Wirt­schafts­prüfer Wie Sie Berichte nutzen, wann Sie Prüfer verklagen können

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Wirt­schafts­prüfer - Wie Sie Berichte nutzen, wann Sie Prüfer verklagen können

Wirecard-Chef Markus Braun wies auf der Haupt­versamm­lung im Juni 2019 Aktionärs­vorwürfe zurück. © picture alliance / dpa

Nach Bilanz­skan­dalen wie Wirecard stehen Wirt­schafts­prüfer oft in der Kritik. Wir erklären, wann Anleger gegen sie klagen können und wie sie Warnungen der Prüfer vor einem Firmenkollaps entdecken.

Der erfahrene Privat­anleger Karl Johann* kaufte im Früh­jahr 2019 für mehr als 100 000 Euro Discount-Zertifikate auf Wirecard-Aktien. Es gab zwar Berichte, dass bei dem Dax-Konzern etwas nicht stimme. Doch die renommierte, welt­weit tätige Prüfungs­gesell­schaft EY testierte den Jahres­abschluss 2018 uneinge­schränkt. „Ich habe auf die Testate vertraut und dachte, wenn hier Spekulanten den Kurs drücken, ist das eine gute Einstiegs­gelegenheit“, erläutert Johann.

Als bekannt wurde, dass bei Wirecard 1,9 Milliarden Euro fehlen, stürzte der Aktienkurs ab. Johann verlor einen wichtigen Teil seiner Alters­vorsorge. Der 65-Jährige sagt: „Die Beteiligten im Wirecard-Skandal dürfen nicht unge­straft davon­kommen.“

Er klagt gegen EY, um den Schaden ersetzt zu bekommen. Im Internet finden sich dafür viele Angebote von Anwalts­kanzleien und Schutz­gemeinschaften. Anleger haben aber nur Erfolgs­chancen, wenn die Prüfer absicht­lich oder grob fahr­lässig falsch testiert haben, wenn diese genug Geld für Schaden­ersatz haben und der Fall nicht verjährt ist.

Manchmal zeigen Prüfer vor dem Kollaps Schwach­stellen auf, etwa im Vermerk des Jahres­abschlusses. Diese sollten Anleger ernst nehmen (Warnhinweise sehr ernst nehmen).

Unser Rat

Schaden­ersatz. Sie haben Geld mit einer Anlage bei einer Firma verloren und der Wirt­schafts­prüfer hat nicht gemerkt, dass die Bilanzen zu schön waren? Die Prüfer haften Ihnen gegen­über nur bei vorsätzlichem oder grob fahr­lässigem Verhalten. Das müssen Sie belegen und die Kosten vorstre­cken. Klagen Sie nur, wenn der Prüfer im Erfolgs­fall voraus­sicht­lich zahlen kann.

Muster­verfahren. Gibt es in Ihrem Fall ein Verfahren nach dem Kapital­anleger-Muster­verfahrens­gesetz, müssen Sie zwar selbst klagen, Sach- und Rechts­fragen werden aber für alle Kläger geklärt. Ihr Kostenrisiko ist so geringer, wie auch bei anderen gemein­samen Klagen.

Bestätigungs­vermerk. Nehmen Sie Hinweise der Wirt­schafts­prüfer im Bestätigungs­vermerk für den Jahres­abschluss eines Unter­nehmens ernst. Die Jahres­abschlüsse finden Sie zum Beispiel in Geschäfts­berichten, Verkaufs­prospekten für Geld­anlage­angebote oder unter unternehmensregister.de.

Schaden­ersatz nur für schwere Fälle

Im Schadens­fall ist vor einer Klage nicht nur zu prüfen, wann genau Anleger wie viel investiert haben. Rechts­anwalt Oliver van der Hoff prüft mehrere Punkte, bevor er zu einer Klage rät: „Wann genau und wie viel Geld wurde investiert, war zu diesem Zeit­punkt das Testat falsch, und kann der Anleger glaubhaft vortragen, dass er sich darauf verlassen hat?“

Van der Hoff hat bei der Kölner Kanzlei Keitel & Keitel erfolg­reich einen Mandanten mitbetreut, der 20 000 Euro in Anleihen der insolventen Düssel­dorfer Immobilienfirma WGF hielt. Für das Jahr 2008 hatten deren Prüfer 57 Millionen Euro Forderungen gegen eine Tochter anerkannt, obwohl die Wert­haltig­keit unklar war. Das Ober­landes­gericht Düssel­dorf entschied: Die Prüfer hätten sich „vorsätzlich, zumindest aber in grober Leicht­fertigkeit“ über alle offensicht­lichen Bedenken hinweggesetzt (Az.14 U 83/18).

Im März 2020 stellte der Bundes­gerichts­hof klar, wann ein Wirt­schafts­prüfer gegen­über Anlegern haftet (Az. VII ZR 236/19): Wenn er seine Aufgabe nach­lässig erledigt, etwa unzu­reichend ermittelt oder Angaben ins Blaue hinein macht mit einer Rück­sichts­losig­keit, „die angesichts der Bedeutung des Bestätigungs­vermerks für die Entscheidung Dritter als gewissenlos erscheint“.

In dem Fall ging es um die 2014 kollabierte Infinus-Gruppe aus Dresden. Ihr Prüfer erkannte, dass Lageberichte falsch waren, vergab aber uneinge­schränkte Bestätigungs­vermerke. Darin sah der Bundes­gerichts­hof eine vorsätzliche sittenwid­rige Schädigung des Anlegers (Paragraf 826 Bürgerliches Gesetz­buch) und sprach ihm Schaden­ersatz zu.

