BGH-Urteil zu Minuszinsen Banken kassierten Negativzinsen zu Unrecht

Datum:
  • Text: Christoph Herr­mann
  • Faktencheck: Angela Ortega Stülper
BGH-Urteil zu Minuszinsen - Banken kassierten Negativzinsen zu Unrecht

Strafzinsen. Bis ins Jahr 2022 haben viele Banken und Sparkassen Kundinnen und Kunden benach­teiligt, indem sie für hohe Guthaben Minuszinsen kassiert haben. © Getty Images / EyeEm

Minuszinsen waren rechts­widrig, urteilte der Bundes­gerichts­hof. Banken müssen alle 2022 und später gezahlten Beträge erstatten. Wir sagen, wie Sie Ihr Recht durch­setzen.

Bis ins Jahr 2022 hinein mussten viele Inhaber von Giro- und Spar­konten „Verwahr­entgelte“ bezahlen. So nannten die Banken und Sparkassen ihre Negativzinsen – also den Zins­satz, den sie Kundinnen und Kunden zumindest für hohe Guthaben in Rechnung stellten. Die Banken mussten solche Zinsen selbst für bei der Europäischen Zentral­bank geparkte Gelder bezahlen und kassierten sie deshalb auch von ihren Kunden.

Zu Unrecht, urteilte der Bundes­gerichts­hof jetzt in vier Fällen. Geklagt hatten die Verbraucherzentralen Nord­rhein-West­falen und Hamburg sowie der Verbraucherzentrale Bundes­verband (vzbv) bereits in den Jahren 2020 und 2021 gegen vier verschiedene Banken und Sparkassen. Jetzt endlich in letzter Instanz die Ansage: Das war rechts­widrig. Die Klauseln sind teils eine unan­gemessene Benach­teiligung für Verbraucher, teils wegen Intrans­parenz unwirk­sam, urteilten die Richter in Karls­ruhe. Die Richter in den Vorinstanzen waren unterschiedlicher Meinung.
Bundes­gerichts­hof, Urteile vom 04.02.2025
Aktenzeichen: XI ZR 61/23, XI ZR 65/23, XI ZR 161/23 und XI ZR 183/23
Einzel­heiten dazu in der amtlichen Pressemitteilung des Bundesgerichtshof

Bei Spar­konten nie, bei Giro­konten theoretisch denk­bar

Die wichtigsten Punkte aus den Urteilen:

  • Bei Spar­konten kommen von der Zins­entwick­lung abhängige zusätzliche Gebühren von vorn­herein nicht in Frage. Das laufe dem Sinn und Zweck von Spar­verträgen entgegen, erklärte Jürgen Ellen­berger, der Vorsitzende Richter im für Bank­recht zuständigen XI. Senat am Bundes­gerichts­hof.
  • Bei Giro­konten sind Verwahr­entgelte grund­sätzlich zulässig. Es gelang Banken und Sparkassen aber nicht, sie in den Geschäfts­bedingungen berechen­bar und klar zu regeln. Die Verwahr­entgelte sollten bis zu 0,7 Prozent vom Guthaben abzüglich eines unterschiedlichen hohen Frei­betrags betragen und teils taggenau berechnet werden. Es blieb aber unklar, welche Guthaben jeweils genau heran­zuziehen sind; schließ­lich erfolgen auf Giro­konten oft viele Buchungen pro Tag.

Recht auf Erstattung

Alle Banken und Sparkassen haben die jetzt beur­teilten Klauseln verwendet und müssen Negativzinsen erstatten. Ärgerlich für Betroffene: Die Forderung auf Erstattung von bis Ende 2021 gezahlten Beträgen ist verjährt. Nur die Erstattung von ab 1. Januar 2022 gezahlten Beträgen ist noch durch­setz­bar. Trotzdem geht es nicht selten um drei­stel­lige Beträge. Wer im Jahr 2022 noch 0,5 Prozent Verwahr­entgelt zahlen musste, dem hat die Bank oder Sparkasse für nach Abzug des jeweiligen Frei­betrags verbleibendes Guthaben in Höhe von 100 000 Euro pro Monat fast 42 Euro abge­bucht.

