
Bewegung tut Kindern gut. Dabei zählt weniger die Sportart, als dass es Spaß macht. © VISUM / Panos Pictures Panos / Abbie Trayler-Smith
Jedes dritte Grundschulkind ist übergewichtig. Wie können Eltern gegensteuern? Durch motivieren statt verbieten, raten Fachleute. Abnehmen gelinge selbst mit Schokomüsli.
Erschreckend, aber wahr: Knapp jedes dritte Kind im Grundschulalter ist heute übergewichtig. Zuletzt hat die Corona-Pandemie den Gewichtsanstieg befeuert. Kein Sport, keine Freunde treffen – dafür Einsamkeit und Langeweile. Viele kamen kaum runter vom Sofa. Jetzt kämpfen sie gegen die Kilos. Kurzzeiteffekt oder Dauerzustand? Das hängt davon ab, wie Eltern, Kinder und Umfeld gegensteuern. Wo lässt sich im Alltag ansetzen? Wir haben mit Kindermedizinerinnen und Expertinnen für Ernährung, Übergewicht und körperliche Aktivität gesprochen und geben insbesondere Tipps für die stark betroffene Altersgruppe der 6- bis 12-Jährigen.
Ein Trend, der sich verstärkt
Dass vor allem Grundschüler von Übergewicht betroffen sind, zeigt eine Studie der Weltgesundheitsorganisation vom vergangenen November. Deutschland beteiligte sich erstmals an der European Childhood Obesity Surveillance Initiative. In anderen europäischen Ländern sieht die Lage ähnlich aus.
Bereits seit den 1990ern ist der Anteil übergewichtiger Kinder bei uns um 50 Prozent gestiegen, belegt die KiGGS-Studie des Robert-Koch-Instituts zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Der Anteil adipöser, also fettleibiger Kinder hat sich sogar verdoppelt.
Die Folgen der Pandemie bestehen fort
Gerade bei Kindern hat die Pandemie Spuren hinterlassen (siehe Hauptursachen für mehr Kilos). „Corona hat wie ein Brennglas auf bestehende Probleme wie Bewegungsmangel und eine hochkalorische Ernährung gewirkt“, sagt Professorin Christine Joisten, Sport- und Ernährungsmedizinerin an der Deutschen Sporthochschule Köln. „Diese ungesunden Gewohnheiten werden sich so schnell nicht ändern und bestehen auch nach der Pandemie weiter, wie Studien jetzt schon zeigen.“
Gesunde Kinder bewegen sich
Rennen, hüpfen, klettern: Ein gesundes Kind ist fast immer in Bewegung. Das ist gut so, denn Bewegung trainiert die motorischen Fähigkeiten, stärkt Muskulatur, Knochen, Herz-Kreislauf- und Immunsystem. Sie schult das soziale Miteinander. Zudem sorgt sie für ein gesundes Gewicht. Bei einer Couch Potato fällt das weg. Die Folge: Der Körper erhält mehr Energie, als er verbrauchen kann, und speichert sie in Form von Fettreserven.
Folge-Erkrankungen wie bei Erwachsenen
„Übergewicht kann schon bei Jüngeren zu klassischen Alterserkrankungen wie Bluthochdruck oder Stoffwechselstörungen führen“, sagt Susann Weihrauch-Blüher, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindesalter der Deutschen Adipositas-Gesellschaft. Hinzu kämen psychische Belastungen, etwa wenn Kinder gemobbt werden. Gerade für Kinder ist es schwer, lästige Pfunde loszuwerden.
Doch auch wenn die Gene bis zum Ende des Wachstums etwa 50 Prozent der Gewichtsentwicklung ausmachen, lautet die gute Nachricht: Selbst wer erblich bedingt zur Gewichtszunahme neigt, kann über gesundes Essen und ausreichend Bewegung erfolgreich gegenhalten.
Ist mein Kind übergewichtig?
Der BMI (Body-Mass-Index) liefert die Antwort. Ihn bei Kindern zu ermitteln, ist allerdings kompliziert. Hilfe bietet der BMI-Rechner der Organisation Kinderärzte im Netz.
90 Minuten aktiv – oder 12 000 Schritte pro Tag
Was können Eltern tun? Vor allem Motivieren ist jetzt angesagt: Verbote oder Zwang bringen nichts, wenn es um Essen oder Bewegung geht. Konkrete Sportempfehlungen gibt es daher nicht. „Die Bewegung, die dem Kind Spaß macht, ist die richtige“, sagt Christine Joisten. Auch die Vorbildfunktion der Eltern zählt. „Sitze ich am Sonntagnachmittag lieber mit dem Handy auf dem Sofa, statt mit den Kindern draußen etwas zu unternehmen?“, fragt die Sportmedizinerin.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfiehlt für Schulkinder täglich 90 Minuten körperliche Aktivität – das entspricht 12 000 Schritten. Vor allem kürzere Wege, etwa zur Schule oder zu Freunden, sollten Kinder zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen. Mehr Bewegung und weniger Sitzen heißt auch, dass Eltern die Bildschirmzeit im Auge behalten: Sie sollte bei Sechs- bis Neunjährigen maximal 60, bei älteren Kindern 90 Minuten betragen.
Fünf feste Mahlzeiten einplanen
Eine Gewichtsreduktion kann nur erfolgreich sein, wenn neben mehr Bewegung auch die Ernährung umgestellt wird. Da Kinder noch wachsen, wird von einer Diät abgeraten. Statt Kalorien zu zählen, sollten Eltern versuchen, vor allem Gemüse attraktiv für den Nachwuchs zu machen, da es nährstoffreich und kalorienarm ist.
Gemüse spielt auch die Hauptrolle in der optimierten Mischkost, die vom Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund entwickelt wurde, um Übergewicht zu reduzieren oder vorzubeugen. Das Konzept: drei Hauptmahlzeiten und zwei Zwischenmahlzeiten mit Obst, Gemüse oder ungesüßten Milchprodukten.
Wichtig: Auf weitere Snacks wie Müsliriegel oder Kekse zwischendurch verzichten. Sie lassen den Blutzuckerspiegel schnell ansteigen, was zu vermehrter Insulinausschüttung führt und den Fettabbau hemmt. Fällt der Blutzucker wieder ab, folgen Heißhungerattacken. Ein Teufelskreis, der das Übergewicht weiter antreibt.
Limo wird oft unterschätzt
Eltern erreichten meist schon durch das Reduzieren von süßen Getränken viel, sagt Weihrauch-Blüher. Besonders der Zuckergehalt von Limonaden, Fruchtsäften oder fertigen Smoothies werde unterschätzt.
Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sollte Zucker maximal 10 Prozent der Gesamtenergiezufuhr am Tag ausmachen. Für 1- bis 13-Jährige entspricht das circa 29 bis 45 Gramm. 100 Milliliter Apfelsaft, Limo oder Cola liefern rund 10 bis 11 Gramm Zucker, Traubensaft rund 16 Gramm. Mit einem üblichen 0,25-Liter-Glas wäre die akzeptable Menge für kleinere Kinder schnell erreicht oder überschritten, bei größeren beim zweiten Glas.
Tipp: Tee oder Wasser sind besser. Achten Sie bei speziell an Kinder gerichteten Produkten auf Fett- und Zuckergehalte. Unser Ernährungsrechner hilft Eltern, Kalorienbomben zu enttarnen.
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