Ärzt­liche Zwangs­maßnahmen Wann und wo Menschen gegen ihren Willen behandelt werden dürfen

Ärzt­liche Zwangs­maßnahmen - Wann und wo Menschen gegen ihren Willen behandelt werden dürfen

Das Bundes­verfassungs­gericht urteilte im November 2024, dass eine ärzt­liche Zwangs­behand­lung nicht ausschließ­lich im Kranken­haus erfolgen muss. © picture alliance / dpa / Uli Deck

Eine ärzt­liche Zwangs­behand­lung gegen den Willen von Patienten soll künftig im Einzel­fall auch außer­halb der Klinik erlaubt sein, urteilte das Bundes­verfassungs­gericht.

Geschätzt etwa 4 000 Patientinnen und Patienten im Jahr werden in Deutsch­land gegen ihren eigenen Willen ärzt­lich mit Medikamenten behandelt. Die Hürden dafür sind hoch: Erlaubt ist eine solche Zwangsbehandlung nur während eines stationären Aufenthalts in einer Klinik (Paragraf 1832 Bürgerliches Gesetz­buch). Betroffen sind in der Regel unter Betreuung stehende psychisch oder demenziell erkrankte Menschen oder Menschen mit geistiger Behin­derung, denen zum Beispiel die Einsicht in die Notwendig­keit einer Behand­lung fehlt, mit der ein drohender erheblicher gesundheitlicher Schaden von ihnen abge­wendet werden soll. Für die Medikamentengabe ist in der Regel ein Trans­port in ein Kranken­haus nötig.

Stationärer Aufenthalt kann sehr belastend sein

Im November 2024 urteilten Richter am Bundes­verfassungs­gericht nun, dass es Ausnahmen vom Kranken­haus­vorbehalt geben müsse. Der Grund: Ein voll­stationärer Klinik­aufenthalt für eine Medikamenten­einnahme kann sehr belastend sein und eine Zwangs­behand­lung in gewohnter Umge­bung, etwa in einem Heim, könne weniger belastend sein (Az. 1 BvL 1/24). Bis Ende des Jahres 2026 ist der Gesetz­geber jetzt aufgefordert, das aktuelle Gesetz zu über­arbeiten und eine neue Regelung zu schaffen. Bis dahin gilt der Kranken­haus­vorbehalt.

Medikament ambulant in vertrauter Wohn­einrichtung?

Das Bundes­verfassungs­gericht hatte über einen Fall zu entscheiden, im dem eine Frau mit der Diagnose paranoide Schizophrenie aus ihrer vertrauten Wohn­einrichtung für psychisch Kranke regel­mäßig in ein Kranken­haus für eine ärzt­liche Zwangs­behand­lung mit einem Neuroleptikum gefahren wurde. Das Medikament war fach­ärzt­lich als Dauer­medikation ange­ordnet.

Für den Trans­port in die Klinik war eine Fixierung mit Anbringung einer Spuck­maske notwendig. Da dieser regel­mäßige Trans­port für die Betroffene belastend und retraumatisierend war, beantragte ihr Betreuer eine stations­äquivalente Behand­lung im heimischen Umfeld. Statt in der Klinik solle die Medikamentengabe bei der Frau ambulant in ihrer Einrichtung erfolgen. Nach der aktuellen Gesetzes­lage ist das nicht möglich. Nur in einer Klinik sei eine sichere Zwangs­behand­lung und eine angemessene Nach­sorge möglich, so die Argumente für den Kranken­haus­vorbehalt.

Der Fall landete schließ­lich beim Bundes­verfassungs­gericht. Die Richter entschieden, dass die ausnahms­lose Vorgabe, ärzt­liche Zwangs­maßnahmen nur im Rahmen eines voll­stationären Aufenthalts in einer Klinik durch­zuführen, verfassungs­recht­lich unver­hält­nismäßig sei.

Nur mit Gerichts­beschluss

Bis Medikamente gegen den Willen eines Menschen gegeben werden, müssen mehrere Voraus­setzungen erfüllt sein. Der Zwang muss das letzte mögliche Mittel sein. Ein Betreuer oder Bevoll­mächtigter der Patientin oder des Patienten müssen zuvor ernst­haft versucht haben, mit dem nötigen Zeit­aufwand und ohne Druck, einen Menschen von der Notwendig­keit der ärzt­lichen Maßnahme zu über­zeugen. Ist das Bemühen erfolg­los, können sie die Zustimmung zu einer Zwangs­behand­lung beim Betreuungs­gericht beantragen.

Ohne Genehmigung durch ein Gericht ist eine Medikamentengabe gegen den Patientenwillen nicht möglich. „Eine Zwangs­behand­lung ist ein schwerer Eingriff in das Recht auf Selbst­bestimmung und nur im äußersten Notfall unter engen Voraus­setzungen mit einer richterlichen Genehmigung vom Betreuungs­gericht zulässig“, erklärt Geschäfts­führer Dr. Harald Freter vom Berufs­verband der Berufs­betreuer.

Welche Zwangs­maßnahmen sind erlaubt?

Zu den Zwangs­maßnahmen zählen Medikamente, aber auch eine Operation oder diagnostische Unter­suchungen wie Röntgen, MRT oder CT. Auch Isolierungen oder mecha­nische Fixierungen sind erlaubt, zum Beispiel Gurte, die Menschen daran hindern, wegzulaufen.

Tipp: Lesen Sie bei uns, wie Patienten ihre Rechte in der Psychiatrie wahren.

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Kommentarliste

Nutzer­kommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.

  • Sandra2000 am 24.11.2023 um 22:08 Uhr
    Bitte UN Rechtssprechung beachten

    Folter ist Folter und bleibt Folter. Nur in absoluten Notlagen dürfen Zwangsmaßnahmen angewendet werden.
    Deutschland verstößt sehr oft gegen das absolute Folterverbot und tut sich schwer dies einzusehen.

  • jgbk am 08.08.2017 um 21:29 Uhr
    Die Aussagen sind falsch.

    Das sind keinen Medikamente zur Beruhigung sondern Nervengifte.