Wer häufig sinniert, rutscht schnell in ein Stimmungstief oder sogar in die Depression. Simple Methoden schützen – oder helfen Betroffenen aus der Gedankenspirale heraus.
Gelegentliches Grübeln ist normal
Wieso musste gerade mir der Bus vor der Nase wegfahren? Ich komme zu spät zur Arbeit. Warum passiert das immer nur mir? Weshalb bin ich so doof und gehe zu spät los? Alle werden denken, wie unfähig ich bin ... Nicht wenige versinken Tag für Tag in Gedankenstrudeln. Sie sind besonders kritisch mit sich selbst. Der Psychotherapeut Tobias Teismann sagt: „In schweren Lebensphasen, nach einem belastenden Ereignis, wenn man trauert oder eine schwierige Entscheidung zu treffen hat, ist Grübeln normal.“ Er forscht seit mehr als zehn Jahren zum Thema übermäßiges Grübeln.
Verstärkt negative Gefühle
Teismann, der das Zentrum für Psychotherapie in Bochum leitet, warnt aber: „Wer lange nach solchen Lebenskrisen oder oft schon bei kleineren Anlässen ins Grübeln kommt, sollte Obacht geben.“ Das ewige Zermartern kann schlimme Folgen haben. Ob zehn Minuten oder stundenlang: Grübeln verstärkt negative Gefühle und Gedanken. Experimente zeigen: Studienteilnehmer, die zum Sinnieren verleitet wurden, konnten sich später nicht so gut konzentrieren, erinnerten sich vor allem an unschöne Ereignisse und sahen in den meisten Erlebnissen vor allem negative Aspekte. Die Welt war für sie dunkler. Starkes Grübeln erhöht sogar das Risiko, an einer Depression zu erkranken. Es kann aber auch Essstörungen fördern, selbstverletzendes Verhalten und Alkoholmissbrauch.
Viele Warum-Fragen
Menschen, die oft ins Grübeln verfallen, sind wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge weniger fähig als andere, ihre Probleme zu meistern. Dennoch glauben die meisten, durch die vielen Warum-Fragen eine Lösung für ihr Problem zu finden. „Tatsächlich ist es unwahrscheinlich, dass sie eine hilfreiche Antwort auf diese Art von Fragen finden“, sagt Teismann. Dafür seien sie zu abstrakt. Studien bestätigen: Grübler sehen kaum Möglichkeiten, ihre Situation zu verändern. Falls ihnen Lösungen einfallen, sind sie kaum hilfreich. Oder sie können sich nicht dazu durchringen, sie umzusetzen. Grübeln lähmt sie.
Psychologische Übungen helfen
Wer in die Grübelfalle getappt ist, kann sich auch wieder befreien. Psychologische Kniffe helfen mit etwas Geduld und Übung, das Gedankenkarussell zu stoppen. Teismann behandelt seit Jahren Menschen mit Depressionen. Sie grübeln besonders intensiv. Der Psychotherapeut und sein Team haben Methoden, die das Wieso-Weshalb-Warum-Denken gezielt bearbeiten, in ihre Behandlung eingebaut. Die Strategien helfen auch gesunden Vielgrüblern, klarer zu sehen. „Beobachten Sie Ihre Gedanken. Führen Sie ein oder zwei Wochen Protokoll“, rät Teismann. Wann, worüber, wie lange sinnieren Sie? In welchen Situationen springen die Warum-Fragen an?
Nachgedacht oder gegrübelt?
Wenn jemand unsicher ist, ob er in einen Gedankenstrudel rutscht oder sinnvoll nachdenkt, empfiehlt Teismann die Zwei-Minuten-Regel: Wer merkt, dass er in Gedanken versinkt, sollte ihnen weitere zwei Minuten nachgehen und sich dann fragen: Bin ich mit der Problemlösung vorangekommen? Habe ich etwas verstanden, was mir vorher nicht klar war? Bin ich jetzt weniger niedergeschlagen als vorher? Lauten die Antworten „Nein“, hat man gegrübelt.
Aufmerksamkeit umlenken
Um gegen die Spirale anzukommen, setzen Psychologen auf Ablenkung. Die Aufmerksamkeit soll von den zermürbenden Gedanken auf eine Aktivität gelenkt werden, die neutrale oder positive Gefühle weckt. Gesellschaftsspiele, Basteln oder Freunde treffen können gute Wege sein, die Gedankenschleifen zu stoppen. „Suchen Sie sich etwas, in das Sie sich wirklich vertiefen können“, rät Teismann. Routinen wie Putzen oder Laufen funktionieren nicht immer, viele verfallen genau dabei ins Grübeln. „Ablenkung gönnt dem Kopf eine Pause“, sagt Teismann. „Eine Dauerlösung ist sie nicht.“
Gedanken vorüberziehen lassen
Damit die Gedanken weniger belasten, empfiehlt die Psychologin Christine Kühner Achtsamkeitsübungen. „Dabei lernen die Betroffenen, Gedanken nicht als Fakten wahrzunehmen, sie nicht zu bewerten oder ihrem Inhalt nachzuhängen“, sagt die Forscherin vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Eine hilfreiche Übung sei, sich den Gedankenstrom wie einen Fluss vorzustellen: Die Gedanken kommen, sie legen sich auf Blätter, die auf einem Fluss schwimmen und fließen an einem vorbei. Auch Entspannungsübungen seien hilfreich. „Auf Grübeln reagiert der Körper wie auf Stress. Er schüttet vermehrt Stresshormone aus. Die Menschen sind sehr angespannt“, erklärt Kühner.
Auf Wiedervorlage setzen
Wer ein Thema nicht auf sich beruhen lassen will, kann versuchen, es aufzuschieben. Beginnen die Gedanken zu kreisen, empfiehlt Teismann, sich das Problem auf einem Blatt Papier zu notieren und die gedankliche Vertiefung auf den Abend zu verlegen. Die Grübelphase sollte mindestens zwei Stunden vor dem Zu-Bett-Gehen stattfinden und höchstens 20 Minuten dauern. Vieles hat sich dann schon erledigt. „Wenn man einem zunächst sehr drängenden Gedanken erst später nachgeht, scheint er oft nicht mehr wichtig“, sagt Teismann.
Probleme aktiv angehen
Kehren Themen immer wieder, etwa Hickhack mit einem Kollegen oder Missverständnisse mit dem Partner, ist es sinnvoll, die Probleme anzugehen. Wer trotz zahlreicher Versuche und Übungen nicht aus dem gedanklichen Hamsterrad herauskommt, kann sich professionelle Hilfe holen. Psychotherapeuten vertiefen die Übungen und helfen, Probleme zu lösen. Damit im Kopf endlich wieder Ruhe einkehrt.
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Sehr schön geschrieben, dennoch wertlos, wenn das HAMSTERRAD sich immer schneller dreht. Sieht man dieses Problem bei sich und möchte dann auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, der wird sehr schnell merken, daß man dann alleine dasteht, da ja viele therapeutische Praxen hoffnungslos überfüllt sind und man sehr schwer einen Termin bekommt. Ich spreche aus eigener Erfahrung.
Aber, das Problem ist bekannt und man versucht ja seitens des BMmfG, es anzugehen. Meines Erachtens viel zu spät.