Allgemeines
Von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) sprechen Ärzte, wenn Kinder durch auffällige Konzentrationsschwäche, starken Bewegungsdrang oder Impulsivität und Aggressivität auffallen. Nach der englischen Bezeichnung heißt diese Verhaltensauffälligkeit auch "attention deficit hyperactivity disorder" (ADHD), früher sprach man vom hyperkinetischen Syndrom (HKS). Hierzulande kennt man es auch unter dem Namen "Zappelphilipp"-Syndrom.
ADHS gehört bei Kindern und Jugendlichen zu den häufigsten Beeinträchtigungen der Entwicklung. Zurzeit wird bei knapp 5 von 100 Kindern und Jugendlichen in Deutschland die Diagnose ADHS gestellt. Der Anteil an Jungen mit der Diagnose ADHS ist etwa viermal so groß wie der der Mädchen. Jungen fallen vor allem durch ausgeprägte körperliche Unruhe auf, bei Mädchen sticht meist ein Aufmerksamkeitsdefizit mit Tagträumen, vermehrtem Reden und Vergesslichkeit hervor. Kinder aus sozial schwachen Familien bekommen die Diagnose ADHS häufiger als solche aus bessergestellten Familien.
Kritische Stimmen merken an, dass die Diagnose mitunter hinterfragt werden sollte. Nur etwa ein Viertel der Kinder würde die geforderten Kriterien für eine ADHS erfüllen. Es wird vermutet, dass Kinder, die etwas unruhiger sind, die Diagnose erhalten, obwohl sie eigentlich gesund sind.
Eine deutsche Untersuchung gibt Hinweise darauf, dass Kinder- und Jugendpsychiater und -psychotherapeuten die Diagnose ADHS auch dann stellen, wenn die Kriterien dafür nur teilweise erfüllt sind. Jungen scheinen häufiger solche Fehldiagnosen zu bekommen als Mädchen. Es kann aber auch vorkommen, dass ADHS bei Kindern nicht erkannt wird und dann eine sinnvolle therapeutische Begleitung unterbleibt.
Nicht immer vergeht diese Verhaltensauffälligkeit mit dem Ende der Kindheit. Bei etwa der Hälfte der Betroffenen bleibt sie zumindest teilweise auch im Erwachsenenalter bestehen. Dabei sind Männer und Frauen in etwa gleich häufig betroffen.
Anzeichen und Beschwerden
Bei manchen Kindern zeigt sich ADHS schon in den ersten Lebensjahren. Sie fangen meist schon vor dem ersten Geburtstag an zu laufen, lernen jedoch eher schwer und spät sprechen. Im Kindergarten- und Schulalter können sie kaum stillsitzen, sich im Unterricht oder beim Spiel nicht konzentrieren, sie lassen sich leicht ablenken, sind sehr vergesslich, unaufmerksam, zappelig, teilweise auch aggressiv. Manche Kinder sind ungewöhnlich energiegeladen. Die daraus resultierende Unruhe und der ungestüme Bewegungsdrang werden dann in der Schule meist zum Problem, weil die Kinder den Unterricht massiv stören. Mangelnde Aufmerksamkeit und Konzentrationsschwäche ziehen oft Lernschwierigkeiten und Sprechstörungen nach sich. Negative Rückmeldungen wegen des auffälligen Verhaltens und eine Geringschätzung des Kindes können das Selbstwertgefühl des Kindes beeinträchtigen und sowohl Kind als auch Eltern isolieren.
Manche Kinder bleiben in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung zurück, obwohl sie normal begabt sind, oft sogar hoch begabt. Das auffällige Verhalten ist aber so dominant, dass es die gesamte Entwicklung des Kindes beeinträchtigen kann.
Als krankhaft sind diese Störungen einzustufen, wenn sie vor dem siebten Lebensjahr und nicht nur in bestimmten Umgebungen (z. B. beim Besuch bei den Großeltern) oder Situationen (Unterricht bei einem bestimmten Lehrer) auftreten, länger als sechs Monate bestehen und nicht durch spezielle Umstände (z. B. Benachteiligung gegenüber Geschwistern, Trennung der Eltern, körperliche oder seelische Gewalt) zu erklären sind.
