Bei Zahnspangen für Kinder und Jugendliche werden Eltern oft für Extras zur Kasse gebeten. Stiftung Warentest erklärt, was diese kosten können und welche sinnvoll sind.
Ob Lücken, verdrehte Zähne oder ein Unterkiefer in Rücklage: Wenn Zähne oder Kiefer nicht richtig aufeinander passen, brauchen Kinder meistens eine Zahnspange. Die Hälfte der Kinder in Deutschland wird kieferorthopädisch behandelt, um Hasenzähne und andere Anomalien zu beseitigen. Manchmal startet eine kieferorthopädische Behandlung mit einer losen Spange. Danach kommt dann meistens noch die feste. Spätestens ab dann kann es richtig teuer werden – für die Eltern. Denn die Krankenkasse zahlt hier nur für die einfachste Variante.
Kassenmodell oder Extras mit Aufpreis?
Drei Gebissmodelle mit Zahnklammer hat die Mitarbeiterin einer Kieferorthopädiepraxis im Berliner Südwesten vor einer Mutter und ihrem 13-jährigen Sohn aufgebaut. Sie deutet auf ein Modell mit einer Zahnspange aus Metall. Dieses übernehme die gesetzliche Krankenkasse. Dann hebt sie die Vorzüge der anderen Modelle hervor: glattere Brackets, elastische Bögen, weniger auffällige Keramik. Dafür aber müssen die Eltern einen Anteil selbst bezahlen, mindestens 1 000 Euro. Die Mutter ist unsicher: Zahnspange ja oder nein? Und wenn ja, welche? Sie will das Beste für ihr Kind, aber muss sie dafür so viel Geld ausgeben?
Unser Rat
Abrechnung. Fragen Sie nach Nutzen und Kosten der Extras. Der Arzt darf die Mehrkosten dafür nicht vorab verlangen. Er kann pro Quartal oder monatlich abrechnen. Bei einem etwaigen Praxiswechsel wären bis dahin erbrachte Leistungen und Zahlungen zu verrechnen.
Zweitmeinung Kieferorthopädie. Zweitmeinungsberatungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen helfen weiter. Oder Sie fragen einen zweiten Arzt. Röntgenbilder und Abdrücke vom ersten Behandler können Sie dafür mitnehmen.
Ambulanz. Hochschulambulanzen der Unikliniken behandeln auch. Es kann hier jedoch zu Wartezeiten kommen.
Kieferorthopädie für Kinder ist häufig nötig
Vor der Entscheidung über eine kieferorthopädische Behandlung stehen viele Familien. Dass viele Zahnspangen unnötig seien, widerlegt die 6. Deutsche Mundgesundheitsstudie von 2022. Bei 40 Prozent der Acht- und Neunjährigen sah sie behandlungsbedürftige Zahn- und Kieferfehlstellungen wie Überbiss, Engstand und Lücken. Welche Therapie-Geräte am besten in welchem Alter zum Einsatz kommen, hat Stiftung Warentest Professor Till Köhne, Leiter der Kieferorthopädie am Universitätsklinikum Leipzig, gefragt. In einigen Fällen muss die Behandlung sehr früh beginnen. Mehr zum richtigen Zeitpunkt lesen Sie in unserem Special Wann die Behandlung starten sollte.
Kasse zahlt nur für Standardtechniken
Das Richten schiefer Zähne und Korrigieren einer falschen Bisslage übernimmt die Krankenkasse bei gesetzlich Versicherten bis zum Alter von 18 Jahren. Sie zahlt für Standardtechniken, die das „Maß des Notwendigen“ nicht überschreiten, zum Beispiel Brackets und Bögen aus Edelstahl. Gesetzlich Versicherte haben einen Anspruch auf die Therapie mit solch einem Kassenmodell ohne Zuzahlung. Laut einer Studie der Krankenkasse hkk von 2021 boten aber nur 26 Prozent der Ärzte eine Behandlung ohne Aufpreis an.
