
Operierender Arzt. Zeitdruck und Übermüdung erhöhen das Fehlerrisiko. © Getty Images / maodesign
Fehler passieren – auch in der Medizin. Patienten steht Entschädigung zu. test.de sagt, über welche Fehler gestritten wurde und wie Sie Behandlungen überprüfen lassen.
Behandlungsfehler – das Wichtigste in Kürze
Nicht entmutigen lassen
Auskunft verlangen. Jeder Patient hat das Recht, seine Behandlung juristisch und medizinisch auf Fehler überprüfen zu lassen. Haben Sie einen Verdacht, verlangen Sie Informationen. Ärzte sind verpflichtet, Auskunft zu geben. Eine Zweitmeinung bei einem anderen Arzt einzuholen, kann hilfreich sein.
Beweise sichern. Um Schadenersatz und Schmerzensgeld durchzusetzen, müssen Sie belegen, dass ein Fehler passiert ist, Sie einen Schaden dadurch erlitten haben und der Schaden auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen ist. Sichern Sie Beweise. Notieren Sie, wer an der Behandlung beteiligt war, wie Sie aufgeklärt wurden und gegebenenfalls Name und Anschrift von Mitpatienten.
Informationsmängel. Auch ganz ohne Behandlungsfehler und Komplikationen haben Sie gar nicht selten ein Recht auf Schadenersatz und Schmerzensgeld. Jede ärztliche Behandlung ist nur rechtmäßig, wenn die Ärzte Sie zuvor zutreffend, vollständig und rechtzeitig über die Behandlung, die mir ihr verbundenen Risiken sowie Alternativen informiert haben und Sie anschließend mit der Behandlung einverstanden waren.
Beratung. Kostenfreien Rat bekommen Sie bei der Unabhängigen Patientenberatung (patientenberatung.de). Als Rechtsschutzversicherter sollten Sie Ihren Versicherer informieren. Wollen Sie einen Anwalt einschalten, sollte dieser auf Medizinrecht spezialisiert sein.
Krankenkasse. Informieren Sie Ihre Krankenkasse, wenn Sie einen Behandlungsfehler vermuten. Sie haben ein Recht auf ein kostenfreies Gutachten vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen.
Frist beachten. Ab Ende des Jahres, in dem Sie von der Möglichkeit eines Behandlungsfehlers erfahren haben, läuft die Verjährung. Sie haben dann drei Jahre Zeit, um Ihre Forderung geltend zu machen. Rechtliche Schritte wie die Einschaltung einer Schlichtungsstelle oder eines Gerichts stoppen die Verjährung.
Behandlungsfehler – die Rechtslage

Im Operationssaal. Fatale Fehler sind selten. Kommen sie vor, liegt die Beweislast grundsätzlich beim Patienten. © Getty Images
Medikamente vertauscht, Kompresse nach Operation im Körper des Patienten vergessen, leere Sauerstoffflasche bei Beatmungspatienten verspätet bemerkt: Im krankenhausübergreifenden Fehlermeldesystem CIRS („Critical Incident Reporting Systems“) können Mitarbeitende solche Fehler anonym eintragen. Sie werden dann ausgewertet und Fachleute geben Tipps, wie die Patientensicherheit verbessert werden kann.
Kein Behandlungsfehler im eigentlichen Sinne ist unzureichende Aufklärung: Oft informieren Ärzte nicht vollständig, korrekt und rechtzeitig über die geplante Behandlung und ihre Risiken sowie Alternativen dazu. Die Rechtsfolge ist aber die gleiche wie bei Behandlungsfehlern.
Komplett vermeidbar sind Fehler nicht. Ist bei einer Behandlung etwas schiefgelaufen, haben Patientinnen und Patienten das Recht zu erfahren, was passiert ist. Kommen Patienten durch einen Behandlungsfehler zu Schaden oder haben die Ärzte sie nicht korrekt und rechtzeitig über die Behandlung aufgeklärt, haben sie grundsätzlich Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadenersatz.
Nur die wenigsten Betroffenen unternehmen etwas
Doch die Zahlung erfolgt nicht automatisch. Betroffene müssen ihre Ansprüche selbst geltend machen und rechtlich verfolgen. Das erfordert viel Energie, oft mehrere Jahre Zeit und meist anwaltliche Unterstützung. Nur wer seine Rechte kennt, kann sie auch durchsetzen.
