
Schlummerpille. Wenn überhaupt, Schlafmittel nur sporadisch schlucken. © Depositphoto / Leonid Yastremskiy
Wissenschaftler warnen davor, Nahrungsergänzungsmittel mit Melatonin unkontrolliert einzunehmen. Das gilt insbesondere für ältere Menschen, Kinder und Schwangere.
Rund 43 Prozent der Menschen in Deutschland gaben im vorigen Jahr an, Probleme beim Ein- oder Durchschlafen zu haben – so das Ergebnis einer Erhebung der Plattform Statista. Um dagegen anzugehen, greifen viele zu Nahrungsergänzungsmitteln mit dem körpereigenen Hormon Melatonin. Die Mittel versprechen schnelles Einschlafen. Drogerien und Apotheken verkaufen die vermeintlich unbedenklichen Betthupferl als Tabletten, Pulver und Sprays. Für Kinder gibt es sogar melatoninhaltige Fruchtgummis.
Bundesinstitut rät von Selbstbehandlung ab
Rechtlich gelten die Einschlafhilfen als Lebensmittel und brauchen im Gegensatz zu Medikamenten keine Zulassung. Das Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR, sieht den wachsenden Markt solcher Nahrungsergänzungsmittel kritisch. Die Behörde hat wissenschaftliche Daten ausgewertet und rät insbesondere Schwangeren, Stillenden, Kindern, Jugendlichen sowie älteren Menschen und Personen mit bestimmten Vorerkrankungen wie Epilepsie und Autoimmunkrankheiten von der eigenständigen, unkontrollierten Verwendung ab. Aber auch gesunde Erwachsene sollten Vorsicht walten lassen und die Mittel nicht regelmäßig und über einen längeren Zeitraum einnehmen.
Nebenwirkungen: Albträume und Fahruntüchtigkeit
Die vorhandenen Studien zur Wirkung von Melatonin haben laut einer Stellungnahme des BfR für gesunde Erwachsene etliche Nebenwirkungen offenbart: etwa Kopfschmerzen, Blutdruckabfall, Albträume, Müdigkeit und Benommenheit am Morgen, unsicherer Gang und eingeschränkte Fahrtüchtigkeit. Ebenfalls nicht ausgeschlossen seien Wirkungen auf das Immunsystem und den Blutzuckerspiegel. Das Risiko, von den Mitteln abhängig zu werden, besteht nach bisherigem Stand aber nicht, so das BfR.
Auch bei Kindern sind Nebenwirkungen dokumentiert wie beispielsweise Schwindel und Verdauungsbeschwerden. Zudem können bereits geringe Melatoninmengen Einfluss auf andere körpereigene Hormone haben – mit Folgen für das Längenwachstum oder die Pubertätsentwicklung.
Melatoninwirkung individuell sehr unterschiedlich
Das sogenannte Schlafhormon Melatonin steuert vor allem den Schlaf-Wach-Rhythmus. Wenn es dunkel wird, stellt es der Körper selbst in der Zirbeldrüse im Zwischenhirn her – wir werden müde. Im Morgengrauen sinkt die Produktion aufgrund zunehmender Helligkeit, und wir wachen auf. Melatonin wirkt außerdem an der Regulation der Körpertemperatur, des Blutdrucks und der Ausschüttung anderer Hormone mit.
Wie stark zugeführtes Melatonin den natürlichen Spiegel des Botenstoffs im Körper beeinflusst, ist individuell sehr unterschiedlich. Bereits geringe Dosen können dazu führen, dass sich der Spiegel erhöht und so womöglich die innere Uhr aus dem Takt gerät. Säuglinge, Kleinkinder sowie ältere Menschen bauen Melatonin nur langsam ab. Für sie besteht die Gefahr, dass sich das Melatonin im Körper anreichert – mit bislang nicht ausreichend erforschten gesundheitlichen Folgen.
Teils höhere Gehalte als in rezeptpflichtigen Arzneien
Festgelegte Höchstwerte gibt es für den Melatoningehalt in Nahrungsergänzungsmitteln bislang nicht. Sie enthalten nach Angaben des BfR meist 0,5 bis 1 Milligramm des Hormons pro Tagesdosis. Es sind aber auch Produkte mit bis zu 10 Milligramm als Tagesdosis erhältlich. Damit übersteigt ein Teil der bei uns erhältlichen Nahrungsergänzungsmittel die für rezeptpflichtige Arzneien übliche Tagesdosis von 2 Milligramm um das Fünffache. Solche Medikamente sind nur für Erwachsene ab 55 Jahren zugelassen und das auch nur für eine zeitlich befristete Behandlung von Schlafstörungen.
test empfiehlt Antihistaminika und Baldrian
Als Alternative zu Melatonin empfiehlt die Stiftung Warentest Antihistaminika mit den müde machenden Wirkstoffen Diphenhydramin und Doxylamin. Allerdings sollten sie nicht länger als zwei Wochen am Stück genommen werden, weil Gewöhnungseffekte eintreten können.
