
Leistenbruch-OP. Sie zählt zu den chirurgischen Eingriffen, die ab sofort fast ausnahmslos ambulant erfolgen sollen. © imago images / Walter Fischer
Deutschland hinkt im ambulanten Operieren hinterher. Jetzt wird es für mehr und mehr Eingriffe zum Regelfall. Was das für Patientinnen und Patienten bedeutet.
Flugs operiert und noch am selben Tag wieder entlassen – manche Patientinnen und Patienten dürften sich das genau so wünschen. So wie manche Player im Gesundheitssystem: Milliarden von Euro sollen dank kürzerer Klinikaufenthalte eingespart werden können. Dazu muss Deutschland aufholen. Noch erfolgen hierzulande viel weniger OPs ambulant als anderswo in Europa und den USA. Seit 2020 ringen Mediziner, Krankenkassen und Kliniken bei uns darum, das zu ändern. Mit Erfolg: Bis 2022 waren rund 2 900 Eingriffe fürs ambulante Operieren zugelassen – seitdem kamen Hunderte neu hinzu.
Welche sind das? Was sind Vor- und Nachteile für Patientinnen und Patienten? Wer trifft letztlich die Entscheidung, ob jemand ambulant oder stationär unters Messer kommt? Wir nennen wichtige Veränderungen beim ambulanten Operieren und geben eine Checkliste für die Vor- und Nachbereitung an die Hand.
Vom riskanten Unternehmen zum Routineeingriff
Als im Jahr 1958 in Stockholm zum ersten Mal ein Herzschrittmacher implantiert wurde, öffneten die Ärzte den Brustraum des Patienten und operierten am offenen Herzen − ein riskantes Unterfangen. Heute ist das Einsetzen eines Schrittmachers ein Routineeingriff. Schätzungen zufolge finden davon bereits etwa 15 bis 20 Prozent unter örtlicher Betäubung und ambulant statt. Geht es dem Patienten gut, wird er noch am selben Tag entlassen.
Deutschland hat Nachholbedarf
Laut dem Bundesverband für Ambulantes Operieren erfolgen derzeit rund 37 Prozent aller medizinischen Operationen in Deutschland ohne Übernachtung im Krankenhaus. Zum Vergleich: In Großbritannien oder den USA wird zu rund 80 Prozent ambulant operiert.
Deutschland beschloss im Jahr 2020 nachzuziehen. Seither wird hart darüber verhandelt, welche Eingriffe neu in den Katalog für ambulantes Operieren (AOP) aufgenommen werden sollen. Erste Erweiterungen kamen 2023, weitere folgen nun Schritt für Schritt.
99 Prozent der Leistenbrüche sollen künftig ambulant operiert werden. Derzeit sind es nur 20 Prozent.
Quelle: Deutsche Hernien Gesellschaft
Neue Vorgaben für Leistenbrüche
Für Patientinnen und Patienten ergeben sich Neuerungen – und auch für Ärztinnen und Ärzte. Für jene Chirurgen zum Beispiel, die Leistenbrüche (Hernien) operieren. In Dänemark findet diese OP zu fast 90 Prozent ambulant statt.
„In Deutschland sind es nur 20 Prozent“, sagt der Chirurg Professor Ferdinand Köckerling, Spezialist für diese Eingriffe und Chefarzt am Vivantes Humboldt-Klinikum Berlin. Die restlichen 80 Prozent der jährlich rund 250 000 Leistenbruch-OPs seien mit einem ein- bis mehrtägigen Klinikaufenthalt verbunden. Das ist weit weg von den gesetzten Zielen: „Seit 2023 wird von uns erwartet, den überwiegenden Teil der Hernien ambulant zu operieren“, so Köckerling.
Bis zu vier Millionen ambulante OPs sollen hinzukommen
Das gilt auch für etliche andere Eingriffe. Von den jährlich rund 16 Millionen Operationen, die in Deutschland bislang noch stationär stattfinden, sollen künftig drei bis vier Millionen ambulant erfolgen, fordert die Kassenärztliche Bundesvereinigung. So will sie zehn Milliarden Euro pro Jahr einsparen. Sie verhandelt den AOP-Katalog gemeinsam mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft.
Kostenersparnis versus Patientensicherheit
Bis 2022 umfasste der Katalog rund 2 900 Leistungen, darunter die Behandlung von Grauem Star oder Meniskus-Operationen (siehe Liste häufiger ambulanter Eingriffe). Für die Erweiterung wurde das unabhängige Forschungs- und Beratungsinstitut IGES damit beauftragt, Vorschläge einzureichen. Es ermittelte rund 2 500 Eingriffe, die aus Gutachtersicht das Potenzial haben, ambulant durchgeführt zu werden. „Das sind vor allem Eingriffe an der Haut, am Auge, Muskel- und Skelettsystem sowie diagnostische Verfahren“, sagt Martin Albrecht, Geschäftsführer am IGES.
Viele der IGES-Vorschläge aber hielten der anschließenden Prüfung etwa durch Berufsverbände und Fachgesellschaften nicht stand. Durch manche Vorschläge sah die Ärzteschaft die Patientensicherheit gefährdet. Zudem fürchtete sie, für gleiche Leistung weniger Geld zu bekommen. Bisher werden ambulante Eingriffe teils nicht kostendeckend vergütet. Um das in Zukunft zu vermeiden, geht das Bundesgesundheitsministerium nach eigenem Bekunden Schritt für Schritt und in ständiger Verhandlung mit Vertragspartnern vor.
