
„Kalzium stärkt die Knochen“, „Sauerkrautsaft regt die Verdauung an“ – mit solchen und ähnlichen Aussagen bewerben Lebensmittelproduzenten ihre Produkte. Doch stimmen die Slogans auch? Die Europäische Union hat jeden einzelnen auf den Prüfstand gestellt. Ergebnis: Verbraucher können sich jetzt besser auf gesundheitsbezogene Werbeslogans – sogenannte Health Claims – verlassen. test.de zeigt, welche Werbesprüche jetzt noch erlaubt sind und welche nicht.
Update [14.12.2012]: Neue Spielregeln treten in Kraft
Gesundheitsbezogene Werbeaussagen, deren Wahrheitsgehalt die EU als nicht erwiesen ansieht, sind ab heute auf Lebensmitteln verboten. Am 14. Dezember 2012 endet für Lebensmittelproduzenten eine sechsmonatige Übergangsfrist: Spätestens heute müssen sie abgelehnte Health Claims von Verpackungen entfernen. Den europäischen Verbrauchern soll das beim Einkauf mehr Sicherheit geben. Ob sich die Lebensmittelproduzenten an die neuen Spielregeln halten, muss jedes EU-Mitgliedsland selbst überprüfen und rechtlich verfolgen. Dabei ist die Health-Claims-Verordnung in der Praxis nicht immer einfach auszulegen, wie das aktuelle Verfahren um den Früchtequark Monsterbacke der Firma Ehrmann zeigt. Der Kinderquark wirbt mit dem Slogan: „So wichtig wie das tägliche Glas Milch“. Wegen einer ungeklärten Grundsatzfrage hat der Bundesgerichtshof den Fall gerade an den Europäischen Gerichtshof weitergereicht [Update Ende].
Mehr als 1 000 Werbeslogans abgelehnt
Der Wald der unendlichen Gesundheitsversprechen auf Nahrungsmitteln lichtet sich: Die EU bekämpft den Wildwuchs der tausenden Health Claims, von denen künftig gerade mal 220 zulässig sein werden. Mehr als 1 600 gängiger Slogans müssen bis Dezember 2012 von Lebensmitteln verschwunden sein. Die EU-Kommission hat jetzt die zulässigen und nicht mehr erlaubten Health Claims veröffentlicht. Geprüft werden die Slogans seit 2008 von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa). Die Efsa schaut, welche Aussagen auf Lebensmitteletiketten und in der Werbung wahr sind und welche nicht. Europäische Lebensmittelhersteller hatten bei der Efsa rund 44 000 Anträge auf Zulassung eingereicht. Da sich diese inhaltlich ähneln, hat sie die Efsa zu Hauptwerbeaussagen zusammengefasst. Davon bewertete die Behörde nun 500 positiv, da es für sie überzeugende wissenschaftliche Nachweise gibt. Diese 500 vertretbaren Werbesprüche hat sie wiederum zu 222 Claims zusammengefasst. test.de hat einige der in englischer Sprache vorliegenden und teils kompliziert formulierten Aussagen für Sie übersetzt.

Grünes Licht für Vitamine und Mineralstoffe
Bis jetzt hat die Efsa Werbeaussagen zu allgemeinen Funktionen und zu solchen Stoffen begutachtet, die nicht aus Pflanzen stammen. Am häufigsten erhielten dabei Slogans zu Vitaminen und Mineralstoffen grünes Licht. Allein für Vitamin C wurden rund ein Dutzend Claims zugelassen, darunter bekannte Aussagen wie “Vitamin C stärkt das Immunsystem“ und weniger bekannte wie „Vitamin C trägt zur normalen psychologischen Funktion bei“. Für Kalzium wurden acht Claims zugelassen, unter anderem Sätze wie „Kalzium ist wichtig für den Erhalt der Knochen“ und „Kalzium ist wichtig für den Erhalt normaler Zähne“. Auch wenn ein Lebensmittel bestimmte Mengen der Spurenelemente Selen und Zink enthält, kann es mit verschiedenen Gesundheitsaussagen beworben werden – etwa mit dem Satz „Zink schützt die Zellen vor oxidativem Stress“.
Mindestens 15 Prozent des Tagesbedarfs
Voraussetzung für die Anwendung eines Health Claims: Es müssen von der Efsa definierte Vorgaben erfüllt sein, insbesondere müssen bestimmte Mengen an Inhaltsstoffen im Produkt vorhanden sein. Für Vitamine und Mineralstoffe heißt das meist: Der Gehalt im Lebensmittel muss mindestens 15 Prozent des Tagesbedarfs decken. Kritische Stimmen vermuten, dass viele Lebensmittelproduzenten künftig gezielt bestimmte Vitamine oder andere Stoffen zugeben werden – nur um das Produkt mit einer positiven Botschaft versehen zu können. Zudem sind Produkte mit Health Claims auch nicht automatisch gesünder als andere und sollten nicht in Massen verzehrt werden. So ist beispielsweise der Durchschnittsdeutsche nicht mit Vitaminen unterversorgt, auch wenn sich diese Annahme hartnäckig hält. Darauf weist die Stiftung Warentest im Test Multivitaminsäfte hin.