Hinzu kommt: Banken und Sparkassen müssen zusätzlich die Summe heraus­geben, die sie mit dem Geld erwirt­schaftet haben. Das sind laut Bundes­gerichts­hof Zinsen in Höhe des gesetzlichen Verzugs­zins­satzes. Mit anderen Worten: Wenn unsere Beispiel­kundin mit 100 000 Euro Guthaben über dem Frei­betrag jeweils Ende des Monats von Januar bis Juni 0,5 Prozent Negativzinsen gezahlt hat, dann stehen ihr per 28. Februar 2025 insgesamt genau 250 Euro Erstattung von Negativzinsen und zusätzlich 49,20 Euro Heraus­gabe von Nutzungen zu.

So setzen Sie Ihr Recht durch

Von sich aus werden Banken und Sparkassen kaum Zahlungen erstatten. Sie müssen sie fordern. Dabei hilft unser Mustertext. Bleibt die Erstattung aus, können Sie die für Ihre Bank oder Sparkasse zuständige Schlichtungs­stelle einschalten. Das ist kostenlos, geht ohne Rechts­anwalt und hilft nach unserer Erfahrung oft. Verbraucherzentralen und Verbraucherzentrale Bundes­verband können Ihr Recht auf Erstattung per Verbands­klage durch­setzen. Ob und in welchen Fällen sie das tun, ist aber nicht absehbar.

Zweifel an Zins­berechnung – auch für Dispo-Zinsen

Die Zweifel der Bundes­richter an den Rege­lungen zur Zins­berechnung wiegen schwer – und treffen nicht nur die Negativzinsen, sondern alle und vor allem auch die Dispo-Zinsen. Ob es Banken und Sparkassen gelingt, für die Zukunft eine dem Bundes­gerichts­hof genügende Zins­regelung einzuführen, erscheint fraglich. Vor allem ist es nach den Ansagen der Richter nötig, vorhersehbar fest­zulegen, welcher Saldo eines Kontos für die Berechnung der jeweiligen Zinsen heran­gezogen wird. Das ist bei Giro­konten mit zum Teil zahlreichen Buchungen am Tag gar nicht so einfach.

Den Konto­stand zu einer bestimmten Uhrzeit (Branchenjargon früher: „Buchungs­schnitt“) jeweils für den ganzen Tag zu verwenden, ist ungerecht, wenn kurz vor der fraglichen Uhrzeit eine hohe Buchung erfolgt ist und es der Konto­inhaberin erst kurz nach dem Zeit­punkt gelingt, die gegen­läufige Buchung zu veranlassen.

Gerechter wäre es, minutengenau zu rechnen. Das ist tech­nisch inzwischen ohne Weiteres möglich. Sinn hat eine entsprechende Regelung in den Geschäfts­bedingungen aber nur, wenn im Konto­auszug zu jeder Buchung auch die genaue Zeit der Wert­stellung genannt wird.

Besondere Bedeutung hat das bei der Berechnung von Dispozinsen. Rechenbei­spiel: Bei der Haspa zahlen viele Giro­konto­inhaber aktuell 10,62 Prozent Über­ziehungs­zins. Das heißt: 1 000 Euro Soll um Mitter­nacht kosten immer 30 Cent Zinsen. Und dabei bleibt es, auch wenn fünf Minuten nach Mitter­nacht das Konto schon wieder ausgeglichen ist.

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Kommentarliste

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  • Profilbild Stiftung_Warentest am 17.02.2025 um 09:09 Uhr
    Was gilt bei unterschriebener Vereinbarung?

    @MichaelMinh: Bitte haben Sie Verständnis: Zu Ihrem konkreten Einzelfall dürfen und können wir und nicht äußern. Das wäre eine individuelle Rechtsberatung, wie sie von Gesetztes wegen Verbraucherzentralen und Rechtsanwälten vorbehalten ist.

