Ärzt­liche Behand­lungs­fehler Das können Patienten tun

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Ärzt­liche Behand­lungs­fehler - Das können Patienten tun

Operierender Arzt. Zeit­druck und Über­müdung erhöhen das Fehler­risiko. © Getty Images / maodesign

Fehler passieren – auch in der Medizin. Patienten steht Entschädigung zu. test.de sagt, über welche Fehler gestritten wurde und wie Sie Behand­lungen über­prüfen lassen.

Behand­lungs­fehler – das Wichtigste in Kürze

Nicht entmutigen lassen

Auskunft verlangen. Jeder Patient hat das Recht, seine Behand­lung juristisch und medizi­nisch auf Fehler über­prüfen zu lassen. Haben Sie einen Verdacht, verlangen Sie Informationen. Ärzte sind verpflichtet, Auskunft zu geben. Eine Zweitmeinung bei einem anderen Arzt einzuholen, kann hilf­reich sein.

Beweise sichern. Um Schaden­ersatz und Schmerzens­geld durch­zusetzen, müssen Sie belegen, dass ein Fehler passiert ist, Sie einen Schaden dadurch erlitten haben und der Schaden auf einen Behand­lungs­fehler zurück­zuführen ist. Sichern Sie Beweise. Notieren Sie, wer an der Behand­lung beteiligt war, wie Sie aufgeklärt wurden und gegebenenfalls Name und Anschrift von Mitpatienten.

Informations­mängel. Auch ganz ohne Behand­lungs­fehler und Komplikationen haben Sie gar nicht selten ein Recht auf Schaden­ersatz und Schmerzens­geld. Jede ärzt­liche Behand­lung ist nur recht­mäßig, wenn die Ärzte Sie zuvor zutreffend, voll­ständig und recht­zeitig über die Behand­lung, die mir ihr verbundenen Risiken sowie Alternativen informiert haben und Sie anschließend mit der Behand­lung einverstanden waren.

Beratung. Kostenfreien Rat bekommen Sie bei der Unabhängigen Patientenberatung (patientenberatung.de). Als Rechts­schutz­versicherter sollten Sie Ihren Versicherer informieren. Wollen Sie einen Anwalt einschalten, sollte dieser auf Medizinrecht spezialisiert sein.

Krankenkasse. Informieren Sie Ihre Krankenkasse, wenn Sie einen Behand­lungs­fehler vermuten. Sie haben ein Recht auf ein kostenfreies Gutachten vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen.

Frist beachten. Ab Ende des Jahres, in dem Sie von der Möglich­keit eines Behand­lungs­fehlers erfahren haben, läuft die Verjährung. Sie haben dann drei Jahre Zeit, um Ihre Forderung geltend zu machen. Recht­liche Schritte wie die Einschaltung einer Schlichtungs­stelle oder eines Gerichts stoppen die Verjährung.

Behand­lungs­fehler – die Rechts­lage

Ärzt­liche Behand­lungs­fehler - Das können Patienten tun

Im Operations­saal. Fatale Fehler sind selten. Kommen sie vor, liegt die Beweislast grund­sätzlich beim Patienten. © Getty Images

Medikamente vertauscht, Kompresse nach Operation im Körper des Patienten vergessen, leere Sauer­stoff­flasche bei Beatmungs­patienten verspätet bemerkt: Im kranken­haus­über­greifenden Fehlermeldesystem CIRS („Critical Incident Reporting Systems“) können Mitarbeitende solche Fehler anonym eintragen. Sie werden dann ausgewertet und Fachleute geben Tipps, wie die Patientensicherheit verbessert werden kann.

Kein Behand­lungs­fehler im eigentlichen Sinne ist unzu­reichende Aufklärung: Oft informieren Ärzte nicht voll­ständig, korrekt und recht­zeitig über die geplante Behand­lung und ihre Risiken sowie Alternativen dazu. Die Rechts­folge ist aber die gleiche wie bei Behand­lungs­fehlern.

Komplett vermeid­bar sind Fehler nicht. Ist bei einer Behand­lung etwas schief­gelaufen, haben Patientinnen und Patienten das Recht zu erfahren, was passiert ist. Kommen Patienten durch einen Behand­lungs­fehler zu Schaden oder haben die Ärzte sie nicht korrekt und recht­zeitig über die Behand­lung aufgeklärt, haben sie grund­sätzlich Anspruch auf Schmerzens­geld und Schaden­ersatz.

