
Daniel Overdiek. Der Sozialrechtsexperte kennt die Probleme von Menschen mit Schwerbehinderung beim Übergang in den Ruhestand. © Thorsten Jochim
Der gemeinnützige Sozialverband VdK unterstützt bundesweit 2,2 Millionen Mitglieder bei sozialrechtlichen Streitigkeiten. Daniel Overdiek ist Leiter der Rechtsabteilung Bayern beim VdK.
Wir sprechen mit ihm über Besonderheiten, die es für Menschen mit Schwerbehinderung beim Übergang in die Altersrente gibt. Nicht immer laufe dieser reibungslos ab. Die eigentliche Bewilligung der Rente sei dabei aber eher selten das Problem, sagt Overdiek.
Bei welchen Problemen bitten Ihre Mitglieder den VdK oft um Unterstützung?
Die meisten Nachfragen gibt in den Bereichen Schwerbehindertenrecht und Rentenrecht. Im Rentenrecht kommen häufig Probleme vor, wenn ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente von der Deutschen Rentenversicherung abgelehnt wird und wir dann mit Widerspruch, Klage oder auch Berufung reagieren müssen. Danach folgen oft längere Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, in denen die Fälle noch mal genau begutachtet werden.
Menschen mit Schwerbehinderung können ihre Altersrente früher beziehen. Wie sieht es hier aus? Ist die Bewilligung der Altersrente im Vergleich zur Erwerbsminderungsrente eher unproblematisch?
Ja. Hier kommt es in der Regel nicht bei der Rentenbewilligung zu Problemen.
Obwohl die Voraussetzung für den früheren Rentenstart 35 Versicherungsjahre sind? Das klingt viel, gerade für Menschen, die schwerbehindert sind.
Natürlich ist ein langes Arbeitsleben für schwerbehinderte Menschen eine große Herausforderung. Aber zu der Versicherungszeit zählt nicht nur reine Arbeitszeit, es zählen auch Zeiten wie Kindererziehung oder bestimmte Schul-, Ausbildungs- und Studienzeiten oder Zeiten des Krankengeld- oder Arbeitslosengeldbezugs. Auch werden viele Beschäftigte erst später im Berufsleben mit zunehmendem Alter schwerbehindert, zum Beispiel nach einer schweren Erkrankung. Die 35 Jahre zu erreichen ist bei unseren Mitgliedern meist nicht das Hauptproblem.
Sondern?
Sie haben eher Probleme damit, dass Ihnen die Schwerbehinderung nicht anerkannt oder kurz vor dem gewünschten Rentenbeginn aberkannt wird.
Von wem und warum?
Um als schwerbehinderter Mensch früher in Rente gehen zu können, muss ich mindestens einen Grad der Behinderung von 50 nachweisen. Dieser GdB, der im Schwerbehindertenausweis vermerkt ist, ist aber nicht in Stein gemeißelt. Versorgungsämter können ihn unter Nachprüfungsvorbehalt festlegen. Der GdB wird, wenn Aussicht auf Besserung besteht – etwa bei einer Krebserkrankung – nach mehreren Jahren neu beurteilt. Ist er bei der Nachprüfung niedriger als 50, kommt die Altersrente für schwerbehinderte Menschen nicht mehr infrage. Das erschwert Menschen mit Behinderung die Rentenplanung.
Was raten Sie?
Nerven behalten. So lange kein neuer Bescheid mit niedrigerem GdB vorliegt, ist alles in Ordnung – selbst dann, wenn die Befristung im Schwerbehindertenausweis überschritten ist. Der kann einfach verlängert werden. Was zählt, ist ein neuer Bescheid.
Und wenn der neue Bescheid mit niedrigerem GdB doch vor Rentenbeginn kommt?
Menschen, die sich nicht in der Lage fühlen, bis zur Regelaltersgrenze zu arbeiten, sollten den neuen Bescheid anfechten. Sie haben nach Zustellung in der Regel einen Monat Zeit, Widerspruch dagegen einzulegen.
Und wenn der Widerspruch abgelehnt wird?
Ein Widerspruchsverfahren kann schnell drei bis vier Monate oder länger dauern. Danach kommt unter Umständen noch eine Klage vor dem Sozialgericht infrage. Bis zur endgültigen Entscheidung können auch Jahre vergehen. Bis dahin ist der neue Bescheid nicht bestandskräftig. Das heißt, es gilt weiterhin der alte Bescheid mit dem alten GdB.
