Millionen Angestellte im öffentlichen Dienst bekommen mehr Rente. Bis zu 11 Prozent mehr sind drin. Auch Rentner profitieren. Finanztest sagt, für wen das neue System der Zusatzrente gilt und wer künftig mit mehr Geld rechnen kann. Sogar rückwirkende Zahlungen sind drin.
Neuregelung der Zusatzrente
Winfried Dumberger-Babiel kann ab 2018 mit einem Nachschlag auf seine Rente rechnen. Denn die Tarifparteien haben sich nach langem Streit auf eine Neuregelung der Zusatzrente für die Angestellten im öffentlichen Dienst geeinigt. Als letzte der fünf Tarifparteien stimmte der Verband der kommunalen Arbeitgeberverbände im November zu. Voraussichtlich mehr als 2,5 Millionen Angestellte und Rentner haben Anspruch auf mehr Zusatzrente.
Betriebsrente für Angestellte im öffentlichen Dienst
Sie ist gleichsam die Betriebsrente der nicht verbeamteten Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und soll auch dafür sorgen, dass die Angestellten bei der Altersvorsorge ihren verbeamteten Kollegen nicht zu sehr hinterherhinken. 2002 wurde das System der Zusatzrente grundlegend geändert. Die jahrelange Auseinandersetzung drehte sich um die Frage: Wie werden Ansprüche aus dem alten Zusatzrentensystem, das bis Ende 2001 galt, in das derzeitige System übertragen?
System der Zusatzrente: Nachbesserungen beim neuen Recht
Altes Recht bis Ende 2001. Beschäftigte im öffentlichen Dienst wie Krankenschwestern, Verwaltungsmitarbeiter und angestellte Lehrer waren durch eine Kombination von gesetzlicher Rente und Zusatzrente im Alter bestens versorgt. Ihre gesetzliche Rente wurde durch die obligatorische Zusatzrente so aufgestockt, dass sie je nach Dienstzeit im Alter bis zu knapp 92 Prozent ihres Nettogehalts der letzten drei Jahre vor ihrem Ruhestand bekamen. Als betriebliche Altersvorsorge im öffentlichen Dienst gab es mindestens eine „Garantieversorgungsrente“ von 0,4 Prozent des Einkommens für jedes volle Versicherungsjahr. Das sind beispielsweise 16 Prozent des Endgehalts nach 40 Versicherungsjahren – zusätzlich zur gesetzlichen Rente.
Neues Recht seit 2002. Die Zusatzrente wurde von der gesetzlichen Rente abgekoppelt und hängt nur noch von Verdienst und Alter ab. Der Systemwechsel sollte dafür sorgen, dass die Kosten für die Versorgungsleistungen nicht aus dem Ruder laufen. Die Zusatzrenten nach der neuen Berechnung sind erheblich niedriger. Entscheidend für die Ansprüche ab 2002 sind die gezahlten Beiträge. In den alten Bundesländern beträgt der Beitrag derzeit insgesamt 8,16 Prozent vom Brutto: 6,45 Prozent übernimmt der Arbeitgeber, 1,71 Prozent der Arbeitnehmer. In den neuen Ländern beträgt der Beitrag insgesamt 5,5 Prozent. Wer vor 2002 angefangen hat, bekam für seine bis dahin erworbenen Ansprüche eine „Startgutschrift“. Versicherte, die 1947 oder später geboren wurden, schnitten dabei schlecht ab. Für sie gibt es nach der Tarifeinigung nun eine höhere Zusatzrente. Für Angestellte, die ab 2002 neu in den öffentlichen Dienst kamen, wird die Rente ausschließlich nach den Beiträgen berechnet.
