Sind Arbeitnehmer sehr lange krank, endet auch das Krankengeld. Wir zeigen drei Wege auf, wie es danach weitergehen kann: Hamburger Modell, ALG 1, Erwerbsminderungsrente.
Das Wichtigste in Kürze
Was möglich ist, wenn das Krankengeld endet
Krankengeld.
Sind Sie länger krank, zahlt zunächst Ihr Arbeitgeber sechs Wochen Ihr Gehalt weiter. Danach gibt es bis zu 72 Wochen Krankengeld von Ihrer Krankenkasse.
Arbeiten.
Gehen Sie auf Ihren Arbeitgeber zu, wenn Sie in absehbarer Zeit wieder arbeiten können. Es gibt verschiedene Maßnahmen, die Ihren Wiedereinstieg erleichtern.
Weiter krank
. Sind Sie auch nach Ablauf des Krankengeldes weiter krankgeschrieben, wenden Sie sich an die Arbeitsagentur. Sie ist der richtige Ansprechpartner.
Krankengeld läuft lange, aber nicht unbegrenzt. Nach 78 Wochen endet die Zahlung. „Ausgesteuert“ heißt das im Jargon der Krankenkassen. Menschen, die Krankengeld beziehen, sollten schon vorher handeln. Sonst verlieren sie neben der Zahlung womöglich den Krankenversicherungsschutz.
Vor Ablauf der Zeit aktiv werden
Krankengeld sichert Arbeitnehmer ab, die lange erkranken. In den ersten sechs Wochen erhalten sie weiter Gehalt vom Arbeitgeber. Danach springt bei gesetzlich Versicherten die Krankenkasse ein und zahlt Krankengeld. Bei privaten Krankenversicherungen ist Krankengeld eine zusätzliche Leistung, die Versicherte über den Tarifbaustein „Krankentagegeld“ kostenpflichtig dazubuchen.
Läuft Krankengeld aus, gibt es für Arbeitnehmer meist folgende Möglichkeiten:
Sie kehren zurück in ihren Job und werden dabei durch ihren Arbeitgeber unterstützt.
Sie sind weiterhin krank und erhalten Leistungen von Arbeitsagentur oder Jobcenter.
Sie sind dauerhaft zu krank zum Arbeiten und beziehen Erwerbsminderungsrente.
Rechtzeitig kümmern
„Versicherte sollten sich unbedingt kümmern, solange sie noch Krankengeld erhalten“, appelliert Dorothee Czennia, Referentin Sozialpolitik beim Sozialverband VdK. Vieles lasse sich mit dem Arbeitgeber klären, sodass eine Rückkehr in den Job möglich sei. Das brauche allerdings Zeit. „Wartet man ab, wird es nach gut anderthalb Jahren hektisch.“
Antrag auf Schwerbehinderung
Die Expertin empfiehlt, bei längerer Krankheit auch einen Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung zu prüfen. Durch den Schwerbehindertenstatus erhalten Betroffene zumindest einen „Nachteilsausgleich“ wie einen besonderen Kündigungsschutz im Job. Zudem können sie im Schnitt zwei Jahre eher als vorgesehen in Rente gehen, mit Abschlägen sogar noch früher.
Die beste Option ist in jedem Fall: gesund werden und wieder arbeiten. Wer noch Krankengeld bezieht, kann einen stufenweisen Wiedereinstieg planen, umgangssprachlich auch Hamburger Modell genannt.
Hamburger Modell: Stufenweise Rückkehr ins Arbeitsleben
Versicherte sind beim Hamburger Modell weiterhin krankgeschrieben, während sie stundenweise wieder arbeiten gehen. Meist steigert sich die Anzahl der Stunden, die sie am Arbeitsplatz verbringen, über mehrere Monate. Einen Stufenplan dafür legen sie gemeinsam mit dem Arzt fest, der Arbeitgeber muss zustimmen. Wichtig: Möglich ist das Hamburger Modell auch für privat Krankenversicherte. Was geht, regelt bei ihnen der Leistungsbaustein zum Krankentagegeld.
BEM: Unterstützung durch den Arbeitgeber
Der stufenweise Wiedereinstieg in den Job kann auch im Rahmen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) stattfinden. BEM soll Arbeitnehmer bei ihrer Jobrückkehr unterstützen und durch verschiedene Maßnahmen dazu beitragen, dass künftig längere Krankheitsphasen vermieden werden.
