
Wasserabweisend. Sympatex hat sich auf Textilien spezialisiert, die Wind und Wasser abhalten. © 123RF / Anucha Ruenin
Mit der Anleihe der Textilfirma Sympatex haben Anleger viel Geld verloren. Ermittler gehen nun dem Verdacht nach, dass bei dem Wertpapier nicht alles sauber ablief.
Razzia an verschiedenen Orten
Am 26. Juli 2023 hat die Staatsanwaltschaft München I insgesamt 50 Räumlichkeiten an verschiedenen Orten durchsucht – und dabei zahlreiche schriftliche und elektronische Unterlagen beschlagnahmt. Grund der Aktion: Schwerwiegende Vorwürfe, dass es bei einer Anleihe der Firma Sympatex, die wasser- und windabweisende Stoffe herstellt, zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei. Die Münchener Staatsanwaltschaft bestätigte Finanztest, dass man wegen des Verdachts auf versuchten Betrug, Marktmanipulation und Untreue ermittle. Die Büros wurden laut Staatsanwaltschaft auf virtuelle Belege und Beweisstücke in Papierform durchforstet.
Vermögensverwaltung der Familie Otto durchsucht
Durchsucht wurden unter anderem demnach auch Räumlichkeiten der Vermögensverwaltung, die für die Versandhandelsfamilie Otto tätig ist. Weder das für Sympatex arbeitende Beratungsunternehmen One Square Advisors (OSA) noch die indirekten Eigentümer nahmen inhaltlich Stellung zu den Vorwürfen. Für die Vermögensverwaltung der Otto-Familie antwortete eine Rechtsanwältin: Ihre Mandantinnen seien in dem ganzen Verfahren sogenannte Dritte, also praktisch Zeugen, und könnten deshalb keine weiteren Statements abgeben. Die Otto Group habe mit dem gesamten Komplex nichts zu tun. Solange die von der Staatsanwaltschaft verdächtigten Personen nicht rechtskräftig verurteilt wurden, gelten sie als unschuldig. Das Handelsblatt hatte zuerst über die Razzia berichtet.
Drastischer Schuldenschnitt im Jahr 2017
Im Zentrum der Ermittlungen steht ein brutaler Schuldenschnitt, der im Dezember 2017 auf einer Versammlung der Anleihebesitzer beschlossen wurde. Anleihezeichner von Sympatex verloren damals 90 Prozent ihres Einsatzes. Der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Schirp, der Sympatex-Anleger vertritt, bezeichnete das als „kalte Enteignung“. Der Schritt wurde damals von langer Hand vorbereitet. Dies geht aus Unterlagen hervor, die Finanztest vorliegen.
Mittelstandsanleihen laufen oft nicht wie geplant
Die Sympatex Holding GmbH, heute Smart Solutions Holding GmbH, emittierte die Anleihe 2013 mit einem Volumen von 13 Millionen Euro und einem Zins von acht Prozent. Sie war alleinige Gesellschafterin der Textilfirma Sympatex Technologies GmbH, die gegenüber den Anlegern garantierte, die versprochenen Zahlungen zu leisten. Die Anleihe ist eine von Dutzenden Mittelstandsanleihen, bei denen Zinsen und Rückzahlungen nicht wie im Prospekt versprochen geleistet wurden. Nach Daten der Unternehmensberatung Capmarcon wurden seit 2010 solche Publikumsanleihen im Wert von 13 Milliarden Euro emittiert. Von denen, die noch laufen, ist mehr als die Hälfte leistungsgestört, die Zahlungen aus der Anleihe erfolgen also nicht wie geplant. Dabei geht es um Anleihen im Wert von 4,13 Milliarden Euro. Sympatex war eine kleinere Emission, doch bei kaum einer anderen Mittelstandsanleihe sind die Umstände, wie es zu den Verlusten der Anleger kam, so detailliert bekannt geworden.