Das Aktionsbündnis Patientensicherheit schätzt, dass allein in Krankenhäusern jährlich etwa 200 000 Behandlungsfehler passieren. Nur die wenigsten Betroffenen unternehmen in einem solchen Fall etwas. Im Jahr 2018 prüfte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) rund 14 000 Mal den Verdacht auf einen Ärztefehler, den gesetzlich Versicherte ihrer Kasse gemeldet hatten. In etwa jedem fünften Fall kam der MDK zu dem Schluss, dass Patienten durch einen Behandlungsfehler geschädigt wurden. Bei den acht ärztlichen Gutachterkommissionen landeten im gleichen Zeitraum rund 6 000 Fälle. Sie erkannten etwas häufiger – nämlich in jedem vierten Fall – an, dass Fehler passiert sind, die zu einer Schädigung des Patienten führten.
Ihr Recht beim Kunstfehler – Rechtsratgeber der Stiftung Warentest
Unser ausführlicher Rechtsratgeber begleitet Patienten vom Verdachtsfall bis zum Prozess. Ob falsche Diagnose, Behandlungsfehler oder Operationsfehler – hier finden Sie Antworten auf alle rechtlichen Fragen und zum richtigen Verhalten vor Gericht. Stiftung Warentest 2017, 160 Seiten, 19,90 Euro.
Was Patienten im Falle eines Behandlungsfehlers beweisen müssen
Um einen Anspruch auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld durchzusetzen, müssen Patienten beweisen,
- dass ein Fehler passiert ist, das heißt, die allgemein anerkannten medizinischen Standards nicht eingehalten wurden,
- dass sie einen Schaden erlitten haben
- und dass der Behandlungsfehler diesen Schaden verursacht hat.
Das sind hohe Hürden, doch Rechtsanwalt Maximilian Adelung von der Münchener Kanzlei Friese und Adelung ermutigt Betroffene: „Jeder hat das Recht, seine Behandlung juristisch und medizinisch auf Fehler hin zu überprüfen.“
Klar im Vorteil sind hier Patienten, die rechtsschutzversichert sind. Doch auch ohne eine solche Police gibt es Möglichkeiten, die Kosten zu minimieren. In aussichtsreichen Fällen vereinbaren manche Anwaltskanzleien mit ihren Mandanten ein Erfolgshonorar. Das bedeutet: Die Betroffenen müssen nur dann etwas bezahlen, wenn der Anwalt für sie eine Entschädigungszahlung erreicht – meist einen prozentualen Anteil des erzielten Betrags.
Recht auf kostenloses Gutachten
Ein ärztliches Gutachten ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Entschädigung. Wird es vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung oder einer Schlichtungsstelle der Ärztekammern erstellt, müssen Patienten dafür nichts bezahlen. Bestätigen die Gutachter einen Schaden durch einen Behandlungsfehler, sollten Patienten das weitere Vorgehen mit einem Anwalt besprechen. Mit dem Gutachten im Rücken wird sich ein Schmerzensgeld oft durchsetzen lassen.
Doch selbst dann ist oft viel Geduld nötig. Die Haftpflichtversicherer der Kliniken und Ärzte versuchen Verurteilungen zu Schadenersatz und Schmerzensgeld zu verhindern oder jedenfalls die Summen zu drücken. Oft sind weitere Sachverständigengutachten nötig und nicht selten sogar mehrere.
In jedem fünften überprüften Fall Behandlungsfehler
20 105 Fälle prüften Gutachter der Ärzteschaft und der Gesetzlichen Krankenkassen 2018. Etwa jedes fünfte Gutachten bestätigte, dass Patienten durch einen Behandlungsfehler geschädigt wurden (Quellen: Bundesärztekammer, MDK).