Nur die wenigsten Betroffenen unternehmen etwas

Doch die Zahlung erfolgt nicht auto­matisch. Betroffene müssen ihre Ansprüche selbst geltend machen und recht­lich verfolgen. Das erfordert viel Energie, oft mehrere Jahre Zeit und meist anwalt­liche Unterstüt­zung. Nur wer seine Rechte kennt, kann sie auch durch­setzen.

Das Aktions­bündnis Patientensicherheit schätzt, dass allein in Krankenhäusern jähr­lich etwa 200 000 Behand­lungs­fehler passieren. Nur die wenigsten Betroffenen unternehmen in einem solchen Fall etwas. Im Jahr 2018 prüfte der Medizi­nische Dienst der Kranken­versicherung (MDK) rund 14 000 Mal den Verdacht auf einen Ärzte­fehler, den gesetzlich Versicherte ihrer Kasse gemeldet hatten. In etwa jedem fünften Fall kam der MDK zu dem Schluss, dass Patienten durch einen Behand­lungs­fehler geschädigt wurden. Bei den acht ärzt­lichen Gutachter­kommis­sionen landeten im gleichen Zeitraum rund 6 000 Fälle. Sie erkannten etwas häufiger – nämlich in jedem vierten Fall – an, dass Fehler passiert sind, die zu einer Schädigung des Patienten führten.

Ihr Recht beim Kunst­fehler – Rechts­ratgeber der Stiftung Warentest

Unser ausführ­licher Rechtsratgeber begleitet Patienten vom Verdachts­fall bis zum Prozess. Ob falsche Diagnose, Behand­lungs­fehler oder Operations­fehler – hier finden Sie Antworten auf alle recht­lichen Fragen und zum richtigen Verhalten vor Gericht. Stiftung Warentest 2017, 160 Seiten, 19,90 Euro.

Was Patienten im Falle eines Behand­lungs­fehlers beweisen müssen

Um einen Anspruch auf Schaden­ersatz oder Schmerzens­geld durch­zusetzen, müssen Patienten beweisen,

  • dass ein Fehler passiert ist, das heißt, die allgemein anerkannten medizi­nischen Stan­dards nicht einge­halten wurden,
  • dass sie einen Schaden erlitten haben
  • und dass der Behand­lungs­fehler diesen Schaden verursacht hat.

Das sind hohe Hürden, doch Rechts­anwalt Maximilian Adelung von der Münchener Kanzlei Friese und Adelung ermutigt Betroffene: „Jeder hat das Recht, seine Behand­lung juristisch und medizi­nisch auf Fehler hin zu über­prüfen.“

Klar im Vorteil sind hier Patienten, die rechtsschutzversichert sind. Doch auch ohne eine solche Police gibt es Möglich­keiten, die Kosten zu minimieren. In aussichts­reichen Fällen vereinbaren manche Anwalts­kanzleien mit ihren Mandanten ein Erfolgs­honorar. Das bedeutet: Die Betroffenen müssen nur dann etwas bezahlen, wenn der Anwalt für sie eine Entschädigungs­zahlung erreicht – meist einen prozentualen Anteil des erzielten Betrags.

Recht auf kostenloses Gutachten

Ein ärzt­liches Gutachten ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Entschädigung. Wird es vom Medizi­nischen Dienst der Kranken­versicherung oder einer Schlichtungs­stelle der Ärztekammern erstellt, müssen Patienten dafür nichts bezahlen. Bestätigen die Gutachter einen Schaden durch einen Behand­lungs­fehler, sollten Patienten das weitere Vorgehen mit einem Anwalt besprechen. Mit dem Gutachten im Rücken wird sich ein Schmerzens­geld oft durch­setzen lassen.

Doch selbst dann ist oft viel Geduld nötig. Die Haft­pflicht­versicherer der Kliniken und Ärzte versuchen Verurtei­lungen zu Schaden­ersatz und Schmerzens­geld zu verhindern oder jedenfalls die Summen zu drücken. Oft sind weitere Sach­verständigen­gut­achten nötig und nicht selten sogar mehrere.

In jedem fünften über­prüften Fall Behand­lungs­fehler

20 105 Fälle prüften Gutachter der Ärzteschaft und der Gesetzlichen Krankenkassen 2018. Etwa jedes fünfte Gutachten bestätigte, dass Patienten durch einen Behand­lungs­fehler geschädigt wurden (Quellen: Bundes­ärztekammer, MDK).

