Das System der Pflegegrade
Wer Pflege braucht und Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung erhalten möchte, muss einen Pflegegrad haben. Dieser kann zwischen 1 und 5 liegen und ist davon abhängig, wie ein Mensch seinen Alltag allein bewältigt – und was er nicht ohne Hilfe anderer schafft. Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung sind etwa die Unterstützung durch Pflegekräfte oder Pflegegeld für die Hilfe durch nahestehende Menschen.
Sechs Module entscheiden über die Einstufung
Kommt es nach Antrag auf Pflegeleistungen zur Begutachtung, erfolgt die Entscheidung über die Pflegebedürftigkeit anhand bestimmter Kriterien aus den Begutachtungs-Richtlinien. Danach werden die individuellen Beeinträchtigungen und Fähigkeiten eines Menschen in sechs pflegerelevanten Lebensbereichen begutachtet, um den Grad seiner Pflegebedürftigkeit festzustellen. Diese Bereiche werden Module genannt.
- Beim Modul „Mobilität“ geht es darum, wie sich ein Mensch alleine fortbewegen, drehen und sitzen kann.
- Das Modul Kognitive und kommunikative Fähigkeiten erfasst, wie gut sich ein Mensch in Ort und Zeit zurechtfindet, wie gut er sich erinnert und ob er Gefahren erkennen und sich am Gespräch beteiligen kann.
- Bei den „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“ ist etwa relevant, ob und wie aggressiv ein Mensch ist, ob er sich oder andere schädigt. Gefragt wird hier auch nach seinen Ängsten.
- Unter „Selbstversorgung“ fällt, inwieweit jemand fähig ist, sich zu waschen, zu essen, zu trinken und auf die Toilette zu gehen.
- Im Modul „Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen“ wird beispielsweise erfasst, wie selbstständig ein Mensch Medikamente einnehmen kann und ob er allein zum Arzt gehen kann oder begleitet werden muss.
- Bei der „Gestaltung des Alltagslebens“ fragt der Gutachter danach, wie selbstständig ein Mensch seinen Tag gestalten und Kontakte pflegen kann.
Zwei Bereiche außerhalb der Bewertung
Hinzu kommen noch zwei weitere Bereiche, die außerhäuslichen Aktivitäten und die Haushaltsführung, in denen die Einschränkungen zwar festgehalten werden, die jedoch nicht bei der Berechnung des Pflegegrades zählen.
Gesetzliche Grundlage
Reform von 2017. Das zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II), das Anfang 2017 in Kraft trat, ersetzte die bis dahin geltenden Pflegestufen 0 bis III durch fünf Pflegegrade.
Sechs Monate Bedarf. Abhängig vom Pflegebedarf stufen die Pflegekassen die Pflegebedürftigen in die Pflegegrade ein. Deren Definition ist in Paragraf 15 Sozialgesetzbuch (SGB) XI geregelt. Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung hat jeder, der mehr als sechs Monate Pflege braucht.
Zentral – die verbliebene Selbstständigkeit
Die Begutachtung findet in der Regel in der Wohnumgebung des Versicherten statt, coronabedingt zurzeit aber auch häufig nur telefonisch. Zentrale Frage dabei ist, wie selbstständig der Versicherte seinen Alltag bewältigt und welche Tätigkeiten er dabei selbst nicht mehr ausführen kann. Anhand von 64 Kriterien, die den Modulen zugeordnet sind, werden Selbstständigkeit und Pflegebedarf ermittelt.
Pro Kriterium vergibt der Sachverständige Punkte, die in die Gesamtpunktzahl eines Moduls einfließen. Die Punkte liegen dabei zwischen 0, wenn keine Beeinträchtigungen, und bei 4 Punkten, wenn schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit festgestellt werden:
- „Selbstständig“ ist ein Versicherter dann, wenn er eine Tätigkeit allein ausführen kann, ohne dass er die Hilfe einer anderen Person braucht. Er ist auch dann selbstständig, wenn er ein Hilfsmittel nutzt, etwa eine Gehhilfe, um sich von einem Zimmer ins andere zu bewegen.