Schwieriger Nachweis von Kunstfehlern
Auch bei schweren Folgeschäden ist es nicht einfach zu unterscheiden: Handelt es sich um eine Komplikation, wie sie bei jeder Erkrankung und bei jedem medizinischen Eingriff eintreten kann? Oder haben Ärzte, Pflegekräfte oder das Krankenhaus tatsächlich die Regeln der medizinischen Kunst außer Acht gelassen? Selbst wenn ein solcher Fehler vorliegt, müssen Patienten erst noch belegen, dass ihre gesundheitliche Beeinträchtigung genau genau auf diesen Fehler zurückzuführen ist – und nicht etwa auf die Erkrankung selbst.
Forderung nach neuen Beweisregeln für Patienten
Der AOK-Bundesverband fordert deshalb neben beschleunigten Verfahren und besseren Informationsrechten, die Beweislast zugunsten der Patienten zu ändern. „Die Mediziner müssen dann beweisen, dass der Schaden auch ohne den Fehler eingetreten wäre. Das ist nur sehr selten möglich“, erklärt der Berliner Fachanwalt für Medizinrecht Joachim Laux. Bislang kehrt sich die Beweislast nur in bestimmten Fällen um, vor allem bei drei Arten von Fehlern.
Aufklärung Sache der Ärzte
Zuweilen kommen Patienten zu Schadenersatz, obwohl der Nachweis eines Kunstfehlers nicht gelingt. Die Ärzte sind nämlich in der Pflicht, die korrekte und rechtzeitige Aufklärung des Patienten zu dokumentieren. Haben sie das nicht getan und gelingt es ihnen nicht, das Gericht davon zu überzeugen, dass der Patient oder die Patientin korrekt und rechtzeitig informiert war, ist sein oder ihr Einverständnis in die Behandlung unwirksam und die gesamte Behandlung rechtswidrig. Patienten bekommen dann nur dann kein Schmerzensgeld, wenn feststeht, dass jede andere denkbare Behandlung mindestens ebenso belastend gewesen wäre und nicht besser geholfen hätte.
Fehlertyp 1: Unvollständige oder verspätete Aufklärung
Der Fehler liegt vor, wenn Ärzte vor einer Behandlung nicht alle geeigneten Behandlungsmöglichkeiten mit dem Patienten besprechen und auf Erfolgsaussichten und Risiken hinweisen. Ist etwa eine Behandlung mit Physiotherapie anstelle einer Wirbelsäulenoperation möglich? „Erfahrungsgemäß ist die Aufklärung vor Operationen selten vollständig, sagt Laux. „Patienten sollten sich eine Kopie des Aufklärungsbogens aushändigen lassen.“ Außerdem muss die Aufklärung rechtzeitig erfolgen. Eine Operation erst an dem Tag mit Patienten zu besprechen, an dem sie stattfinden soll, reicht in aller Regel nicht aus. Oft ist es sogar zu spät, wenn Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen und Patienten erst am Abend vor dem Eingriff informieren.
Fehlertyp 2: Fehler bei der Befundaufnahme
Wenn Ärzte gebotene Untersuchungen nicht machen oder veranlassen. Beispiel: Jemand kommt mit extremen Kopfschmerzen in die Notaufnahme und wird mit Schmerztabletten direkt wieder nach Hause geschickt. Stellt sich später heraus, dass er eine Hirnblutung hatte, haftet der Arzt.
Fehlertyp 3: Grober Behandlungsfehler
Wenn klar gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen wurde. Wann das der Fall ist, sagt das Patientenrechtegesetz jedoch nicht.
Eine Strafanzeige ist der falsche Weg
Manchmal sind Patienten oder ihre Angehörigen so wütend und verzweifelt, dass sie zur Polizei gehen und Strafanzeige wegen Körperverletzung gegen den Arzt stellen. Das sei aber meist nicht sinnvoll, warnt Rechtsanwalt Joachim Laux: „Sobald die Staatsanwaltschaft ermittelt, ist die Sache häufig für längere Zeit behindert oder gar blockiert. Ärzte dürfen im Strafverfahren die Aussage verweigern und können Unterlagen zurückhalten. Die Möglichkeiten der Patienten und ihrer Anwälte sind dadurch stark eingeschränkt.“
Ärzte sind keine Pfuscher
Bei allem Schmerz und Ärger sollte man nicht vergessen: Die Zahl der Fehler liegt gemessen an der Gesamtzahl der Behandlungsfälle im Promillebereich, und das, obwohl Ärzte oft unter extremen Bedingungen arbeiten. Die Bundesärztekammer schrieb uns auf Anfrage: „Zeit für das Gespräch mit den Patienten, für den fachlichen Austausch sowie für die Reflexion des eigenen Handelns tragen entscheidend dazu bei, Fehler zu vermeiden. Diese Zeit fehlt jedoch häufig. Stattdessen steigt die Arbeitsintensität: Wochenarbeitszeiten zwischen 60 und 80 Stunden sind für Ärzte in Kliniken keine Seltenheit.“
Was Patientinnen und Patienten zu ihrer eigenen Sicherheit im Krankenhaus und in der Arztpraxis beitragen können, zeigt das Aktionsbündnis Patientensicherheit in verschiedenen Broschüren und Informationsblättern zur Patientensicherheit.