Schwieriger Nach­weis von Kunst­fehlern

Auch bei schweren Folgeschäden ist es nicht einfach zu unterscheiden: Handelt es sich um eine Komplikation, wie sie bei jeder Erkrankung und bei jedem medizi­nischen Eingriff eintreten kann? Oder haben Ärzte, Pfle­gekräfte oder das Kranken­haus tatsäch­lich die Regeln der medizi­nischen Kunst außer Acht gelassen? Selbst wenn ein solcher Fehler vorliegt, müssen Patienten erst noch belegen, dass ihre gesundheitliche Beein­trächtigung genau genau auf diesen Fehler zurück­zuführen ist – und nicht etwa auf die Erkrankung selbst.

Forderung nach neuen Beweis­regeln für Patienten

Der AOK-Bundes­verband fordert deshalb neben beschleunigten Verfahren und besseren Informations­rechten, die Beweislast zugunsten der Patienten zu ändern. „Die Mediziner müssen dann beweisen, dass der Schaden auch ohne den Fehler einge­treten wäre. Das ist nur sehr selten möglich“, erklärt der Berliner Fach­anwalt für Medizinrecht Joachim Laux. Bislang kehrt sich die Beweislast nur in bestimmten Fällen um, vor allem bei drei Arten von Fehlern.

Aufklärung Sache der Ärzte

Zuweilen kommen Patienten zu Schaden­ersatz, obwohl der Nach­weis eines Kunst­fehlers nicht gelingt. Die Ärzte sind nämlich in der Pflicht, die korrekte und recht­zeitige Aufklärung des Patienten zu dokumentieren. Haben sie das nicht getan und gelingt es ihnen nicht, das Gericht davon zu über­zeugen, dass der Patient oder die Patientin korrekt und recht­zeitig informiert war, ist sein oder ihr Einverständnis in die Behand­lung unwirk­sam und die gesamte Behand­lung rechts­widrig. Patienten bekommen dann nur dann kein Schmerzens­geld, wenn fest­steht, dass jede andere denk­bare Behand­lung mindestens ebenso belastend gewesen wäre und nicht besser geholfen hätte.

Fehler­typ 1: Unvoll­ständige oder verspätete Aufklärung

Der Fehler liegt vor, wenn Ärzte vor einer Behand­lung nicht alle geeigneten Behand­lungs­möglich­keiten mit dem Patienten besprechen und auf Erfolgs­aussichten und Risiken hinweisen. Ist etwa eine Behand­lung mit Physio­therapie anstelle einer Wirbelsäulen­operation möglich? „Erfahrungs­gemäß ist die Aufklärung vor Operationen selten voll­ständig, sagt Laux. „Patienten sollten sich eine Kopie des Aufklärungs­bogens aushändigen lassen.“ Außerdem muss die Aufklärung recht­zeitig erfolgen. Eine Operation erst an dem Tag mit Patienten zu besprechen, an dem sie statt­finden soll, reicht in aller Regel nicht aus. Oft ist es sogar zu spät, wenn Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen und Patienten erst am Abend vor dem Eingriff informieren.

Fehler­typ 2: Fehler bei der Befund­aufnahme

Wenn Ärzte gebotene Unter­suchungen nicht machen oder veranlassen. Beispiel: Jemand kommt mit extremen Kopf­schmerzen in die Notaufnahme und wird mit Schmerz­tabletten direkt wieder nach Hause geschickt. Stellt sich später heraus, dass er eine Hirn­blutung hatte, haftet der Arzt.

Fehler­typ 3: Grober Behand­lungs­fehler

Wenn klar gegen gesicherte medizi­nische Erkennt­nisse verstoßen wurde. Wann das der Fall ist, sagt das Patientenrechtegesetz jedoch nicht.

