
Der Zahlungsdienstleister Wirecard hat infolge des Bilanzskandals Insolvenz angemeldet. Aktionäre stehen vor hohen Verlusten.
Der Skandal um den Zahlungsdienstleister Wirecard schlägt auch Wochen nach dem Insolvenzantrag noch hohe Wellen. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt unter anderem wegen des Verdachts auf Bilanzfälschung und Marktmanipulation. Am 26. Oktober 2020 endete die Frist, in der Anleger ihre Ansprüche im Rahmen des Insolvenzverfahrens anmelden konnten. Außer Aktionären sind auch Anleihe- und Zertifkatekäufer betroffen. Selbst Riestersparer waren an Wirecard beteiligt.
Wirecard – Folgen für Nutzer von Boon und boon.planet
Boon ist ein Zahlungsverfahren per App für Smartphones oder Smartwatches und für Online- und In-App-Zahlungen. Vertragspartner ist die britische Wirecard Card Solutions Limited (WDCS). Sie betreibt hauptsächlich E-Geld-Geschäfte und die damit verbundenen Zahlungsdienste. Sie gehört zum Wirecard-Konzern.
Welche Folgen hat die Pleite für Nutzer der virtuellen Prepaid-Kreditkarte von Boon?
Der Betrieb wurde zum 3. Oktober 2020 eingestellt. Für Guthaben, das jetzt noch auf der Kreditkarte vorhanden ist, verlangt Boon eine Gebühr von 2,50 Euro monatlich. Verbraucher, die Boon in einer Bezahl-App wie Google Pay, Apple Pay oder Garmin Pay als Zahlungsmittel hinterlegt haben, können im Regelfall auch andere Bezahlverfahren integrieren. Mehr dazu in unserem Test von Bezahl-Apps. Auf den Support-Seiten von Google Pay und Apple Pay erfahren Sie, welche Zahlungsmittel dort aktuell hinterlegt werden können.
Was ist mit dem virtuellen Bankkonto boon.planet?
Das virtuelle Bankkonto boon.planet ist auch von der Wirecard-Pleite betroffen und wurde zum 15. Oktober 2020 eingestellt. Kunden, die erst danach bemerkt haben, dass Konto und die App nicht mehr funktionieren, schreiben eine E-Mail an kontakt.planet@beboon.com.
Wer die Existenz des Kontos belegen kann und die registrierte Mobilfunknummer, die Antwort auf die Sicherheitsfrage sowie die neue Bankverbindung mitteilt, dem zahlt die Wirecard Bank noch vorhandenes Guthaben aus. Der Anbieter empfiehlt, die App zu löschen, sobald der boon.planet Account geschlossen und das Guthaben zurückerstattet wurde. Die Wirecard Bank will im Februar 2021 eine Steuerbescheinigung per Post schicken.
Achtung: Aktuell berichten uns Leser, dass sie auf ihre E-Mail-Anfragen keine Antwort bekommen. Wir gehen dem nach.
Wirecard – die Folgen für Aktionäre
Aktionäre sind rechtlich Teilhaber an Unternehmen und müssen entsprechend auch mit Verlusten rechnen. Auch dieser krasse Fall fällt damit unter das unternehmerische Risiko. In einem Insolvenzverfahren gehen Aktionäre normalerweise leer aus, doch in der Skandalgeschichte Wirecard sieht es anders aus. „Auch Aktionäre können Ansprüche geltend machen“, sagt Rechtsanwalt Peter Mattil, „wenn sie Schadenersatz aus Betrug oder der Verletzung kapitalmarktrechtlicher Vorschriften beweisen können“. Weil Anleger dafür den Schaden nicht nur beziffern, sondern auch begründen müssen, kann es sinnvoll sein, einen Anwalt zu Rate zu ziehen. Eine Klage ist jedoch nicht notwendig. Um Schadenersatz zu fordern, müssen Anleger die Aktien nicht verkaufen. Nicht zuletzt aus steuerlichen Gründen ist jedoch ratsam, das zu tun.
