Allgemeines
Die akute Mittelohrentzündung (Otitis media) ist eine Infektionskrankheit. Sie kommt am häufigsten bei Kindern vor – vor allem in den ersten beiden Lebensjahren. Meist begleitet sie andere Infekte wie Erkältungen, eine Bronchitis und eine Reihe von Kinderkrankheiten. Einige Kinder haben wiederholt akute Mittelohrentzündungen. Wenn innerhalb von sechs Monaten mehr als drei derartige Erkrankungen auftreten, spricht man von einer rezidivierenden (wiederkehrenden) Mittelohrentzündung.
Eine chronische Mittelohrentzündung ist keine verschleppte akute Entzündung, sondern eine eigenständige Krankheit.
Anzeichen und Beschwerden
Akute Mittelohrentzündung
Die Ohrenschmerzen treten plötzlich auf und werden schnell sehr heftig. Später kommt Fieber hinzu. Auch Schwindel, nachlassendes Hörvermögen und Ohrgeräusche können auftreten. Die Schmerzen im Zusammenhang mit einer Mittelohrentzündung können plötzlich nachlassen, wenn das Trommelfell platzt. Dann kann Flüssigkeit oder Blut aus dem Ohr rinnen.
Bei Kindern
Bei Kleinkindern kann eine Mittelohrentzündung völlig schmerzlos verlaufen. Sie kann sich aber auch durch Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Fieber äußern. Erkrankte Säuglinge und Kleinkinder, die noch nicht sprechen können, weinen häufig und sind nur schwer abzulenken. Bei Druck auf den Gehörgang wehren sie sich oder fangen an zu weinen.
Chronische Mittelohrentzündung
Das Ohr "läuft", das heißt, es sondert ständig Sekret ab. Das Hörvermögen kann sich verschlechtern. Wenn Schmerzen auftreten, sind sie meist nur leicht.
Ursachen
Akute Mittelohrentzündung
Ein Infekt der oberen Luftwege schädigt den feinen Haarteppich in der eustachischen Röhre, dem Verbindungsweg zwischen Rachen und Ohr. Dann können die Erreger nicht mehr aus der Röhre hinausbefördert werden und gelangen von dort aus in das normalerweise keimfreie Mittelohr. In der Paukenhöhle, einem Teil des Mittelohrs, rufen sie anschließend eine Entzündung hervor, durch die das Gewebe anschwillt und Sekret absondert.
Erreger der akuten Mittelohrentzündung können sowohl Viren als auch Bakterien sein. Anatomische Bedingungen, wie eine verkürzte eustachische Röhre, oder ein geschwächtes Abwehrsystem begünstigen eine Infektion.
Bei Kindern
Kinder erkranken häufiger als Erwachsene an akuten Mittelohrentzündungen und anderen Infektionskrankheiten, weil ihre Immunabwehr noch nicht vollständig ausgebildet ist. Bei Säuglingen und Kleinkindern kommt hinzu, dass die eustachische Röhre kürzer und enger ist und flacher verläuft. Dadurch können sich Krankheitserreger aus dem Nasen-Rachen-Raum leichter bis ins Mittelohr ausbreiten.
Chronische Mittelohrentzündung
Ursache ist ein kleiner Defekt im Trommelfell, durch den immer wieder Keime ins Mittelohr eindringen können.
Vorbeugung
Bei Kindern
Kinder sollten in einer rauchfreien Umgebung aufwachsen. Passivrauchen erhöht unter anderem das Risiko für Infektionen im Bereich der Atemwege und des Nasen-Rachen-Raums.
Allgemeine Maßnahmen
Wärme wird von vielen Betroffenen als wohltuend empfunden und kann – über den Temperaturausgleich von Außenohr und Innenohr – die Schmerzen lindern. Wissenschaftliche Belege für den Nutzen einer Wärmeanwendung fehlen aber. Legen Sie eine Wärmflasche, ein mit erwärmtem Öl getränktes Tuch oder einen Umschlag mit warmem Kartoffelbrei auf das Ohr. Achten Sie darauf, dass der Umschlag nicht zu heiß ist und prüfen Sie die Temperatur vorher an der Wange.