Eine Straf­anzeige ist der falsche Weg

Manchmal sind Patienten oder ihre Angehörigen so wütend und verzweifelt, dass sie zur Polizei gehen und Straf­anzeige wegen Körperverletzung gegen den Arzt stellen. Das sei aber meist nicht sinn­voll, warnt Rechts­anwalt Joachim Laux: „Sobald die Staats­anwalt­schaft ermittelt, ist die Sache häufig für längere Zeit behindert oder gar blockiert. Ärzte dürfen im Straf­verfahren die Aussage verweigern und können Unterlagen zurück­halten. Die Möglich­keiten der Patienten und ihrer Anwälte sind dadurch stark einge­schränkt.“

Ärzte sind keine Pfuscher

Bei allem Schmerz und Ärger sollte man nicht vergessen: Die Zahl der Fehler liegt gemessen an der Gesamt­zahl der Behand­lungs­fälle im Promilleber­eich, und das, obwohl Ärzte oft unter extremen Bedingungen arbeiten. Die Bundes­ärztekammer schrieb uns auf Anfrage: „Zeit für das Gespräch mit den Patienten, für den fachlichen Austausch sowie für die Reflexion des eigenen Handelns tragen entscheidend dazu bei, Fehler zu vermeiden. Diese Zeit fehlt jedoch häufig. Statt­dessen steigt die Arbeits­intensität: Wochen­arbeits­zeiten zwischen 60 und 80 Stunden sind für Ärzte in Kliniken keine Seltenheit.“

Was Patientinnen und Patienten zu ihrer eigenen Sicherheit im Kranken­haus und in der Arzt­praxis beitragen können, zeigt das Aktions­bündnis Patientensicherheit in verschiedenen Broschüren und Informationsblättern zur Patientensicherheit.

Tipp: Informationen rund um Ihre Rechte als Patient bietet unsere Themenseite Medizinrecht.

Behand­lungs­fehler – der Weg zu Ihrem Recht

Eine Klärung mit dem Arzt versuchen

Sind Sie unsicher, ob bei Ihrer Behand­lung etwas schief­gelaufen sein könnte? Bitten Sie Ihren Arzt um ein Gespräch, stellen Sie konkrete Fragen, etwa: Warum wurde ich auf die Intensiv­station verlegt? Kam es zu einem ungeplanten Eingriff? Ärzte sind verpflichtet, Patienten auf Nach­frage zu sagen, wenn ihnen ein Fehler unter­laufen ist. Es kann hilf­reich sein, bei einem anderen Arzt eine Zweitmeinung einzuholen. Wenn Sie sich sicher sind, dass ein Fehler passiert ist, ist es besser, vorbereitet ins Gespräch zu gehen: Lassen Sie sich beraten, bevor Sie mit dem Arzt sprechen.

Die Patientenberatung nutzen

Hilfe bieten die Unabhängige Patientenberatung Deutsch­land (patientenberatung.de) und Verbraucherzentralen (verbraucherzentrale.de). Haben Sie eine Rechts­schutz­versicherung, informieren Sie diese und suchen Sie einen Fach­anwalt für Medizinrecht auf (anwaltsauskunft.de), am besten eine Kanzlei, die nur für die Patientenseite arbeitet.

Patienten­akte, Röntgen­bilder – alle Unterlagen anfordern

Haben Sie einen Anwalt, besorgt dieser alle nötigen Akten. Haben Sie keinen, fordern Sie selbst eine Kopie Ihrer Patienten­akte mit allen Röntgen­bildern, OP-Berichten oder Laborbefunden an. Befürchten Sie, dass Arzt oder Klinik mauern, schi­cken Sie ein Einschreiben mit Rück­schein und setzen Sie eine Frist. Sie können sich auf Paragraf 630g des Bürgerlichen Gesetz­buchs berufen. Dort heißt es, Behandler müssen unver­züglich Einsicht in die voll­ständige Akte gewähren. Alle Details im Special Einsicht in Patientenakten.

Beweise für den Kunst­fehler sichern

Vor Gericht helfen genaue Schil­derungen. Schreiben Sie Gedächt­nisprotokolle, solange Ihre Erinnerung frisch ist: Welche Ärzte haben zu welchem Zeit­punkt was mit Ihnen besprochen? Wer hat operiert, wer war für die Narkose verantwort­lich? Wann fanden welche Unter­suchungen statt, was wurde Ihnen geraten? Wie wurden Sie über Risiken und Behand­lungs­alternativen aufgeklärt? Notieren Sie eventuell Namen und Anschriften von Mitpatienten, die als Zeugen dienen können.