Tipp: Informationen rund um Ihre Rechte als Patient bietet unsere Themenseite Medizinrecht.
Behandlungsfehler – der Weg zu Ihrem Recht
Eine Klärung mit dem Arzt versuchen
Sind Sie unsicher, ob bei Ihrer Behandlung etwas schiefgelaufen sein könnte? Bitten Sie Ihren Arzt um ein Gespräch, stellen Sie konkrete Fragen, etwa: Warum wurde ich auf die Intensivstation verlegt? Kam es zu einem ungeplanten Eingriff? Ärzte sind verpflichtet, Patienten auf Nachfrage zu sagen, wenn ihnen ein Fehler unterlaufen ist. Es kann hilfreich sein, bei einem anderen Arzt eine Zweitmeinung einzuholen. Wenn Sie sich sicher sind, dass ein Fehler passiert ist, ist es besser, vorbereitet ins Gespräch zu gehen: Lassen Sie sich beraten, bevor Sie mit dem Arzt sprechen.
Die Patientenberatung nutzen
Hilfe bieten die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (patientenberatung.de) und Verbraucherzentralen (verbraucherzentrale.de). Haben Sie eine Rechtsschutzversicherung, informieren Sie diese und suchen Sie einen Fachanwalt für Medizinrecht auf (anwaltsauskunft.de), am besten eine Kanzlei, die nur für die Patientenseite arbeitet.
Patientenakte, Röntgenbilder – alle Unterlagen anfordern
Haben Sie einen Anwalt, besorgt dieser alle nötigen Akten. Haben Sie keinen, fordern Sie selbst eine Kopie Ihrer Patientenakte mit allen Röntgenbildern, OP-Berichten oder Laborbefunden an. Befürchten Sie, dass Arzt oder Klinik mauern, schicken Sie ein Einschreiben mit Rückschein und setzen Sie eine Frist. Sie können sich auf Paragraf 630g des Bürgerlichen Gesetzbuchs berufen. Dort heißt es, Behandler müssen unverzüglich Einsicht in die vollständige Akte gewähren. Alle Details im Special Einsicht in Patientenakten.
Beweise für den Kunstfehler sichern
Vor Gericht helfen genaue Schilderungen. Schreiben Sie Gedächtnisprotokolle, solange Ihre Erinnerung frisch ist: Welche Ärzte haben zu welchem Zeitpunkt was mit Ihnen besprochen? Wer hat operiert, wer war für die Narkose verantwortlich? Wann fanden welche Untersuchungen statt, was wurde Ihnen geraten? Wie wurden Sie über Risiken und Behandlungsalternativen aufgeklärt? Notieren Sie eventuell Namen und Anschriften von Mitpatienten, die als Zeugen dienen können.
Kostenloses Gutachten des Medizinischen Dienstes anfordern
Nehmen Sie Kontakt mit Ihrer Krankenkasse auf. Gesetzlich Versicherte haben das Recht auf ein Gutachten vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, wenn sie einen Behandlungsfehler vermuten. Dafür müssen Sie nichts bezahlen. Alternativ können Sie ein Schlichtungsverfahren der Ärztekammer einleiten. Die Ärzteschaft hat eigene Stellen eingerichtet, um mögliche Behandlungsfehler begutachten zu lassen. Für Patienten fallen auch hier keine Kosten an. Nähere Informationen und Kontaktadressen finden Sie auf der Internetseite der Bundesärztekammer.