Bei Kindern
Für Kinder kann ein Dunstumschlag hilfreich sein. Legen Sie dazu ein feuchtes Tuch auf das Ohr, decken Sie es mit einer Plastikfolie ab und befestigen Sie das Ganze mit einem warmen Wolltuch. Dieser Umschlag kann bis zur Besserung stündlich erneuert werden.
Kinder mit wiederholten Mittelohrentzündungen, die mit einer Flüssigkeitsansammlung (Erguss) einhergehen, bekommen oft ein Paukenröhrchen eingesetzt. Durch dieses wird das Mittelohr besser belüftet. Der Eingriff erfolgt in der Annahme, dass Kinder mit derartigen Ohrerkrankungen schlecht hören und darunter ihre sprachliche Entwicklung leiden kann. Das soll durch das Einsetzen eines Paukenröhrchens verhindert werden. Eine Studie, in der die Entwicklung von Kindern über lange Zeit beobachtet wurde, hat gezeigt, dass man sogar bei Kindern unter drei Jahren mit beidseitiger Mittelohrentzündung nichts versäumt, wenn sie erst nach neun Monaten ein Paukenröhrchen eingesetzt bekommen. Ist nur ein Ohr betroffen, kann die Wartezeit sogar ein Jahr betragen.Doch selbst dann ist es fraglich, ob das Paukenröhrchen überhaupt einen Nutzen hat, nicht zuletzt, weil mit zunehmendem Lebensalter die Mittelohrentzündungen meist ohnehin abnehmen. Zwar kann sich die Hörfähigkeit zunächst verbessern und akute Mittelohrentzündungen treten etwas seltener und weniger ausgeprägt auf, doch bei bis zu einem Drittel der Kinder verursacht das Paukenröhrchen Narben im Trommelfell, die die Hörfähigkeit ihrerseits dauerhaft geringfügig beeinträchtigen können. Die allenfalls geringe Wirksamkeit von Paukenröhrchen bei Kindern unter drei Jahren wurde Anfang 2021 noch einmal durch eine Studie bestätigt.
Bei den meisten Kindern mit wiederkehrenden Mittelohrentzündungen ist daher das beobachtende Abwarten durch die Ärztin oder den Arzt möglich. Paukenröhrchen werden vor allem dann in Betracht gezogen, wenn die sprachliche Entwicklung des Kindes durch die mit den wiederholten Mittelohrentzündungen verbundenen Hörprobleme leidet, wenn eine chronische Mittelohrentzündung mit dauerhafter Höreinschränkung vorliegt oder wenn das Trommelfell oder das Mittelohr durch die wiederkehrenden Entzündungen Veränderungen aufweisen.
Bleibt im Mittelohr über mehrere Monate eine Flüssigkeitsansammlung bestehen, wird zudem häufig überprüft, ob sich im Nasen-Rachen-Raum des Kindes Wucherungen, sogenannte Polypen (vergrößerte Rachenmandeln), gebildet haben. Diese können durch eine Operation entfernt werden, damit das Mittelohr wieder besser belüftet wird.
Untersuchungen stellen den Nutzen einer solchen Operation aber infrage, wenn damit allgemein weiteren Mittelohrentzündungen vorgebeugt werden oder das Hören des Kindes verbessert werden soll. Der zu erwartende Effekt ist allenfalls gering. Durch die Polypenentfernung verringern sich zwar Flüssigkeitsansammlungen im Mittelohr, das Hören verbessert sich aber nur wenig. Dem gegenüber steht das Risiko, das mit einer Operation einhergehen kann. Ob eine solche erforderlich ist, muss daher individuell entschieden werden.