Kostenloses Gutachten des Medizi­nischen Dienstes anfordern

Nehmen Sie Kontakt mit Ihrer Krankenkasse auf. Gesetzlich Versicherte haben das Recht auf ein Gutachten vom Medizi­nischen Dienst der Kranken­versicherung, wenn sie einen Behand­lungs­fehler vermuten. Dafür müssen Sie nichts bezahlen. Alternativ können Sie ein Schlichtungs­verfahren der Ärztekammer einleiten. Die Ärzteschaft hat eigene Stellen einge­richtet, um mögliche Behand­lungs­fehler begut­achten zu lassen. Für Patienten fallen auch hier keine Kosten an. Nähere Informationen und Kontakt­adressen finden Sie auf der Internetseite der Bundesärztekammer.

Beachten Sie: Solange ein Schlichtungs­verfahren läuft, können Sie keine recht­lichen Schritte unternehmen. Fällt ein solches Gutachten zu Ihren Ungunsten aus, schmälert das Ihre Chancen bei einem späteren Gerichts­verfahren.

Schmerzens­geld und Schaden­ersatz – Höhe verhandeln

Die Gutachter stellen nur fest, ob Ihnen ein Schaden aus einem Behand­lungs­fehler entstanden ist. Über die Höhe von Schmerzens­geld und Schaden­ersatz müssen Sie mit dem Haft­pflicht­versicherer des Arztes oder der Klinik verhandeln. Spätestens jetzt ist es Zeit, zum Anwalt zu gehen. Einige Kanzleien bieten eine erste Einschät­zung des Falls kostenlos an.

Betreuungs­kosten im Urlaub gehören zum Schaden­ersatz

Ist ein Kranken­haus wegen eines Behand­lungs­fehlers verpflichtet, Pflege- und Betreuungs­kosten zu tragen, dann gilt das zum Beispiel auch für eine Urlaubs­reise der geschädigten Patientin, urteilte der Bundes­gerichts­hof. Eine junge Frau war aufgrund eines medizi­nischen Fehlers von Geburt an schwerbehindert. Sie machte mit drei Betreuungs­personen eine Woche Urlaub in einem spezialisierten Hotel auf Gran Canaria. Die obersten Richter entschieden: Die Klinik muss die Mehr­kosten von rund 4 900 Euro erstatten. Auch Betreuungs­kosten im Urlaub gehören zum Schaden­ersatz, der der Geschädigten gemäß ihrer Vereinbarung mit der Klinik zusteht (Az. VI ZR 316/19).

Verjährungs­fristen beachten

Um Ansprüche geltend zu machen, haben Sie eine Frist von drei Kalender­jahren. Die Frist beginnt jedoch erst, wenn Sie vermuten oder erfahren, dass ein Arzt­fehler vorliegt. Das kann auch Jahre nach der Behand­lung sein. Die Verjährungs­frist wird unterbrochen, während ein Schlichtungs­verfahren bei der Ärztekammer läuft oder wenn Ihr Anwalt mit der Gegen­seite frist­hemmende Vereinbarungen trifft.

Behand­lungs­fehler – wichtige Urteile

test.de nennt wichtige Urteile zum Arzt­haftungs­recht und erklärt die Hintergründe.

Mängel bei der Aufklärung

Eine Frau mit einem gutartigen, aber großen Hirntumor („Keil­beinflügelmeningeom“) blieb nach der Entfernung des Tumors bereits im Jahr 2014 halb­seitig gelähmt. Erst anschließend erfuhr sie, dass ihre Operation sehr gefähr­lich war und es wegen der starken Durch­blutung des Tumors ein großes Risiko von gefähr­lichen Blutungen gab. Die Ärzte hatten sie eigentlich über sämtliche Risiken der Operation informiert. In den Unterlagen zur Operation hieß es aber unter anderem: „Seien Sie durch die Aufzählung der Komplikations­möglich­keiten bitte nicht beunruhigt, diese treten keinesfalls regelhaft auf. Im Gegen­teil, sie bilden die Ausnahme. Treten dennoch Komplikationen auf, können sich Störungen und Ausfälle im Laufe der Zeit wieder zurück­bilden. Nur selten kommt es zu schweren bleibenden Störungen“.

