Sie haben ein gutes Image. Doch so mancher Apotheker dekoriert sein Schaufenster mit fragwürdiger Werbung, wie eine Fotorecherche zeigt.
Es sind Zahlen, von denen Politiker nur träumen können: Fast 90 Prozent der Bundesbürger sprechen in Umfragen Apothekern ihr Vertrauen aus. Gut 70 Prozent holen sich bei kleineren Beschwerden in der Apotheke Rat, jeder Zweite informiert sich dort über Gesundheitsthemen.
Ein gutes Image bedeutet auch Verantwortung. Nicht immer werden Apotheker ihr gerecht, wie ein Blick in die Schaufenster zeigt. Die Stiftung Warentest wollte wissen, wie Vor-Ort-Apotheken es mit der Arzneimittelwerbung halten. In vier Städten fotografierten wir exemplarisch von März bis September 2012 Schaufenster von 28 Apotheken. Die Werbung ließen wir von einem Juristen und einem Arzneimittelexperten begutachten. Ergebnis: Juristische Verstöße fanden wir wenige, und diese waren nicht schwerwiegend. Apotheker bewerben aber auch Medikamente, deren medizinischer Nutzen fehlt oder zweifelhaft ist. Manch marktschreierische Werbung zeugt von mangelndem Gespür für die ethische Verantwortung beim Thema Gesundheit (Beispiele siehe Fotos). Sachlich-neutrale Aufklärung ohne Kaufanreiz war kaum zu finden.
Vitaminpillen-Werbung für Schüler
Besonders bedenklich: wenn schon Kinder zu künftigen Kunden herangezogen werden. Mehrere Apotheken warben zur Einschulungszeit für Vitamin- und Mineralstoffpräparate, um Eltern zu suggerieren: Kinder brauchen diese Mittel, um leistungsfähig zu sein. Völliger Unsinn, weil es bei Kindern in Deutschland keinen Vitamin- und Mineralstoffmangel gibt. Hilfreich wären Tipps für gesunde Pausenbrote und genug Obst und Gemüse auf dem Speiseplan. Stattdessen lautet die Lektion: Die Anforderungen des Lebens packt man nur mithilfe von Pillen.
Auf diese Haltung baut auch manche Botschaft für pflanzliche rezeptfreie Psychopharmaka. Der Wirkstoff Lavendelöl im Mittel Lasea soll „ängstliche Unruhe“ beseitigen – die aktuelle Studienlage lässt daran zweifeln. Zudem wirbt der Aufsteller im Apothekenfenster mit einem finsteren „Gedankenkarussell“ um die Sorgenthemen „Krankheit – Arbeitsplatz – Familie“. Diese hochemotionale Ansprache ist fragwürdig. Stimmungen wie innere Unruhe erscheinen als behandlungsbedürftig, obwohl sie nicht immer Krankheitswert haben. Und liegen doch ernstere Ursachen vor, können sie durch Selbstmedikation verschleppt werden.
Nur für rezeptfreie Mittel erlaubt
Hinter solchen Strategien stehen handfeste wirtschaftliche Interessen der Pharmahersteller. In der Öffentlichkeit dürfen Hersteller wie auch Apotheker ausschließlich für rezeptfreie Arzneimittel werben. Die bescherten den Apotheken inklusive Versandhandel im Jahr 2011 immerhin etwa 14 Prozent des Gesamtumsatzes: 5,6 Milliarden Euro. In einer Umfrage geben fast drei von vier Apothekern an, dass der OTC-Bereich („over the counter“ – ohne Rezept über den Ladentisch) fürs Geschäft immer wichtiger wird. Zugleich sehen sich Vor-Ort-Apotheken im Wettbewerb mit den immer erfolgreicheren Internetversendern und – bei nicht apothekenpflichtigen Mitteln – mit Drogerie- und Supermärkten. Auch der Wettbewerb zwischen den Apotheken spielt eine Rolle. Das sind genug Gründe für intensive Werbung.
Beliebte Objekte sind Medikamente, deren Verschreibungspflicht aufgehoben wurde. Einige Verbraucher halten ehemals rezeptpflichtige Mittel für besonders wirksam. So wird das Magenmittel Omep akut, seit 2009 rezeptfrei, nun mit Millionen-Etats angepriesen. Auch wir entdeckten es im Schaufenster . Hier wird der Vertrauensbonus genutzt und zur leichtfertigen Einnahme ermuntert. Omep akut ist zwar wirksam, nimmt man es jedoch länger als zwei Wochen, kann es schaden.