Beachten Sie: Solange ein Schlichtungsverfahren läuft, können Sie keine rechtlichen Schritte unternehmen. Fällt ein solches Gutachten zu Ihren Ungunsten aus, schmälert das Ihre Chancen bei einem späteren Gerichtsverfahren.
Schmerzensgeld und Schadenersatz – Höhe verhandeln
Die Gutachter stellen nur fest, ob Ihnen ein Schaden aus einem Behandlungsfehler entstanden ist. Über die Höhe von Schmerzensgeld und Schadenersatz müssen Sie mit dem Haftpflichtversicherer des Arztes oder der Klinik verhandeln. Spätestens jetzt ist es Zeit, zum Anwalt zu gehen. Einige Kanzleien bieten eine erste Einschätzung des Falls kostenlos an.
Betreuungskosten im Urlaub gehören zum Schadenersatz
Ist ein Krankenhaus wegen eines Behandlungsfehlers verpflichtet, Pflege- und Betreuungskosten zu tragen, dann gilt das zum Beispiel auch für eine Urlaubsreise der geschädigten Patientin, urteilte der Bundesgerichtshof. Eine junge Frau war aufgrund eines medizinischen Fehlers von Geburt an schwerbehindert. Sie machte mit drei Betreuungspersonen eine Woche Urlaub in einem spezialisierten Hotel auf Gran Canaria. Die obersten Richter entschieden: Die Klinik muss die Mehrkosten von rund 4 900 Euro erstatten. Auch Betreuungskosten im Urlaub gehören zum Schadenersatz, der der Geschädigten gemäß ihrer Vereinbarung mit der Klinik zusteht (Az. VI ZR 316/19).
Verjährungsfristen beachten
Um Ansprüche geltend zu machen, haben Sie eine Frist von drei Kalenderjahren. Die Frist beginnt jedoch erst, wenn Sie vermuten oder erfahren, dass ein Arztfehler vorliegt. Das kann auch Jahre nach der Behandlung sein. Die Verjährungsfrist wird unterbrochen, während ein Schlichtungsverfahren bei der Ärztekammer läuft oder wenn Ihr Anwalt mit der Gegenseite fristhemmende Vereinbarungen trifft.
Behandlungsfehler – wichtige Urteile
test.de nennt wichtige Urteile zum Arzthaftungsrecht und erklärt die Hintergründe.
Mängel bei der Aufklärung
Eine Frau mit einem gutartigen, aber großen Hirntumor („Keilbeinflügelmeningeom“) blieb nach der Entfernung des Tumors bereits im Jahr 2014 halbseitig gelähmt. Erst anschließend erfuhr sie, dass ihre Operation sehr gefährlich war und es wegen der starken Durchblutung des Tumors ein großes Risiko von gefährlichen Blutungen gab. Die Ärzte hatten sie eigentlich über sämtliche Risiken der Operation informiert. In den Unterlagen zur Operation hieß es aber unter anderem: „Seien Sie durch die Aufzählung der Komplikationsmöglichkeiten bitte nicht beunruhigt, diese treten keinesfalls regelhaft auf. Im Gegenteil, sie bilden die Ausnahme. Treten dennoch Komplikationen auf, können sich Störungen und Ausfälle im Laufe der Zeit wieder zurückbilden. Nur selten kommt es zu schweren bleibenden Störungen“.
Gleichwohl hatten Land- und Oberlandesgericht die Klage der heute 60-jährigen Frau abgewiesen. Zu Unrecht, entschied der Bundesgerichtshof jetzt. Die Richter hätten die Darstellung des Falls durch die Frau unzulässig übergangen. Die Richter am Oberlandesgericht Koblenz müssen den Fall jetzt neu aufrollen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.08.2022
Aktenzeichen: VI ZR 342/21
In diesem Fall hatte eine stark kurzsichtig, an grauem Star erkrankte Patientin, deren Sehvermögen sich nach einer Augenoperation noch einmal deutlich verschlechtert hatte, auf Schadenersatz und Schmerzensgeld geklagt. Der Augenarzt hatte der damals 47 Jahre jungen Frau so genannte „Multifokallinsen“ implantiert. Einen Behandlungsfehler nachzuweisen, gelang der Patientin und ihren Anwälten nicht. Gleichwohl erhält sie jetzt 10 000 Euro Schmerzensgeld.