Gleich­wohl hatten Land- und Ober­landes­gericht die Klage der heute 60-jährigen Frau abge­wiesen. Zu Unrecht, entschied der Bundes­gerichts­hof jetzt. Die Richter hätten die Darstellung des Falls durch die Frau unzu­lässig über­gangen. Die Richter am Ober­landes­gericht Koblenz müssen den Fall jetzt neu aufrollen.
Bundes­gerichts­hof, Beschluss vom 16.08.2022
Aktenzeichen: VI ZR 342/21

In diesem Fall hatte eine stark kurz­sichtig, an grauem Star erkrankte Patientin, deren Sehvermögen sich nach einer Augen­operation noch einmal deutlich verschlechtert hatte, auf Schaden­ersatz und Schmerzens­geld geklagt. Der Augen­arzt hatte der damals 47 Jahre jungen Frau so genannte „Multifokallinsen“ implantiert. Einen Behand­lungs­fehler nach­zuweisen, gelang der Patientin und ihren Anwälten nicht. Gleich­wohl erhält sie jetzt 10 000 Euro Schmerzens­geld.

Der Arzt hatte sie erst kurz vor der Operation über Risiken und Alternativen aufgeklärt. Laut Gutachter fehlte vor allem der Hinweis, dass das Sehvermögen nach­lassen kann, es zu Schattensehen oder anderen Lichtphänomenen kommen könne und eine Gewöhnung an eine solche künst­liche Linse in der Regel mehrere Wochen brauche und zuweilen auch ausbleibt, so dass eine erneute Operation nötig ist. Fest stand am Ende: Die Aufklärung kam zu spät. O-Ton aus der Urteils­begründung: „Eine Aufklärung am Tag der Operation mit bereits angesetztem Operations­termin ist verspätet und nicht ausreichend für eine freie und wirk­same Einwilligung.“ Die Richter waren davon über­zeugt: Bei korrekter Information hätte die Frau zumindest eine zweite Meinung einge­holt und sich wahr­scheinlich für eine risikoärmere Behand­lung mit anderen Linsen entscheiden.
Land­gericht Franken­thal, Urteil vom 30.05.2022
Aktenzeichen: 4 O 147/21 (nicht rechts­kräftig)
Patientin­anwälte: Rechtsanwälte Herrmann + Wicher, Stuttgart

Der Patient war von seinem Hals-, Nasen- und Ohren­arzt wegen chro­nischer Ohren­entzündungen und Flüssig­keits­ansamm­lungen hinter dem Trommelfell 2013 ins Kranken­haus über­wiesen worden. Dort empfahl der Chef­arzt, zunächst die Nasenscheidewand und die Nasen­neben­höhlen zu operieren, um die Atmung zu verbessern. Bei dieser Operation verletzten die Ärzte die vordere Hirn­schlag­ader und durch­trennten den Riech­nerv links. Der Patient erlitt eine Hirn­blutung, fiel ins Koma und musste mehr­fach operiert werden. Er ist jetzt mit einem Grad von 90 Prozent schwerbehindert. Auch ihm gelang es nicht, Behand­lungs­fehler nach­zuweisen.

Die Aufklärung war auch inhalt­lich korrekt, erklärte ein Gutachter. Das Gespräch fand drei Tage vor der Operation statt und war recht­zeitig. Allerdings: Die Klinik ließ sich die Einwilligungs­erklärung unmittel­bar nach dem Gespräch unterzeichnen. O-Ton der Ober­landes­richter in Bremen dazu: „Eine wohl­über­legte Entscheidung kann (...) nur treffen, wer ausreichend Zeit zum Über­legen hat. Wenn ein Kranken­haus aus organisatorischen Gründen die Übung hat, den Patienten unmittel­bar im Anschluss an die Aufklärung zur Unter­schrift unter die Einwilligungs­erklärung zu bewegen, kann in einem solchen Fall nicht von einer wohl über­legten Entscheidung ausgegangen werden. (...) Sie wird vielmehr unter dem Eindruck einer großen Fülle von dem Patienten regel­mäßig unbe­kannten und schwer verständlichen Informationen und in einer persönlich schwierigen Situation abge­geben.“

Wie viel Schmerzens­geld der Patient erhält, ließ das Gericht noch offen. Das Urteil ist noch nicht rechts­kräftig. Der Bundes­gerichts­hof verhandelt am Dienstag, 20. Dezember 2022, über den Fall. Er hat dort das Aktenzeichen: VI ZR 375/21. Je nach Ausgang des Verfahrens werden die Gerichte in Bremen noch klären, wie viel Schmerzens­geld dem Mann zusteht. Er fordert 125 000 Euro.
Hanseatisches Ober­landes­gericht in Bremen, (Grund- und Teil-)Urteil vom 25.11.2021
Aktenzeichen: 5 U 63/20 (nicht rechts­kräftig)
Patienten­anwälte: Klatt und Wessels, Bremen

