15 Implantologen im Praxistest: Viele beraten schlecht und Behandlungspläne bergen unnötige Risiken. Worauf Patienten achten sollten.
Es sieht einfach aus. Im Internet führen Zahnärzte das Implantieren vor. Einer zeigt im Video, wie er ein Loch in einen Unterkiefer bohrt und eine künstliche Zahnwurzel hineinsetzt. Der Eingriff dauert ungekürzt elfeinhalb Minuten. In einem anderen Film erhält ein Patient bei einer Sitzung gleich sechs Implantate. Ein dritter Mediziner stellt eine Dame vor, die er mit vier künstlichen Zahnwurzeln versorgte – kurz vor ihrem hundertsten Geburtstag.
Eine Million Implantate pro Jahr
Deutsche Zahnärzte setzen ungefähr eine Million Implantate pro Jahr. Sie pflanzen eine oder mehrere künstliche Zahnwurzeln in den Kiefer und befestigen daran sichtbaren Zahnersatz, etwa eine Krone. Das gilt als elegante Lösung für Lücken im Gebiss. Doch ärztliche Leitlinien für den Eingriff gibt es kaum. Risiken birgt er immer – vor allem, wenn er nicht fachgerecht abläuft. Wir wollten wissen, wie die Spezialisten ihre Patienten beraten und wie sinnvoll die Behandlungspläne sind.
Praxistest bei 15 Spezialisten
Drei Personen mit komplizierten Dentalproblemen suchten je fünf Zahnärzte auf, die sich auskennen sollten: Oralchirurgen oder ähnlich Qualifizierte, die laut ihrer Darstellung im Internet eine Komplettversorgung bieten – von der OP-Planung bis zum Feinschliff am Zahnersatz auf dem Implantat. Zum Termin brachten die Tester Röntgenaufnahmen ihrer Gebisse mit, baten um eine Zweitmeinung und sagten, der erste Zahnarzt habe Implantate empfohlen.
Alle Ärzte im Test gaben eine Einschätzung ab. Die meisten erstellten Kostenvoranschläge. Ein zahnmedizinischer Gutachter bewertete sie für uns. Er hielt bei den drei Fällen Implantate für die beste Wahl, aber auch Standardlösungen wie Brücken oder Prothesen für möglich.
Der Test bringt deutliche Schwächen ans Licht. Nur zwei der vorliegenden Behandlungspläne sind einigermaßen in Ordnung, alle anderen schlecht. Ein Mediziner zum Beispiel empfahl Implantate ohne den dringend erforderlichen Knochenaufbau. So findet das Implantat keinen Halt. Ein anderer Arzt sah beim selben Fall eine Spreizung des Kiefers vor – wodurch Teile des Knochens leicht abbrechen. Ein dritter plante eine Konstruktion, die den Kräften im Mund beim Kauen nicht wirklich gewachsen ist (Das passierte im Test).
Fünf Ärzte unterließen wichtige Voruntersuchungen, etwa auf Zahnwurzelentzündung (Parodontitis). Neun informierten lückenhaft über Nachteile von Implantaten. Nur fünf veranschaulichten das Erklärte am Modell. Alternativen umrissen 14 der 15 Ärzte nur grob oder sprachen sie gar nicht an – obwohl das zu einer umfassenden Patientenaufklärung gehört.
Hohe Kosten
Implantate sind teuer. Auch die Behandlungspläne der Ärzte sehen hohe Preise vor. Unser dritter Testfall sollte 12 700 bis 15 100 Euro berappen. Sein Kommentar: „Da kann ich mir ja ein Auto kaufen.“
Private Krankenkassen erstatten Kosten für Implantate je nach abgeschlossenem Tarif. Gesetzliche Krankenkassen steuern wenig bei, im konkreten Fall 1 430 Euro. Der Festzuschuss richtet sich nach dem Befund und deckt die Hälfte der Regelversorgung ab, zum Beispiel eine Brücke oder Prothese aus einfachem Material (Kosten von Implantaten). Implantate zählen nicht zur Regelversorgung. Ärzte dürfen sie meist privat abrechnen; auch erhöhte Kosten fürs Labor sind möglich.
