
Jeder kann im Amtsgericht eine Immobilie günstig ersteigern. Ein Gebot können Bieter allerdings nicht mehr zurückziehen.

Günstig erworben. Dieses Haus in Insingen in Bayern ist laut Gutachten 70 000 Euro wert. Der neue Eigentümer musste nur 49 000 Euro bieten, um den Zuschlag zu bekommen.
Schweigen. Das Erstgebot von 57 000 Euro steht, doch keiner der Besucher im Saal 304.1 im Amtsgericht Potsdam will jetzt schon mehr bieten. Es geht um ein kleines Haus im Berliner Vorort Falkensee, Holzständerkonstruktion aus dem Jahre 1928, teilmodernisiert 2001, 79 Quadratmeter Wohnfläche. Die Eigentümer haben nicht alle Kreditraten bedient. Die Gläubigerin, die Deutsche Bank, will das Haus zu Geld machen. Der gerichtliche Gutachter beziffert den Verkehrswert auf 114 000 Euro, doppelt so viel wie das Erstgebot.
Das Haus ist eines von rund 73 000 Objekten, die im vergangenen Jahr in Amtsgerichten versteigert wurden. Das berichtet die Firma Argetra, die nach eigenen Angaben alle Zwangsversteigerungen in Deutschland erfasst. Es geht um Immobilien im Gesamtwert von geschätzt 11,6 Milliarden Euro, rund 160 000 Euro je Objekt. Vor allem Wohnungen und Ein- und Zweifamilienhäuser werden versteigert, aber auch Büros, Ladenflächen oder Waldstücke.
Chance auf ein Schnäppchen

Verdammt teuer. Ein Makler hatte für diese Berliner Wohnung geworben. Der Termin im Amtsgericht war überfüllt, 252 000 Euro wurden erzielt – deutlich mehr als der geschätzte Verkehrswert.
Für Interessenten kann sich der Gang zum Amtsgericht lohnen. Das Meistgebot liegt häufig unter dem Verkehrswert, den der gerichtliche Gutachter ermittelt. Viele Erwerber sparen 25 bis 35 Prozent, berichtet die Argetra. Auf dem Land wechseln die Objekte oft zu noch geringeren Werten den Eigentümer. In angesagten Städten wird der Verkehrswert aber auch schon mal erreicht oder gar übertroffen. So wurde eine Berliner Dreizimmerwohnung an der Spree Ende des vergangenen Jahres für 252 000 Euro versteigert – obwohl sie laut Gutachten nur 145 000 Euro wert war (siehe Bild). Ein Makler hatte zuvor für die gut gelegene Wohnung geworben.
Ein Schmuckstück oder Schnäppchen sind aber längst nicht alle Objekte, die beim Amtsgericht landen. Wer ein passendes Objekt finden will, braucht bisweilen Geduld.
Mitbieten kann auf einer Versteigerung jeder, der eine Sicherheit (siehe „Vor der Versteigerung“) nachweisen kann – ohne Anmeldung. Dennoch sollte niemand vorschnell bieten: Einmal abgegeben, ist das Gebot bindend. Wer den Zuschlag erhält, ist Eigentümer. Die Entscheidung wird nach etwa vier Wochen rechtskräftig, wenn niemand gegen das Verfahren Beschwerde einlegt, etwa ein anderer Bieter, der sich benachteiligt fühlt.
Bis zum Verteilungstermin einige Wochen später muss der neue Eigentümer das Geld für Grundstück und Gebäude an die Gerichtskasse überweisen. Tut er das nicht, schuldet er die Summe den Gläubigern des alten Eigentümers. Dann könnte auch ihm eine Zwangsversteigerung blühen.
Böse Überraschungen
Bieter sollten also wissen, woran sie sich binden. Am wenigsten Ungemach droht ihnen mit leerstehenden Objekten. Wohnen Mieter in dem Haus, übernimmt der neue Eigentümer den Mietvertrag. Will er selbst einziehen, muss er Eigenbedarf anmelden und eine Kündigungsfrist von in der Regel drei Monaten beachten.
Noch schwieriger: Der alte Eigentümer lebt selbst in dem Haus und will partout nicht ausziehen. Auf den Kosten für eine Räumung bleiben die neuen Inhaber leicht sitzen, denn bei den bisherigen Bewohnern ist oft nichts zu holen. Sie sind oft nicht nur finanziell, mitunter auch psychisch am Ende. Da kann es juristisch und moralisch schwerfallen, auf Auszug zu pochen.
Ganz andere Lasten können in den Gerichtsakten vermerkt sein. Bleibt zum Beispiel auch nach der Versteigerung eine Grundschuld oder Hypothek bestehen, muss der Meistbietende dafür aufkommen – zusätzlich zum Zuschlagspreis. Oder ein Mensch darf weiterhin in dem Haus wohnen und muss sogar versorgt werden. Auch dafür wäre der neue Eigentümer verantwortlich. Interessenten sollten daher den Rechtspfleger fragen, welche Lasten mit dem Grundstück verbunden sind.
Unverzichtbar ist auch der Besuch vor Ort. Am besten nehmen Interessenten einen Experten mit, etwa einen Bauingenieur oder Architekten. Der Noch-Eigentümer muss allerdings niemanden ins Haus lassen. Selbst der gerichtliche Gutachter hat das Haus oder die Wohnung nicht immer von innen gesehen. Für Schäden kann der neue Eigentümer später in aller Regel niemanden belangen.
Gläubiger sind nicht gebunden
Eine Versteigerung dauert mindestens eine halbe Stunde. Turbulent wird es oft erst am Ende. Zumindest geübte Bieter wollen nicht vorschnell verraten, wie viel ihnen die Immobilie wirklich wert ist. Sie steigen daher erst gegen Ende in das Geschehen ein oder erhöhen das Gebot.
Auch die Gegenseite geht strategisch vor. Die Gläubiger, die das Verfahren beantragt haben, sind häufig Banken, Bausparkassen und Lebensversicherer, die Haus oder Wohnung finanziert haben. Zwangsversteigerungen gehören für sie zum Geschäft. Der Vorteil für Gläubiger: Sie müssen das Meistgebot nicht akzeptieren. Liegt es unter 70 Prozent des Verkehrswertes, können sie in vielen Fällen eine zweite Versteigerungsrunde fordern. Den Antrag zurückziehen und so das gesamte Verfahren vor dem Zuschlag abblasen können sie – unabhängig vom Meistgebot – jederzeit. Und sie können um Bedenkzeit bitten.
So geschehen im Amtsgericht Potsdam. Erst verschwindet der Anwalt der Deutschen Bank mehrmals mit Bietern vor die Saaltür. Am Ende scheinen die Grenzen abgesteckt: Ein Mann bietet 85 000 Euro. Die Versteigerung ist vorbei.
Doch der Anwalt der Deutschen Bank scheint unsicher. Er beantragt, die Entscheidung zu vertagen. Der Rechtspfleger lenkt ein. Den Bieter kann die Deutsche Bank nun noch einige Tage hinhalten. Er hat geboten, nun bleibt er gebunden.