Extraleistungen häufig bei fester Zahnspange
Die Mehrzahl schlägt für Diagnose und Therapie andere oder neuere Verfahren als privat zu zahlende Leistung vor. Die sollen für mehr Komfort und eine bessere Ästhetik sorgen. Vor allem wenn es um das bleibende Gebiss geht – also bei Teenagern – sind diese Extras ein Thema. Einige Zusatzleistungen bei Zahnspangen bewertet Prof. Köhne als sinnvoll. Ob sie die Behandlung im Kern verbessern, ist unklar. Es fehlen Vergleichsstudien. Im Jahr 2021 gaben die Krankenkassen 1,3 Milliarden Euro für Kieferorthopädie aus, 2010 waren es noch 942 Millionen Euro. Was die Eltern im Lauf der Zeit an Zuzahlungen für die Zahnspange leisteten, ist nicht bekannt. Der Plan, die Rechnungen regelmäßig von den Kassenärztlichen Vereinigungen auf ihre Plausibilität prüfen zu lassen, verlief im Sande.
Kasse zahlt erst ab Schweregrad 3
Wer leichte oder gering ausgeprägte Zahn- und/oder Kieferfehlstellungen hat, fällt in die kieferorthopädischen Indikationsgruppen (KIG) 1 und 2 und bekommt ohnehin nichts von der Kasse. Bei KIG 3 bis 5 – ausgeprägt bis extrem stark ausgeprägt – zahlt sie die Therapie.
Tipp: Liegt die Abweichung knapp unter der Grenze für KIG 3, lassen Sie nach ein paar Monaten erneut messen. Oft prägt sich die Fehlstellung weiter aus.
Zahnspange: Kosten können Tausende Euro erreichen
Der 13-Jährige, bei dem die feste Behandlung anstand, war in KIG 4 eingestuft. Die Kasse zahlte, die Familie gab bei der Zahnspange als Zuzahlung 1 426 Euro für selbstligierende Brackets, elastische Bögen, Zahnreinigung und Versiegeln aus. Damit kam sie noch günstig weg. Das zeigen andere Beispiele aus Hamburg und Berlin.
Die Therapie eines Überbisses mit Schmalkiefer durch Brackets kostete die Kasse 3 300 Euro, die Eltern knapp 2 600 Euro.
In einem ähnlichen Fall, bei dem gedrehte und gekippte Zähne dazukamen, zahlte der Privatpatient 7 100 Euro.
Eine Kassenpatientin wählte Aligner. Damit wurden ein Engstand sowie verdrehte und im Kopfbiss stehende Zähne behandelt. Die Privatleistung kostete 4 100 Euro.
Was welche Zusatzleistungen bei einer Zahnspange kosten können, hat die Stiftung Warentest in einer Tabelle zusammengetragen.
Zweitmeinung: An Kieferorthopädie-Experten wenden
Damit Eltern eine gute Entscheidung treffen können, ist es wichtig, dass der Arzt oder die Ärztin den Behandlungsplan für die Kieferorthopädie mit den Kosten, sowie mögliche Nebenwirkungen gut erklären und Zusatzleistungen plausibel erläutern. Erstellt der Behandler zu Beginn eine Rechnung über die geplante Endsumme, haben die Eltern die nötigen Ausgaben gut im Blick. Wer den Eindruck hat, es geht hier nur um Geld und nicht um Medizin, sucht weiter.
Tipp: Unter bdk-online.org können Sie nach Praxen in der Nähe schauen. Sie können auch zu einem anderen Kieferorthopäden oder einer Kieferorthopädin gehen, um sich eine zweite Meinung zu der geplanten Therapie einzuholen.
Die normale Behandlung beginnt mit neun bis zehn Jahren, wenn einige bleibende Zähne durchgebrochen sind. Zu Beginn macht der Arzt Röntgenaufnahmen und Fotos, nimmt Gebissabdrücke oder -scans und schreibt den Behandlungsplan. Privatleistungen sollten auf einem für alle verbindlichen, seit 1. Juli 2023 gültigen Formular stehen. Bei KIG 3 bis 5 überprüft ein Kassengutachter – ein Fachzahnarzt für Kieferorthopädie – den Therapieplan. Nach der Zusage der Kasse geht es los.