Man geht also mit dem alten Bescheid in Rente?
Wenn man die Altersgrenze vor Ende des Verfahrens erreicht – ja.
Und wenn am Ende der Prozess verloren geht? Muss der Kläger dann wieder arbeiten?
Nein. Ist man einmal in Rente, bleibt es dabei, auch wenn die Klage nach Renteneintritt verloren geht.
Aber kann so ein Gerichtsprozess nicht sehr teuer werden?
Bei Verfahren vor dem Sozialgericht hält sich das Kostenrisiko in Grenzen. Es werden keine Gerichtsgebühren oder Auslagen erhoben. Auch Kosten, die der Behörde während des Prozesses entstehen, muss der Kläger nicht tragen. Ausgaben für ein Gegengutachten, das man selbst bei Gericht beantragt hat, sind dagegen meist nicht erstattungsfähig. Lässt man sich von einem Sozialverband vertreten, fallen auch Gebühren an, die von der Gegenseite nur erstattet werden, wenn der Kläger den Rechtsstreit gewinnt. Die halten sich aber in Grenzen.
Nachgewiesen wird die Schwerbehinderung anhand des Schwerbehindertenausweises. Kann ich diesen auch erst gezielt kurz vor der Rente beantragen?
Ja, das kommt immer wieder vor, dauert aber oft seine Zeit. Besser ist es, sobald entsprechende Erkrankungen bestehen, Berichte der behandelnden Ärzte zu sammeln und einen Antrag auf Schwerbehindertenausweis beim zuständigen Versorgungsamt zu stellen.
Muss für den Rentenantrag der Schwerbehindertenausweis vorliegen? Oder können Versicherte ihn auch nachreichen?
Die Altersrente für schwerbehinderte Menschen kann auch schon beantragt werden, wenn der Schwerbehindertenstatus noch nicht vorliegt. Sobald die Entscheidung des Versorgungsamts getroffen wurde, kann der Schwerbehindertenausweis nachgereicht werden. Wichtig ist, dass der Schwerbehindertenstatus am Tag des Rentenbeginns vorliegt.
Wie lange dauert es, bis das Versorgungsamt oder die Kommune einen Schwerbehindertenausweis ausstellt?
Das kann mehrere Monate dauern, je nachdem, wie viele Erkrankungen vorliegen und wie schnell das jeweilige Versorgungsamt arbeitet. In Bayern benötigt das dafür zuständige Zentrum Bayern Familie und Soziales im Schnitt rund drei Monate. Darauf kann man sich aber nicht unbedingt verlassen, es kann auch länger dauern.
Warum dauert es so lange und was kann ich tun, damit die Bewilligung möglichst problemlos abläuft?
Entscheidend sind die Befundberichte und Aussagen der behandelnden Ärzte. Es ist wichtig, mit ihnen vorher zu sprechen, damit sie diese auch plausibel formulieren. Versicherte sollten auch darauf achten, alle bestehenden Erkrankungen anzugeben und sich auch nicht nur auf medizinische Aspekte beziehen.
Auch soziale Auswirkungen darlegen, etwa wie stark Schmerzen den Alltag konkret einschränken. Einreichen sollten Versicherte auch andere Unterlagen, die ihre Beeinträchtigungen belegen, wie Reha-Entlassungsberichte oder Gutachten der Kranken- oder Pflegekassen. Reichen Versicherte bei der Antragstellung keine ärztlichen Berichte ein, schreibt das Versorgungsamt die Ärzte, die sie im Schwerbehindertenantrag angegeben haben, mit konkreten Fragen an. Das kann den Prozess in die Länge ziehen.
Viele Menschen mit Behinderungen sind mehrfach beeinträchtigt. Sie leiden etwa unter Herz-Kreislauf- und Rücken-Problemen. Worauf müssen sie achten?
Für einen Anspruch auf die Altersrente für schwerbehinderte Menschen ist ein Grad der Behinderung von 50 Voraussetzung. Wichtig ist deshalb immer, dass alle Ärzte und Erkrankungen im Antrag angegeben werden. Liegen mehrere Erkrankungen vor, wird ein sogenannter Gesamt-GdB gebildet, das heißt, die Behinderungen werden erst einzeln bewertet und anschließend spielt es noch eine Rolle, ob sich die einzelnen Behinderungen stark oder weniger stark aufeinander auswirken.