Nach derzeitigem Wissensstand nützt eine Polypenentfernung (auch zusätzlich zum Einsatz von Paukenröhrchen) am ehesten Kindern unter zwei Jahren mit häufig wiederkehrenden Mittelohrentzündungen und Kindern über vier Jahre mit chronischer Mittelohrentzündung, wenn die Wucherungen die Nasenatmung deutlich behindern.
Chronische Mittelohrentzündung
Diese Erkrankung lässt sich nur heilen, wenn der Defekt des Trommelfells operativ behoben wird. Dazu dient körpereigenes Gewebe (Tympanoplastik).
Wann zum Arzt?
Eine Mittelohrentzündung sollten Sie nicht selbst behandeln, auch wenn einige der für diesen Zweck angebotenen Medikamente rezeptfrei erhältlich sind. Suchen Sie bei starken Ohrenschmerzen, die die ersten Anzeichen für eine Mittelohrentzündung sein können, unbedingt eine Ärztin oder einen Arzt auf. Dieser beurteilt die Erkrankung und ihren Verlauf. Oft ist außer einer Schmerzlinderung keine medikamentöse Behandlung notwendig.
Behandlung mit Medikamenten
Rezeptfreie Mittel
Akute Mittelohrentzündung
Die Schmerzen einer Mittelohrentzündung können kurzzeitig mit einem rezeptfreien Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol gelindert werden. Welcher der beiden Wirkstoffe gewählt wird, wenn ein Kind behandelt werden muss, hängt unter anderem von seinem Alter und seinem Gewicht ab.
Darüber hinaus ist zunächst keine weitere Behandlung erforderlich, da 70 bis 90 von 100 Mittelohrentzündungen spontan abheilen. Besonders wenn die Ohrerkrankung im Rahmen einer Erkältung auftritt, ist anzunehmen, dass sie von Viren ausgelöst wurde, gegen die es kein wirksames Medikament gibt. Die bei Mittelohrentzündungen oft verordneten Antibiotika bekämpfen Bakterien, sind aber gegen Viren wirkungslos. Insgesamt wird kritisiert, dass Antibiotika viel zu häufig verordnet werden. Dadurch steigt die Gefahr, dass Bakterienstämme gegen diese Mittel resistent werden und sich damit nicht mehr bekämpfen lassen. Allgemeine Informationen zu Resistenzen finden Sie unter Antibiotika allgemein.
Diese Erkenntnisse haben die Behandlungsempfehlungen verändert. Während man bei einer akuten Mittelohrentzündung früher meist sofort Antibiotika für erforderlich hielt, wird heute zunächst abgewartet und beobachtet, wie die Krankheit verläuft.
Antibiotika sollen bei Kindern mit Mittelohrentzündung in folgenden Situationen eingesetzt werden:
- Das Kind ist noch kein halbes Jahr alt.
- Es ist jünger als zwei Jahre und beide Ohren sind betroffen.
- Das Kind hat schon bei Erkrankungsbeginn sehr starke Beschwerden (zum Beispiel ein "laufendes Ohr" und Fieber).
- Beim Kind liegt eine Immunschwäche vor.
- Die Krankheitszeichen haben sich nach drei Tagen nicht deutlich gebessert.
Wenn Ihr Kind eine der oben genannten Bedingungen erfüllt, müssen Sie daher in jedem Fall eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen.
Zu Beginn können bei einer Mittelohrentzündung Nasentropfen oder -sprays mit Salzlösung hilfreich sein. Sie regen den Sekretfluss aus der Nase und dem Verbindungsgang von Mittelohr und Rachen, der eustachischen Röhre, an. Sind diese Hohlräume frei, wird das Mittelohr wieder besser belüftet. Nasentropfen oder -sprays mit schleimhautabschwellenden Mitteln erzielen den gleichen Effekt, indem sie die Schleimhaut der Nase abschwellen lassen. Hat sich jedoch bereits Sekret gebildet, kann für die Nasentropfen kein positiver Effekt nachgewiesen werden. Vielmehr überwiegen die Nebenwirkungen der Behandlung. Abschwellende Nasentropfen dürfen generell nicht öfter als dreimal täglich und nicht länger als fünf bis sieben Tage eingesetzt werden. Bei Kindern unter zwölf Jahren, insbesondere bei Neugeborenen und Säuglingen, sind bei Schnupfen aber Kochsalzlösungen generell zu bevorzugen. Wenn abschwellende Mittel eingesetzt werden müssen, etwa bei Schlaf- oder Trinkproblemen, müssen Dosierung und Anwendungshäufigkeit streng eingehalten werden.