Meist kommen dann lose Klammern zum Einsatz: aktive Platten (Kunststoffplatten mit Dehnschrauben) oder funktionskieferorthopädische Geräte wie der Bionator. Dabei wird die Kraft der Kaumuskulatur genutzt, um Zähne und Kiefer in die gewünschte Position zu bringen. Manchmal sind schon Brackets etwa mit Teilbögen nötig.
Diagnose und Therapie mit und ohne Kassenzuschuss
Für den Gebissabdruck wird bislang mit ein Löffel mit Silikonmasse verwendet (Kassenleistung). Bei der digitalen Diagnostik nimmt das Kind einen stabförmigen Scanner in den Mund, der ein 3-D-Modell des Gebisses erstellt. Der Gebiss-Scan ist Privatleistung. Professor Köhne plädiert dafür: „Behandlungen lassen sich am Computer optimal planen.“ Vor dem Start der Therapie rät er zu einer Funktionsdiagnostik der Kiefergelenke, um mögliche Probleme zu entdecken, die Einfluss auf die Behandlung haben können.
Um die Zahnbögen zu erweitern oder den Unterkiefer im bleibenden Gebiss nach vorn zu bringen gibt es verschiedene Zusatzgeräte. Nicht alle werden von der Kasse gezahlt. Die Bewegung von Backenzähnen abstützen soll der Headgear (Gesichtsbogen). Der ist Kassenleistung. Mögliche Alternativen – Mini-Implantate im Kieferknochen oder die Pendulum-Apparatur – stehen auf der Privatrechnung.
Sind alle bleibenden Zähne mit etwa 13 oder 14 Jahren durchgebrochen und der Kiefer wächst so gut wie nicht mehr, kommen feste Spangen wie Brackets infrage. Brackets werden auf die Zähne geklebt und halten Metallbögen, die Druck ausüben. Sie werden in Abständen ausgetauscht. Klebrige und harte Nahrungsmittel sind verboten, die Zahnhygiene muss sehr gut sein. Beläge können sich anlagern und zu Karies führen. Folgende Extras können zu Mehrkosten führen:
Thermoelastische Bögen.Sie üben sanfte und konstante Kräfte auf die Zähne aus.
Keramik- und Minibrackets. Sie sind optisch unauffälliger. Keramikbrackets sind aber manchmal schwer zu entfernen.
Selbstligierende Brackets. Sie halten den Bogen mit einem Riegel statt einem Gummi oder einer Drahtschlaufe. Die Zahnflächen um die Brackets sind einfacher sauberzuhalten, das Bogen wechseln in der Praxis geht schneller.
Lingualtechnik.Die Brackets kleben unsichtbar auf die Zahninnenseite. Die teuerste und aufwändigste Versorgungsform. Nachteil: Die Zunge muss sich daran gewöhnen. Das kann etwas dauern.
Indirektes Bonding. Eine Schablone dient zum Aufkleben der Brackets. Laut Köhne können sie so perfekt positioniert werden.
Versiegelung. Die Glattflächen- oder Bracketumfeldversiegelung soll die Zahnflächen rund um die Brackets vor Karies schützen. Der Mediziner ist da skeptisch: „Der Lack löst sich nach und nach auf. Gründliches Zähneputzen kann das nicht ersetzen.“
Ebenfalls im bleibenden Gebiss werden Aligner eingesetzt. Das sind fast unsichtbare Kunststoffschienen. Nach einem digitalen Gebissabdruck wird eine Serie von 10 oder auch bis über 20 Stück gefertigt und in fester Abfolge getragen. Auf die Zähne geklebte Halteelemente (Attachements) aus Kunststoff verstärken die Wirkkraft. Die Zähne sind einfach zu pflegen. Aligner müssen außer zum Essen und Zähneputzen aber ständig im Mund bleiben. Die Kasse zahlt nichts.
Haltephase am Ende der Behandlung
Die Therapie endet mit einer Retentionsphase. Sie soll verhindern, dass sich die Zähne an ihren alten Platz zurückbewegen. Nach dem Abnehmen der Brackets tragen die Patienten nachts eine lose Kunststoffklammer. Bei Alignern dient die letzte Schiene dazu. Sinnvoll können Kleberetainer sein. Das sind feine Drähte, die hinter die Vorderzähne geklebt werden, um sie zu fixieren. Die Kasse zahlt sie allerdings nur im Unterkiefer bei Engstand.