Mit zunehmendem Alter lässt die Bewegungsunruhe nach, die Betroffenen bleiben oft jedoch zeitlebens sehr impulsiv und unaufmerksam. Manche sind seelisch sehr labil oder werden leicht depressiv. Im Erwachsenenalter haben ehemalige ADHS-Kinder ein deutlich erhöhtes Risiko für Suchterkrankungen.
Die Betroffenen sind im Vergleich zu anderen im Haushalt, beim Sport und auf der Straße stärker unfallgefährdet.
Im Erwachsenenalter kann sich die Störung durch emotionale Instabilität, mangelndes Zeitgefühl und schlechte Organisation des Alltags, Impulsivität und Ruhelosigkeit sowie Überaktivität äußern. In Untersuchungen fällt auf, dass mit der Diagnose ADHS insbesondere bei Frauen ein Zusammenhang mit einer erhöhten Sterblichkeitsrate besteht. Andererseits sind einige Betroffene mit einer überdurchschnittlichen Kreativität und Intuition ausgestattet. Manche fallen auch durch Begeisterungsfähigkeit und Hingabe bei spannenden Aufgaben auf.
Ursachen
ADHS ist nicht auf eine einzelne Ursache zurückzuführen, sondern vielschichtig. Die Ursachen für ADHS liegen auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene. Es kann auch eine genetische Anlage geben, die zu Störungen im Stoffwechsel des Nervenbotenstoffs Dopamin führt. Auch Nikotin-, Alkohol- oder Drogenkonsum der Mutter während der Schwangerschaft wird mit einer späteren Erkrankung des Kindes in Verbindung gebracht. Darüber hinaus scheint es eine Rolle zu spielen, ob das Kind zu früh geboren wurde oder in der frühen Kindheit eine schwere Hirnerkrankung gehabt hat.
Oft liegt die Verhaltensauffälligkeit in familiären Schwierigkeiten oder seelischer Überforderung begründet. Ist das Kind von Menschen umgeben, die es ablehnen, bedrohen und bestrafen, verfestigen sich auffällige Verhaltensweisen eher, als wenn es sich geliebt, unterstützt und geborgen fühlen kann.
Allgemeine Maßnahmen
Als Verhaltensauffälligkeit sollte ADHS in erster Linie verhaltenstherapeutisch und pädagogisch behandelt werden. Fachleute dafür sind Kinder- und Jugendpsychiater sowie Kinderpsychologen. Das therapeutische Konzept sollte alle Beteiligten mit einbeziehen: Kind, Eltern, Geschwister, Betreuer, Lehrer.
Nehmen Sie an Ihrem Kind Konzentrationsschwäche, Ungeduld oder körperliche Impulsivität wahr, forschen Sie zunächst nach, ob es etwas bedrückt. Falls Ihr Kind einen starken Bewegungsdrang hat, geben Sie diesem nach. Fördern Sie diese Bewegungsfreude und versuchen Sie eine passende Freizeitbeschäftigung zu finden.
Vielen Kindern helfen Sport- und Bewegungstherapien, die die Eigenwahrnehmung unterstützen. Vor allem Sportarten, die das Kind allein ausführt, sind hilfreich. Bei Mannschaftssportarten stört meist die mit der Erkrankung einhergehende unkontrollierbare Impulsivität. Manchmal ist auch ein Hör- oder Sehtraining hilfreich.
Belastete Eltern können in speziellen Programmen lernen, den Verhaltensauffälligkeiten ihres Kindes angemessener zu begegnen und das Familienleben entsprechend den besonderen Erfordernissen ihres Kindes zu gestalten. Dazu gehören z. B. ein klar strukturierter Tagesablauf, feste Schlafenszeiten, Regeln und Rituale und die positive Verstärkung gewünschten Verhaltens.
Auch beschäftigungstherapeutische Maßnahmen können hilfreich sein, die Ordnung im Umfeld des Kindes (z. B. im Kinderzimmer oder bei der Erledigung von Schularbeiten) zu unterstützen.
Wann zum Arzt?