Auch einige Baldrian-Mittel kommen für eine begrenzte Zeit infrage, wenn sie Baldrianwurzel-Trockenextrakte in ausreichend hoher Dosis enthalten – zwischen 300 und 600 Milligramm. Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass sie wirken. Die pflanzlichen Präparate verursachen kaum Nebenwirkungen. Allerdings braucht es oft einige Tage oder sogar Wochen, bis sie wirken.
Tipp: Welche Präparate geeignet sind, das Ein- und Durchschlafen zu fördern, verrät unser Test von rezeptfreien Schlafmitteln.
Auslöser für Schlaflosigkeit untersuchen lassen
Laut einer Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov von 2023 schätzten 38 Prozent der Menschen in Deutschland ihr Schlafpensum als eher ungenügend oder überhaupt nicht genügend ein. Die Auslöser von Schlafstörungen sind vielfältig. Dazu gehören zum Beispiel Sorgen und Stress, belastende Lebensereignisse wie der Verlust eines geliebten Menschen, schwere Erkrankungen, Schmerzen oder Alkohol und Drogen. Auch nächtlicher Harndrang, Hitzewellen oder Schlafwandeln können die Ursache sein, ebenso Unruhe in den Beinen, Zähneknirschen oder nächtliche Atemstillstände. Schichtarbeit, Lärm und manche Medikamente wie Antidepressiva können ebenfalls Schlafstörungen auslösen.
Wirksame Alternativen jenseits von Schlafmitteln
Statt gleich zu Schlafmitteln zu greifen, sollten Betroffene lieber ärztliche Hilfe suchen. So können die Ursachen behandelt werden und Schlafmittel müssen im besten Fall gar nicht erst genommen werden. Oft sind Schlafprobleme vorübergehend. Teils hilft schon ein verbesserter Schlafrhythmus oder eine Änderung von Verhaltensweisen und Gewohnheiten, sie zu lösen.
Tipp: Wertvolle Hinweise für eine geruhsame Nacht finden Sie in unseren Tipps für einen besseren Schlaf. Auch Online-Programme gegen Schlafstörungen können helfen. Acht solcher Online-Schlafprogramme haben wir getestet.
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- Viele schwören auf Nahrungsergänzungsmittel. Oft sind sie überflüssig. Wir sagen, welche Mengen an Vitaminen und Mineralstoffen optimal sind und wann es zu viel wird.
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@robu23: Vielen Dank für Ihre Anfrage. Wenn Sie einen Melatoninmangel vermuten, sollten Sie das mit Hausarzt oder -ärztin besprechen. Wie in der Meldung geschrieben, raten Experten von unkontrollierter Einnahme von Mitteln mit Melatonin ab - ohne vorher ärztlichen Rat einzuholen.
Im Alter (so ab 60 bis 70) produziert bei vielen Menschen der Körper von vielen „Stoffen“ nicht mehr genug oder nimmt sie schlechter auf, u.a. Melatonin. Die Nacht wird durch längere Wachphase(n) unterbrochen. Die ganzen „Tipps“ von „test“ und den Ärzten bringen hier überhaupt nichts. Sie sind ja als noch jüngere Menschen nicht davon betroffen. In meinem Bekanntenkreis ist die überwiegende Mehrheit von genau diesen Schlafstörungen betroffen. Ein Artikel darüber wäre mal hilfreich.
Welcher Dilettant empfiehlt hier Antihistaminika als Schafmittel? Welcher Mediziner befürwortet so etwas? Ich bin selbst Pollenallergiker und weiß wie Antihistaminika wirken. Und zum Einschlafen nutze ich seit Jahren Melatonin auf Geschäftsreisen, um den Jetlag zu überwinden. Das wurde mir bereits vor Jahren vom Arzt empfohlen, und Nebenwirkungen habe ich keine Bemerkt. Daher erscheint mir dieser Artikel vor allem als eines: Hysterischer Alarmismus, um das Sommerloch zu überstehen.
Es ist sicherlich immer gut und wichtig über eventuelle Risiken oder Wechselwirkungen zu berichten. Aber in diesem Artikel tatsächlich als Alternative (das Wort wird tatsächlich benutzt ) zu Melatonin Antihistaminika der ersten Generation zu empfehlen, ist für mich nicht mehr lächerlich sondern fahrlässig. Antihistaminika der ersten Generation sind Medikamente mit entsprechenden Nebenwirkungen und auch Gegenanzeigen. Sie sind sicherlich keine Alternative zu Melatonin sondern sind eine eigene Medikamentation. Melatonin wird in vielen Ländern der Welt seit Jahrzehnten (!!) von Millionen wenn nicht mittlerweile sogar Milliarden Menschen frei verkäuflich eingesetzt. Auch nach Jahrzehnten gibt es keine nennenswerten Nebenwirkungen, Wechselwirkungen oder Gegenanzeigen.