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Harninkontinenz

Allgemeines

Bei einer Harninkontinenz lässt sich die Blasenentleerung nicht mehr sicher kontrollieren oder die Kontrolle ist ganz verloren gegangen. Es werden verschiedene Formen von Inkontinenz unterschieden. Die am häufigsten vorkommenden sind Belastungsinkontinenz und Dranginkontinenz. Bei 30 von 100 Betroffenen handelt es sich um eine Mischform dieser beiden Inkontinenzarten.

Bei Menschen, denen eine überaktive Blase (Reizblase) zu schaffen macht, können sich im Laufe der Erkrankung Beschwerden entwickeln, wie sie für Dranginkontinenz typisch sind. Sie werden dann entsprechend behandelt.

Bei Kindern

Bei Kindern dauert es eine gewisse Zeit, bis das Zusammenspiel von Gehirn, Blasenmuskulatur und Beckenboden so weit ausgereift ist, dass sie die Speicherung des Urins und die Entleerung der Blase willentlich steuern können. Wenn sie noch nach ihrem fünften Geburtstag häufiger tagsüber oder nachts einnässen, beruht dies meist auf einer Verhaltensstörung. Wenn dies ausschließlich in der Nacht passiert, spricht man oft von Bettnässen. Fachleute nennen es Enuresis nocturna. Hierfür gelten spezielle Ratschläge.

Anzeichen und Beschwerden

Belastungsinkontinenz

Eine Belastungs- oder auch Stressinkontinenz ist bei Frauen vor den Wechseljahren die häufigste Form der Inkontinenz. Vor allem wenn Druck auf dem Bauchraum lastet, zum Beispiel beim Husten und Niesen, verlieren die Betroffenen unfreiwillig Urin. Im weiteren Verlauf kann auch bei abrupten Bewegungen Urin abgehen, im späteren Stadium sogar im Liegen.

Dranginkontinenz

Bei dieser Form der Inkontinenz ist das Gefühl, zur Toilette gehen zu müssen, sehr drängend, ein Aufschub nicht möglich. Ist die Toilette nicht sofort erreichbar, geht unwillkürlich Urin ab. Nachts wird dann oft das Bett nass. Dieser Drang besteht, obwohl die Blase nur wenig gefüllt ist.

Das häufige Wasserlassen kann von Brennen und Schmerzen begleitet sein.

Ursachen

Belastungsinkontinenz

Der Verschlussmechanismus der Harnröhre ist instabil, weil die daran beteiligten Beckenbodenmuskeln schwach sind. Bei Frauen sind die häufigste Ursache dafür mehrere Geburten. Auch nach einer Gebärmutterentfernung kann Stressinkontinenz auftreten und Übergewicht geht ebenfalls häufig damit einher. Bei Männern kann eine Belastungsinkontinenz auf Schädigungen durch eine Operation der Prostata oder des Darmes beruhen.

Zu den Medikamenten, die diese Art von Inkontinenz auslösen können, gehören der Alpha-1-Rezeptoren-Blocker Terazosin (bei Prostatavergrößerung) sowie Baclofen und Dantrolen (beide bei Muskelverspannungen).

Der Lebensstil kann sich darauf auswirken, wie stark sich die Beschwerden einer Belastungsinkontinenz ausprägen. So können coffeinhaltige Getränke wie Kaffee, schwarzer und grüner Tee aufgrund ihrer wasserausschwemmenden Wirkung das Geschehen verschlimmern. Rauchen und der begleitende chronische Husten gehen häufig mit Stressinkontinenz einher.

Dranginkontinenz

Diese Art von Inkontinenz geht von fehlgeleiteten Nervenimpulsen in der Blasenmuskulatur aus. Die Botschaft "Die Blase ist gefüllt" kommt bereits, wenn sie erst wenig Urin enthält. Ein zweites Nervensignal aktiviert den Blasenschließmuskel so sehr, dass die Entleerung nicht mehr steuerbar ist.

Auch im Zusammenhang mit Harnwegsinfektionen, Nierensteinen, Tumoren und Nervenstörungen kann sich eine Dranginkontinenz ausbilden. Diese Ursachen müssen ausgeschlossen werden, weil eine derartige Dranginkontinenz anders behandelt werden muss als die übliche.

Besonders bei älteren Menschen kann eine bestehende Blasenschwäche durch bestimmte Medikamente leicht zu einer Dranginkontinenz führen. Zu diesen Medikamenten gehören Acetylcholinesterasehemmer (bei Demenzen), Betablocker und Diuretika (bei hohem Blutdruck) und Alprostadil (Injektionsmittel bei schwerer peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Erektionsstörungen).

Vorbeugung

Schwere körperliche Tätigkeiten beanspruchen den Beckenboden sehr. Menschen, die zu Belastungsinkontinenz neigen, sollten vor allem nicht schwer heben oder tragen. Auch Verstopfungen sollten vermieden werden, weil häufiges starkes Pressen beim Stuhlgang die Muskeln und Nerven des Beckenbodens schädigen kann.