Knapp 400 Leistungen seit 2023 neu aufgenommen
Im Zuge der Verhandlungen schafften es für das Jahr 2023 nur 208 Leistungen neu in den Katalog, darunter die operative Behandlung von Hämorrhoiden und die Korrektur hängender Augenlider. Anfang 2024 folgten 171, etwa die Prostata-Stanzbiopsie. Es wird weiter verhandelt. Noch im Laufe des Jahres könnten weitere Eingriffe als ambulante OPs möglich werden.
10 Milliarden Euro wollen die Krankenkassen durch ambulantes Operieren jährlich einsparen.
Quelle: Kassenärztliche Bundesvereinigung
Die Entscheidung bleibt beim behandelnden Arzt
Wer entscheidet nun in der Praxis, wie operiert wird? Nicht die Krankenkasse: „Die Entscheidung obliegt nach wie vor dem behandelnden Arzt“, sagt Peter Willenborg, Referent für Kommunikation beim AOK Bundesverband. Er müsse diese aber gegenüber der Kasse begründen. Willenborg: „Der Eingriff ist dann ambulant zu erbringen, wenn er im Katalog für ambulantes Operieren aufgelistet ist und kein sogenannter Kontextfaktor dagegenspricht sowie die häusliche Versorgung des Patienten gesichert ist.“ Kontextfaktoren sind etwa ein Pflegegrad oder motorische Einschränkungen.
Kritik von Fachverbänden
Fachverbänden wie den Gastroenterologen und Internisten reicht das nicht. Sie kritisieren, die Neuregelungen würden bestimmte Risikofaktoren wie hohes Alter, starkes Übergewicht oder Demenz nicht angemessen berücksichtigen. Zu den Risikofaktoren ambulanter OPs zählt auch eine unklare Betreuungssituation nach dem Eingriff. Die ersten Tage und Nächte sollte eine operierte Person nicht allein verbringen. In seltenen Fällen können Komplikationen wie Blutungen oder Infektionen auftreten. Im Krankenhaus ist in diesem Fall sofort Hilfe zur Stelle − im privaten Umfeld nicht unbedingt. Ist sich ein Patient angesichts der ärztlichen Entscheidung unsicher, hat er das Recht, sich eine zweite Meinung zu holen (siehe Checkliste).
Auch aus der Kinderchirurgie kommt Kritik an den Entscheidungen. „Unter den neuen ambulanten OPs sind komplexe Eingriffe, die mit einem Risiko für Komplikationen verbunden sind“, sagt Dr. Barbara Ludwikowski, Chefärztin des Kinder- und Jugendkrankenhauses Auf der Bult in Hannover. „Eingriffe wie die künstliche Ernährung durch die Bauchdecke oder Operationen an Gelenken sollten bei Kindern eine Nacht stationär überwacht werden, ohne dass wir dies extra begründen müssen.“
Tipp: Kinder bedürfen immer einer besonderen Behandlung, auch bei der Medikamentengabe. Unser Ratgeber Medikamente für Kinder nennt geeignete Mittel, etwa bei Erkältung, Durchfall, Blasenentzündung oder einer Allergie.
Nicht nur Kinder profitieren
Grundsätzlich bieten ambulante OPs auch Vorteile: Kinder leiden zu Hause nicht unter der Trennung von den Eltern und werden oft schneller gesund als im Krankenhausbett. Für Kinder wie Erwachsene ist die Gefahr einer Ansteckung durch Krankenhauskeime daheim erheblich geringer als auf einer Station.
Weil heute öfter minimal-invasiv operiert wird als früher, sind zudem die Risiken gesunken: Wundflächen sind kleiner, der Patient hat weniger Schmerzen, erholt sich schneller. Auch die modernen Narkoseverfahren gelten als schonender.
Ärzte fordern gleiche Vergütung
Eine ambulante Operation kann im Krankenhaus, in einer Tagesklinik oder Arztpraxis durchgeführt werden. „Entscheidend ist, dass die Einrichtung fachlich, personell und apparativ optimal für eine ambulante OP ausgestattet ist“, sagt Dr. Christian Deindl, stellvertretender Vorsitzender des Aktionsbündnisses Patientensicherheit.
Das kostet Geld. Die Vergütung ambulanter Eingriffe ist ein Zankapfel zwischen Gesundheitsministerium und Ärzteschaft. Inzwischen ist klar: Ambulante Leistenbruch-OPs werden künftig nahezu genauso entlohnt wie stationäre. Die Deutsche Herniengesellschaft ist zufrieden − andere kämpfen weiter.
-
- Fehler passieren – auch Ärzten. Patienten steht dann Entschädigung zu. Behandlung ohne gründliche Aufklärung ist ebenfalls rechtswidrig. Merkblätter reichen nicht aus.
-
- Jeden vierten Mann erwischt es einmal im Leben: ein Riss in der Leiste. Das Risiko steigt mit dem Alter. Wann muss operiert werden? Welche OP-Verfahren eignen sich dafür?
-
- Viele Menschen mit Vorhofflimmern bekommen neuartige Blutverdünner verordnet. Von ihnen scheint der Wirkstoff Apixaban am besten zu sein.
Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.