
Organspende – dafür oder dagegen? Viele haben eine Meinung, sprechen aber nicht darüber. Eine klare Aussage hilft Ärzten, Angehörigen und Patienten, die auf ein Spenderorgan warten. © Adobe Stock / Siberian Art
Angehörige wissen im Todesfall oft nicht, ob die oder der Verstorbene Organe spenden wollte. Wie Sie Ihr Ja oder Nein am besten dokumentieren.
Das Thema Organspende ist wichtig, aber es verunsichert auch. Die Mehrheit in Deutschland hat laut Umfragen eine positive Einstellung dazu. Dennoch gibt es ein Unbehagen, sich tatsächlich schriftlich festzulegen, zum Beispiel mit einem Ja in einem Organspendeausweis. Die eigene Sterblichkeit und die Beschäftigung mit der Weitergabe oder Verwendung der eigenen Organe wird eher verdrängt. Manche zweifeln an der Transplantationsmedizin. Ihre Sorge: Sie könnten im Falle einer Zustimmung vorzeitig für tot erklärt werden. Andere lehnen eine Organentnahme aus religiösen oder ethischen Gründen ab. „Ich hätte nichts dagegen“, sagt dafür Alexander Schulz. „Sollten Ärzte nach meinem Tod mit meinen Organen etwas anfangen können und damit Leben retten: Warum nicht?“
Einen Organspendeausweis hat der 25-jährige Physiotherapeut aus Berlin jedoch nicht. Genauso wenig wie die 60-jährige Jill Denton, gebürtige Britin und Übersetzerin, die in Deutschland lebt und ihre Organe spenden würde. Doch ihren Papier-Organspendeausweis hat sie kürzlich ins Altpapier gelegt: „Er war locker 15 Jahre alt, kaum noch lesbar und vielleicht sogar nicht mehr gültig. Ich dachte, ich müsste mich neu informieren, kam aber leider noch nicht dazu.”
Unser Rat
Schriftlich festlegen. Ärzte benötigen Ihr schriftliches Einverständnis für eine Organentnahme oder eine Zustimmung Ihrer Angehörigen. Damit alle Beteiligten wissen, wie Sie zu einer Organentnahme stehen, sollten Sie in einem Organspendeausweis, einer Patientenverfügung oder auf einem Blatt Papier Ihr Ja oder Nein dokumentieren.
Beraten lassen. Sprechen Sie Ihre Hausärztin oder Ihren Hausarzt auf eine Beratung zur Organ- und Gewebespende an. Ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch ist für Versicherte ab 14 Jahren eine Kassenleistung und alle zwei Jahre möglich.
Angehörige informieren. Ihnen nahe stehende Menschen sollten wissen, wie Sie zu einer Organspende stehen. Reden Sie darüber, damit Angehörige im Todesfall in Ihrem Sinne entscheiden.
Hohe Zustimmung – wenig Organspendeausweise
Schulz und Denton gehören zu den rund 84 Prozent der Bevölkerung, die nach Umfragen dazu bereit sind, nach ihrem Tod Organe und Gewebe schwer kranken Menschen zur Verfügung zu stellen, um deren Lebensqualität zu verbessern und ihnen eine zweite Lebenschance zu geben. Doch sie haben nichts Schriftliches, weil es umständlich ist oder Informationen fehlen. Nur 44 Prozent haben per Organspendeausweis, einer Patientenverfügung oder in beiden Dokumenten Ja gesagt, 13 Prozent sich schriftlich dagegen entschieden.
Ärzte fragen nach der Einwilligung
Ohne ausdrückliche Einwilligung wird in Deutschland niemand Organspenderin oder -spender. Das ist gesetzlich geregelt, die sogenannte Entscheidungslösung. Ein zu Lebzeiten erklärtes schriftliches Ja auf einem Organspendeausweis oder der Patientenverfügung – unabhängig vom Zeitpunkt der Unterschrift – reicht aus, damit Ärzte nach der Feststellung des Todes Organe entnehmen dürfen. Hat eine Patientin oder ein Patient nichts festgelegt, befragen Ärzte auf der Intensivstation die Angehörigen oder in einer Vorsorgevollmacht dafür Bevollmächtigte, die stellvertretend für den Patienten entscheiden. Wie Ärzte diese Gespräche mit Angehörigen führen, erklärt Oberarzt Dr. Farid Salih von der Charité Berlin im Interview.