Dekorateure im Herstellerauftrag
Insgesamt gaben die Pharmahersteller für Werbung für OTC-Präparate im Jahr 2011 stattliche 600 Millionen Euro aus. Ein geringer Teil fließt in die Schaufensterwerbung. Die Dekorateure arbeiten meist im Auftrag der Hersteller – mit deren Material und von ihnen bezahlt. Die Apotheker machen sich so zum Sprachrohr der Hersteller. Mit der Aufgabe, patientenorientiert zu beraten, verträgt sich das schlecht. Doch die Ausgaben für eigene, unabhängige Dekorateure scheuen die meisten. Apotheker investieren im Schnitt mit 20 000 Euro nur etwa 1 Prozent vom Umsatz in Werbung, vorrangig in Zeitschriften und Flyer.
Apotheker sind auch Unternehmer – das zeigt sich im Umgang mit der Werbung. Politik und Gesetzgeber müssten hier im Sinne der Verbraucher mehr seriöse Informationen fordern. Werbung für Arzneimittel unterliegt zwar vielen Einschränkungen, doch die im Oktober 2012 – nach unserer Fotorecherche – vollzogene Änderung des Gesetzes bestätigt die schon vorher sichtbare Tendenz: Es bietet viele Möglichkeiten, den Verbraucher zur Selbstmedikation zu verleiten. Und die Landesbehörden scheinen sich nicht immer ausreichend um Durchsetzung und Kontrolle der Vorschriften zu kümmern. Das übernehmen häufig Abmahnvereine oder die Apotheker selbst: Sie klagen gegen ihre Mitbewerber.
Zu Risiken und Nebenwirkungen
Das könnte passieren, wenn der aus der Fernsehwerbung berühmt gewordene Satz fehlt: „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ Er ist vorgeschrieben, wenn das Anwendungsgebiet, zum Beispiel Erkältung, genannt wird, aber keine Nebenwirkungen aufgeführt sind. In den fotografierten Schaufenstern war er teils verstellt. Heikel ist das etwa bei Laif 900, einem Mittel gegen leichte Depressionen. Sein Wirkstoff Johanniskraut mindert die Wirkung einiger Medikamente.
Gar nicht erlaubt ist die von uns entdeckte Werbung für das Homöopathikum Regenaplex, das entgiften soll. Denn Homöopathika dürfen nicht für konkrete Anwendungen empfohlen werden, wenn sie wie Regenaplex nur registriert, aber nicht zugelassen sind. Juristisch Angreifbares fanden wir ansonsten kaum.
Tipp: Kunden sollten die Botschaften im Apothekenschaufenster kritisch betrachten und daran denken: Selbstmedikation ist zum Teil ohne Nutzen und birgt Risiken – vor allem, wenn Arzneimittel zu lang und zu hoch dosiert eingenommen werden. Fragen Sie Ihren Apotheker – nehmen Sie den berühmten Satz ernst. Auf www.medikamente-im-test.de bewertet auch die Stiftung Warentest über 9 000 Arzneimittel.
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Natürlich sollen Apotheken beraten und in erster Linie als Gesundheits- und Arzneimittelberatungsstelle fungieren. Wie aber auch seitens Stiftung Warentest eingeräumt wurde, sind Apotheken auch Wirtschaftsunternehmen. Leider ist heutzutage die Zeit der "Goldgrube Apotheke" vorbei. Allein mit kostenloser Beratung und Rezeptannahme lässt sich kein Geld mehr verdienen. Also versucht man, Marktanteile zu gewinnen. Der Alltag sieht oftmals so aus, dass Kunden genau wissen, dass sie in der Apotheke vor Ort sehr gut, kostenlos und vor allem nach bestem Gewissen beraten werden, jedoch ein Großteil der Kunden anschließend die Ware bspw. bei Versandapotheken bestellen, dass auch so in der Apotheke kommunizieren. Der Kunde vergisst dabei, dass der Apotheker vor Ort aber auch irgendwie Geld verdienen, sprich Umsatz erwitschaften muss. Oft bleibt ihm gar keine andere Möglichkeit, als auf die Preiskämpfe einzugehen, will er nicht auf der Strecke bleiben.