Cholesterinsenker und Einschlafhilfen zugelassen
Zugelassen wurde außerdem der Slogan „Pflanzensterine senken den Cholesterinspiegel“. Dieser wird bereits von cholesterinsenkenden Margarinen wie Becel pro-activ von Unilever und Jogurtdrinks wie Danacol von Danone verwendet. Problematisch ist allerdings, dass viele Käufer von cholesterinsenkenden Lebensmitteln gar keinen erhöhten Cholesterinspiegel haben und für sie diese Produkte nicht gedacht sind. Ebenfalls zugelassen ist der Werbespruch „ Melatonin trägt dazu bei, die Einschlafzeit zu verkürzen“. Voraussetzung laut Efsa: Das entsprechende Produkt muss mindestens 1 Milligramm Melatonin pro Portionsgröße enthalten und der Verpackungstext muss darauf hinweisen, dass die Einnahme kurz vor dem Schlafengehen erfolgen soll. Auch manche Claims für die Omega-3-Fettsäuren DHA und EPA hat die Efsa angenommen – manche aber auch abgelehnt. Plausibel erschien ihr zum Beispiel, dass sich die Fettsäuren positiv auf die Sehkraft von Babys bis zu 12 Monate auswirken und zur normalen Gehirnentwicklung beitragen. Weniger plausibel hingegen fand Sie den Hinweis, dass DHA zur optimalen Gehirnentwicklung von Babys und Kleinkindern beitragen würde.
Probiotika und Schokolade haben es schwer
Unzählige Health Claims konnten die Hersteller nicht ausreichend wissenschaftlich belegen. Sie dürfen nur noch wenige Monate benutzt werden und müssen dann von Produkten und Werbung entfernt werden. Die EU-Kommission bezeichnete sie als irreführend. Dazu zählen unter anderem:
- Probiotika. Einzelne Werbeaussagen von Probiotika, darunter die von Klassikern wie Yakult („schützt vor Infektion der oberen Atemwege“) und Actimel („vermindert die Gefahr von akutem Durchfall“).
- Wasser. Werbeaussagen zu Hydrogencarbonat in Mineralwasser wie etwa „Gut für den Blutdruck“.
- Kakao. Werbeaussagen zu Kakao- und Schokoladenprodukten wie „Kakao verbessert die Stimmung“ oder „Polyphenole wirken positiv auf den Blutdruck“. Der Blutdruckhinweis ist etwa bei Produkten von Barry Callebaut wie der Apothekenschokolade zu finden.
- Milchprodukte. Allgemeine Werbeaussagen zu Milchprodukten, etwa mit dem Inhalt, dass Milch und Käse die Zahngesundheit von Kindern fördern würden. Anbieter Ferrero darf nun nicht mehr behaupten, dass seine Kinderschokolade beim Wachsen helfe.
- Palmöl & Co. Weitere diverse Aussagen wie „Palmöl verlängert das Sättigungsgefühl“, „Sauerkrautsaft regt die Verdauung an“ oder „Traubensaft hilft, das Herz-Kreislauf-System gesund zu erhalten“.
Neue Werbeslogans müssen her
Die meisten Lebensmittelhersteller sind von den vielen Ablehnungen nicht begeistert. Sie haben versucht, die Health-Claims-Verordnung zu stoppen oder zumindest Einfluss zu nehmen. Einige Hersteller haben angekündigt, gegen Entscheidungen der Efsa klagen zu wollen. Klar ist: In den Werbeabteilungen werden jetzt wohl schon die Köpfe rauchen, damit neue, unverfänglichere Werbeaussagen gefunden werden. Die Efsa prüft derzeit noch rund 2 000 Aussagen zu Pflanzenstoffen – und einzelne Aussagen zu Probiotika, die die Hersteller mehrfach zurückgezogen und neu eingereicht hatten.
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Wie haben wir die letzten 3.000 Jahre nur überlebt, als noch kein allmächtiger und niemals demokratisch gewählter EU-Bonze uns vorschrieb, was wir auf Produkten lesen dürfen und was nicht? Ich mache mir bestimmt keine Sorgen über kreative Werbesprüche, deren Gehalt ich glauben kann oder auch nicht und über die ich mich jederzeit informieren kann. Ich mache mir vielmehr Sorgen über nichtgewählte Politiker, die glauben sich in alles und jedes einmischen zu können.
Mir ist gestern - vor dem Lesen dieses Artikels - schon aufgefallen, dass die Yoghurette in der TV-Werbung nicht mehr "joghurt-leicht" schmeckt, sondern nur noch "himmlisch". Diese Schokolade war nach meiner Beobachtung tatsächlich besonders bei jenen Mädels beliebt, die zum Abheben in den Himmel besonders starke Flügel bräuchten... ;o) Die Sache mit den Claims ist tatsächlich keine Haarspalterei; die dreisten Lügen führen tatsächlich zu dem Ruf, dass irgendwelche Produkte gesünder wären, selbst in eigentlich gebildeten und gut informierten Kreisen. - - - Etwas offtopic: Mir sind schon Leute begegnet, die "HD+" für besser als normales HD halten! -.-
Die EU sollte sich gegenüber den Lobbyisten mehr durchsetzen. Ansonsten sind die Gesetze wirkungslos und erfinden neue Versprechen.
Es kann nicht sein, dass die Unternehmen nicht für Ihre Werbung 1:1 festgenagelt werden können. Wenn ein Unternehmen eine Aussage macht, müssten sie auch dafür haften. Ansonsten ist jede Werbung für mich irreführend.