Viele Akteure an den Vorgängen beteiligt
Die fraglichen Vorgänge spielten sich im Dunstkreis der Familie des Versandhändlers Otto ab. Eine wichtige Rolle hatte dabei die Beratungsfirma One Square Advisors, die bei vielen notleidenden Anleihen mitmischt. Auch mit dabei: eine Rechtsanwaltskanzlei, die Junius Grundstücksverwaltung, eine Vermögensverwaltung in Düsseldorf und die Schnigge Wertpapierhandelsbank, die inzwischen keinen Geschäftsbetrieb mehr hat. Und nicht zu vergessen: Stefan Sanktjohanser und Stephan Goetz, die indirekten Inhaber der Smart Solutions Holding, dem Mutterunternehmen von Sympatex Technologies.
Schuldenschnitt als vermeintlich beste Lösung
Der Schuldenschnitt wurde den Anleiheeignern als für sie beste Lösung verkauft. Sie entschieden darüber auf einer Gläubigerversammlung am 1. Dezember 2017 in einer Panoramalounge in der Münchner Prinzregentenstraße. Zuvor hatte ein Gutachten den Wert der Anleihe im Fall einer Insolvenz der Sympatex Holding auf nur noch 5,6 Prozent des Nennwerts taxiert.
Doch zwei Dinge waren merkwürdig.
Erste Merkwürdigkeit: Gutachter sollten Unternehmenslage nicht überprüfen
Das Gutachten zum radikal zusammengeschmolzenen Wert entstand unter bestimmten vorgegebenen Annahmen zur Situation des Unternehmens. Diese sollten die Gutachter ausdrücklich nicht mehr überprüfen, stellte sich in einem Zivilverfahren zu dem Fall heraus. Finanztest hatte diese Zeugenaussage im Gerichtssaal angehört (Brisante Details zur Sympatex-Anleihe). Der Kurs der Anleihe rauschte nach dem Gutachten in den Keller.
Zweite Merkwürdigkeit: Vergleichsweise attraktives Kaufangebot
Die Schnigge Wertpapierhandelsbank bot Anlegern nach der vernichtenden Bewertung an, ihnen die Anleihen zu 16,5 Prozent ihres Nennwerts abzukaufen, obwohl ihr Wert ja viel niedriger taxiert worden war. Dieses Angebot haben viele angenommen. So wurden völlig neue Stimmverhältnisse unter den Anleihegläubigern geschaffen.
Vermögensverwaltung vertrat Großteil der Stimmen
Ein undurchsichtiges Spiel lief dann auf der alles entscheidenden Gläubigerversammlung in München. Von 6 197 Schuldverschreibungen, für die dort Stimmrechte ausgeübt werden durfte, vertrat eine Düsseldorfer Vermögensverwaltung 5 517 Stimmen, also fast 90 Prozent. Darunter auch 3 170 Anleihen im Besitz von Schnigge, die die Anleihen von Privatanlegern aufgekauft hatte. Die Vermögensverwaltung in Düsseldorf will nicht preisgeben, welche Eigentümer hinter den vielen Stimmen standen. Nur eine Junius Grundstücksverwaltung ist offen genannt. Diese agiert ebenfalls im Dunstkreis der Otto-Familie.
Überwältigende Mehrheit für Schuldenschnitt
Ein „weißer Ritter“ – also ein bis dato nicht genannter Käufer – stehe bereit. Er werde Sympatex aber nur nach solch einem Schuldenschnitt übernehmen, erfuhren die wenigen privaten Gläubiger, die nicht verkauft hatten und zur Gläubigerversammlung angereist waren. Die stimmte schließlich mit überwältigender Mehrheit für den Schuldenschnitt.
Weitere Merkwürdigkeit: Einige Anleihegläubiger drohten, sich gegen den Beschluss zu wehren. Ein Beobachter berichtete, sie hätten als einzige den vollen Einsatz für ihre Anleihe zurückerhalten, sollten aber nicht darüber reden.