Um eine akute Mittelohrentzündung zu behandeln, eignen sich auch Ohrentropfen mit der Kombination aus einem Mittel zur örtlichen Betäubung und einem Schmerzmittel nicht. Die therapeutische Wirksamkeit der äußerlichen Anwendung des Schmerzmittels Phenazon ist bei Ohrenentzündungen nicht ausreichend nachgewiesen. Zudem erreichen die Wirkstoffe den Entzündungsort nicht, wenn das Trommelfell intakt ist. Hat es aber bereits ein Loch, besteht die Gefahr, dass die Wirkstoffe in das Innenohr gelangen und es schädigen. Diese Ohrentropfen werden daher als "wenig geeignet" bewertet.
Rezeptpflichtige Mittel
Akute Mittelohrentzündung
Auch rezeptpflichtige Ohrentropfen, die Glucocorticoide und andere Substanzen enthalten, erreichen bei intaktem Trommelfell das Mittelohr nicht. Diese Ohrentropfen werden somit ebenfalls als "wenig geeignet" bewertet.
Ist im Trommelfell dagegen ein Paukenröhrchen eingesetzt, können die Wirkstoffe aus den Ohrenmitteln das Mittelohr erreichen. In diesem Fall ist bei akuten Mittelohrentzündungen auch die Anwendung von Ohrentropfen möglich. Eine Kombination aus einem Glucocorticoid und einem Antibiotikum – entweder Dexamethason + Ciprofloxacin oder Fluocinolon + Ciprofloxacin – ist hierfür "mit Einschränkung geeignet". Es liegen noch zu wenige Untersuchungen vor, die die Vorteile der Kombination gegenüber den jeweiligen Einzelmitteln verlässlich aufzeigen. Bei dem Antibiotikum handelt es sich zudem um das Reserveantibiotikum Ciprofloxacin. Wird das Mittel breiter eingesetzt, steigt auch bei der Anwendung als Ohrentropfen die Gefahr der Resistenzbildung.
Sollte bei einer akuten Mittelohrentzündung die Anwendung von Antibiotika erforderlich sein, sind das Penicillin Amoxicillin sowie Cephalosporine wie Cefpodoxim oder Cefuroxim Mittel der Wahl. Näheres zu diesen Mitteln erfahren Sie unter Bakterielle Infektionen allgemein.
Chronische Mittelohrentzündung
Die oben genannten innerlich angewendeten Antibiotika können eine chronische Mittelohrentzündung unterbrechen. Solange das Trommelfell jedoch defekt bleibt, kehrt sie immer wieder.
Hier können Ohrentropfen mit dem Antibiotikum Ciprofloxacin hilfreich sein. Die lokale Anwendung von Ciprofloxacin scheint nach den bisherigen Untersuchungen eine chronische Mittelohrentzündung deutlicher zu bessern als Antibiotika zum Einnehmen. Zudem sind für Ciprofloxacin noch keine ohrschädigenden Effekte, wie sie bei manchen anderen Antibiotika auftreten, bekanntgeworden. Weil an den Studien zu diesem Arzneimittel aber erst relativ wenig Personen teilgenommen haben und auch noch nicht klar ist, wie sich seine Anwendung über längere Zeit auf das Trommelfell und das Hörvermögen auswirkt, wird es als "mit Einschränkung geeignet" bewertet.