Der Arzt hatte sie erst kurz vor der Operation über Risiken und Alternativen aufgeklärt. Laut Gutachter fehlte vor allem der Hinweis, dass das Sehvermögen nachlassen kann, es zu Schattensehen oder anderen Lichtphänomenen kommen könne und eine Gewöhnung an eine solche künstliche Linse in der Regel mehrere Wochen brauche und zuweilen auch ausbleibt, so dass eine erneute Operation nötig ist. Fest stand am Ende: Die Aufklärung kam zu spät. O-Ton aus der Urteilsbegründung: „Eine Aufklärung am Tag der Operation mit bereits angesetztem Operationstermin ist verspätet und nicht ausreichend für eine freie und wirksame Einwilligung.“ Die Richter waren davon überzeugt: Bei korrekter Information hätte die Frau zumindest eine zweite Meinung eingeholt und sich wahrscheinlich für eine risikoärmere Behandlung mit anderen Linsen entscheiden.
Landgericht Frankenthal, Urteil vom 30.05.2022
Aktenzeichen: 4 O 147/21 (nicht rechtskräftig)
Patientinanwälte: Rechtsanwälte Herrmann + Wicher, Stuttgart
Der Patient war von seinem Hals-, Nasen- und Ohrenarzt wegen chronischer Ohrenentzündungen und Flüssigkeitsansammlungen hinter dem Trommelfell 2013 ins Krankenhaus überwiesen worden. Dort empfahl der Chefarzt, zunächst die Nasenscheidewand und die Nasennebenhöhlen zu operieren, um die Atmung zu verbessern. Bei dieser Operation verletzten die Ärzte die vordere Hirnschlagader und durchtrennten den Riechnerv links. Der Patient erlitt eine Hirnblutung, fiel ins Koma und musste mehrfach operiert werden. Er ist jetzt mit einem Grad von 90 Prozent schwerbehindert. Auch ihm gelang es nicht, Behandlungsfehler nachzuweisen.
Die Aufklärung war auch inhaltlich korrekt, erklärte ein Gutachter. Das Gespräch fand drei Tage vor der Operation statt und war rechtzeitig. Allerdings: Die Klinik ließ sich die Einwilligungserklärung unmittelbar nach dem Gespräch unterzeichnen. O-Ton der Oberlandesrichter in Bremen dazu: „Eine wohlüberlegte Entscheidung kann (...) nur treffen, wer ausreichend Zeit zum Überlegen hat. Wenn ein Krankenhaus aus organisatorischen Gründen die Übung hat, den Patienten unmittelbar im Anschluss an die Aufklärung zur Unterschrift unter die Einwilligungserklärung zu bewegen, kann in einem solchen Fall nicht von einer wohl überlegten Entscheidung ausgegangen werden. (...) Sie wird vielmehr unter dem Eindruck einer großen Fülle von dem Patienten regelmäßig unbekannten und schwer verständlichen Informationen und in einer persönlich schwierigen Situation abgegeben.“
Wie viel Schmerzensgeld der Patient erhält, ließ das Gericht noch offen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof verhandelt am Dienstag, 20. Dezember 2022, über den Fall. Er hat dort das Aktenzeichen: VI ZR 375/21. Je nach Ausgang des Verfahrens werden die Gerichte in Bremen noch klären, wie viel Schmerzensgeld dem Mann zusteht. Er fordert 125 000 Euro.
Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, (Grund- und Teil-)Urteil vom 25.11.2021
Aktenzeichen: 5 U 63/20 (nicht rechtskräftig)
Patientenanwälte: Klatt und Wessels, Bremen
Fehler bei der Befundaufnahme
Wenn eine Patientin womöglich auf Brustkrebs hinweisende Symptome aufweist, reicht eine Mammographie nicht aus, sondern genauere Untersuchungen sind nötig. Eine Frau hatte bei der Brustkrebsvorsorge im Jahr 2012 berichtet, eine ihrer Mamillen sei seit etwa einem Jahr eingezogen. Die Ärzte beließen es bei einer Mammographie. Die war unauffällig. Zwei Jahre später entdeckten die Ärzte einen Tumor in der Brust, der bereits Metastasen gebildet hatte.
