
Länger krank. Fällt der Lohn wegen Krankheit weg, springt die Krankentagegeld-Versicherung ein. © Getty Images / Oliver Rossi
Versicherer DKV kürzt einem Kranken das Tagegeld wegen gesunkenem Einkommen. Die Kürzungsklausel in seinem Vertrag war nicht zulässig, entschied der Bundesgerichtshof.
Mit einer privaten Krankentagegeld-Versicherung sichern sich viele Selbstständige finanziell für den Krankheitsfall ab. Sie zahlt pro Krankheitstag ein vereinbartes Tagegeld aus. Auch für gesetzlich krankenversicherte Angestellte mit höherem Einkommen ist dieser Schutz interessant. Sie können damit das Krankengeld ihrer Krankenkasse aufstocken, das ihnen nach Ende der sechswöchigen Lohnfortzahlung zusteht. Denn Krankengeld ist gedeckelt. Angestellte mit höherem Verdienst haben bei längerer Erkrankung eine nicht unerhebliche finanzielle Lücke zu verkraften.
Versicherer muss 9 450 Euro Krankentagegeld nachzahlen
Um die Höhe des ausgezahlten Tagegeldes gibt es immer wieder Streit. Ein Mann schloss im Jahr 2017 eine Krankentagegeld-Versicherung beim privaten Krankenversicherer DKV ab. Er wollte einen Einkommensverlust bei längerer Krankheit absichern und vereinbarte dafür ein Tagegeld von rund 204 Euro ab dem 22. Tag einer Arbeitsunfähigkeit. Als er im Jahr 2020 für knapp ein Jahr arbeitsunfähig wurde, zahlte die DKV ihm aber nur 175 Euro pro Krankheitstag aus. Die Begründung: Der Mann habe zuletzt im Schnitt weniger verdient als bei Vertragsschluss.
Der Versicherer berief sich auf eine Klausel im Vertrag, die ihm das erlaube. Diese Klausel hatte die DKV dem Mann nachträglich 2018 zugeschickt, nachdem die ursprünglich vereinbarte Kürzungsklausel vom Bundesgerichtshof (BGH) im Jahr 2016 für unwirksam erklärt wurde. Der Mann akzeptierte die Kürzung nicht. Er wehrte sich erfolgreich dagegen. Der Versicherer muss ihm nun rund 9 450 Euro nachzahlen, entschied der Bundesgerichtshof (BGH, Az. IV ZR 32/24).
Vertrag enthielt unwirksame Kürzungsklausel
Die ursprüngliche Kürzungsklausel im Vertrag des Mannes, die die DKV 2018 ersetzen wollte, war zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in Verträgen für Tagegeld-Versicherungen branchenüblich. Sie entsprach den geltenden Musterbedingungen des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV). Sie erlaubte dem Versicherer, weniger Tagegeld auszuzahlen, wenn ein Kunde vor seiner Erkrankung längere Zeit weniger verdient hatte, als bei Abschluss des Vertrags. Doch der Bundesgerichtshof erklärte diese Klausel 2016 für unwirksam. Begründung: Sie sei unklar formuliert, verstoße somit gegen das Transparenzgebot (Paragraf 307 Bürgerliches Gesetzbuch). Welche Zeiträume der Versicherer für den Vergleich des ursprünglichen und des gesunkenen Einkommens zugrunde lege, sei nicht klar festgelegt. Auch den Begriff des Nettoeinkommens erklärte der BGH für unbestimmt (Az. IV ZR 44/15).
Versicherer durfte neue Klausel nicht verwenden
Die DKV wollte die unwirksame Klausel 2018 mit einer anderen Kürzungsklausel ersetzen. Doch die Richterinnen und Richter vom BGH entschieden, dass der Versicherer das nicht durfte. Der ursprünglich im Jahr 2017 vereinbarte Vertrag bestehe stattdessen fort. Es gäbe kein unbeschränktes Klauselersetzungsrecht.
Keine unzumutbare Härte für Versicherer
Der private Krankenversicherer hatte argumentiert, die neue Klausel sei notwendig, weil das Festhalten am ursprünglichen Vertrag ohne neue Regelung für ihn eine unzumutbare Härte darstellen würde. Ohne Herabsetzungsmöglichkeit des Krankentagegeldes bei Einkommensminderung würde der Tagegeld-Versicherte die Möglichkeit haben, ein höheres Einkommen zu erzielen, als er in gesunden Tagen tatsächlich erwirtschaften würde. Ein solcher „Überverdienst“ widerspräche Sinn und Zweck der Krankentagegeldversicherung als Verdienstausfallversicherung.