Umstrittene Berechnung
Dumberger-Babiel ist seit zwei Jahren im Ruhestand – nach insgesamt 37 Jahren Tätigkeit im öffentlichen Dienst. Sein Berufsweg verlief nicht eben geradlinig. „Ich habe drei Berufsausbildungen, Schlosser, Erzieher und Diplom-Sozialpädagoge“, sagt der 67-Jährige. Zuletzt war er Bezirksgeschäftsführer beim Bayerischen Jugendring, einer Hilfs- und Bildungseinrichtung für Jugendliche des Landes. Seine lange Berufsausbildung vor Eintritt in den öffentlichen Dienst zählte bei Berechnung der Zusatzrente nicht mit. Deshalb konnte Dumberger-Babiel die notwendigen 44,44 Pflichtversicherungsjahre für die volle Zusatzrente nicht erreichen.
Gerichte forderten Nachbesserungen
Gegen den Systemwechsel gab es viel Widerstand. Die höchsten Gerichte erklärten ihn an sich zwar für rechtens, nicht jedoch alle Folgen für Beschäftigte, die schon vor 2002 im öffentlichen Dienst angestellt waren. So kritisierte der Bundesgerichtshof (BGH) 2007, dass Beschäftigte mit einer langen Ausbildungszeit vor Eintritt benachteiligt wurden (Az. IV ZR 74/06). Als Beispiele nannten die Richter Handwerksmeister und Akademiker – wie Dumberger-Babiel.
Rentenplus für VBL-Versicherte und kommunal Beschäftigte
Das neue System der Zusatzrente gilt nicht nur für gut 1,9 Millionen Versicherte der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL), sondern auch für knapp 3,5 Millionen Versicherte der kommunalen und kirchlichen Zusatzversorgungskassen. Ihre bis zum Wechsel nach dem alten System erworbenen Rentenansprüche wurden in einer „Startgutschrift“ zusammengefasst. Mit einem Zuschlag auf die Rente können knapp eine Million VBL-Versicherte rechnen, schätzt die Gewerkschaft Verdi. Hinzu kommen voraussichtlich mehr als 1,5 Millionen Beschäftigte kommunaler und kirchlicher Betriebe. Auch ehemalige Angestellte im Ruhestand profitieren (siehe Unser Rat).
Unser Rat
Anspruch. Sind Sie 1947 oder später geboren, waren 2001 im öffentlichen Dienst angestellt und 2002 noch nicht im Ruhestand, können Sie mit mehr Rente rechnen. Denn das 2002 geänderte System der Zusatzrente wurde korrigiert. Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) sowie die Zusatzversorgungskassen der Kirchen und Kommunen überprüfen die Startgutschriften, die Grundlage für Ihre Rentenansprüche sind. Ihr neuer Anspruch wird Ihnen automatisch von Ihrer Rentenkasse mitgeteilt.
Rentner. Wenn Sie bereits im Ruhestand sind und die Voraussetzungen erfüllen, bekommen Sie auch rückwirkend mehr Rente. Über die neue Rentenhöhe erhalten Sie einen Änderungsbescheid.
Neues Recht mit ungerechten Folgen
Dumberger-Babiel ist einer der 450 000 VBL-Rentner, deren Startgutschrift überprüft wird. Wie viele mit einer Rentenerhöhung rechnen können, konnte die VBL auf Anfrage noch nicht mitteilen. Betroffene Rentner erhalten nicht nur monatlich mehr Rente. Sie bekommen auch rückwirkend mehr Geld. Nach Berechnungen des VBL-kritischen Informationsportals Startgutschriften-arge.de, das von Mathematikern kostenlos im Internet angeboten wird, kann es bis zu 11,1 Prozent mehr Zusatzrente geben.
Beispiel: Hat ein Ruheständler für seine Zeit im öffentlichen Dienst bis Ende 2001 eine „Startgutschrift“ von 300 Euro erworben, bekommt er in diesem Fall 33,33 Euro mehr Monatsrente. Ist er bereits acht Jahre im Ruhestand, erhält er nicht nur Monat für Monat mehr Geld, sondern auch einen Nachschlag von knapp 3 200 Euro brutto.