Übergewicht zu vermeiden ist sinnvoll, da Inkontinenz mit steigendem Gewicht häufiger auftritt.

Allgemeine Maßnahmen

Vor jeder Art medikamentöser Behandlung sollten ausreichend lange andere Maßnahmen durchgeführt werden: Blasentraining, Beckenbodentraining, Biofeedback und Elektrostimulation. Bei Belastungsinkontinenz wird insbesondere Beckenbodentraining empfohlen, bei Dranginkontinenz Blasentraining. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen zur Verbesserung der Beschwerden ist – regelmäßiges Training vorausgesetzt – ausreichend nachgewiesen.

Bei einem Blasentraining gewöhnt man sich an, in festgelegten und langsam immer größer werdenden Zeitabständen zur Toilette zu gehen – unabhängig davon, ob das Gefühl, Wasser lassen zu müssen, besteht oder nicht. Dieses Training sollte mindestens sechs Wochen lang durchgeführt werden.

Ein gezieltes Training der Muskeln des Beckenbodens lässt sich beispielsweise bei Hebammen und Physiotherapeuten erlernen und muss regelmäßig durchgeführt werden. Dabei lernt man, die Muskeln des Beckenbodens willkürlich zu bewegen und dadurch zu stärken – ähnlich wie bei anderen Muskeln. Wenn man regelmäßig trainiert, lässt sich die Wirkung nach etwa drei Monaten beurteilen.

Für übergewichtige Frauen kann eine Gewichtsabnahme lohnenswert sein. Das legt eine US-amerikanische Studie nahe, in der sich übergewichtige Frauen mit mindestens zehn Inkontinenzvorfällen pro Woche ein halbes Jahr lang einem Abnehmprogramm unterzogen haben. Die Frauen verloren im Durchschnitt acht Prozent ihres Gewichts, und die Zahl der Inkontinenzereignisse halbierte sich nahezu.

Möglicherweise ist es auch hilfreich, den Konsum von koffeinhaltigen Getränken zu begrenzen. Mehr als 200 Milligramm Coffein pro Tag – das entspricht etwa zwei Tassen Kaffee – können die Beschwerden verstärken. Coffein wirkt harntreibend und erhöht zudem den Druck in jenen Muskelpartien der Harnblase, die für die Blasenentleerung verantwortlich sind.

Frauen mit Belastungsinkontinenz kann vom Frauenarzt oder der Frauenärztin ein Pessar angepasst werden, das bei körperlicher Aktivität die Harnröhre und Blase stützt. Solche Pessare sind kleine Schalen, Würfel oder Ringe aus Gummi oder Silikon. Die Frauen können dieses Hilfsmittel je nach Bedarf selbst einführen und entfernen.

Frauen in und nach den Wechseljahren, die unter Stress- oder Dranginkontinenz leiden und zudem eine trockene Scheide haben, können versuchen, ob ihnen ein östrogenhaltiges Vaginalprodukt Erleichterung bringt. Die Veränderungen der Scheidenhaut können zu häufigem und schmerzhaftem Wasserlassen führen und zu einer Inkontinenz beitragen. Studienergebnisse deuten darauf hin, dass östrogenhaltige Vaginalprodukte die Beschwerden lindern können. Allerdings ist nicht klar, ob der Effekt anhält, nachdem das Mittel abgesetzt wurde.

Wenn allgemeine Maßnahmen und Medikamente die Beschwerden nicht ausreichend bessern, kommen operative Maßnahmen in Betracht. Bei Belastungsinkontinenz platzieren Ärztinnen und Ärzte beispielsweise ein Band im Bereich der Harnröhre, um sie zu stützen. Bei Dranginkontinenz versuchen sie, die Blase „ruhig zu stellen“, etwa indem sie Nerven elektrisch stimulieren. Oder sie injizieren Botulinumtoxin (Botox) in mehrere Stellen der Blasenwand. Die Wirkung hält allerdings häufig nicht länger als ein Jahr lang an; gegebenenfalls ist der Eingriff daher zu wiederholen.

Inkontinenzeinlagen können das Leben erleichtern. Verordnet sie eine Ärztin oder ein Arzt, zahlen die Krankenkassen dafür.

Wann zum Arzt?

Wenn Sie unter einer Inkontinenz leiden, kann es helfen, sich beim Arzt über die unterschiedlichen Unterstützungs- und Behandlungsmöglichkeiten zu informieren.

Es ist sinnvoll, vor dem Arztbesuch ein „Blasentagebuch“ zu führen, in welchem Sie für zwei bis drei Tage notieren, wie viel Sie getrunken haben, wie oft Sie zur Toilette mussten, wie viel Urin Sie ausgeschieden haben, ob und wie viele Inkontinenzereignisse aufgetreten sind und wie deren Begleitumstände waren. So können Sie dem Arzt das Ausmaß Ihrer Beschwerden besser verdeutlichen.