Angehörige sind oft verunsichert
Das Problem in der Praxis: „Angehörige wissen oft nicht, was die oder der Verstorbene gewollt hätte“, sagt Axel Rahmel, medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Im Jahr 2022 gab es bei der Hälfte der möglichen Organspender keine Zustimmung aus folgenden Gründen:
- Knapp 25 Prozent der Verstorbenen hatte sich zu Lebzeiten schriftlich oder mündlich gegen eine Organspende ausgesprochen.
- Rund 40 Prozent der Angehörigen lehnten eine Organentnahme aufgrund des vermuteten Willens des Patienten ab.
- 35 Prozent der Angehörigen lehnten aufgrund eigener Wertvorstellungen eine Entnahme ab.
Zustimmung per Organspendeausweis

Die Plastikkarte in Kreditkartengröße gibt es kostenlos bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Sie haben Fragen? Infotelefon: 0 800/9 04 04 00 oder unter: organspende-info.de © Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Wer bereit ist, Organe zu spenden, sollte dies schriftlich tun. Auf einem Organspendeausweis kann die Zustimmung mit einem „Ja“ dokumentiert werden. Ebenso kann dort ein „Nein“ angekreuzt werden. Mit Datum und Unterschrift ist die Entscheidung für Ärzte bindend. Den festgelegten Willen des Verstorbenen oder der Verstorbenen müssen Ärzte beachten. Wichtig ist, den Organspendeausweis immer mit sich zu führen, zum Beispiel im Geldbeutel. Der Ausweis ist im Ernstfall möglicherweise der einzige schriftliche Beleg für die Spendebereitschaft des Verstorbenen.
Zustimmung per Patientenverfügung
In vielen Patientenverfügungen können Menschen festlegen, ob sie bereit sind, Organe zu spenden oder nicht. Eine Patientenverfügung schließt eine Organspende nicht automatisch aus. Oft legen Menschen in einer Patientenverfügung fest, in bestimmten Krankheitssituationen am Lebensende auf intensivmedizinische Maßnahmen zu verzichten. Jedoch können Ärzte bei einer eindeutigen Zustimmung zur Organspende ausnahmsweise für den Fall, dass eine Organspende medizinisch in Frage kommt, kurzfristig (Stunden bis höchstens wenige Tage) intensivmedizinische Maßnahmen durchführen, um den Hirntod zu bestimmen und Organe entnehmen zu können.
Wichtig ist auch, mit Angehörigen und derjenigen Person über die eigene Einstellung zur Organspende zu sprechen, die in einer Vorsorgevollmacht für die Gesundheitssorge bestimmt ist. Die bevollmächtigte Person und Angehörige können Ärzten im Ernstfall dann den Wunsch übermitteln – für den Fall, dass keine schriftliche Aussage vorliegt.
Organentnahme nur nach der Diagnose „Hirntod“
Der medizinisch-rechtliche Rahmen für eine postmortale Organspende ist in Deutschland klar geregelt. Der unumkehrbare Ausfall der gesamten Hirnfunktionen muss eindeutig nachgewiesen sein, so genannter Hirntod. Gleichzeitig muss für eine Organentnahme das Herz-Kreislauf-System der verstorbenen Person künstlich aufrechterhalten werden, damit die Organe mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt sind. Beide Bedingungen, die Festellung des Hirntods und das künstliche Aufrechterhalten des Herz-Kreislauf-Systems sind nur auf der Intensivstation eines Krankenhauses zu erfüllen. Im Interview erklärt der Experte für Hirntod-Diagnostik Dr. Farid Salih, wie der Klinikalltag auf einer Neuro-Intensivstation aussieht.

Die Hirntoddiagnostik erfolgt in drei Schritten.