Wenn Sie Verhaltensauffälligkeiten an ihrem Kind bemerken, sollten Sie zunächst das Gespräch mit den Pädagogen suchen, die mit Ihrem Kind Zeit verbringen. Versuchen Sie den Problemen mit den unter "Allgemeine Maßnahmen" aufgeführten geeigneten, pädagogischen Maßnahmen zu begegnen. Wenn Ihr Kind trotz dieser Bemühungen soziale Probleme im Kindergarten, in der Schule und in einer Gemeinschaft hat, sollten Sie für eine eingehende Beratung einen hierin erfahrenen Kinderarzt aufsuchen. Ob die Auffälligkeiten Ihres Kindes tatsächlich auf der Erkrankung ADHS beruhen, wird am besten von einem Spezialisten für Verhaltensstörungen bei Kindern abgeklärt. Dies sind Kinder- und Jugendpsychiater- oder entsprechende Psychotherapeuten, die meist mit den Kinderärzten zusammenarbeiten. Nur mit einer fachgerechten Diagnose lässt sich sicherstellen, dass nur die Kinder, die an ADHS erkrankt sind, entsprechende Medikamente bekommen.
Ob die unter Anzeichen beschriebenen Verhaltensweisen eines Kindes tatsächlich auf der Erkrankung ADHS beruhen, muss von einem Spezialisten für Verhaltensstörungen bei Kindern abgeklärt werden. Dazu kommen Kinder- und Jugendpsychiater- oder entsprechende Psychotherapeuten in Frage. Nur mit einer fachgerechten Diagnose lässt sich vermeiden, dass Kindern, die nicht an ADHS erkrankt sind, Medikamente verschrieben werden, die sie nicht benötigen. Eine deutsche Untersuchung gibt Hinweise darauf, dass Kinder- und Jugendpsychiater und -psychotherapeuten die Diagnose ADHS auch dann stellen, wenn die Kriterien dafür nur teilweise erfüllt sind. Jungen scheinen häufiger solche Fehldiagnosen zu bekommen als Mädchen. Es kann aber auch vorkommen, dass ADHS bei Kindern nicht erkannt wird und dann eine sinnvolle therapeutische Begleitung unterbleibt.
Behandlung mit Medikamenten
Zu Beginn der Behandlung muss im Gespräch zwischen Eltern und Arzt – auch unter Einbeziehung der Lehrer – deutlich werden, dass die Behandlung vor allem für das Kind selbst von Nutzen sein muss. Dafür ist zunächst einmal zu klären, wem das Verhalten des Kindes Probleme bereitet und welcher Art die Schwierigkeiten sind: Belasten die Unruhe und Unaufmerksamkeit das Kind? Leiden die Mitschüler unter der Aggressivität und Impulsivität des Kindes? Hat das Kind durch sein ungesteuertes Verhalten Probleme, Freunde zu finden? Oder beschweren sich vornehmlich die Erwachsenen über ein störendes, unangepasstes Kind? Die Entscheidung für eine medikamentöse Behandlung setzt voraus, dass die möglichen Nebenwirkungen der Medikamente und deren erhofften positiven Effekten auf die Lern- und Verhaltensentwicklung des Kindes sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
Medikamente einzusetzen sollte bei ADHS erst dann erwogen werden, wenn pädagogische Maßnahmen sowie Verhaltens- oder Psychotherapie allein die Lebenssituation nicht ausreichend bessern konnten und zu befürchten ist, dass die Verhaltensstörung den Lebensweg des Kindes nachhaltig beeinträchtigen wird. Ohnehin dürfen Kinder erst ab dem Schulalter mit ADHS-Medikamenten behandelt werden, da die Mittel erst ab sechs Jahren zugelassen sind.
Kinder sollten das Medikament, mit dem ADHS behandelt werden soll, nur begrenzte Zeit einnehmen. Mindestens einmal im Jahr muss es versuchsweise abgesetzt werden. So lässt sich erkennen, ob sich das Verhalten des Kindes gebessert hat und die medikamentöse Behandlung möglicherweise beendet werden kann.
Rezeptpflichtige Mittel
Nur wenn alle Voraussetzungen für eine medikamentöse Behandlung erfüllt sind, wird der meist verordnete Wirkstoff Methylphenidat zur Behandlung von Kindern mit ADHS als "geeignet" bewertet. Methylphenidat verbessert die typischen ADHS-Symptome: die Hyperaktivität lässt nach und die Aufmerksamkeit steigt.