Eigenanteil wird zurückgezahlt
Die Kasse übernimmt bis zu vier Jahre Behandlung. Eltern zahlen vierteljährlich 20 Prozent des Kassenanteils, 10 Prozent ab zwei behandelten Kindern. Bescheinigt der Arzt einen erfolgreichen Abschluss, erstattet die Kasse den Eigenanteil. Bei Therapieabbruch gibt es kein Geld zurück. Nicht erstattete Kosten lassen sich als außergewöhnliche Belastung bei der Steuer absetzen. Bei privaten Krankenversicherungen hängt es vom Tarif ab, wie viel sie beisteuern.
Zahnzusatzversicherungen helfen kaum
Wenig helfen Zahnzusatzversicherungen für Kinder bei der Kieferorthopädie. Sie bezuschussen die Zahnspange in der Regel nur, wenn der Vertrag schon vor der Diagnose einer Fehlstellung bestand. Bei einigen Kindern gibt es einen solchen Befund aber schon im Kleinkindalter. Die Police müsste daher spätestens mit vier Jahren abgeschlossen werden. Der Ergo Sofortschutz für Kinder bis 17 Jahre versichert diagnostizierte oder begonnene Behandlungen und zahlt 50 Prozent des Rechnungsbetrags nach Abzug des Kassenzuschusses. Wenn die Kasse nichts dazugibt (KIG 1 und KIG 2), zahlt die Ergo maximal 250 Euro im Jahr. Die Mindestlaufzeit des Tarifs beträgt zwei Jahre. Anhand der altersabhängigen Beitragshöhe lässt sich ausrechnen, ob sich das lohnt. Wie Eltern schon im Babyalter Zahnfehlstellungen ihrer Kinder vorbeugen können, erklärt der Ratgeber Kieferorthopädie der Stiftung Warentest.
Tipp: Die besten Zahnzusatztarife für die Kosten von Zahnersatz gibt es auf in unserem Test von Zahnzusatzversicherungen.
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Stiftung_Warentest am 19.10.2023 um 16:39 Uhr
Lingualtechnik
@renner-kfo: Vielen Danke für den Hinweis. Sie haben insofern recht, als dass die Lingualtechnik im Honorarkatalog für Zahnärzte (BEMA) als Mehrleistung aufgeführt wird, das heißt, die Krankenkasse zahlt (theoretisch) einen Grundbetrag. Andererseits schreibt die größte deutsche Krankenkasse, die TK, auf ihrer Seite: Lingualtechnik wird nicht übernommen. Auch auf den Homepages vieler Kieferorthopäden wird die Technik als reine Privatleistung ausgewiesen. Wir prüfen, ob die Krankenkassen hier unterschiedlich handeln.
Leider wurde beim Punkt Lingualtechnik beschrieben, dass die Kasse NICHTS bezahlt. Das stimmt nicht, denn sie bezahlt den Anteil einer aussenliegenden Standart-Bracketbehandlung. Die Mehrkosten werden nur nicht übernommen.
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@renner-kfo: Vielen Danke für den Hinweis. Sie haben insofern recht, als dass die Lingualtechnik im Honorarkatalog für Zahnärzte (BEMA) als Mehrleistung aufgeführt wird, das heißt, die Krankenkasse zahlt (theoretisch) einen Grundbetrag.
Andererseits schreibt die größte deutsche Krankenkasse, die TK, auf ihrer Seite: Lingualtechnik wird nicht übernommen.
Auch auf den Homepages vieler Kieferorthopäden wird die Technik als reine Privatleistung ausgewiesen. Wir prüfen, ob die Krankenkassen hier unterschiedlich handeln.
Leider wurde beim Punkt Lingualtechnik beschrieben, dass die Kasse NICHTS bezahlt. Das stimmt nicht, denn sie bezahlt den Anteil einer aussenliegenden Standart-Bracketbehandlung. Die Mehrkosten werden nur nicht übernommen.
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