Verletzen Wirt­schafts­prüfer Pflichten „nur“ fahr­lässig, weil sie etwa ein Detail über­sehen oder nicht gründlich genug sind, haften sie meist nur gegen­über der Gesell­schaft, die sie prüfen – nicht gegen­über Anlegern.

Kleinen Prüfern geht schnell Geld aus

Wichtig ist auch, ob der Wirt­schafts­prüfer zahlen kann. Seine Haft­pflicht­versicherung springt in der Regel nur in leichteren Fällen ein. Bei Fahr­lässig­keit haftet er gesetzlich bis zu 1 Million Euro, bei börsennotierten Firmen bis zu 4 Millionen Euro. Ein Gesetzes­entwurf sieht vor, die Beträge anzu­heben.

In schweren Fällen geht kleineren Prüfern schnell das Geld aus. Bei Infinus verloren Anleger mehr als 1 Milliarde Euro. Rechts­anwältin Eva-Maria Ueberrück von der Kanzlei Mattil aus München hat für mehrere Mandanten Verfahren gegen den Wirt­schafts­prüfer gewonnen. Eines entschied das Gericht als Pilotfall sehr früh. Der Kläger bekommt seine 10 000 Euro vielleicht.

Doch für Ueberrücks Mandantin Ursula Drein* sieht es weniger gut aus. Sie hatte das Erbe aus dem Verkauf ihres Eltern­hauses in Orderschuld­verschreibungen von Infinus investiert. Ihr sprachen die Richter mehr als 500 000 Euro Schaden­ersatz zu. Doch Mitte Oktober 2020 meldete der Prüfer, der die Testate unterzeichnete, Privat­insolvenz an. Drein geht, wie Hunderte weiterer Kläger, wohl leer aus. „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“, erklärt Ueberrück. „Wir vertreten deshalb bevor­zugt rechts­schutz­versicherte Mandanten.“

Bei WGF und Wirecard ist die Lage besser: Die WGF-Prüfgesell­schaft gehört zu einer größeren, zahlungs­kräftigen Gruppe und wenige Anleger klagen. Die Wirecard-Prüfgesell­schaft EY gehört zu den vier größten der Branche und könnte wohl Schäden in Milliardenhöhe ersetzen, mehr als die Wirecard-Chefs.

Auf Verjährung achten

Anleger müssen recht­zeitig klagen. Sie haben ab Ende des Jahres, in dem Prüf­fehler bekannt wurden, drei Jahre Zeit, bei Wirecard zum Beispiel bis Ende 2023. Ihr Investment darf zudem nicht länger als zehn Jahre zurück­liegen.

Pech hatten viele Anleger der seit 2007 insolventen Finanz­vertrieb Göttinger Gruppe, die sich an die Rechts­anwalts­kanzlei Müller Boon Dersch aus Jena wandten. Die Kanzlei stellte Güte­anträge, um die Verjährung zu hemmen. Später reichte sie laut Land­gericht Göttingen 4 550 nahezu gleichlautende Klagen gegen die Prüfer ein und führte einige bis zum BGH. Stets erwiesen sich die Fälle als längst verjährt. Das Problem: Die Güte­anträge gingen zu wenig auf den jeweiligen Fall ein und hatten die Verjährung nicht gehemmt.

Hinweise auf Pflicht­verletzung

Wie sind die Aussichten auf Schaden­ersatz im Fall Wirecard? Es gibt Hinweise auf grobe Fahr­lässig­keit der Prüfer. Hans­rudi Lenz, Professor für Wirt­schafts­prüfung an der Universität Würzburg, sieht eine erhebliche Berufs­pflicht­verletzung: „Die Abschluss­prüfer hätten direkt bei der Bank nach­fragen müssen, ob die Cashbe­stände in Milliardenhöhe wirk­lich vorhanden waren. Die Zuver­lässig­keit des Treuhänders Citadelle Corp Singapur wurde nicht ausreichend geprüft.“ Doch ob ein Gericht das für grob fahr­lässig oder leicht­fertig halte, wisse „am Ende nur der liebe Gott“.

Daniel Bauer, Geschäfts­führer der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), schätzt die Chancen, dass Anleger Schaden­ersatz bekommen, „auf rund 60 Prozent“.

Gemein­same Klagen senken Kosten

Die SdK bündelt die Wirecard-Fälle in einer Klagegen­ossenschaft. SdK-Mitglieder zahlen am Anfang nur 99 Euro, Nicht-Mitglieder 199 Euro. Den Rest der Kosten trägt der Prozess­finanzierer Litfin. Er erhält bei Erfolg einen Teil der Entschädigung.

Die Berliner Kanzlei Schirp bietet das Gleiche ohne Prozess­finanzierer. Die Kosten für die teilnehmenden Anleger sind trotzdem deutlich nied­riger als bei einer Einzel­klage. Einer davon ist der selbst­ständige Ingo Haller*. Er hat mit Wirecard-Aktien 140 000 Euro verloren. Mehrere Tausend Euro für eine Schaden­ersatz­klage nimmt er in Kauf. „Mir geht es hier auch um das Prinzip“, sagt der 45-Jährige. „Ich muss von Staats wegen selbst für meine Alters­vorsorge aufkommen. Dieser Staat muss mich auch vor Gaunern schützen und ihre Helfer zur Rechenschaft ziehen.“

Karl Johann lässt sich von der Kanzlei Tilp in Tübingen vertreten. Diese strebt eine Sammelklage nach dem Kapital­anleger-Muster­verfahrens­gesetz (KapMug) an. Dabei klärt das Gericht zunächst grund­sätzliche Rechts­fragen. Danach können Geschädigte ihre Ansprüche zu deutlich nied­rigeren Kosten einklagen als bei einer Einzel­klage. Auch bei Tilp können sie einen Prozess­finanzierer in Anspruch nehmen.

* Name von der Redak­tion geändert

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