Wolfgang Reinpold ist Chefarzt für Chirurgie am Hernienzentrum des Wilhelmsburger Krankenhauses Groß-Sand in Hamburg und Vorsitzender der Deutschen Hernien Gesellschaft. Im Gespräch mit test.de rät er Patienten, auch ohne Beschwerden eine OP nicht zu lang aufzuschieben.
Abwarten ist meist keine gute Option
Wie sieht der typische Patient aus?
Leistenbrüche treten in jedem Alter auf, selbst bei Säuglingen, aber gehäuft eher in der zweiten Lebenshälfte. Hauptursache ist eine meist genetisch bedingte Bindegewebsschwäche.
Wann ist der Zeitpunkt für eine Operation gekommen?
Es gibt das Konzept des „watchful waiting“. Es besagt, dass Patienten mit wenig oder keinen Beschwerden abwarten können. Ich bin kein Anhänger davon. Ohne fachgerechte Operation geht es nicht. Nur weil der Bruch wenig Beschwerden verursacht, heißt das nicht, dass es keine Einklemmung geben kann. Dann besteht unter Umständen Lebensgefahr. Vergleichende Studien zeigen: Nach sieben bis zehn Jahren Wartezeit mussten zirka 80 Prozent der Patienten operiert werden – wegen Beschwerden oder Einklemmung.
Husten, Niesen, schweres Heben – all das kann zur Gefahr werden
Woran ist eine lebensgefährliche Einklemmung zu erkennen?
Normalerweise ist der Bruch eine weiche Vorwölbung, die man im Liegen zurückschieben kann. Er kann spontan oder bei banalen körperlichen Belastungen wie Husten, Niesen, schwerem Heben einklemmen. Dann ist die Vorwölbung prall, schmerzhaft, lässt sich im Liegen nicht mehr zurückdrücken.
Es gibt mehrere Operationsverfahren. Wann setzen Sie welche ein?
Unser Standard ist das Tapp-Verfahren, bei dem ein Kunststoffnetz minimalinvasiv zwischen dem Bauchfell und der tragenden Bauchwand, also außerhalb der Bauchhöhle eingesetzt wird. Dabei machen wir eine Bauchspiegelung, können die Bauchorgane ansehen und die Leistengegend gut beurteilen. Bei Patienten mit Narkoserisiken oder über 85-Jährigen bevorzugen wir die Lichtenstein-Technik. Dabei wird ebenso ein Netz eingesetzt, aber unter örtlicher Betäubung und nicht wie bei Tapp unter Vollnarkose. In unserem Referenzzentrum liegt das Rückfallrisiko fünf Jahre nach Tapp- und Lichtenstein-OPs bei unter 1 Prozent. Möchte ein Patient kein Kunststoffimplantat, nähen wir den Bruch – eine gute Technik vor allem bei Jüngeren mit kleinen Brüchen.
Operationen werden dokumentiert
Netze können sich im Körper verändern. Wie wird das überwacht?
Wir dokumentieren unsere 1 300 pro Jahr operierten Hernienpatienten im deutschen Register Herniamed, inklusive Nachuntersuchungen nach 1, 5 und 10 Jahren. Wir setzen bevorzugt Flachnetze außerhalb der Bauchhöhle ein. Sie sind sehr gut verträglich und bereiten keine Beschwerden. Die von uns verwendeten Techniken verhindern ein Verrutschen oder Wandern der Netze. Dreidimensionale kegelförmige Implantate, so genannte „Plugs“, die die Bruchlücke stöpselartig verschließen, sind riskanter, können verklumpen oder in die Bauchhöhle hineinragen.
Jeder Zehnte hat nach der OP bleibende Schmerzen – zu viele, oder?
Ich frage immer: Wie war die Schmerzsituation vorher? Meist bringt die Operation eine drastische Verbesserung. Relevante, chronische Beschwerden hat etwa jeder Hundertste. Meist sind das Patienten, die auch vor der Operation schon starke Beschwerden hatten.
Lässt sich ein Leistenbruch überhaupt vermeiden?
Rauchen geht oft mit chronischem Husten einher, was einen Bruch fördert. Also nicht rauchen.
Kommentarliste
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@jmt1957: Die Stiftung Warentest kann keine individuelle medizinische Beratung durchführen. Wir bitten Sie daher sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Nur ein Arzt oder eine Ärztin kann die Ursachen für Ihre Schmerzen diagnostizieren und Ihre Beschwerden fachgerecht behandeln.
Hallo, ich bin vor 4 Tagen in meiner Wohnung auf meine rechte Seite gefallen. Nach einem Tag hatte ich an der rechten Hüfte, die ja eigentlich am stärksten durch den Fall betroffen war, keine Beschwerden mehr. Aber ich habe nach wie vor starke Schmerzen ausgehend von einer Stelle zwischen dem rechten Bein und meinen Hoden im oberen Bereich des Beines also. Diese Schmerzen strahlen bis in den Oberschenkel des rechten Beines aus und sind bei jeglicher Bewegung stark zu spüren. Ich habe bisher jeden Tag 800mg Ibuprofen genommen und das hat die Schmerzen für mehrere Stunden gut gelindert. Mir ist klar dass das nur eine Bekämpfung der Symptome ist Kann mir jemand einen Rat geben und vielleicht eine Ursache der Schmerzen benennen ? Vielen Dank !
Habe seit 2009 ein Leistenbruchslip mit hohem Druck aus Belgien von Belgomedical für meine Leistenbruch Linkerseite und Rechterseite. Operation nog immer nicht notwendig laut mein Artz.
Nur ein Vergleichmachen zwischen ein Operation mit ein Bruchband ist nicht korrekt: Bruchhosen wurden Heute vielfacher verkauft. Aber richtig die Druck auswählen ist wichtig: eine Bruchhose mit hohe Kompression war notwendig für mich.
Ich hatte einen Leistenbruch, der im August 2019 minimalinvasiv mit einem Netz (Patchplastik) versorgt wurde. Nach einem Tag Krankenhausaufenthalt wurde ich fast schmerzfrei entlassen.
2020 wurde bei mir Prostatakrebs festgestellt. Im November 2020 erfolgte eine Prostatektomie bei der es zu erheblichen Problemen kam, da die Blase, ein Lymphknoten und die die Prostata umgebenden Nervenstränge mit dem Netz verwachsen waren. Der bei der OP angestrebte Nervenerhalt (wichtig für die Potenz) war nicht möglich.
Da Prostata-Krebs die häufigste Krebsart bei Männern ist, sollte dieser Personenkreis vor einer Leistenbruch -OP mit Netz auf diese Risiko hingewiesen werden und auf alternative OP-Methoden verwiesen werden.
Sie stellen fest, dass in Deutschland etwa 80% der Leistenbruch-Operationen im Krankenhaus durchgeführt werden und nur etwa 15% ambulant. Welche Schlussfolgerungen sind daraus zu ziehen, wenn festgestellt wird, dass in Schweden etwa 80% der Herniotomien ambulant erfolgen und die Letalität (Sterblichkeit) der Leistenbruchoperation um den Faktor 10 niedriger als in Deutschland ist?
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Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 362; DOI: 10.3238/arztebl.2020.0362a · Holzheimer, René ... Eine bundesweite Analyse basierend auf den diagnosebezogenen Fallgruppen der deutschen Krankenhausabrechnungsdaten