Organspende ohne Altersgrenze
Jede und jeder ab 16 Jahren kann Organe spenden. Ein Höchstalter gibt es nicht. Auch über 80-Jährige können spenden. Entscheidend sind der Gesundheitszustand der verstorbenen Person und der Zustand ihrer Organe. Ob sich Organe für eine Transplantation eignen, entscheiden Ärzte nach medizinischer Prüfung.
Eurotransplant vermittelt Patienten
Gibt es eine Zustimmung zu einer Organentnahme, liegt die weitere Koordination in der Hand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Sie ist bundesweit für die Zusammenarbeit aller beteiligten Partner bei einer Organspende zuständig. Die Patientendaten der Spenderin oder des Spenders übermittelt die DSO an die Stiftung Eurotransplant mit Sitz im niederländischen Leiden. Zum Verbund gehören acht europäische Länder: Deutschland, Belgien, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Slowenien und Ungarn. Eurotransplant verwaltet die Patientendaten der Menschen, die in diesen Ländern auf Wartelisten für ein Spenderorgan stehen. Die Vermittlung in Deutschland erfolgt nach den Richtlinien der Bundesärztekammer. Meldet die DSO eine Organspenderin oder -spender, wird geprüft, zu welcher Person auf der Warteliste das Spenderorgan passt.
Vorbereitung für die Transplantation
Bei einer Übereinstimmung, wird der Transplantationsprozess eingeleitet. Der passende Empfänger auf der Warteliste erhält von seinem Transplantationszentrum das Organangebot. In Deutschland haben 46 Kliniken die medizinisch-technischen Voraussetzungen für eine Transplantation. Nach der Organentnahme in der Entnahmeklinik werden die Organe des verstorbenen Spenders oder der Spenderin für den Transport vorbereitet. Hierfür werden die Organe in einer konservierenden Lösung auf Eis gelagert und in speziellen Transportboxen transportiert.
Eine Herausforderung bei einer Transplantation ist, die Abstoßung des Spenderorgans zu verhindern. Das Immunsystem des Empfängers erkennt das Organ als körperfremd, es kommt zu Abwehrreaktionen. Bestimmte Medikamente, sogenannte Immunsuppressiva, helfen, solche Abstoßungsreaktionen zu unterdrücken. Die Überlebenschancen mit einem neuen Organ hängen bei jedem Patienten von vielen Faktoren ab. Alter, Art, Schwere und Dauer der Erkrankung spielen dabei eine Rolle. Manche Patienten können zwischen 15 und 20 Jahre und sogar länger mit einem funktionierenden Spenderorgan leben.
869 Menschen haben postmortal Organe gespendet
Im Jahr 2022 haben 869 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet, 64 weniger als im Vorjahr. Der Bedarf ist wesentlich höher. Auf den Wartelisten für ein Spenderorgan stehen rund 8 500 schwerkranke Menschen, für die ein Organ lebensrettend ist oder einen Gewinn an Lebensqualität bedeutet. Rund 6 600 von ihnen warten auf eine neue Niere, das sind viermal mehr, als tatsächlich vermittelt werden können.
Bis zu sieben Menschen können dank der Organe eines toten Spenders überleben. Sind alle Organe gesund, können die Transplantationsmediziner Herz, Leber, beide Nieren, die Lunge, Bauchspeicheldrüse und den Dünndarm transplantieren. Zu den Gewebespenden gehören etwa Augenhornhaut, Herzklappen, Blutgefäße, Haut – daneben auch Knochen.
Automatisch Organspenderin oder -spender?