- „Überwiegend selbstständig“ ist ein Versicherter, wenn eine andere Person ihm mit geringem, mäßigen Aufwand hilft.
- „Überwiegend unselbstständig“ ist er für den Fall, wenn er nur ein kleinen Teil einer Handlung selbstständig ausgeführt wird. Das kann auch die ständige Anleitung oder das Motivieren mit einschließen. Teilschritte einer Handlung müssen übernommen und Gegenstände zurechtgelegt werden.
- „Unselbstständig“ trifft zu, wenn die pflegende Person nahezu alle Handlungen anstelle der betroffenen Person durchführen muss.
Gesamtbewertung – die Module werden gewichtet
In einem zweiten Schritt wird das Modul gewichtet und so in die Gesamtwertung des Pflegegrades miteinbezogen. Folgende Gewichtung ist den einzelnen Modulen zugewiesen:
- Mobilität: 10 Prozent
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten: 15 Prozent oder
- Verhalten und psychische Probleme: 15 Prozent
- Selbstversorgung: 40 Prozent
- Bewältigung und Umgang mit Therapie und Krankheit: 20 Prozent
- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: 15 Prozent
Der Gutachter achtet auch auf den Rehabilitationsbedarf und prüft die Versorgung mit Hilfsmitteln wie ein Pflegebett. Er kann Vorschläge dazu machen und diese im Gutachten festhalten. Gibt es eine Empfehlung, wird die Hilfsmaßnahme direkt bei der Kasse beantragt – ohne dass der Arzt extra ein Rezept ausstellen muss.
Am Ende entscheidet die Gesamtpunktzahl über den Pflegegrad
Jedem Pflegegrad ist eine bestimmte Spanne bei der Gesamtpunktzahl zugeordnet. Folgende Einstufung ist möglich:
- Pflegegrad 1: ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkte = geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
- Pflegegrad 2: ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkte = erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
- Pflegegrad 3: ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkte = schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
- Pflegegrad 4: ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkte = schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
- Pflegegrad 5: ab 90 bis 100 Gesamtpunkte = schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung. Eine Besonderheit gilt hier: Funktionieren Arme oder Beine eines Menschen nicht und liegt seine Gesamtpunktzahl unter 90 Punkten, erhält er trotzdem Pflegegrad 5.
Das erhalten alle Pflegebedürftigen
Alle Pflegebedürftigen (Pflegegrad 1 bis 5) haben einen Anspruch unter anderem auf folgende Leistungen:
- Pflegehilfsmittel im Wert von 40 Euro pro Monat,
- 125 Euro Entlastungsbetrag pro Monat bei der häuslichen Pflege,
- 4 000 Euro Zuschuss für den barrierefreien Umbau der Wohnung,
- Einrichtung eines Hausnotrufes,
- bei Gründung einer ambulant betreuten Wohngruppe eine Anschubfinanzierung von 2 500 Euro pro Person (höchstens sind es 10 000 Euro pro Wohneinheit), sowie
- 214 Euro pro Monat Wohngruppenzuschlag.
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Das erhalten Pflegebedürftige ab Pflegegrad 2
In Pflegegrad 2 bis 5 kommen weitere Leistungen hinzu:
- Das Pflegegeld, wenn nahestehende Personen sich um den Pflegebedürftigen zu Hause kümmern,
- Pflegesachleistungen, wenn eine ausgebildete Pflegekraft die Pflege in häuslicher Umgebung übernimmt sowie
- Stationäre Pflege. Hier wohnt der pflegebedürftige Versicherte in einer Pflegeeinrichtung und wird durch Pflegekräfte versorgt. Hinzu kommen Leistungen der
- Kurzzeitpflege,
- Verhinderungspflege,
- Tages- und Nachtpflege sowie
- Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für Pflegende.
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