Landgericht Heilbronn, Oberlandesgericht Stuttgart und der Bundesgerichtshof urteilten unisono: Das ist ein Befunderhebungsfehler. Der Frau stehen 10 000 Euro Schmerzensgeld zu. O-Ton aus der Urteilsbegründung des Bundesgerichtshofs: „Ein Arzt muss bei einer Beobachtung, die er im Rahmen seiner Untersuchung macht und die auf eine ernst zu nehmende Erkrankung hinweisen kann, auf eine rasche diagnostische Abklärung hinwirken, um vermeidbare Schädigungen des Patienten auszuschließen.“
Landgericht Heilbronn, Urteil vom 19.01.2017
Aktenzeichen: Ri 1 O 20/15
Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 07.05.2019
Aktenzeichen: 1 U 16/17
Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.05.2020
Aktenzeichen: VI ZR 213/19
Patientinanwälte: Rechtsanwälte Bayrhammer & Kollegen, Aalen
Umkehr der Beweislast...
...nach groben Behandlungsfehlern
Liegen eindeutige Verstöße gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen vor, ist davon auszugehen, dass gesundheitliche Folgen darauf beruhen. Nur wenn Ärzte das Gegenteil beweisen, haften sie bei solchen groben Behandlungsfehlern nicht. Zudem steht Patienten ein erhöhtes Schmerzensgeld zu. Die Witwe eines Mannes, der mit einem Herzinfarkt in einer Klinik über Stunden hinweg nicht behandelt worden und am Folgetag verstorben war, muss mehr als 2 000 Euro Schmerzensgeld bekommen, urteilte der Bundesgerichtshof.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.02.2022
Aktenzeichen: VI ZR 409/19
Patientenanwältin: Rechtsanwältin Nelleßen, Mülheim an der Ruhr
Ein zur Beweislastumkehr führender grober Behandlungsfehler liegt nicht erst dann vor, wenn ein Gutachter das Verhalten des Arztes als nicht nachvollziehbar bezeichnet. Das Gericht selbst muss prüfen, ob ein einfacher ärztlicher Fehler vorliegt, wie er sich nicht völlig vermeiden lässt, oder ob der Arzt elementare Behandlungsregeln verletzt hat. Geklagt hatte ein Mann, der im Alter von 46 Jahren beim Sport einen Herzinfarkt erlitten hatte. Er wurde kurz nach Mitternacht ins Krankenhaus eingeliefert. Erst am folgenden Vormittag gegen 10 Uhr erfolgte die medikamentöse Auflösung von Blutgerinnseln in den Herzkranzgefäßen.
Der Mann blieb schwer geschädigt und erholte sich nie mehr völlig von den Folgen des Herzinfarkts. Er starb im Jahr 2010 noch bevor der Bundesgerichtshof über seine Klage urteilte. Land- und Oberlandesgericht hatten die Klage abgewiesen. Sie urteilten unter Berufung auf den vom Gericht bestellten Sachverständigen, dass zwar ein Behandlungsfehler vorliege, aber der Kläger nicht habe beweisen können, dass er ohne den Fehler keine bleibenden Schäden davon getragen hätte.
