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Wegen einer irrtümlichen Pfändung von 500 Euro hat die Volksbank Niederrhein einen langjährigen Kunden fast in den Ruin getrieben. Sie kündigte ihm zwei Immobilienkreditverträge und verlangte sofortige Rückzahlung der Restschuld. Erst das Landgericht Kleve stoppte die Zwangsvollstreckung. Doch da hatte der Mann seine für die Altersvorsorge gedachten Immobilien bereits zum großen Teil weit unter Wert verkauft, um seine Restschuld auszugleichen und die Zwangsversteigerung zu verhindern. test.de berichtet.
Zwangsversteigerung ohne Klage
Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung ist normalerweise ein gerichtliches Mahn- oder Klageverfahren. Der Gläubiger bekommt dort einen Vollstreckungsbescheid oder die vollstreckbare Ausfertigung eines Urteils. Mit einem solchen „Titel“, wie Juristen das nennen, kann er den Gerichtsvollzieher beauftragen oder beim zuständigen Amtsgericht die Zwangsversteigerung einer Immobilie beantragen. Zur Absicherung von Immobilienkrediten allerdings wird in der Regel eine Grundschuld bestellt. Die Urkunde über die Grundschuld enthält fast immer eine Vollstreckungsklausel. Das heißt: Die Bank oder Sparkasse kann unter Vorlage einer solchen Grundschuld sofort ohne weitere Nachweise die Zwangsversteigerung beantragen.
Nur bei Verzug oder Pflichtverletzung
Rechtlich erlaubt ist die Zwangsversteigerung aber nur, wenn Bank oder Sparkasse den Kredit kündigen und Rückzahlung der Restschuld fordern dürfen. Gegenüber Verbrauchern ist das nur zulässig, wenn sie mit Raten in Höhe von mindestens 2,5 Prozent der Kreditsumme in Verzug sind. Bei Unternehmern und Krediten ab 750 000 Euro sind die Regeln strenger. Solche Bankkunden müssen ihre Vermögensverhältnisse beispielsweise auf Verlangen der Bank offenlegen. So regelt es das Kreditwirtschaftsgesetz. Tut der Kunde das nicht, ist die Bank berechtigt, ihm zu kündigen.
Altersvorsorge mit Eigentumswohnungen
So erging es Helmut K.*: Der Unternehmer hatte für seine Altersvorsorge in den Neunzigerjahren 14 vermietete Eigentumswohnungen gekauft. Die Volksbank Niederrhein gab ihm dafür Kredite über insgesamt 2,4 Millionen Mark. Wie es bei Unternehmern so ist: K.s Geschäfte liefen mal besser, mal schlechter. Fakt ist: Er zahlte alle Kreditraten. Die Bank behauptet: Er habe Fragen des für ihn zuständigen Mitarbeiters zur Vermögenslage nicht zufriedenstellend beantwortet. K.s Vermögen habe sich derart verschlechtert, dass die Forderungen der Bank in Gefahr seien. Als dann noch im Herbst 2010 das Finanzamt wegen 500 Euro das Guthaben auf einem von K.s Konten pfändete, kündigte die Volksbank alle Verträge mit dem Unternehmer. Restschuld zu dem Zeitpunkt: Genau 824 376,99 Euro. Helmut K. ist gerade 65 Jahre alt. Die Kündigung macht seine Altersvorsorge schlagartig wertlos. Die Volksbank pfändet alles bis hin zu K.s Rente. Nur der Pfändungsfreibetrag bleibt ihm.
Irrtum mit kostspieligen Folgen
Wenige Tage später stellt sich heraus: Das Finanzamt hat sich geirrt. Es nahm die Vollstreckung zurück. Doch die Volksbank Niederrhein blieb bei der Kündigung der Verträge mit K.. Sie trat ihre Forderungen gegen K. an die BAG Bankaktiengesellschaft im westfälischen Unna ab. Das ist „der Spezialist für problembehaftete Kreditengagements“ der Volks- und Raiffeisenbanken. Als K. die Restschuld nicht komplett ausgleichen konnte, leitete die BAG die Vollstreckung ein und beantragte die Zwangsverwaltung von K.s Eigentumswohnungen.
27 000 Euro Prozesskosten
Doch K. gab nicht auf. Um den Rechtsanwalt und die Gerichtskosten für eine Vollstreckungsgegenklage zu bezahlen, hätte er rund 27 000 Euro aufbringen müssen. Die hatte er nicht mehr, nachdem die Vollstreckung begonnen hatte. Also beantragte er selbst beim Landgericht Kleve Prozesskostenhilfe für die Klage gegen die Bank. Den Antrag korrekt zu begründen, ist für Laien eigentlich kaum zu schaffen. Doch K. arbeitet sich ein und es gelingt ihm: Das Landgericht attestiert seiner Klage gegen die Volksbank Aussicht auf Erfolg und bewilligt Prozesskostenhilfe. Rechtsanwalt Arnd S. Tenfelde aus Viersen übernimmt den Fall. Er ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und hat schon oft Bankkunden in bedrohlicher Lage zu ihrem Recht verholfen. Er reicht Klage ein. Im Mai 2015, gut vier Jahre nach der Kündigung der Kredite, urteilt das Landgericht Kleve: „Die Zwangsvollstreckung (...) wird für unzulässig erklärt.“ Weder die irrtümliche Kontopfändung durchs Finanzamt noch eine angebliche Vermögensverschlechterung oder die von der Bank behaupteten Pflichtverletzungen K.s rechtfertigen die Kreditkündigung der Volksbank, urteilten die drei Richter der 4. Zivilkammer des niederrheinischen Gerichts.
Jetzt Streit um Entschädigung
Für elf der 14 Eigentumswohnungen kommt das Urteil zu spät. H. hat sie unter Wert verkauft, um die Zwangsversteigerung abzuwenden. Die bringt zuweilen nur einen Bruchteil des Werts der Immobilien. K. fordert von der BAG Bankaktiengesellschaft jetzt Entschädigung. Die rechtswidrige Zwangsversteigerung habe ihn an den Rand des Ruins getrieben. Die BAG und die Volksbank wollen sich dazu mit Rücksicht auf das laufende Verfahren nicht äußern. Die Volksbank erklärt allerdings in einem Schreiben an test.de: „Als genossenschaftliche Bank sind wir mit dem gewerblichen Mittelstand eng verbunden und ein verlässlicher Kreditgeber in unserer heimischen Region.“ Den Rechtsstreit mit K. habe die BAG letztlich nur verloren, weil die Volksbank es versäumt habe, die Offenlegung von H.s wirtschaftlichen Verhältnisse formal korrekt anzumahnen. Wie die Bank darauf kommt, dass K. bei korrektem Verfahren keine befriedigende Auskunft geliefert hätte, bleibt offen.
Landgericht Kleve, Urteil vom 19.05.2015
Aktenzeichen: 4 O 10/14
Klägervertreter: Rechtsanwalt Arnd S. Tenfelde, Viersen
* Name geändert
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zumindest mein Ansprechpartner bei der Bank hat schon mehrfach angerufen wenn etwas unklar war (Onlinebanking, Auslandsüberweisung, Wertpapiere ... ). PS: auch eine VR-Bank. Dem Opfer jedenfalls noch viel Glück!
Namen nenne würde nix bewirken.
fast alle Banken machen das gerne nach dem Strickmuster die Gläubiger sind dann so blank das ihnen keiner mehr Hift oder glaubt!