Vergibt das Versorgungsamt dann zwei unterschiedliche GdBs, also Grade der Behinderung?
Ja. Zum Beispiel GdB 30 für das Rückenleiden und GdB 20 für die Herz-Kreislauf-Erkrankung. Die GdBs werden aber nicht einfach addiert, sondern die Bewertung des Gesamt-GdB ist ziemlich kompliziert und für die Betroffenen oft schwer durchschaubar. Die Versorgungsämter gehen vom größten Einzel-GdB aus und schauen dann, ob und wie sich durch die zweite Beeinträchtigung das Ausmaß der Behinderung vergrößert, also der GdB steigt. Es gibt auch Fälle, in denen es beim größten Einzel-GdB bleibt und die zweite Beeinträchtigung für die Einstufung keine Rolle spielt.
Können Sie ein Beispiel geben?
Wenn mehrere Sinnesorgane, zum Beispiel Hörsinn und Sehsinn, beeinträchtigt sind, wirkt sich das sehr ungünstig aufeinander aus und die Bewertung des Gesamt-GdB wird tendenziell höher sein als in Fällen, in denen zum Beispiel Herzkreislauf- und Rückenprobleme eher unabhängig nebeneinanderstehen.
Das hört sich kompliziert an. Und dann fällt die Rente – weil man ja nicht so lange arbeitet – auch noch niedriger aus als die Regelaltersrente. Schreckt das Versicherte nicht ab?
Nein. Unsere Erfahrung zeigt, dass Menschen mit Schwerbehinderung den früheren Rentenstart gerne in Anspruch nehmen. Aufgrund ihrer Behinderung fühlen sie sich meist nicht mehr so leistungsfähig.
Es gibt vielleicht schwerbehinderte Menschen, denen es nach einiger Zeit im Ruhestand wieder besser geht. Seit 2023 können Frührentnerinnen und -rentner so viel verdienen, wie sie möchten, ohne dass dieser Verdienst auf ihre Rente angerechnet wird. Gilt das auch für Rentner, die eine vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen beziehen?
Ja. Die Regelung gilt auch für sie. Sie bleibt für die meisten Menschen mit Schwerbehinderung aber eher theoretisch. Viele gehen früher in Rente, weil sie tatsächlich nicht mehr länger arbeiten können.
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@Schrenk: Vielen Dank für Ihre Nachfrage, die wir gern als Anregung für eine ergänzende Berichterstattung entgegennehmen. Die rentenrechtlichen Besonderheiten von Menschen, die in Werkstätten für behinderte Menschen ihren Lohn beziehen, hat der Artikel nicht berücksichtigt.
Leider haben Sie die Konditionen für eine Rente für Menschen in WfbM vergessen. Sind das die gleichen wie die von Ihnen aufgeführten?
Vielen Dank für Ihre Antwort
@alle: Vermuten Sie einen Fehler im Rentenbescheid, dann haben Sie nur einen Monat nach Erhalt des Bescheides Zeit, um einen Widerspruch gegen den Rentenbescheid einzulegen. Dafür genügt ein formloses Schreiben.
Bei der Überprüfung des Rentenbescheides können Sie sich von Rentenexperten unterstützen lassen. Diese finden Sie über den Bundesverband der Rentenberater oder einen Sozialverband:
www.rentenberater.de (gegen Honorar)
www.sovd.org (Mitgliedschaft erforderlich)
www.vdk.de (Mitgliedschaft erforderlich)
Ich bin am 28.02.1957 geboren und am 01.03.2019 startete meine Rente als Schwerbehinderte mit 60%. Mir wurden für 25 Monate Rentenpunkte abgezogen.
Ich denke, das hier ein Berechnungsfehler vorliegt und man mir zuviel abgezogen hat. Wer kann mir bei diesem Problem helfen?
@Fischiman: Eine Teilaltersrente ist auch mit einer Schwerbehinderung möglich, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Einschränkungen gibt es beim Hinzuverdienst lediglich beim Bezug einer Erwerbsminderungsrente. Bitte lassen Sie sich vorab bei der Rentenversicherung beraten. www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Muttertexte/service/beratung/beratungsstellen_in_ihrer_naehe.html