Interview: „Aus Fehlern gelernt“

Professor Dr. Carsten Schulz. Der Agrarwissenschaftler leitet den Lehrstuhl für Marine Aquakultur an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und die Gesellschaft für Marine Aquakultur in Büsum.
Wildfisch wird knapp, Zuchtfisch ist eine Alternative. Professor Carsten Schulz erforscht umweltgerechte Aquakulturverfahren. Im Gespräch mit test.de äußert er sich zu Massentierhaltung, Fütterungsmethoden und Antibiotikaeinsatz.
Wie sich das Meer erholt
Der meiste Lachs im Handel stammt aus norwegischer Zucht. Belasten diese Farmen das Meer?
Viel weniger als früher, die Züchter haben aus Fehlern gelernt. Die Standards in Nordeuropa sind heute sehr hoch. Norwegen ist Vorreiter. Die Züchter überwachen etwa die Fischfütterung per Unterwasserkamera, damit nur wenig Futterreste das Meer verdrecken. Die Lachse scheiden kaum noch Kot aus, weil sie das moderne Futter gut verwerten. Die Netzgehege bestehen inzwischen aus Material, das sich ohne großen Chemikalieneinsatz säubern lässt. Sie müssen von Zeit zu Zeit umgesetzt werden oder eine gewisse Zeit leer stehen. Dann können sich die Meeresgebiete regenerieren.

Lachszucht im norwegischen Fjord. Die Gehege haben Durchmesser bis zu 250 Meter und sind bis zu 50 Meter tief.
Medikamente, Impfungen, Chemie
Wie sieht es mit dem Einsatz von Medikamenten aus?
Im Vergleich zu früher setzen die Betriebe kaum noch Antibiotika ein. Das ist maßgeblich den Impfungen zu verdanken. Sie schützen die Lachse vor vielen Krankheitserregern. Europäische Züchter müssen inzwischen jeglichen Einsatz von Medikamenten dokumentieren. Das soll verhindern, dass Arzneien unkontrolliert im Meer und in Lebensmitteln landen.
Die Lachslaus befällt viele Zuchtlachse. Ist die Massentierhaltung schuld?
Ja. Die Lachslaus kann ein großes Problem in der Zucht sein. Sie kann Fische, die auf begrenztem Raum leben, stark befallen. Medikamente und Impfungen richten wenig aus gegen den Parasiten, der für Lachse tödlich sein kann. Züchter kombinieren häufig Therapieansätze. Sie setzen etwa kleine Lippfische und Seehasen ein, die sich von den Parasiten ernähren. Lachse werden auch mit Laser und chemischen Therapeutika behandelt oder in Süßwasser gebadet. Das ist aufwendig und teuer.
Bedrohen die Lachsläuse Wildfisch?
Unter Umständen. Der norwegische Staat schreibt daher Befallgrenzen und Zeitpunkte vor, wann Zuchtlachse entlaust werden müssen. Das soll passieren, bevor Wildlachse an den Gehegen vorbei in ihre Heimatflüsse ziehen, um zu laichen.
Was passiert, wenn Zuchtlachse ins offene Meer entweichen?
Stürme, Robben, Schiffe können Aquakulturanlagen beschädigen, sodass Zuchtlachse ins offene Meer entkommen. Wenn sie sich mit Wildlachsen paaren, könnten die Nachkommen die genetische Vielfalt der Wildbestände beeinträchtigen. Zuchtlachs ist auf bestimmte genetische Merkmale gezüchtet. Er wird etwa später geschlechtsreif, um länger zu wachsen. Doppelwandige Zuchtgehege und Tauchkontrollen sollen verhindern, dass Zuchtlachse entweichen. Das klappt nicht ganz. Kontrollstationen an Lachsflüssen identifizieren immer wieder Zuchtfische und sortieren diese aus.

Kontrolle. Mitarbeiter prüfen regelmäßig die Wasserqualität der Aquakultur.
Fischmehlanteil im Futter sinkt
Das Fischfutter besteht auch aus Wildfisch. Bedroht sein Einsatz zusätzlich die Wildfischbestände?
Nicht unbedingt. Seit Jahrzehnten wird weltweit annähernd die gleiche Menge Fisch zu Fischmehl und -öl verarbeitet. Früher fütterte man damit auch Hühner und Schweine, heute vorrangig Fisch und Shrimps in den boomenden Aquakulturen. Nachfrage und Preise sind gestiegen. Allein aus ökonomischen Gründen sinkt der Fischmehlanteil im Futter, er liegt noch bei etwa 5 bis 10 Prozent. Der Rest sind Pflanzeneiweiße und -fette, etwa aus Soja, oder Schlachtabfälle. Um 1 Kilo Zuchtlachs zu züchten, sind weniger als 1 Kilo Wildfisch notwendig. Das ist ein ökologischer Fortschritt, früher waren es 2 Kilo und mehr.
Wie voll sind die Netzgehege auf den Lachsfarmen?
In Norwegen dürfen auf einen Kubikmeter Wasser nicht mehr als 25 Kilo Lachs kommen. Aus fischphysiologischer Sicht ist die Besatzdichte eher zweitrangig, wenn die Umweltbedingungen stimmen – etwa eine passende Strömung für ständigen Wasseraustausch und gute Wasserqualität sorgt. Man darf die Besatzdichte nicht durch die menschliche Brille sehen. Der Lachs lebt in einigen Lebensphasen im Schwarm. Er ist damit die Nähe zu Artgenossen gewohnt. Ein zu geringer Besatz verursacht sogar Stress.
Halten Lachsfarmen in Chile mit den europäischen Standards mit?
Nein, staatliche Kontrollen und Regulierungen der Gewässernutzung sind weitaus weniger ausgeprägt. Lachs ist in Chile nicht zu Hause. Entkommene Fische konkurrieren mit heimischen um Raum und Futter.
Gentechnisch veränderter Lachs
Leben schon gentechnisch veränderte Lachse in Aquakulturen?
Ja, in ganz geringem Umfang in Kanada. Dort dürfen solche schneller wachsenden Lachse gezüchtet und seit 2017 verkauft werden. In der EU und Norwegen ist beides verboten.
Wie sieht die Zukunft aus?
Es laufen Experimente, Lachs an Land in Kreislaufanlagen oder weit draußen im Meer auf bohrinselähnlichen Stationen aufzuziehen. Dort könnten sehr viele Fische in gefiltertem Meerwasser leben – unter ständiger High-Tech-Kontrolle.