„Wirtschaftliche Interessen dürften bei vielen Empfehlungen eine Rolle spielen“, sagt Dr. Wolfgang Kirchhoff, der als zahnmedizinischer Gutachter für Krankenkassen tätig und in der Vereinigung Demokratische Zahnmedizin aktiv ist. Er sieht zum Teil „verkaufspsychologisch geschulte Leistungsanbieter“ am Werk, denen Patienten wenig entgegensetzen können. „Der Laie ist bei der Bewertung medizinischer Maßnahmen oft überfordert.“
Patienten sollten Ärzten auf den Zahn fühlen und sich die geplante Behandlung genau erklären lassen. Idealerweise schreiben Ärzte das geplante Vorgehen detailliert auf. Meist erstellen sie aber nur einen Heil- und Kostenplan voller Ziffern und Fachbegriffe. „Das versteht man nicht“, so eine der Testpersonen. Auch eine Zweitmeinung lohnt sich. Patienten haben ein Recht darauf. Kirchhoff rät: „Suchen Sie einen Zahnarzt, der sich mit allen Formen von Zahnersatz auskennt. Fragen Sie nach konventionellen Alternativen.“
Die Vor- und Nachteile abwägen
Was spricht für Implantate? Sie bieten Vorteile, wenn die Zähne neben der Lücke intakt sind. Für die herkömmliche Versorgung, eine Brücke, müsste der Arzt die Nachbarzähne abschleifen, also gesunde Substanz opfern. Auch wenn herausnehmbare Prothesen – im Volksmund „die Dritten“ – schlecht halten, Kauen oder Sprechen erschweren, kommt eine Konstruktion infrage, die auf Implantaten lagert. Das verhindert zudem womöglich, dass sich der Kieferknochen abbaut, weil er wegen Zahnlosigkeit nicht mehr normal belastet wird. Dieses Argument, so Kritiker, gelte aber allenfalls bei vielen fehlenden Zähnen, nicht bei Einzelzahnlücken.
Auf der anderen Seite können Implantate Probleme verursachen – auf lange Sicht oder gleich beim Einsetzen. Die Methode mag einfach erscheinen, es handelt sich aber um eine OP mit Risiken. Sie sei „sorgfältig zu planen und durchzuführen“, sagt Professor Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer. Ärzte sollten umfassend fortgebildet sein. Oralchirurgen etwa haben gute Voraussetzungen.
Anna Müller* bekam 2014 ein Implantat, für sie eine „absolute Hightech-Aktion“. „Ich lag im Zahnarztstuhl, nur mit örtlicher Betäubung, alles um mich steril abgedeckt, über mir der Arzt und zwei Assistentinnen mit Haube und Mundschutz.“ Das Bohren in den Kiefer spürte sie kaum, hörte nur ein „dezentes Surren“. Dennoch war ihr mulmig. Ihre größte Sorge: dass ein Nerv getroffen wird und für immer taub bleibt. Das kommt vor, wenn auch selten.
Anna Müller blieb verschont, Schmerz und Schwellung hielten sich in Grenzen, das Implantat heilte gut ein. „Nach drei Monaten ging die Behandlung weiter, ein paar Wochen später war die Krone drauf“, sagt sie. Der Zeitaufwand sei enorm. „Alles in allem saß ich gefühlt zwölfmal beim Zahnarzt.“
Material für den Knochenaufbau

Werkzeug. Spezielle Instrumente helfen, Implantate tief im Kiefer zu platzieren und später den sichtbaren Zahnersatz obendrauf zu befestigen. © Shutterstock
Noch komplizierter wird es, wenn sich der Kiefer etwa wegen fehlender Zähne zurückgebildet hat. Betroffen ist ungefähr jeder zweite Implantatkandidat. Mediziner bauen dann erst einmal den Knochen auf. Sie schleusen zusätzliches Material an die bedürftigen Stellen. „Alle Ärzte sprachen ausführlich mit mir darüber“, so ein Tester. „Kurz gefasst, ging es vor allem um die Frage: Mensch, Kuh oder Synthetik?“ Im ersten Fall stammt der Füllstoff vom Patienten selbst, meist aus dem Kiefer, teils aus dem Beckenknochen. Die Entnahme erfolgt chirurgisch und kann Komplikationen wie Infektionen verursachen. Ersatzmaterial, etwa vom Rind oder synthetisches, ist körperfremd. Es lässt sich kombiniert mit menschlicher Substanz einsetzen. Egal wie: Mickrige Knochen brauchen Verstärkung. Sonst werden die Implantate kurz- oder langfristig kaum halten.
Längst nicht alle Implantate halten

Röntgenbild. Auf der Aufnahme lässt sich ein Implantat im Kiefer erkennen. Es sieht aus wie eine Schraube, nicht wie eine natürliche Zahnwurzel. © Thinkstock
Welche Lebenserwartung Implantate haben, ist relativ unklar. Bisherige Studien liefen meist höchstens zehn Jahre und mit ausgewählten, kleinen Patientengruppen. Eine schwedische Studie, die 2015 erschienen ist, bezog 596 Personen ein. Alle hatten im Jahr 2003 Implantate erhalten – meist sogar gleich mehrere.
