
Priv.-Doz. Dr. Farid Salih ist Experte für die Diagnose Hirntod. Er ist Oberarzt in der Neuro-Intensivmedizin an der Berliner Charité und Facharzt für Neurologie. © Stefan Korte
Oberarzt Dr. Farid Salih erklärt, wie auf der Intensivstation Organspenderinnen und -spender erkannt und Angehörige in eine Entscheidung einbezogen werden.
Auf der Neuro-Intensivstation behandeln Sie auch Patienten, die für eine Organspende in Betracht kommen. Wie sieht Ihr Klinikalltag aus?
Auf unserer Station geht es immer um Leben und Tod. Wir kämpfen um das Überleben von Patienten etwa mit Hirnblutungen, Herz-Kreislauf-Stillstand oder Schädel-Hirn-Trauma nach einem schweren Unfall. Doch es gibt Fälle, in denen sich der Zustand eines Patienten trotz aller Maßnahmen verschlechtert. Dann müssen wir Ärzte anerkennen, dass unsere Mittel erschöpft sind und das Leben zu Ende geht. Oft ist es ein Prozess, der sich über Stunden oder Tage hinzieht.
Wann geht es um eine mögliche Organspende?
Mit Ausnahme der Lebendspende, etwa bei Nieren, dürfen wir eine Organentnahme laut Gesetz nur in Betracht ziehen, wenn ein Mensch hirntot ist. Das betrifft pro Jahr etwa 10 von 80 bis 100 Todesfällen auf unserer Station. Die Diagnose Hirntod, medizinisch als irreversibler Hirnfunktionsausfall bezeichnet, setzt voraus, dass alle Teile des Gehirns umfassend geschädigt sind. Zu den klinischen Kriterien gehören etwa der Ausfall aller Hirnstammreflexe und der Ausfall der Atmung. Ob ein Mensch wirklich tot ist, prüfen zwei Fachärzte unabhängig voneinander. Mit der Diagnose Hirntod ist eine Rückkehr ins Leben ausgeschlossen.
Wie gehen Sie nach der Diagnose Hirntod vor?
Kurz vor oder nach der Diagnose klären wir, ob die Patientin oder der Patient zu Lebzeiten schriftlich oder mündlich zum Ausdruck gebracht hat, ob nach dem Tod eine Organspende erlaubt ist. Im Idealfall ist die Spendenbereitschaft in einer Patientenverfügung festgehalten oder es gibt einen Organspendeausweis. Gibt es ein „Nein“ oder es bestehen Unklarheiten, ziehen wir keine Transplantation in Betracht.
Und bei einem „Ja“?
Dann halten wir maschinell den Herz-Kreislauf stabil, damit die inneren Organe weiter durchblutet werden. Wir bereiten die Spenderin oder den Spender für die Organentnahme vor und informieren die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), die die Organspenden koordiniert und die medizinischen Daten an die Vermittlungsstelle Eurotransplant weiterleitet. Dort wird geprüft, zu welchem Menschen auf der Warteliste ein Spenderorgan passt.
Wie beziehen Sie die Angehörigen ein?
Ob schriftliches Einverständnis oder nicht: Bei uns ist es Praxis, über die sensible Frage einer Organspende ausführlich mit den Angehörigen zu sprechen. Dies bietet die Chance, auf Ungewissheiten und Ängste einzugehen. Ist kein eindeutiger Wille des Patienten bekannt, versuchen wir gemeinsam den mutmaßlichen Willen der Verstorbenen herauszufinden. Ohne Zustimmung der Angehörigen wird niemand Spender.
Gibt es Konflikte?
Ein Beispiel: Wir hatten einen Patienten, der in einem Organspendeausweis ein „Ja“ dokumentiert hatte. Nach dem Tod stimmten die Ehefrau und zwei erwachsene Kinder einer Organspende zu. Doch für die jüngste 20-jährige Tochter war es unvorstellbar, dass ihrem Vater Organe entnommen werden sollten. Darauf haben wir nach vielen gemeinsamen Gesprächen Rücksicht genommen. Der Tote wurde nicht zum Organspender.
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Hallo, ich würde meine Spendenbereitschaft gern auch online abgeben. Leider finde ich das Verfahren derart umständlich, dass ich mich damit nicht beschäftigen will. Und ich bin noch jung und halbwegs IT-versiert. Warum kann die Registrierung nicht wie bei einem Bankkonto zusätzlich per PostIdent-Verfahren angeboten werden und zwar für all die Menschen, die so eingeschränkt sind, dass sie ohne Hilfe diese Aufgabe nicht lösen könnten, aber noch zur Post gehen können? Warum wird die Teilhabe einer großen Gruppe von Menschen bei IT-gestützten Verfahren immer wieder missbeachtet? Und sicher denkt niemand der heute AppPhone-nutzenden-Menschen, insbesondere der Programmier und Auftraggeber, dass sie morgen durch Krankheit oder Unfall auch zu denen gehören könnten, die solcher Art nicht mehr selbst können und Hilfe brauchen.
@Bankbuster: das ist korrekt. Wenn jemand z.B. im Koma liegt und es besteht keine Aussicht darauf, dass er je wieder aufwacht, dann möchte er vielleicht keine lebensverlängernden Maßnahmen wie künstliche Beatmung. Eine Organspende ist in diesem Fall nicht möglich, da ja kein "Hirntod" eintreten kann.
Der Hirntod ist - anders als immer behauptet - in Deutschland nicht das Kriterium für eine Organentnahme. In Deutschland reicht es, wenn wichtige Teile des Gehirns ausgefallen sind. Und das wird im Wesentlichen festgestellt, indem ein paar Stammhirn-Reflexe getestet werden.
Diese Tests sind so primitiv, dass sie schon versagen, wenn z.b. jemand einen Selbstmordversuch mit Schlafmitteln gemacht hat. Dann würde er schon als hirntot gelten.
Mit einem Hirntod hat das also überhaupt nichts zu tun.
https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Themen/Medizin_und_Ethik/IHA_Anlage_1.pdf
@Bankbuster: Eine Patientenverfügung schließt eine Organspende nicht automatisch aus. In aktuellen Formularen / Vordrucken für eine Patientenverfügung kann die Bereitschaft für eine Organentnahme erklärt werden, etwa im Vordruck der Stiftung Warentest dass Sie über den Kauf des Vorsorge-Sets erhalten:
www.test.de/Vorsorge-Set
Dann wird ausnahmsweise für den Fall, dass eine Organspende medizinisch infrage kommt, der kurzfristigen Durchführung intensivmedizinischer Maßnahmen zur Bestimmung des Hirntods bis zur anschließenden Organentnahme zugestimmt.
Spender sollten beachten, dass sich ihre Organspendewille und ihre Patientenverfügung gegenseitig ausschließen können. Bei einem Freund mussten die Ärzte die Angehörigen fragen, was denn nun gelten soll: die Organspende oder der Ausschluß intensivmedizinischer Behandlung, denn der Körper muss bis zur Organentnahme für Stunden oder auch einmal Tage maschinell am Laufen gehalten werden.
Eine Widerspruchslösung für die Organspende halte ich für einen Verstoß gegen Grundgesetz Artikel 1.