Arbeitgeber sind verpflichtet, allen Beschäftigten, die länger als sechs Wochen krank sind, BEM anzubieten. Gemeinsam wird besprochen, welche Unterstützung möglich ist. Zu den BEM-Maßnahmen gehören zum Beispiel Umbauten wie behindertengerechte Zugänge oder die Anschaffung besonderer Hörgeräte. Solche Hilfen sind unabhängig vom Krankengeld und können auch Arbeitnehmern nützen, die erst nach Ende des Bezugs in den Job zurückkehren.
Eine weitere Option: Seit 2019 können Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit als sogenannte Brückenteilzeit für eine festgelegte Zeitspanne reduzieren. Es lohnt, diese Möglichkeit für einen langsamen Wiedereinstieg zu prüfen.
Variante 2: Weiter krank – ALG 1 beantragen
Lässt der Gesundheitszustand es noch nicht zu, wieder im Job anzufangen, ist die Agentur für Arbeit die richtige Ansprechpartnerin – auch bei noch bestehenden Arbeitsverhältnissen. „Für jemanden, der noch einen Job hat und krankgeschrieben ist, klingt das zunächst seltsam“, sagt Christian Schultz, Mitarbeiter der Abteilung Sozialpolitik und Kommunikation beim SoVD Schleswig-Holstein. Seine Kolleginnen und Kollegen haben in den Beratungen oft mit solchen Fällen zu tun (siehe Interview).
Drei Monate vorher kümmern
Auch hier gilt: Man sollte sich nicht erst an die Arbeitsagentur wenden, wenn das Krankengeld ausgelaufen ist, sondern schon vorher. Normalerweise informiert die Krankenkasse Versicherte, dass sie die Krankengeldzahlungen demnächst beendet. Wer dieses Schreiben etwa zwei oder drei Monate vor der Aussteuerung noch nicht erhalten hat, sollte bei der Kasse nachhaken.
Mit diesem Brief müssen Betroffene zur Arbeitsagentur gehen und Arbeitslosengeld 1 (ALG 1) beantragen. Anspruch darauf hat, wer wenigstens zwölf Monate versicherungspflichtig angestellt war. Das ALG 1 beträgt im Regelfall 60 Prozent des Nettoentgelts. Wer noch Kindergeld bezieht, bekommt 67 Prozent.
Geld für Übergangszeiten
ALG 1 gibt es für erkrankte Arbeitnehmer oft im Rahmen der sogenannten Nahtlosigkeitsregelung. Ob sie greift, entscheidet der Arbeitsamtsärztliche Dienst – und zwar nach Aktenlage. Die Regelung kann zum Beispiel gelten, wenn jemand bereits eine Erwerbsminderungsrente beantragt hat, diese aber noch nicht genehmigt ist, denn das kann Monate dauern.
Auch wenn die Nahtlosigkeitsregelung nicht greift, kann Arbeitslosengeld 1 bezogen werden. Dann wird es aber oft kompliziert: Denn die erkrankten Arbeitnehmer müssen sich im Rahmen ihres verbleibenden Leistungsvermögens dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen, um die Zahlungen nicht zu gefährden, obwohl sie nach wie vor krank sind.
Es kann vorkommen, dass die Arbeitsagentur Antragsteller zur Reha schickt, um zu prüfen, ob diese weiter arbeitsfähig sind. Dieser Aufforderung muss man nachkommen, um die Zahlungen nicht zu gefährden.
Entscheidend dafür, ob eine Erwerbsminderungsrente gewährt wird, ist die allgemeine Arbeitsfähigkeit. Kann etwa eine Erzieherin wegen einer psychischen Erkrankung nicht mehr in der Kindertagesstätte, aber noch im Callcenter arbeiten, bekäme sie keine Erwerbsminderungsrente. Optimal ist es daher, rechtzeitig mit einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung vorzusorgen, die eine Rente in vereinbarter Höhe zahlt, wenn jemand aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht mehr in seinem zuletzt ausgeübten Beruf arbeiten kann.
Wer aufgrund von Krankheit oder Unfall weniger als drei Stunden pro Tag arbeiten kann, erhält die volle Erwerbsminderungsrente. Sind es zwischen drei und sechs Stunden am Tag, reduziert sich die Zahlung auf die Hälfte.