Von einem Zweig der Otto-Familie zum anderen
Wer war dieser ominöse weiße Ritter? Gab es ihn wirklich oder diente er nur als Lockmittel, um die Anleihegläubiger davon zu überzeugen, sich günstig von ihren Anleihen zu trennen?
Seltsam: Laut einer Pressemitteilung von Sympatex Technologies vom Januar 2018 wechselte die Textilfirma nach der Versammlung nur von einem Zweig der Otto-Familie in einen anderen. Nach der erfolgreichen Restrukturierung des Mutterunternehmens der Sympatex Technologies GmbH werde der Münchner Hersteller von Funktionstextilien „zukünftig von Mitgliedern der Otto-Familie gehalten und von der KG Cura Vermögensverwaltung betreut“, hieß es in der Mitteilung vom 25. Januar 2018.
Ehemalige Eigentümer sind wieder im Boot
Wenige Monate zuvor hatte eine für Außenstehende nicht durchschaubare Rochade begonnen. Die ursprünglichen indirekten Eigentümer der Sympatex Holding, heute Smart Solutions, der mit der Otto-Familie verschwägerte Stephan Goetz und sein Geschäftspartner Stefan Sanktjohanser, übergaben die Holding an eine Treuhandgesellschaft. Bei dieser bleiben die Eigentümer anonym. Erst nach dem Schuldenschnitt gab sich die Otto-Familie als neue Eigentümerin preis. Inzwischen gehört die Holding gar über eine Vermögensverwaltung wieder Goetz und Sanktjohanser. Es bleibt fraglich, ob je eine außenstehende Partei für Sympatex ein Angebot gemacht hat.
Anlegerklagen in erster Instanz abgewiesen
Vor zwei Jahren erklärte die Otto-Group auf Nachfrage von Finanztest, ihre Gesellschafter hätten keine wirtschaftlichen Interessen im Zusammenhang mit der Insolvenzabwendung der Sympatex gehabt.
Beratungsfirma OSA vertrat verschiedene Interessen
Auch eine weitere Schlüsselfigur äußert sich nicht mehr zu den Vorgängen: Der Chef der Beratungsgesellschaft One Square Advisors, die unter dem Namen „Project Spear“ den Vorgehensplan entworfen hatte: Frank Günther. Er war schon von den Emittenten der Anleihe zum Gläubigervertreter benannt worden. Das deutsche Kapitalmarktrecht lässt dies zu. Er sollte also die Interessen der Anleihegläubiger vertreten und war zudem für das Unternehmen beratend tätig.
„Mehrheitenbeschaffung“ über „Friends and Family“
Finanztest liegt die Mail vor, in der Günther sein „Restrukturierungskonzept“ für die Anleihe, das „Project Spear“, (deutsch: Projekt Speer), gegenüber den Gesellschaftern skizziert hatte. Darin ist die Existenz eines Kaufinteressenten, des Weißen Ritters ein wichtiges Element, von „Mehrheitenbeschaffung“ über „Friends and Family (Freunde und Familie) “ ist die Rede, neutrale Gutachter sollen her.
400 000 Euro Sonderhonorar für Günther
Damit entwarf Frank Günther einen Plan für die für Anleihegläubiger teure Aktion. Belegt ist bislang allerdings nur: Günther, der Anleihegläubigervertreter, erhielt von der Eigentümerseite für die Orchestrierung des Plans ein Sonderhonorar von 400 000 Euro.
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@anja.mueller779: Vielen Dank für den aufmerksamen Hinweis! Wir haben den Fehler korrigiert.
Am 12.10.2023 gegen 12:43 heißt es in dem Artikel:
"Dabei geht es um Anleihen im Wert von 4,13 Millionen[sic] Euro."
2021 waren es laut https://www.test.de/Mittelstandsanleihen-Riskante-Wege-fuer-Anleger-5815258-0/ noch 2,9 Milliarden [!].