Wenig geeignet ist er jedoch, wenn seine Anwendung nicht in ein psychotherapeutisches Gesamtkonzept eingebunden ist.
Langzeitauswertungen zeigen aber, dass bei zuvor medikamentös wie auch psychotherapeutisch behandelten Jugendlichen weiterhin ein erhöhtes Risiko besteht, im späteren Leben straffällig zu werden oder vermehrt Drogen zu konsumieren.
Wenn neben nicht-medikamentösen Maßnahmen auch eine Behandlung mit Methylphenidat als Mittel der Wahl nicht ausreichend erfolgreich war, kann Lisdexamfetamin bei ADHS eingesetzt werden. Dass das Mittel ebenso gut wirkt wie Methylphenidat, ist nicht ausreichend gesichert. Aber auch therapeutische Vorteile gegenüber Atomoxetin sind nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Für Lisdexamfetamin fehlen zudem noch Studien, die eine gute Verträglichkeit bei längerer Anwendung belegen. Da Lisdexamfetamin im Vergleich zu Methylphenidat noch weniger gut erprobt ist, wird es bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS, die zuvor ohne Erfolg mit Methylphenidat behandelt wurden, als "auch geeignet" bewertet.
Auch durch eine Behandlung mit Atomoxetin kann sich das Verhalten der betroffenen Kinder bessern. Es beeinflusst aber offensichtlich die ADHS-Symptomatik weniger gut als Methylphenidat. Außerdem fehlen noch Studien, die ausreichend belegen, wie sich die Anwendung der Substanz über längere Zeit auswirkt. Es bestehen auch noch Bedenken, ob der Wirkstoff bei langfristiger Anwendung ausreichend verträglich ist. Atomoxetin gilt daher zur Behandlung von ADHS, wenn nicht medikamentöse Maßnahmen nicht ausreichend wirken, als "mit Einschränkung geeignet".
Guanfacin ist zur Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen wenig geeignet. Das Mittel kann zwar das Beschwerdebild gegenüber einer Scheinbehandlung verbessern, scheint aber weniger wirksam zu sein als Stimulanzien wie Methylphenidat und Lisdexamfetamin. Der Wirkstoff macht zudem müde, beeinflusst den Herzschlag und kann den Blutdruck deutlich absenken. Die vorliegenden Untersuchungsdaten lassen erkennen, dass eine Behandlung mit Guanfacin häufiger wegen unerwünschter Wirkungen abgebrochen wird als eine solche mit Methylphenidat oder Atomoxetin. Es sollte erst zum Einsatz kommen, wenn besser bewertete Mittel nicht ausreichend wirken oder nicht eingesetzt werden können.
Bei Erwachsenen
Die medikamentöse Therapie von ADHS über das 18. Lebensjahr hinaus ist noch kein medizinischer Standard, ebensowenig die Behandlung einer ADHS, die erstmalig im Erwachsenenalter diagnostiziert wurde. Allerdings gibt es Produkte mit Atomoxetin, Lisdexamfetamin und Methylphenidat, die zur Behandlung von Erwachsenen mit ADHS gedacht und auch zugelassen sind. Atomoxetin und Methylphenidat können eingesetzt werden, wenn ADHS-Symptome nach dem 18. Geburtstag fortbestehen oder wenn bei einem Erwachsenen festgestellt wird, dass seine Probleme in der Kinder- und Jugendzeit auf ADHS beruhten. Lisdexamfetamin kommt für Erwachsene dann infrage, wenn die Beschwerden nach dem Absetzen der bisherigen Medikation fortbestehen. Innere Unruhe, Impulsivität und Konzentrationsschwäche bessern sich zwar auch bei Erwachsenen durch die Behandlung. Insgesamt liegen aber noch nicht genügend Studien zum Nutzen und zu den Risiken einer Behandlung von Erwachsenen vor. Ferner ist noch nicht abschließend zu beurteilen, wie sich die Behandlung über eine lange Zeit auswirkt. Mittel zur Behandlung von Erwachsenen mit ADHS gelten daher als "mit Einschränkung geeignet".