Unterstützung von Anlegerschutzvereinen
Hilfe bieten auch die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz DSW (dsw-info.de) und die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger SdK (sdk.org). Anleger können sich dort für Informationen kostenlos registrieren. Mehr Unterstützung gibt es für zahlende Mitglieder. Die SdK zum Beispiel stellt Anlegern ein Formular zur Verfügung, mit dem sie ihre Ansprüche zur Insolvenztabelle selbst anmelden können.
Geld reicht nicht aus
Insolvenzverwalter Michael Jaffé sagt, er werde allen erfolgversprechenden und werthaltigen Schadenersatzansprüchen nachgehen. Allerdings befriedigt Jaffé die Ansprüche nur aus der Insolvenzmasse. Das Geld reicht wohl nicht, um alles zu bezahlen. Anleger können aber auch dann noch vor Gericht ziehen und versuchen, Schadenersatz von anderen Beteiligten zu bekommen – etwa von Ex-Vorstand Markus Braun oder weiteren ehemaligen Wirecard-Verantwortlichen. Einige Anwälte wollen auch gegen die Finanzaufsicht Bafin oder den Wirtschaftsprüfer EY vorgehen. Jürgen Kurz von der DSW sagt: „Der Klageweg etwa gegen EY dürfte etliche Jahre in Anspruch nehmen. Beim Insolvenzverfahren könnte das schneller gehen.“
Sollte ich mich als Wirecard-Aktionär an einen Rechtsanwalt wenden?
Je nach Verlauf des Insolvenzverfahrens und den Ermittlungen zur Ursache der Pleite kann es sinnvoll sein, einen Rechtsanwalt damit zu beauftragen, Schadenersatzforderungen durchzusetzen. Ob solche Forderungen Chancen haben, ist derzeit aber nicht absehbar. Zudem ist unklar, ob überhaupt Geld zur Verfügung steht, um etwaige Schadenersatzforderungen auszugleichen. Falls kein Firmengeld mehr zur Verfügung steht, wäre es auch bei günstiger Sach- und Rechtslage nicht sinnvoll, kostspielige rechtliche Schritte einzuleiten.
Unser Rat: Warten Sie ab. Sollten sich rechtliche Schritte lohnen, wird die Stiftung Warentest darauf hinweisen. Ansonsten können Sie auch die Nachrichten und die Hinweise verfolgen, die seriöse Anlegeranwälte zur Wirecard-Pleite veröffentlichen.
Ja, ich möchte Informationen zu aktuellen Tests und Verbrauchertipps sowie interessante, unverbindliche Angebote der Stiftung Warentest (zu Heften, Büchern, Abonnements von Zeitschriften und digitalen Inhalten) per E-Mail erhalten. Mein Einverständnis hierzu kann ich jederzeit widerrufen. Informationen zum Datenschutz finden Sie hier.
Kann ich die Verluste steuerlich absetzen, wenn ich meine Aktien jetzt an der Börse verkaufe?
Ja, eine Verlustverrechnung ist möglich. Allerdings können Sie Verluste aus Aktienverkäufen ausschließlich mit Gewinnen aus Aktienverkäufen verrechnen. Sollten Sie in diesem Jahr keine Gewinne aus Aktienverkäufen haben, trägt die depotführende Bank den Verlust in die Folgejahre fort. Eine Verlustverrechnung mit Dividenden oder Zinsen ist hingegen nicht möglich.
Haben Sie ihr Geld bei mehreren Banken angelegt, müssen Sie selbst aktiv werden. Eine institutsübergreifende Verlustverrechnung erreichen Sie nur über die jährliche Steuerveranlagung. Dazu müssen Sie bis zum 15. Dezember des laufenden Jahres bei ihrer Bank eine Verlustbescheinigung anfordern, eine Ergänzung zur normalen Jahressteuerbescheinigung.
Ausführlichere Infos finden Sie in dem Special Verluste steuerlich nutzen.
Wirecard – Folgen für Anleger mit Fonds, Anleihen, Zertifikaten
Betroffen sind auch Anleger mit Anleihen und Zertifikaten. Fondsanleger trifft es in geringerem Maße. Fonds investieren in eine Vielzahl von Unternehmen, sodass selbst der Ausfall eines ganzen Unternehmens selten stark ins Gewicht fällt.