Behandlung mit Medikamenten

Rezeptpflichtige Mittel

Belastungsinkontinenz

Duloxetin ist der erste Wirkstoff, der zur Behandlung einer Belastungsinkontinenz auf den Markt kam. Er wurde ausschließlich für den Einsatz bei Frauen zugelassen. Die Studienteilnehmerinnen, die das Mittel bekamen, berichteten über etwas weniger unfreiwillige Harnabgänge als die, die ein Scheinmedikament einnahmen. Ob eine derart geringfügige Besserung es aber rechtfertigt, ein Arzneimittel einzunehmen, muss individuell entschieden werden – zumal mit erheblichen Nebenwirkungen zu rechnen ist. Bis sich das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Duloxetin besser einschätzen lässt, werden die Präparate als "mit Einschränkung geeignet" beurteilt.

Dranginkontinenz

Die meisten Medikamente gegen Inkontinenz sind dazu gedacht, eine Dranginkontinenz zu beeinflussen. Die eingesetzten Wirkstoffe sollen die Blasenmuskulatur daran hindern, sich zusammenzuziehen. Es gibt jedoch nicht die „ideale“ Substanz, die ausschließlich die Bindungsstellen an den unteren Harnwegen ansteuert, weshalb eine Reihe von Nebenwirkungen auftreten. Anhand von Studien ist belegt, dass die Spasmolytika Oxybutynin, Tolterodin, Fesoterodin, Desfesoterodin, Trospium und Propiverin auf die Blasenmuskulatur wirken. Da sich die Inkontinenz bei einem großen Teil der Betroffenen aber trotzdem nicht spürbar bessert und die Mittel zudem erhebliche unerwünschte Wirkungen mit sich bringen können, lautet die Bewertung "mit Einschränkung geeignet". Länger als drei Monate sollte die Behandlung nur fortgesetzt werden, wenn sich die Beschwerden währenddessen deutlich gebessert haben.

Auf die gleiche Weise wirken die beiden Wirkstoffe Darifenacin und Solifenacin. Da sie Bindungsstellen ansteuern, die vornehmlich an der Blase, nicht aber am Herzen und im Gehirn auftreten, sollen sie diese Organe weniger mit unerwünschten Wirkungen belasten als die bisher eingesetzten Wirkstoffe. Ob das tatsächlich zutrifft, ist jedoch noch nicht ausreichend nachgewiesen. Daher werden auch diese Arzneistoffe als "mit Einschränkung geeignet" bewertet. Mittel, die den Wirkstoff verzögert freisetzen, werden besser vertragen als solche, die ihn rasch freisetzen. Ob das dazu führt, dass die Behandlung seltener abgebrochen wird, ist noch nicht ausreichend untersucht.

Mirabegron ist der erste Vertreter einer neuen Wirkstoffgruppe. Er dockt an bestimmte Bindestellen der Blasenmuskulatur (Beta-3-Rezeptoren) an und erregt diese. Dadurch entspannt die Harnblasenmuskulatur, wodurch sich die Speicherfunktion der Blase verbessert. Dadurch können Toilettengänge und unfreiwilliger Harnabgang mäßig verringert werden. Das Mittel wirkt damit nicht besser als andere hier bewertete Mittel, weist aber aufgrund seines andersartigen Wirkmechanismus nicht deren typische Nebenwirkungen auf. So tritt beispielsweise Mundtrockenheit seltener auf. Die Verträglichkeit von Mirabegron in der Dauerbehandlung sollte noch besser untersucht werden. Es gilt als „mit Einschränkung geeignet“.

Eine Auswertung der bisherigen Behandlungsergebnisse bei Dranginkontinenz kommt zu dem Schluss, dass eine Kombination aus Blasentraining und Medikament am ehesten Erfolg verspricht und dass die medikamentöse Behandlung allein eine deutlichere Erleichterung bringt als das Training der Beckenbodenmuskulatur allein. Allerdings profitieren Frauen mit Dranginkontinenz generell mehr von einem Blasentraining als vom Training der Beckenbodenmuskulatur.

Neue Medikamente

Der Wirkstoff Botulinumtoxin A ist unter dem Namen Botox vor allem zur Behandlung von Falten bekannt. Medizinisch wird er seit einigen Jahren bei Patienten mit Querschnittslähmung oder multipler Sklerose eingesetzt, deren Reizleitung im Urogenitaltrakt eingeschränkt oder unterbrochen ist und die daher inkontinent sind. Nun wird das Mittel auch bei Patienten angewendet, die auf besser untersuchte und langjährig erprobte Mittel wie Oxybutynin, Trospium oder Tolterodin nicht ausreichend angesprochen haben. Dann wird Botulinumtoxin im Rahmen eines endoskopischen Eingriffs in die Blasenwand injiziert. Die Substanz blockiert die überaktiven Nervenimpulse, sodass der Schließmuskel wieder kontrolliert gesteuert werden kann. Die Injektion darf erst nach drei Monaten wiederholt werden.