Fehler bei der Befund­aufnahme

Wenn eine Patientin womöglich auf Brust­krebs hinweisende Symptome aufweist, reicht eine Mammo­graphie nicht aus, sondern genauere Unter­suchungen sind nötig. Eine Frau hatte bei der Brust­krebs­vorsorge im Jahr 2012 berichtet, eine ihrer Mamillen sei seit etwa einem Jahr einge­zogen. Die Ärzte beließen es bei einer Mammo­graphie. Die war unauffäl­lig. Zwei Jahre später entdeckten die Ärzte einen Tumor in der Brust, der bereits Metastasen gebildet hatte.

Land­gericht Heilbronn, Ober­landes­gericht Stutt­gart und der Bundes­gerichts­hof urteilten unisono: Das ist ein Befund­erhebungs­fehler. Der Frau stehen 10 000 Euro Schmerzens­geld zu. O-Ton aus der Urteils­begründung des Bundes­gerichts­hofs: „Ein Arzt muss bei einer Beob­achtung, die er im Rahmen seiner Unter­suchung macht und die auf eine ernst zu nehmende Erkrankung hinweisen kann, auf eine rasche diagnostische Abklärung hinwirken, um vermeid­bare Schädigungen des Patienten auszuschließen.“
Land­gericht Heilbronn, Urteil vom 19.01.2017
Aktenzeichen: Ri 1 O 20/15
Ober­landes­gericht Stutt­gart, Urteil vom 07.05.2019
Aktenzeichen: 1 U 16/17
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 26.05.2020
Aktenzeichen: VI ZR 213/19
Patientin­anwälte: Rechtsanwälte Bayrhammer & Kollegen, Aalen

Umkehr der Beweislast...
...nach groben Behand­lungs­fehlern

Liegen eindeutige Verstöße gegen gesicherte und bewährte medizi­nische Erkennt­nisse und Erfahrungen vor, ist davon auszugehen, dass gesundheitliche Folgen darauf beruhen. Nur wenn Ärzte das Gegen­teil beweisen, haften sie bei solchen groben Behand­lungs­fehlern nicht. Zudem steht Patienten ein erhöhtes Schmerzens­geld zu. Die Witwe eines Mannes, der mit einem Herz­infarkt in einer Klinik über Stunden hinweg nicht behandelt worden und am Folgetag verstorben war, muss mehr als 2 000 Euro Schmerzens­geld bekommen, urteilte der Bundes­gerichts­hof.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 08.02.2022
Aktenzeichen: VI ZR 409/19
Patienten­anwältin: Rechtsanwältin Nelleßen, Mülheim an der Ruhr

Ein zur Beweislastumkehr führender grober Behand­lungs­fehler liegt nicht erst dann vor, wenn ein Gutachter das Verhalten des Arztes als nicht nach­voll­zieh­bar bezeichnet. Das Gericht selbst muss prüfen, ob ein einfacher ärzt­licher Fehler vorliegt, wie er sich nicht völlig vermeiden lässt, oder ob der Arzt elementare Behand­lungs­regeln verletzt hat. Geklagt hatte ein Mann, der im Alter von 46 Jahren beim Sport einen Herz­infarkt erlitten hatte. Er wurde kurz nach Mitter­nacht ins Kranken­haus einge­liefert. Erst am folgenden Vormittag gegen 10 Uhr erfolgte die medikamentöse Auflösung von Blut­gerinn­seln in den Herz­kranzgefäßen.

Der Mann blieb schwer geschädigt und erholte sich nie mehr völlig von den Folgen des Herz­infarkts. Er starb im Jahr 2010 noch bevor der Bundes­gerichts­hof über seine Klage urteilte. Land- und Ober­landes­gericht hatten die Klage abge­wiesen. Sie urteilten unter Berufung auf den vom Gericht bestellten Sach­verständigen, dass zwar ein Behand­lungs­fehler vorliege, aber der Kläger nicht habe beweisen können, dass er ohne den Fehler keine bleibenden Schäden davon getragen hätte.