Was mache ich, wenn ich eine Wirecard-Anleihe habe?
Als Anleihekäufer sind Sie Gläubiger von Wirecard, ähnlich wie Handwerker oder Banken, die Kredite an die Pleitefirma vergeben haben. Gläubiger können direkt ihre Anleiheforderung beim Insolvenzverwalter anmelden, sie müssen keine Schadenersatzansprüche beweisen. Allerdings sollten sie mit der Anmeldung noch warten, sagt Rechtsanwalt Peter Mattil. Es kann sein, dass für die Anleihegläuber ein gemeinsamer Vertreter gewählt wird, der sich dann um alle Ansprüche gemeinsam kümmert.
Ich habe ein Wirecard-Zertifikat gekauft. Was tun?
Anders als damals bei der Pleite der US-Bank Lehman Brothers ist nicht die Pleitefirma selbst der Emittent der Zertifikate. Zwar beziehen sich die Zertifikate auf Wirecard als Basiswert, herausgegeben wurden sie aber von verschiedenen Banken. Die Zertifikatekäufer sind daher nicht Gläubiger von Wirecard. Allerdings kann es sein, dass ihnen die Papiere in einem Beratungsgespräch verkauft wurden. Bei bestimmten strukturierten Papieren, etwa Aktienanleihen, kann das der Fall sein. „Dann haben Anleger womöglich Ansprüche aus Falschberatung“, sagt Rechtsanwältin Alice D. Wotsch, die mit der SdK zusammenarbeitet. Diese seien womöglich werthaltiger als Schadenersatz aus der Insolvenzmasse. Hebelzertifikate dagegen werden meist von den Anlegern in Eigenregie gekauft. Sie können ihre Schadenersatzforderungen ebenfalls zur Insolvenztabelle anmelden.
Wie groß sind die Schäden für Fondsanleger?
Dax. Die Auswirkungen auf den deutschen Leitindex Dax sind moderat, weil Wirecard auch bei Kursen von über 100 Euro dort nicht viel mehr als 1 Prozent ausmachte. Einige Fondsmanager haben die Wirecard-Aktie insbesondere in Deutschland-Fonds deutlich höher gewichtet, sodass Anleger bei aktiv gemanagten Fonds mitunter stärker in Mitleidenschaft gezogen wurden.
TecDax. Deutliche Spuren zeigten sich im TecDax, der die 30 wichtigsten einheimischen Technologieaktien zusammenfasst. Wirecard war darin zwischenzeitlich mit rund 10 Prozent Anteil ein Schwergewicht. Der TecDax verpasste daher größtenteils die Rallye seines US-amerikanischen Pendants, des Nasdaq 100. Dieser Index hat trotz Corona-Krise ein neues Allzeithoch erklommen.
MSCI World. Für ETF-Anleger, die breit gestreut in den globalen Aktienmarkt investieren, hatte die Wirecard-Pleite dagegen so gut wie keine Auswirkungen. Die Aktie war unter den mehr als 1 600 Indexmitgliedern des MSCI World eine so kleine Nummer, dass ihr Niedergang im Indexverlauf nur bei detaillierter Analyse zu erkennen ist.
Ich habe einen Dax-ETF. Sind Wirecard-Aktien dort noch enthalten?
Nein, die Wirecard-Aktie ist nicht mehr im Dax. Sie wurde dort im August durch den Lieferdienst Delivery Hero ersetzt. Wirecard ist auch aus dem TecDax ausgeschieden. Nachfolger ist das Maschinenbauunternehmen LPKF Laser & Electronics AG.
Wirecard - Folgen für Riestersparer
Die Wirecard-Aktie hat es auch in Riester-Fondssparpläne „geschafft“. Die Fondsgesellschaft Union Investment — Anbieter der UniProfiRente – war einst einer der größten Einzelaktionäre von Wirecard.