Diese Urteile hob der Bundesgerichtshof auf. Es liege ein grober Behandlungsfehler vor und es sei deshalb davon auszugehen, dass die Schädigung des Klägers auf ihm beruhe. O-Ton aus der Urteilsbegründung: „Zwar muss die Bewertung eines Behandlungsgeschehens als grob fehlerhaft in den Ausführungen eines Sachverständigen ihre tatsächliche Grundlage finden (...). Das bedeutet aber nicht, dass der Richter die Bewertung dem Sachverständigen überlassen und nur die seltenen Fälle, in denen dieser das ärztliche Verhalten als nicht nachvollziehbar bezeichnet, als grob werten darf. Vielmehr hat der Tatrichter darauf zu achten, ob der Sachverständige in seiner Würdigung einen Verstoß gegen elementare medizinische Erkenntnisse oder elementare Behandlungsstandards oder lediglich eine Fehlentscheidung in mehr oder weniger schwieriger Lage erkennt.“
Die Erbin des Patienten und die Klinik einigten sich später vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main auf ein Schmerzensgeld. Wie viel Geld die Klinik sich zu zahlen verpflichtete, ist nicht bekannt.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.10.2011
Aktenzeichen: VI ZR 139/10
Patientenanwältin: Rechtsanwälte Gellner & Collegen, Verl
...bei fehlender Dokumentation
Ärzte und Krankenhäuser müssen dokumentieren, wie sie einen Patienten behandelt haben. Steht nicht fest, ob und wann eine medizinisch gebotene Untersuchung oder Therapie stattgefunden hat, ist davon auszugehen, dass sie nicht stattgefunden hat, solange Ärzte oder Klinik nicht das Gegenteil beweisen. So urteilte der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 1978 und löste sich damit, so die Urteilsbegründung, von „...einer überholten ärztlichen Berufsauffassung“.
Der Bundesgerichtshof hatte über den tragischen Tod einer Landwirtin zu urteilen, die im Sommer 1969 mit heftigen Bauchschmerzen ins Krankenhaus gekommen war. Die Ärztin dort entfernte ihr zwar den stark entzündeten Blinddarm, versäumte aber Gewebeproben zu nehmen sowie Urin und Blut zu untersuchen. Die Patientin starb wenige Tage später. Die Operateurin selbst stellte den Totenschein aus und gab als Todesursache an: Herz- und Kreislaufversagen. Land- und Oberlandesgericht hatten die Klage abgewiesen. Die Richter dort meinten: Es sei davon auszugehen, dass kein Behandlungsfehler vorlag. Die Erben der Frau hätten einen solchen nicht bewiesen. Der Bundesgerichtshof hob die Klagabweisung auf. Wegen teils lückenhafter, teils falscher Dokumentation der Behandlung verlagere sich die Darlegungs- und Beweislast auf die Ärztin.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.06.1978
Aktenzeichen: VI ZR 183/76
-
Lebenserhaltende Maßnahmen Kein Schmerzensgeld für künstliche Ernährung
- Muss ein Arzt Schmerzensgeld und Schadensersatz für Behandlungs- und Pflegeaufwendungen zahlen, wenn er einen Schwerkranken mehrere Jahre mit einer Magensonde...
-
Krankenhauskeime BGH stärkt Patientenrechte – Kliniken in der Beweispflicht
- Bei einer Infektion mit Krankenhauskeimen und Verdacht auf Hygienemängel müssen Kliniken saubere Arbeit beweisen, sonst haften sie für den Schaden. Das hat der...
-
Organspende Schmerzensgeld wegen fehlerhafter Aufklärung
- Die sogenannte Lebendspende eines Organs unter Verwandten hilft nicht immer auf Dauer. Der Körper des Menschen, der das Spenderorgan erhält, kann es wieder abstoßen....
1 Kommentar Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.
Nutzerkommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.
Mir ist es 2012 so gegangen, ich musste mich einer HWS OP unterziehen, ich habe Bandscheiben Cage gebraucht. 2 Wochen später ist der Cage wieder nach vorne gekippt, so dass ich nicht mehr richtig schlucken konnte. Erst nach 6 Wochen konnte ich nochmal operiert werde aber anstatt der Chirurg den Cage ersetzt hat, hat Er ihn abgefräst. Das hätte Er nicht tun dürfen laut der Firma die die Cage herstellen. Ich bin nach der OP in eine Titan und Latex Kreuzallergie gefallen und auch in ein Koma. Ich musste mich danach einer neuen HWS OP unterziehen. Es wurde das Material entfernt und mit einem Knochen aus meinem Beckenkamm ersetzt. Meine Titan Werte sind hoch geblieben und ich kann auch keine Titan Ummantelten Tabletten nehmen, da ich sofort darauf reagiere. 2015 wurde mein Fall abgeschmettert mit der Begründung es würde keine Titan Allergie geben, aber ich wurde vor ein paar Wochen eines besseren belehrt.Mein Arzt hat gesagt dass die Titan Allergien immer mehr zunehmen. Wie geht das denn ?