­schreitende Kurz­sichtig­keit verlang­samen, aber nicht aufhalten können, brauchen Kinder regel­mäßig neue Gläser.

Tipp: Mit dem richtigen Optiker kann die Wahl der Brille besser gelingen. Eine Versicherung schützt vor Kosten, wenn die Brille beim Sport oder unterwegs kaputt geht.

Kontaktlinsen: Wirk­sam, aber nicht immer verträglich

Für spezielle Kontaktlinsen existieren laut den augenärztlichen Fachgesellschaften viele Studien mit gutem Evidenz­niveau. Dabei werden zwei Arten unterschieden. Multifokale Linsen, oder auch Mehr­stärkenlinsen, sind vom Konzept her vergleich­bar mit Multisegment­gläsern und werden tags­über getragen. In Studien drosselten sie fort­schreitende Kurz­sichtig­keit zwischen 43 und 59 Prozent.

Sogenannte ortho­keratologische Kontaktlinsen kommen nachts ins Auge, sie flachen im Schlaf die obere Schicht der Hornhaut ab. Tags­über ist Sehen dann ohne Sehhilfe möglich. Für ihre Wirkung müssen sie konsequent jede Nacht getragen werden. Sie sollen ähnlich wirk­sam sein wie die multifokalen. Cochrane schränkt ein, dass an den Unter­suchungen teilnehmende Kinder die ortho­keratologischen Linsen oft nicht gut vertrugen.

Auch für Speziallinsen fallen mehrere hundert Euro pro Jahr an Kosten an. Wichtig: Um Infektionen zu vermeiden, spielt Hygiene bei Kontaktlinsen eine wichtige Rolle.

Einfach und wirk­sam: Tages­licht gegen Kurz­sichtig­keit

Einfacher und güns­tiger als jedes teure Hilfs­mittel ist der Aufenthalt im Freien. Mindestens zwei Stunden am Tag sollen sich Kinder draußen aufhalten, so die gängige augen­ärzt­liche Empfehlung. Das Fazit eines aktuellen Reviews des Forschungsnetzwerks Cochrane liest sich dazu etwas verhalten: Mehr Zeit im Freien verringere das Auftreten von Kurz­sichtig­keit bei Kindern möglicher­weise nur gering­fügig. Cochrane wertete dazu randomisiert kontrollierte Studien aus.

„An unserem Rat, dass Kinder viel draußen sein sollen, ändert das nichts“, sagt Augen­arzt Klaus Rüther. „Der positive Effekt des Tages­lichts hat sich in vielen Beob­achtungs­studien gezeigt.“ Auch Frank Schaeffel vom Forschungs­institut für Augen­heil­kunde an der Universität Tübingen bestätigt den positiven Effekt des Aufenthalts im Freien. „Der Beginn der Myopie verschiebt sich durch den Faktor Tages­licht nach hinten. Und je später eine Myopie beginnt, desto geringer bleibt sie am Ende.“

Noch unklar sei laut des Cochrane-Reviews, ob durch mehr Zeit im Freien das Fort­schreiten einer bestehenden Kurz­sichtig­keit verhindert werden könnte. „Diese Frage ist global nicht beant­wortet, es gibt Studien in beide Richtungen“, sagt Schaeffel. Unbe­stritten ist, dass Zeit im Freien das einfachste Mittel ist, um Kurz­sichtig­keit entgegen­zuwirken.

Tipps für Kinder­augen

  • Vor die Tür. Kinder sollten so viel wie möglich draußen spielen, zwei Stunden im Freien jeden Tag sind optimal. Das ist nicht nur gut für die Augen, sondern auch für Körper und Psyche – und beugt zudem Übergewicht vor.
  • Abstand halten. Machen Sie die Kleinen darauf aufmerk­sam, wenn Bücher oder elektronische Geräte zu nah an den Augen sind. Der Abstand sollte mindestens 30 Zenti­meter ausmachen. Begrenzen Sie auch die Zeit an Tablet und anderen Geräten.
  • Weit blicken. Achten Sie darauf, dass ihr Kind nicht nur nahe Gegen­stände im Fokus hat. Beim Lesen oder Arbeiten am Computer sollte es jede halbe Stunde eine Pause machen und in die Ferne schauen.
  • Unter­suchen lassen. Nehmen Sie U-Untersuchungen wahr. Kinder- und Jugend­ärztinnen achten auf Auffälligkeiten. Spätestens im Alter von 30 bis 42 Monaten sollten alle Kinder zu einem Augen­arzt, empfiehlt der Berufs­verband.

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