Diese Urteile hob der Bundes­gerichts­hof auf. Es liege ein grober Behand­lungs­fehler vor und es sei deshalb davon auszugehen, dass die Schädigung des Klägers auf ihm beruhe. O-Ton aus der Urteils­begründung: „Zwar muss die Bewertung eines Behand­lungs­geschehens als grob fehler­haft in den Ausführungen eines Sach­verständigen ihre tatsäch­liche Grund­lage finden (...). Das bedeutet aber nicht, dass der Richter die Bewertung dem Sach­verständigen über­lassen und nur die seltenen Fälle, in denen dieser das ärzt­liche Verhalten als nicht nach­voll­zieh­bar bezeichnet, als grob werten darf. Vielmehr hat der Tatrichter darauf zu achten, ob der Sach­verständige in seiner Würdigung einen Verstoß gegen elementare medizi­nische Erkennt­nisse oder elementare Behand­lungs­stan­dards oder lediglich eine Fehl­entscheidung in mehr oder weniger schwieriger Lage erkennt.“

Die Erbin des Patienten und die Klinik einigten sich später vor dem Ober­landes­gericht Frank­furt am Main auf ein Schmerzens­geld. Wie viel Geld die Klinik sich zu zahlen verpflichtete, ist nicht bekannt.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 25.10.2011
Aktenzeichen: VI ZR 139/10
Patienten­anwältin: Rechtsanwälte Gellner & Collegen, Verl

...bei fehlender Dokumentation

Ärzte und Krankenhäuser müssen dokumentieren, wie sie einen Patienten behandelt haben. Steht nicht fest, ob und wann eine medizi­nisch gebotene Unter­suchung oder Therapie statt­gefunden hat, ist davon auszugehen, dass sie nicht statt­gefunden hat, solange Ärzte oder Klinik nicht das Gegen­teil beweisen. So urteilte der Bundes­gerichts­hof bereits im Jahr 1978 und löste sich damit, so die Urteils­begründung, von „...einer über­holten ärzt­lichen Berufs­auffassung“.

Der Bundes­gerichts­hof hatte über den tragischen Tod einer Land­wirtin zu urteilen, die im Sommer 1969 mit heftigen Bauch­schmerzen ins Kranken­haus gekommen war. Die Ärztin dort entfernte ihr zwar den stark entzündeten Blinddarm, versäumte aber Gewebe­proben zu nehmen sowie Urin und Blut zu unter­suchen. Die Patientin starb wenige Tage später. Die Operateurin selbst stellte den Toten­schein aus und gab als Todes­ursache an: Herz- und Kreis­lauf­versagen. Land- und Ober­landes­gericht hatten die Klage abge­wiesen. Die Richter dort meinten: Es sei davon auszugehen, dass kein Behand­lungs­fehler vorlag. Die Erben der Frau hätten einen solchen nicht bewiesen. Der Bundes­gerichts­hof hob die Klag­abweisung auf. Wegen teils lückenhafter, teils falscher Dokumentation der Behand­lung verlagere sich die Darlegungs- und Beweislast auf die Ärztin.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 27.06.1978
Aktenzeichen: VI ZR 183/76

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schönheit57 am 24.08.2019 um 21:49 Uhr
Kein Krähe hackt der anderen ein Auge aus !

Mir ist es 2012 so gegangen, ich musste mich einer HWS OP unterziehen, ich habe Bandscheiben Cage gebraucht. 2 Wochen später ist der Cage wieder nach vorne gekippt, so dass ich nicht mehr richtig schlucken konnte. Erst nach 6 Wochen konnte ich nochmal operiert werde aber anstatt der Chirurg den Cage ersetzt hat, hat Er ihn abgefräst. Das hätte Er nicht tun dürfen laut der Firma die die Cage herstellen. Ich bin nach der OP in eine Titan und Latex Kreuzallergie gefallen und auch in ein Koma. Ich musste mich danach einer neuen HWS OP unterziehen. Es wurde das Material entfernt und mit einem Knochen aus meinem Beckenkamm ersetzt. Meine Titan Werte sind hoch geblieben und ich kann auch keine Titan Ummantelten Tabletten nehmen, da ich sofort darauf reagiere. 2015 wurde mein Fall abgeschmettert mit der Begründung es würde keine Titan Allergie geben, aber ich wurde vor ein paar Wochen eines besseren belehrt.Mein Arzt hat gesagt dass die Titan Allergien immer mehr zunehmen. Wie geht das denn ?