Das Gericht stellt fest, dass eine Unzumutbarkeit vorliegen könne, wenn durch das Festhalten am Vertrag das Vertragsgleichgewicht grundlegend gestört sei. Allerdings genüge dafür nicht jeder wirtschaftliche Nachteil. Für eine Unzumutbarkeit wäre eine einschneidende Störung des Äquivalenzverhältnisses erforderlich. Diese läge hier nicht vor. Der Versicherer muss dem Betroffenen 9 450 Euro nachzahlen (Bundesgerichtshof, Az. IV ZR 32/24).
Umstrittene Kürzungsklauseln
Standard in den meisten Verträgen
In Krankentagegeld-Versicherungen behalten sich Versicherer vor, das Tagegeld zu kürzen, sollte das durchschnittliche Nettoeinkommen unter die Höhe des dem Vertrag zugrunde gelegten Nettoeinkommens sinken – in der Regel innerhalb von 12 Monaten. Das ist zulässig, wenn die Klausel transparent formuliert ist. Der Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. hat hierfür Musterbedingungen entwickelt. Die jüngsten sind aus dem Jahr 2024.
Kürzung kann bei älteren Verträgen unwirksam sein
Kürzt der Versicherer das Tagegeld und beruft sich dabei auf eine Kürzungsklausel, sollten Kunden prüfen, ob die Kürzung rechtmäßig ist. Eine Kürzungsklausel in älteren Verträgen kann unwirksam sein. Bis 2016 verwendeten private Krankentagegeld-Versicherern teils eine vom BGH für unwirksam erklärte Kürzungsklausel (Az. IV ZR 44/15). Nach dem BGH-Urteil schrieben Versicherer teils ihre Kunden an und vereinbarten anstelle der für unwirksam erklärten Klausel eine neue Kürzungsklausel (Klausel-Ersetzungsverfahren). Der BGH hat hier nun entschieden, dass die Klausel-Ersetzung unwirksam war und der Vertrag ohne Kürzungsklausel fortbesteht (Az. IV ZR 32/24).
Tipp: Hat Ihr Versicherer Ihr Krankentagegeld unzulässig gekürzt, können Sie es bis zu drei Jahre rückwirkend zurückfordern. Wenden Sie sich gegebenenfalls an die Schlichtungsstelle des Verbandes der privaten Krankenversicherungen, um den Vertrag auf die Rechtmäßigkeit der Kürzung prüfen zu lassen. Das Verfahren ist für Versicherte kostenlos. Die Entscheidung der Schlichtungsstelle ist jedoch nicht verbindlich für die Versicherer. Oder Sie wenden sich an eine Fachanwältin oder Fachanwalt für Versicherungsrecht um zu klären, ob und wie Sie gegen eine Kürzung vorgehen. Anwalts- und Verfahrenskosten deckt eine Rechtsschutzversicherung ab.
Für wen eine Tagegeld-Versicherung wichtig ist
Ein Krankentagegeld ist für manche Berufsgruppen existenziell:
- Für privat versicherte Selbstständige und Freiberufler ohne Lohnfortzahlung ist ein Krankentagegeld notwendig, wenn es die einzige Absicherung gegen Verdienstausfall bei längerer Krankheit ist. Mit dem Tagegeld können Existenz und der Lebensstandard aufrechterhalten werden.
- Für gesetzlich versicherte Selbstständige und Angestellte mit hohem Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze kann die Versicherung sinnvoll sein, weil ihr gesetzliches Krankengeld gedeckelt ist.
Welche Tagesgeldhöhe vereinbart werden kann, richtet sich in der Regel nach dem durchschnittlichen Gewinn oder Nettoeinkommen der letzten zwölf Monate. Der Auszahlungsbeginn kann oft individuell festgelegt werden, zum Beispiel der 8., 15. oder 29. Krankheitstag. Angestellte wählen Versicherungsschutz eher ab dem 43. Krankheitstag, denn dann endet die Lohnfortzahlung des Arbeitgebers.
Anders als das Krankengeld in der gesetzlichen Krankenkasse wird das privat vereinbarte Krankentagegeld zunächst zeitlich unbegrenzt ausgezahlt. Der Vertrag endet in vielen Tarifen automatisch mit Beginn der Altersrente. Individuell können teils kürzere oder längere Laufzeiten vereinbart werden. Aber Achtung:
- Das Tagegeld endet, wenn Versicherte wieder teilweise arbeiten können und nicht mehr vollständig arbeitsunfähig sind.
- Das Tagegeld endet, wenn Versicherte dauerhaft nicht mehr in der Lage sind, ihren Beruf auszuüben. Für den Fall der dauerhaften Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit ist die Absicherung mit einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung sehr sinnvoll.
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