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plant, in Anbetracht der geringen Spenderzahlen die in Deutschland geltende Entscheidungslösung auf den Prüfstand zu stellen. Im Gespräch ist die Widerspruchslösung. Sie bedeutet: Alle Bürgerinnen und Bürger sind automatisch Organspenderinnen oder -spender – es sei denn, sie haben aktiv verneint, also widersprochen. Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa sagte Lauterbach im Januar 2023: „Viele Menschen sind zwar zur Organspende bereit. Aber sie dokumentieren das nicht. Deswegen sollte der Bundestag einen erneuten Anlauf nehmen, über die Widerspruchslösung abzustimmen. Das sind wir denjenigen schuldig, die vergeblich auf Organspenden warten.“ Zuletzt stimmte der Deutsche Bundestag im Januar 2020 über eine Einführung der Widerspruchslösung ab. Die Mehrheit sprach sich dagegen aus. 379 Bundestagsabgeordnete stimmten mit Nein, 292 mit Ja.
Deutschland zählt zu den Schlusslichtern
In vielen europäischen Ländern gilt die Widerspruchslösung, etwa in Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien. Manche Experten halten die Widerspruchslösung für einen wichtigen Baustein, um den Zustimmungsprozess für eine Organspende unbürokratischer zu gestalten. Die Spenderzahlen könnten sich dadurch erhöhen, so die Erwartung. Länder mit Widerspruchslösung haben im Schnitt höhere Spenderzahlen als Deutschland.
Spendenrückgang wegen Corona
„Der aktuelle Einbruch der Organspenderzahlen ist auch auf die Belastung des Gesundheitssystems durch die Pandemie und den Personalmangel in den Kliniken zurückzuführen“, erklärt Axel Rahmel von der DSO. „Der Einbruch war im ersten Quartal 2022 besonders dramatisch mit fast 30 Prozent weniger Organspenden, danach haben sich die Zahlen wieder auf dem üblichen Niveau eingependelt. Im europäischen Vergleich ist Deutschland eines der Schlusslichter bei der Organspende.“ Hinzu kommt, dass Patienten mit einem positiven Sars-Cov-2-Test in den ersten zwei Pandemiejahren nicht als Organspender infrage kamen. Heute belegen internationale wissenschaftliche Studien, dass eine Covid-19-Erkrankung kein Ausschlusskriterium sein muss. Ärzte prüfen im Einzelfall, ob eine Entnahme in Betracht kommt.
Mehr Aufklärung und Beratungsangebote
Um die Organspendesituation zu verbessern, wurden in den vergangenen drei Jahren einige Maßnahmen auf den Weg gebracht:
- Aufklärung. Krankenkassen und private Krankenversicherer sind verpflichtet, Versicherte ab einem Alter von 16 Jahren regelmäßig anzuschreiben und über Organspenden zu informieren.
- Beratung bei Hausärzten. Seit gut einem Jahr ist eine ergebnisoffene Beratung zur Organspende bei Hausärzten für Versicherte ab 14 Jahren eine Kassenleistung.
- Transplantationsbeauftragte. In den rund 1 200 für Organspenden vorgesehenen Entnahmekliniken, das sind Unikliniken und Krankenhäuser mit Intensivstationen, gibt es Transplantationsbeauftragte. Sie arbeiten mit Ärzten zusammen, um mögliche Organspender zu erkennen und koordinieren die Zusammenarbeit mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation.
- Organspenderegister. In einem bundesweiten elektronischen Verzeichnis sollen in Zukunft alle ihre Entscheidung registrieren können. Der Eintrag ist freiwillig und kostenlos, kann jederzeit geändert oder widerrufen werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist von der Regierung beauftragt, das Onlineregister zu entwickeln. Rund um die Uhr sollen autorisierte Ärzte und Akteure Zugriff haben. Ein Organspendeausweis ist dann nicht mehr nötig. Spätestens Anfang des Jahres 2024 soll das Register an den Start gehen.
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- Eine Vorsorgevollmacht und eine Patientenverfügung geben Angehörigen Sicherheit, wenn sie die Wünsche und Interessen einer anderen Person vertreten sollen.
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- Finanzwissen aus Verbraucherschutzperspektive: Das bietet unsere neue Reihe „Finanztest-Talk“. In Folge 2 geht es um das Thema Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht.
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- Die sogenannte Lebendspende eines Organs unter Verwandten hilft nicht immer auf Dauer. Der Körper des Menschen, der das Spenderorgan erhält, kann es wieder abstoßen....
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