    Die Stiftung Warentest informiert aber gern über die Rechtslage allgemein. Danach gilt: Soweit en Unternehmen eine vertragliche Vereinbarung für eine Vielzahl von Fällen vorformuliert, handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung, die nur wirksam ist, wenn Sie ausreichend transparent ist und Verbraucher nicht unangemessen benachteiligt. In diesen Fällen findet die Rechtsprechung zu unwirksamen Klausen eine Anwendung.

    Keine allgemeine Geschäftsbedingung sind individuelle Vereinbarungen. Es liegt aber nicht automatisch eine individuelle Vereinbarung vor, wenn ein Unternehmen sich eine von ihm für alle vergleichbaren Fälle vorformulierte Klausel extra unterschreiben lässt.

  • MichaelMinh am 16.02.2025 um 12:32 Uhr
    Anspruch auch mit unterschriebener Vereinbarung?

    Die Dt Bk hat Kunden Ende 2021 Vereinbarungen über Verwahrentgelte vorgelegt und unterschreiben lassen. Argument: Freibetrag bis 100 TEur wenn bis 1.10.21 unterschrieben wurde, danach nur 50 TEur. Oberhalb dieser Grenze fiel in 2022 0,5% Verwahrentgelt auf lfd Girokonten an.
    Hat man Erstattungsansprüche, wenn man diese Vereinbarung unterschrieben hat?

  • Profilbild test.de-Redakteur_Herrmann am 09.02.2025 um 17:59 Uhr
    Re: WittyPitty

    Ich finde schon, dass es einen Unterschied macht, ob ich mich bei einem Sparbuch oder Tagesgeld darauf verlassen kann, dass ich keine Gebühren zahle oder nicht. Kommt das Geld zurück aufs Girokonto, habe ich es in der Hand, was damit weiter geschieht. Klar natürlich: Wenn wegen weithin negativer Zinsen keine Geldanlage möglich ist, bleibt nur, das Geld ggf. entgeltlich-pflichtig zu parken. Voraussetzung: Den Banken gelingt es, die Verzinsung transparent und fair zu regeln.

  • Gelöschter Nutzer am 08.02.2025 um 20:10 Uhr
    @test.de-Redakteur_Herrmann

    Und wo ist jetzt bitteschön für den normalen Bankkunden der Unterschied, ob die Bank gegebenenfalls irgendwann negative Zinsen erhebt oder aber ihre Gebühren erhöht beziehungsweise das Konto kündigt? Was macht das bitte für den Bankkunden für einen Unterschied? Er wird in solchen Fällen, wenn er sein Geld weiterhin bei einer Bank hinterlegen möchte, auf jeden Fall entsprechende Gebühren zahlen, egal wie die Bank sie nun nennt. Ich begrüße durchaus diese rechtliche Klarstellung durch den BGH. Ich möchte da nicht falsch verstanden werden. Nur macht es für den normalen Bankkunden eben in seinem Geldbeutel letztlich keinen Unterschied. Und Zinsen, deren Entwicklung an einen Basiszins gekoppelt ist und daher transparent, finde ich persönlich immer noch besser als irgendwelche Gebühren im Preisverzeichnis.

  • Profilbild test.de-Redakteur_Herrmann am 08.02.2025 um 08:56 Uhr
    Re: Ein Sieg, der eigentlich kein Sieg ist

    Ich finde schon, dass die Ansagen der Bundesrichter ein Gewinn für Sparer sind. Sie verhindern, dass Geldanlagen unversehens kosten, statt Rendite zu bringen. Wenn Banken & Sparkassen ein Sparbuch oder sonstige Anlage nicht weiter anbieten können, müssen sie die Verträge kündigen. Das Geld kommt dann zur Aufbewahrung aufs Konto & dort dürfen die Banken dafür Gebühren verlangen, soweit sie transparent geregelt & fair sind.