Im Schnitt 835 Euro im Monat
Eine volle Erwerbsminderungsrente ist viel geringer als das Nettoeinkommen. Oft reicht sie kaum für grundlegende Lebenshaltungskosten. Im Schnitt liegt sie derzeit bei monatlich 835 Euro netto vor Steuern. Bei teilweiser Erwerbsminderung ist die Rente entsprechend niedriger. Es gibt zudem Voraussetzungen: Die Mindestversicherungszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung beträgt fünf Jahre und Versicherte müssen in den letzten fünf Jahren mindestens drei Jahre lang Pflichtbeiträge entrichtet haben. Als Pflichtbeitragszeiten gelten neben sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen auch Zeiten von Kindererziehung und Pflege.
Rund 40 Prozent der Anträge werden von der Rentenversicherung abgelehnt. Versicherte können Widerspruch einlegen
Läuft das Krankengeld aus, ist für erkrankte Arbeitnehmer oft die Arbeitsagentur zuständig. Doch viele von ihnen landen beim Jobcenter und erhalten dann weniger finanzielle Unterstützung. Experte Christian Schulz erklärt, warum es sich lohnt, hartnäckig zu bleiben.
Wenn die Nahtlosigkeitsregelung nicht greift
Krankgeschrieben und trotzdem zur Arbeitsagentur, das klingt zunächst seltsam.
Das ist für Laien auch schwer zu verstehen. Wenn die Nahtlosigkeitsregelung nicht greift, müssen sich die Betroffenen aber im Rahmen ihrer Möglichkeiten dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen. Nur dann gibt es auch ALG 1.
Klappt das in der Praxis?
Wir erleben immer wieder, dass Antragsteller von der Arbeitsagentur weggeschickt werden, weil deren Mitarbeiter der Ansicht sind, sie seien nicht zuständig.
Nicht abwimmeln lassen
Was raten Sie dann?
Es ist wichtig, hartnäckig zu bleiben, sich nicht wegschicken zu lassen. Man muss den Mitarbeitern der Arbeitsagentur explizit sagen, dass man Anspruch auf ALG 1 hat – und das in Vollzeit, sonst gibt es nicht das volle Arbeitslosengeld. Das kostet Kraft, die kranke Antragsteller oft nicht haben.
Was passiert sonst?
Die Betroffenen melden sich oft notgedrungen beim Jobcenter. Statt ALG 1, gibt es dann nur ALG 2, auch Hartz 4 genannt. Das ist nicht nur niedriger, zudem werden beim Bezug Einkommen vom Partner und eigene Ersparnisse mit angerechnet. Das sollte unbedingt vermieden werden.
Jobangebote im Zweifel ablehnen
Wie häufig erhalten die Betroffenen tatsächlich Jobangebote?
In aller Regel bekommt man dann keine Angebote zugeschickt. Kommt es doch vor, können Betroffene diese mit Blick auf die gesundheitlichen Probleme ablehnen.
Ist es nötig, sich weiter krankschreiben zu lassen?
Fällt man nicht unter die Nahtlosigkeitsregelung, ist das eine Gratwanderung. Streng genommen müsste man sich für die Arbeitsagentur weiter krankschreiben lassen. Das macht häufig Probleme. Wer krank ist, stehe der Vermittlung ja nicht zur Verfügung, heißt es dann. Wir empfehlen, die Krankmeldung nicht weiterzugeben. Die Krankenkasse braucht die Bescheinigung übrigens nicht mehr. Den Arbeitgeber sollte man fragen: Oft will er den gelben Zettel jedoch nicht mehr.
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INN-tegrativ am 08.11.2021 um 15:17 Uhr
Im Beitrag fehlt...
...die berufliche Rehabilitation. Bevor eine Erwerbsminderungsrente in Betracht gezogen wird, sollte man Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beantragen, die sogenannte berufliche Reha. Viele finden mit dieser staatlich geförderten Unterstützung wieder zurück ins Arbeitsleben. Schade, dass darauf nicht eingegangen wird, denn diese Leistungen sind eh zu wenig bekannt. www.zweite-chance.info
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...die berufliche Rehabilitation. Bevor eine Erwerbsminderungsrente in Betracht gezogen wird, sollte man Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beantragen, die sogenannte berufliche Reha. Viele finden mit dieser staatlich geförderten Unterstützung wieder zurück ins Arbeitsleben. Schade, dass darauf nicht eingegangen wird, denn diese Leistungen sind eh zu wenig bekannt. www.zweite-chance.info