Dies gilt allerdings nur dann, wenn er nicht bereits von einer ersten Korrektur des Betriebsrentenrechts für den öffentlichen Dienst im Jahr 2011 profitiert hat, die der BGH für unzureichend hielt. Wurde damals seine Rente bereits um 3,1 Prozent erhöht, kann er jetzt mit bis zu 8 Prozent mehr rechen. Das Gute steckt also im Detail.
Komplizierte Berechnung
Die individuelle Berechnung ist in jedem Fall kompliziert. Die neue Gutschrift richtet sich nach den individuell erreichbaren Versicherungsjahren im öffentlichen Dienst bis zum 65. Lebensjahr. Faustregel: Je weniger Jahre der Versicherte bis zu seinem 65. Lebensjahr noch vor sich hat, desto höher ist der Faktor, mit dem sein Rentenanspruch berechnet wird. So hat nun auch ein Angestellter, der so spät im öffentlichen Dienst angefangen hat, dass er nicht auf die vollen 44,44 Pflichtversicherungsjahre kommen kann, die Chance auf eine höhere Zusatzrente.
Noch kein konkretes Startdatum
Ab wann das Geld fließt, ist noch unklar. Matthias Konrad von der VBL erläutert: „Die Vorbereitungen für die Umsetzung sind angelaufen. Wann konkret die Startgutschriften und gegebenenfalls die Rentenleistungen überprüft werden, können wir aber derzeit noch nicht mitteilen.“ Bis ins erste Halbjahr 2018 wird das dauern, schätzt Verdi. Dann gibt es für viele Ruheständler mehr Rente.
Beamte gegenüber Angestellten immer noch deutlich im Vorteil
Trotz der Verbesserungen: Von den Ruhestandsbezügen ihrer verbeamteten Kollegen können Angestellte im öffentlichen Dienst nur träumen. Laut Alterssicherungsbericht der Bundesregierung erhält ein Beamter im Ruhestand im Durchschnitt 2 293 Euro netto im Monat. Die durchschnittliche Zusatzrente im öffentlichen Dienst ist 289 Euro, die gesetzliche Nettorente im Durchschnitt aller Rentner beträgt 861 Euro – zusammen wären dies also 1 150 Euro. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Beschäftigte im öffentlichen Dienst oft eine überdurchschnittliche gesetzliche Rente bekommen – von der Altersversorgung der Beamten sind sie auch mit der jetzt korrigierten Zusatzrente weit entfernt.
Tipp: Wie plant man eigentlich für den Ruhestand? Und wo gibts die beste Hilfe? Wir haben versucht, es herauszufinden. Vergleich Gesetzliche Rentenversicherung
-
- In die eigene Rente investieren und von einem satten Steuernachlass profitieren: Das klappt 2023 noch besser als bisher. Die Stiftung Warentest zeigt, was möglich ist.
-
- Sparen hilft, wenn man im Alter nicht arm sein will. Nur reicht das bei Frauen meist nicht. Sie müssen sich breiter aufstellen. Unsere Vorschläge für eine bessere Rente.
-
- Angestellte in Städten und Kommunen haben eine obligatorische Betriebsrente. Daneben sparen viele Beschäftigte noch freiwillig für eine Zusatzrente. Wegen der...
Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.
Nutzerkommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.
Kommentar vom Autor gelöscht.
Kommentar vom Autor gelöscht.
@marlow42: Danke für Ihre Kritik. Die Kommentar-Funktion auf test.de dient dazu, sich über die Inhalte eines Tests / eines Artikels auszutauschen und mit Berichten zu eigenen Erfahrungen zu ergänzen. Ich möchte Sie insofern bitten, sich die Mühe zu machen, Ihre Feststellungen hier sachlich und gerne auch anhand konkreter Beispiele zu schildern, sodass sich die Mitlesenden ein eigenes Bild von der Angelegenheit verschaffen können. Sachlichkeit wird auf test.de sehr geschätzt. (PH)
Kommentar vom Autor gelöscht.
@Marlow42: Dürfen wir Sie bitten, uns den Schriftverkehr mit der Zusatzversorgungskasse zuzusenden? Bitte per Mail an: finanztest@stiftung-warentest.de (maa)