Ärztinnen und Ärzte medizinischer Fachgesellschaften haben für Ressourcen-Engpässe einen Leitfaden entwickelt, der von der Akademie für Ethik in der Medizin unterstützt wird. Mitunter wird darüber unter dem Stichwort „Triage“ diskutiert. Der Intensiv- und Notfallmediziner Professor Uwe Janssens erklärt, warum er diesen Begriff für schwierig hält – und nach welchen Kriterien Ärzte entscheiden, wenn intensivmedizinische Ressourcen knapp werden. Das Interview haben wir im November 2020 geführt, als Professor Janssens noch Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) war.
Herr Janssens, wie gehen Ärzte vor, wenn es in den Kliniken zu Engpässen in der Notfall- und in der Intensivmedizin kommt?
Auf solch eine Situation sind Ärzte in Deutschland vorbereitet. Bereits im Frühjahr, zu Beginn der Covid-19-Pandemie, haben acht medizinische Fachgesellschaften hierfür einen Leitfaden entwickelt. Es gibt medizinisch-ethische Kriterien, nach denen Ärzte dann auswählen, wer eine intensivmedizinische Behandlung erhält.
Warum sprechen Sie in diesem Zusammenhang nicht von „Triage“?
Triage ist ein aus der Militärmedizin herrührender Begriff. Es geht dabei um die – ethisch schwierige – Aufgabe, etwa bei einem Massenunfall von Verletzten oder anderweitig Erkrankten darüber zu entscheiden, wie die knappen personellen und materiellen Ressourcen aufzuteilen sind. Es handelt sich um ein Stratifikationsverfahren, also eine Ersteinschätzung vor der vollständigen Diagnose. Das ist nicht auf die Covid-19-Pandemie übertragbar. Denn hier müssen wir uns auf die Situation einstellen, keine verfügbaren Ressourcen mehr zu haben. Genau dafür haben die Fachgesellschaften klinisch-ethische Empfehlungen erarbeitet.
Nach welchen Kriterien entscheiden dann die Ärzte?
Die Entscheidung orientiert sich immer an der klinischen Erfolgsaussicht einer intensivmedizinischen Behandlung und am Willen des Patienten. Um das beurteilen zu können, prüfen wir den Schweregrad der aktuellen Erkrankung und berücksichtigen die Vorerkrankungen des Patienten. Das Alter des Patienten, Beruf, Behinderung oder andere soziale Kriterien spielen für sich alleine keine Rolle. Nach Abwägung entscheiden Ärzte über die Einleitung oder Fortführung einer intensivmedizinischen Therapie oder nicht-intensivmedizinischen Therapie, zum Beispiel auf der Allgemeinstation. Es kann auch um eine Palliativversorgung gehen.
Wer ist an der Entscheidungsfindung beteiligt?
Es gilt das Mehr-Augen-Team-Prinzip. Eine Entscheidung über die Einleitung oder Fortführung einer intensivmedizinischen Behandlung sollen möglichst zwei intensivmedizinisch erfahrene Ärzte, eventuell ein weiterer Facharzt sowie Vertreter der Pflege und weiterer Disziplinen, zum Beispiel ein Ethikberater der Klinik, begleiten. Immer wird der Patient selbst oder sein Vertreter, etwa der in einer Vorsorgevollmacht genannte Bevollmächtigte, in die Diskussion und Entscheidung mit einbezogen.
Manche Menschen lehnen eine intensivmedizinische Behandlung für sich ab. Was empfehlen Sie dann?
Der Vertreter des Patienten, in der Regel der Bevollmächtigte, sollte wissen, wie der Patient zu intensivmedizinischen Maßnahmen steht. Ist ein Patient nicht mehr in der Lage, für sich selbst zu entscheiden, ist der Bevollmächtigte der Ansprechpartner für die Ärzte. Wer eine intensivmedizinische Behandlung für sich ablehnt, sollte dies in einer Patientenverfügung schriftlich dokumentieren.