Riester-Fonds der Union setzten auch auf Wirecard
Auch die drei Fonds, die Kunden mit einem Riester-Fondssparplan (UniProfiRente) angeboten werden, hatten Wirecard-Aktien in ihrem Bestand: Im September 2019 waren es im UniGlobal Vorsorge 1,4 Prozent, im UniGlobal II 1,5 und im UniNachhaltig Aktien Global 1,8 Prozent. Ausgerechnet in dem als „nachhaltig“ bezeichneten Fonds war der Anteil der Wirecard-Aktien am größten – dabei gehört gute Unternehmensführung auch zu den ESG-Kriterien, die zur Analyse nachhaltiger Investments in der Regel herangezogen werden. ESG steht für Environment, Social und Governance (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung). Union räumt ein, dass die von ihnen verwendeten ESG-Scores bereits im Herbst 2019 Schwächen in der Unternehmensführung angezeigt hatten. „Wir verstehen ESG-Scores allerdings nicht als alleiniges Investitionskriterium, sondern ergänzen diese um einen konstruktiven, zugleich aber kritischen Unternehmensdialog“, heißt es. „Den dort gemachten Aussagen durften wir zum damaligen Zeitpunkt Vertrauen entgegen bringen.“
Fonds der UniProfiRente stiegen bis Ende April aus
Im August 2020 war Wirecard in allen genannten Fonds nicht mehr vorhanden. „Der weit überwiegende Teil der Wirecard-Aktien wurde bis Ende April verkauft“, sagt ein Union-Investmentsprecher zu test.de. Beim Fonds UniGlobal betrug der Anteil der Wirecard-Aktie an der Wertentwicklung in der Zeit von Januar bis Ende April 2020 demnach minus 0,4 Prozent. Beim UniGlobal Vorsorge sei der „negative Performancebeitrag etwas niedriger ausfallen“, so der Sprecher. Beim UniNachhaltig Aktien Global betrug der Performancebeitrag der Wirecard-Aktie den Angaben zufolge plus 0,02 Prozent.
Großes Übergewicht
Diese Zahlen im niedrigen Prozent-Bereich dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in den Riester-Fonds richtig viele dieser am Ende toxischen Wirecard-Aktien gab. Wirecard hatte Ende September 2019 einen Anteil von 0,05 Prozent am MSCI World. Das heißt: Bei einem Anteil von 1,5 Prozent im Fonds UniGlobal II – einem Aktienfonds Welt – betrug der Anteil der Wirecard-Aktien hier rund 30 Mal so viel wie im MSCI World.
Aktien spielen bei DWS-Riester-Fondssparplänen kaum noch eine Rolle
Bei der DWS beträgt der Anteil der „risikobehafteten Fonds“ in Riester-Fondssparplänen nach Angaben eines DWS-Sprechers insgesamt „unter 10 Prozent“. Die Aktienquoten liegen demzufolge bei „der überwiegenden Mehrzahl der DWS-Riester-Kunden im niedrigen einstelligen Prozentbereich oder … bei null Prozent“. Der Anteil einer speziellen Aktie sei „für den einzelnen Kunden per se praktisch nicht mehr messbar.“ Schuld an der niedrigen Aktienquote sei die Garantie für den Beitragserhalt. Sie ist bei der Riester-Rente jedoch aus guten Gründen vorgeschrieben.
Blackbox Riester-Fonds
DWS sei mit ihren Riester-Fonds in Wirecard „unterinvestiert“ gewesen – im Vergleich zum Wirecard-Anteil im MSCI World. Genaue Angaben dazu konnte DWS dazu aber nicht machen. Das liege daran, dass die Riesterfonds nicht in Einzelaktien, sondern ihrerseits in Fonds investieren. Um den Anteil der Wirecard-Aktien in den Dachfonds zu bestimmen, müssten sämtliche Zielfonds analysiert werden, auch die von Drittanbietern. „Das können wir leider nicht darstellen“, heißt es, „zumal wir strenggenommen für diese Analyse die Transaktionsdaten der Zielfonds benötigen würden.“
Diese Meldung ist erstmals am 25. Juni 2020 auf test.de erschienen. Sie wurde seitdem mehrfach aktualisiert, zuletzt am 26. Oktober 2020.
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