Bei annähernd 8 Prozent der Teilnehmer ging bis 2012 mindestens ein Implantat wieder verloren. Es heilte entweder nicht ein oder musste wegen Spätkomplikationen wie Entzündungen wieder aus dem Kiefer herausoperiert werden.
Keine schöne Aussicht für Patienten, die sich von der teuren Behandlung dauerhaft Ruhe im Mund erhoffen. Natürlich kann auch anderer Zahnersatz mit der Zeit schlappmachen – aber oft mit weniger Aufwand und Kosten im Gefolge.
Implantate aus Titan bewährt
Wird minderwertiges Material eingesetzt, können Implantate früh kaputtgehen. Nicht alle Kostenvoranschläge im Test verraten, was der Arzt genau vorsieht. Patienten sollten nachfragen.
„Hinsichtlich der nachgewiesenen Haltbarkeit bieten Systeme, die langfristig auf dem Markt sind, größere Sicherheit als neue oder unbekannte“, sagt Oesterreich von der Bundeszahnärztekammer. Sie seien allerdings oftmals etwas teurer als andere. Etablierte Herstellerfirmen böten auch Vorteile, wenn es Reklamationen gibt oder Ersatzteile rund ums Implantat erforderlich sind. „Implantate aus Titan sind grundsätzlich besonders bewährt.“
Der sichtbare Zahnersatz auf dem Implantat, also etwa eine Krone, kann aus verschiedenen Materialien bestehen. Möglich, aber nicht zwingend sind Luxusvarianten aus Keramik oder Gold. „Grundsätzlich spricht nichts gegen eine Krone aus Nichtedelmetall“, sagt Oesterreich.
Probleme ansprechen
Ob ein Implantat hält, hängt nicht nur vom Material und Operateur ab, sondern auch vom Patienten. Krankheiten und andere Gründe können das Einheilen oder den langfristigen Verbleib im Kiefer torpedieren. Die Risiken (Risiko-Checkliste) lassen sich mit Fragebögen klären. Die Tester füllten sie in allen Praxen aus. Wie genau die Ärzte die Infos sichteten, wissen wir nicht. Patienten sollten Probleme ansprechen und um Voruntersuchungen bitten, wie etwa die auf Zahnwurzelentzündung.
Attacke auf den Kieferknochen
Parodontitis begünstigt eine Entzündung tief am Implantat, Periimplantitis genannt. Sie ist laut Oesterreich „schwer zu beherrschen“ und kann den Knochen zerstören. Bei 10 Prozent aller Implantate entsteht in den ersten fünf Jahren eine Periimplantitis, wie Daten von Forschern um Professor Dr. Reiner Mengel von der Uni Marburg zeigen. „Die Rate steigt bei Risikofaktoren auf nahezu 30 Prozent“, sagt er. „Zahnärzte und Patienten sollten den Eingriff dann besonders gut abwägen und vorbereiten.“
Die künstlichen Zähne erfordern außerdem eine penible Reinigung. Wer denkt, sie sind ja tot, machen also keine Arbeit, liegt gründlich daneben.
* Name von der Redaktion geändert.
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@ronald.liess: Bei unserem in test 10/2015 veröffentlichten Artikel handelt es sich um einen Test der Beratungsqualität von Zahnärzten anhand von drei Fallbeispielen. Die wenigen untersuchten Fälle zeigen bereits, dass es nicht in jeder Praxis gut läuft und geben Hinweise, worauf man als Patient bei der Implantat-Frage achten sollte. Einen Vergleich der verschiedenen Marken haben wir nicht durchgeführt. (PF)
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@quasi-wutz
Ihr Fall dürfte aber auch ein Sonderfall sein. M.E. nicht nur wegen der Entfernung von gleich 18(!) Zähnen, sondern auch wegen Ihrer Herzerkrankung und den von Ihnen genannten Zahnfleischentzündungen (möglicherweise aufgrund des schlechten Zahnzustandes?).
Eine schnelle grobe Recherche im Internet bei offensichtlich neutralen Quellen ergibt eine Erfolgsaussicht nach 5 Jahren von mindestens 85%; bei durchgeführter Infektionsprophylaxe innerhalb eines Tragezeitraumes von 10 Jahren könnten auch 100% erreicht werden (Quelle: wikipedia).
Die Aussagen Ihrer Behandler
"Zu langwierig, viel zu teuer und auf Dauer nicht optimal. Meist müssen immer wieder mal Implantate ausgetauscht oder vertieft werden (können "rauswachsen")."
kann m.E. offensichtlich nur auf Ihren Sonderfall projeziert werden.